Staatsanwaltliche Bereitschaft im Verzug

Man hatte ein paar Gramm Kokain gefunden, in der Unterhose des Mandanten. Kriminalistische Erfahrung hinderte den Polizisten daran, dem Mandanten zu glauben, daß er das Koks „gerade eben“ in der Hasenheide gekauft habe.

In seinem Bericht liest man später:

Aufgrund vorliegenden Sachverhaltes wurde eine Wohnungsdurchsuchung bei dem Besch, angeregt, der uns gegenüber äußerte, bei seiner Mutter in der Dingensstraße 666, 10969 Berlin, zu wohnen, da er zurzeit keine Wohnung hat.

Dieselbe kriminalistische Erfahrung führt dann zum Telefon:

Bereitschaftsdienst

Und jetzt? Aufgeben? Niemals!

Da keine richterliche Anordnung zur Wohnungsdurchsuchung eingeholt werden konnte, wurde die Wohnanschrift gegen 22.40 Uhr aufgesucht und auf Anordnung der POK’in P* aufgrund Gefahr im Verzüge durchsucht um einen Beweismittelverlust zu verhindern.

Ich halte fest: Wenn der Bereitschaftsstaatsanwalt ungestört sein möchte, ist die richterliche Anordnung einer knapp noch nicht mitternächtlichen Durchsuchung der Wohnung der Mutter eines Beschuldigten wegen Gefahr im Verzuge zulässig. Meint die Frau POK’in.

Unsere Kanzlei ist auch um 22.40 Uhr erreichbar. Wir schalten unser Telefon nicht ab. Aber wir sind ja auch keine Bereitschaftsstaatsanwälte.

Dieser Beitrag wurde unter Kanzlei Hoenig Info veröffentlicht.

13 Antworten auf Staatsanwaltliche Bereitschaft im Verzug

  1. 1
    Sven says:

    Wie es mir ein Polizist kürzlich sagte: Alle BTM Vorfälle sind wichtig für die Akte, da sie bei Beförderungen besonders gewürdigt werden.

    Da wundert es niemanden, dass in solchen Fällen regelmäßig der Richtervorbehalt unter fragwürdiger „Gefahr im Verzug“ umgangen wird.

  2. 2
    Wissbegieriger says:

    Wie lautet denn die Dienstanweisung der Staatsanwaltschaft Berlin für die Dauer der Rufbereitschaft?

    Mit dieser überaus wertvollen Information könnte der vorliegend geschilderte Sachverhalt rechtlich besser eingeordnet werden.

  3. 3
    wissender says:

    @Sven
    Da wurden sie entweder belogen oder sie haben ihren Kommentar erfunden.

  4. 4
    Dieter says:

    @Wissbegieriger:

    Kurz gefasst – Wenn’s Telefon klingelt, drangehen.

    Reicht Ihnen das zur rechtlichen Einordnung?

  5. 5
    Wissbegieriger says:

    @Dieter:

    Da wollten Sie aber ganz besonders schlau sein.

    Im überwiegenden Teil der Republik endet die Rufbereitschaft für Staatsanwälte und Richter um 21 Uhr und beginnt dann wieder morgens um 6. Kann ja sein, dass das im Sprengel von Herrn Hoenig anders ist. Das hätte ich dann aber gerne gewusst.

    Vielleicht können aber auch Sie mich aufklären, wenn Sie schon so ein Schlaumeier sind.

  6. 6
    Dieter says:

    Danke, dass Sie mir „Schlauheit“ zubilligen wollen.

    Aber alleine das aufmerksame Lesen des Textes vermittelt mir die Gewissheit, in Berlin gibt es auch des Nächtens einen Bereitschaftsstaatsanwalt. Denn seien wir mal ehrlich, warum sollten die Polizisten mehrfach versuchen, den Bereitschaftsstaatsanwalt unter einer Ihnen bekanntgemachten Telefonnummer an den angegebenen Zeiten zu erreichen? Wenn zwischen 21 Uhr und 6 Uhr generell kein Bereitschaftsstaatsanwalt Dienst hätte, wäre dies höchstwahrscheinlich auch den Polizisten bekannt. Oder sehen Sie das etwa anders?

  7. 7
    Schlaubert says:

    @crh:

    Ich verstehe § 105 StPO nicht so recht: Wenn der Polizist durchsuchen möchte, aber der StA nicht erreichbar ist, muss er dann nicht selbst (unter „Umgehung der StA“) versuchen, einen Bereitschaftsrichter zu erreichen, bevor er die Durchsuchung eigenmächtig anordnen kann?

  8. 8
    Die andere Seite says:

    Scheint wohl damit zusammen zu hängen, das die Ermittlungsperson (ehemals Hilfsbeamter der StA) beim Staatsanwalt nur die Beantragung eines DS-Beschlusses beantragen kann, welche dann wiederum vom Staatsanwalt wohlwollend geprüft wird und ohne weiteres zutun an den Richter gebeamt wird.

    Sollten wir nicht vielmehr froh sein, dass den Ermittlungsbehörden nicht noch eine eigene Beantragungshierachie einfällt. Streifenhörnchen muss sich an Schichtleiter wenden, der an Revierleiter, der darf dann den Staatsanwalt anrufen u.s.w.. Wenn auch nur einer nicht erreichbar ist in der Kette, tritt das Streifenhörnchen die Tür ein.

  9. 9
    Wissbegieriger says:

    @Dieter:

    Jetzt weiß ich endlich, dass völlig unbeleckt von Kenntnissen über Polizei und Justiz sind.

    Der durchschnittliche Polizist hat nämlich von den Dienstzeiten der StA tatsächlich überhaupt keine Ahnung. Das weiß ich aus Akten in NRW, wo in der Tat bis 21 Uhr ein Bereitschaftsdienst existiert und die Polizei sich trotzdem gerne um 03:00 Uhr nachts die Mailboxansage des StA-Handys anhört.

  10. 10
    Blub says:

    Ähm. Und die Lösung für die Polizei ist nun, bis zum *Ende des Bereitschaftsdienstes* zu warten und dann wegen Gefahr im Verzuge einfach auf eigene Faust zu durchsuchen?

    Um was dreht sich die Diskussion hier?

  11. 11
    Michael says:

    Herr Hoenig, sie verschweigen dem geneigten Leser aber nicht etwa, dass die „paar Gramm“ in der U-Hose eventuell mehr waren, als man üblicherweise so im „Einzelhandel“ erwirbt, und dass Ihr Mandant vielleicht mehr Bargeld bei sich trug, als es seinem Einkommen angemessen wäre oder gar in einer Stückelung, die ein Geldausgabeautomat so nicht auswirft? Oder dass er schon mal bei der Polizei im Bereich Btm-Handel hat arbeiten lassen? Dann könnte man durchaus von „kriminalistischer Erfahrung“ sprechen…..

    Ohne diese Erkenntnisse wäre ich indes auch nicht in die Bude eingeflogen….. die Latte bei „Gefahr im Verzuge“ liegt inzwischen, wie wir wissen, sehr sehr hoch….

  12. 12
    bambino says:

    Dafür, dass die „Latte“ hochliegt, ist sie in jüngerer Vergangenheit aber erstaunlich oft gerissen worden, sodass sich das BVerfG zu mehreren Entscheidungen bezüglich des Grundrechtes aus Art. 13 GG und dem dort enthaltenen Richtervorbehalt gezwungen sah.

  13. 13
    Staatsanwalt says:

    Wissbegieriger hat prinzipiell recht, obwohl zumindest hier die Bereitschaftsdienstzeiten wirklich jedem Polizisten bekannt sein müssten.

    Allerdings differieren die Zeiten von StA zu StA, einige machen noch 24 Stunden. Wird haben 2103 von 7 Tagen / 24 Stunden auf 7 Tage von 6 bis 21 Uhr umgestellt. Und damit keine Illusionen aufkommen, das ist reine zusätzliche Arbeit neben der normalen Tätigkeit, die auch tagsüber im Bereitschaftsdienst stressig ist. Für jedes nicht zuordbare Anliegen wird das Telefon zum Bereitschaftsstaatsanwalt durchgestellt, dieser muss für erkrankte Kollegen in der Sitzung ersetzen, Vorführungen machen, Anzeigen vor allem von Querulanten aufnehmen, beschleunigte Verfahren durchführen und so fort . Wenn man dann noch regelmäßig nachts rausgeklingelt wird kann man sich ausrechnen dass das kein Spaß ist. Freizeitausgleich / Überstundenvergütung gibt es selbstverständlich nicht. Hier bin ich 3 bis 4 mal im Jahr für 1 Woche dran.

    Daneben versucht es die Polizei auch außerhalb der Bereitschaftsdienstzeiten gerne mal in der häufig genug erfüllten Hoffnung dass ein „übereifriger“ Staatsanwalt auch außerhalb der Dienstzeiten das Gespräch annimmt. Ich habe es im Eildienst über Weihnachten auch in zwei Fällen während der Nachtstunden gemacht und dann sofort wieder bereut. Die Richter die ich kenne sorgen konsequent dafür dass sie außerhalb der Bereitschaftszeiten kein Anruf erreichen kann.

    Damit kein Missverständnis aufkommt: Bereitschaftsdienst gehört zum Berufsbild dazu. Ob er allerdings sinnvoll ist wenn auch kein richterlicher Bereitschaftsdienst existiert halte ich für zweifelhaft. Als ich angefangen habe war auch in einer Großstadt der richterliche und staatsanwaltliche Bereitschaftsdienst auf die Bürozeiten und am Wochenende auf die Zeit zwischen 10 und 12 Uhr beschränkt.