Was ist die Aufgabe eines Strafverteidigers? Dies ist immer wieder mal Thema von Gesprächsrunden, wenn es sich nicht vermeiden ließ, daß mein Beruf bekannt wurde.
Es sind nicht nur juristische Laien, die dieses Thema anschneiden. Gern beteiligen sich auch Zivilrechtler, Richter oder staatliche Ermittler an solchen Befragungen eines „Schmuddelkindes unter den Rechtsanwälten„.
Was machst Du eigentlich, wenn der Mandant Dir gegenüber eingeräumt hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben; dennoch beauftragt er Dich mit einer Freispruch-Verteidigung?
Das ist der Startschuß für eine manches Mal abendfüllende Unterhaltung. Nun liegt mir wieder einmal genau so ein Fall auf Tisch. Nichts wirklich Bösartiges, aber auch kein Delikt von der Qualität einer Schwarzfahrt.
Erste Variante: Strafmaßverteidigung
Ich hatte relativ schnell – also noch zu Beginn des Ermittlungs-Verfahrens – eine erste Akteneinsicht erhalten. Die Sache war noch nicht „ausermittelt“, aber in groben Schnitten schien das Ergebnis bereits festzustehen.
Die Mandantin kommentierte den Akteninhalt mit den einleitenden Worten:
Lieber Herr Hoenig,
die Vorwürfe treffen zu. Tatsächlich war es so: …
Die dann folgenden Ausführungen zielten darauf ab, ihr Verhalten nachvollziehbar zu machen. Dies war also der Auftrag für eine Strafmaßverteidigung mit dem Ziel, eine spektakuläre Beweisaufnahme in einer öffentlichen Hauptverhandlung vor dem Strafgericht zu vermeiden.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft setzten sich fort. Einige Wochen später erhielt ich die ergänzende Akteneinsicht, die Ermittlungen standen vor dem Abschluß. Die Verteidigung, d.h. meine Mandantin, erhielt noch einmal „rechtliches Gehör“, also die Gelegenheit zur Stellungnahme.
Das war also der Punkt, an dem die Weichen gestellt werden müssen. Ich habe der Mandantin die komplette, nun schon aus zwei Bänden bestehende Akte übermittelt.
Zweite Variante: Freispruchverteidigung
Die Mandantin kommentierte nun diese Ermittlungsergebnisse einleitend mit diesen Worten:
Lieber Herr Hoenig,
bitte verteidigen Sie mich mit dem Ziel eines Freispruchs. Eine Täterschaft meinerseits lässt sich nicht belegen.
Tja, und jetzt?
Was meint die geschätzte Leserschaft dazu?
- Was soll ich meinen Gesprächspartnern auf der nächsten Party erzählen?
- Wie lautet die Antwort auf die eingangs dieses Beitrags gestellte Frage?
- Welche Möglichkeiten hat der Verteidiger?
- Wozu ist der Verteidiger – immerhin auch Organ der Rechtspflege, § 1 BRAO – verpflichtet?
- Was darf die Mandantin von ihrem Verteidiger erwarten?
Die Entscheidung ist nicht ganz einfach, das sage ich gleich. Denn die juristischen, strafrechtlichen Konsequenzen dieses Verfahrens sind eigentlich nicht wirklich schlimm; hier stehen freiheitsentziehende Folgen nicht zur Rede. Der Hund liegt begraben in den massiven gesellschaftlichen Folgen einer Verurteilung, die einer nachhaltigen Karrierevernichtung gleichkommen würde.
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Dass immer dann auf Freispruch verteidigt werden muss, soweit dies auf Grund der Beweislage wahrscheinlich ist, ganz unabhängig davon, ob es der Mandant wirklich war. Härter bestraft werden darf ohnehin nicht.
Aus gutem Grunde räumt das Recht dem Angeklagten nämlich ein Aussageverweigerungsrecht zu. Damit ist er ganz automatisch gerade nicht dazu verpflichtet, sich selbst ans Messer zu liefern oder liefern zu lassen und damit ist es ebenso wenig die Aufgabe des Rechtsanwalts, etwas anderes zu machen.
Wenn man sich diese moralische Frage stellt, ob es in Ordnung ist, wenn ein Rechtsanwalt trotz Schuld auf Freispruch verteidigt, muss man sich konsequenterweise auch die Frage stellen, wofür ein Rechtsanwalt sonst gut sein soll, wenn er denn nicht das bestmögliche herausholen soll.
Es liegt ganz einfach in der Natur des Strafverfahrens, dass beide Seiten erbittert um das Recht kämpfen.
Natürlich kommt einem das Grausen, wenn ein Mörder durch gute Verteidigung einen Freispruch erhält. Aber das darf man hier einfach nicht vermischen. Um zu vermeiden, dass Unschuldige verurteilt werden für Dinge, die sie nicht getan haben, kann es eben passieren, dass auch ein Schuldiger weniger verurteilt wird. Nichts anderes ist rechtsstaatlich vorgesehen.
Selbst Anwälte, die nur Mörder und dann immer auf Freispruch verteidigen, sind wichtig. Denn gerade in solchen Fällen braucht man Leute, die die Gerichte auf den Boden bringen, damit sie sich nicht zu sehr in Indizien verlieben.
Ich denke, dass man das einem Laien nur schwer erklären kann.
Der Anwalt darf für den Mandanten nur nicht lügen, ihn aber auch dann auf „Freispruch“ verteidigen, wenn er um seine Schuld weiß oder von ihr überzeugt ist. Mir macht es die Freispruch-Verteidigung allerdings schwerer, wenn dies der Fall ist. Ich denke, auch die übrigen Verfahrensbeteiligten merken schnell, ob der Anwalt voll hinter dem Mandanten steht und von seiner Unschuld überzeugt ist oder er „nur“ aus formalen Gründen um einen Freispruch kämpft.
Der kluge Mandant räumt in geeigneten Fällen auch seinem Verteidiger gegenüber nicht seine Schuld ein, sondern bestreitet sie vehement. Ich habe schon so manchen Freispruch erwirkt, weil ich von der Unschuld des Mandanten überzeugt war, der mir glaubwürdig seine Unschuld beteuert und zahlreiche plausibele Erklärungen geliefert hat, weshalb der Tatverdacht nicht zutrifft und alles ganz anders war.
Wenn dann nachträglich herauskommt, daß der Mandant doch schuldig war, ist das vielleicht für manchen Kollegen eine menschliche Enttäuschung und birgt die Gefahr, tatsächlich Unschuldige nicht mehr mit Engagement zu verteidigen, weil der Mandant ja vielleicht doch schuldig sein und den Anwalt belogen haben könnte. Aber wenn man damit nicht umgehen kann, sollte man den Verteidigerberuf lieber aufgeben.
Ein Freispruch eines Schuldigen ist in einem Rechtsstaat genauso hinzunehmen wie die Verurteilung eines Unschuldigen. Man hat nur manchmal das Gefühl, Gesellschaft und Justiz können mit letzterem besser leben als mit ersterem.
Es ist die Aufgabe des Staates, die Schuld nachzuweisen, nicht die des Angeklagten (seines Verteidigers). Die Aufgabe des Verteidigers ist es, sicherzustellen, dass im Rahmen dieses Versuches keine rechtsstaatlichen Regeln zu Lasten des Angeklagten gebrochen werden. Wenn das Freispruch bedeutet: Bitte schön – dann hat der Staat einen Beweis eben nicht erbringen können. Lässt man zu, daß ein rechtsstaatliche Beweis nicht notwendig ist, steht jeder Unschuldige schon mit einem Fuß im Gefängnis.
Was WPR_bei_WBS sagt.
Käme einer Strafmassverteidigung nicht einem Geständnis gleich? Hat die Mandantin nicht ausdrücklich gesagt dass sie kein Geständnis abgeben möchte?
RA Tatouille:
Mir hat mal jemand, der viel auf der Anklagebank verbracht hat, auf den Weg gegeben:
Sage deinem RA niemals die Wahrheit, wenn du schuldig bist und ein Freispruch im Bereich des Möglichen ist.
Ich würde der Mandantin vorschlagen, den Fall an einen Kollegen abzugeben. Eine plausible Ausrede kann man sich ja einfallen lassen.
Oh es scheint auch um die Frage zu gehen, ob man seinem Anwalt alles sagen soll. Soll man?
Der Auftrag ist klar, der Strafverteidiger ist seinem Mandanten verpflichtet. Wenn sein Gewissen das nicht zulässt muss er das Mandat zurückgeben. Am Besten sucht er sich dann auch gleich einen anderen Job.
> Ein Freispruch eines Schuldigen ist in einem Rechtsstaat genauso hinzunehmen wie
> die Verurteilung eines Unschuldigen. Man hat nur manchmal das Gefühl, Gesellschaft und
> Justiz können mit letzterem besser leben als mit ersterem.
Das sehe ich im Bezug auf die Verurteilung eines Unschuldigen aber gänzlich anders!
Gäfgens Anwalt Ulrich Endres hat mal in einer Talkshow davon berichtet das ihm ein Mandant für den er in einem Mordfall einen Freispruch herausgeholt hat ihm danach gestanden hat die Tat tatsächlich begangen zu haben. Auf die Empörung der anderen Talkgäste wies er darauf hin das es nunmal die Aufgabe des Anwalts ist den Mandanten vor einer Strafe zu bewahren, sonst könne man es ja gleich lassen.
Es ist schade, aber ich würde heute einem Anwalt nicht mehr mit der Wahrheit kommen, wenn eine theoretische Aussicht auf Freispruch besteht.
Es ist Jahrzehnte her, es ging um ein kleineres Delikt, war ich meinem Anwalt gegenüber ehrlich. Im Nachhinein betrachtet, war das ein Fehler. Mein RA hat mich darauf hin gedrängt, einen Strafbefehl zu akzeptieren. Dabei lag ein Freispruch nahe, wenn man sich nur ein Bischen mit der Materie beschäftigt hatte.
Ich habe das nicht akzeptiert und der Beitrag meines Anwaltes beschränkte sich in der Hauptverhandlung dann auch im Grunde darauf, den Mund zu halten. Ich habe dann ausgesagt und mich selbst verteidigt, so schlecht das ein Laie kann. Der von Gericht bestellte Gutachter hielt meine Einlassung für zutreffend. Die Anklage stand auf derart dünnem Eis, dass der Staatsanwalt sogar einen Referendar in die Verhandlung geschickt hat. Es folgte ein Freispruch. Das ärgert ich noch heute, denn es war ein sehr teurer Anwalt, der mir von mehreren Seiten empfohlen wurde.
Ich hätte es ganz ähnlich wie WPR_bei_WBS (# 3) formuliert. Entscheidend ist, was in einem rechtsstaatlichen Verfahren nach den geltenden Verfahrensvorschriften bewiesen werden kann. Wenn die Verurteilung eines schuldigen Täters auf diesem Weg nicht erreicht werden kann, ist das eben so. Das passt den Freunden vom Stammtisch zwar nicht, ist aber die einzig richtige Lösung, um den Rechtsstaat nicht aus den Angeln zu heben.
Wie die Verteidigung die Sache taktisch angeht, hängt natürlich vom Einzelfall ab. Wenn die Beweisbarkeit dünn ist, spricht erstmal viel für eine Freispruch-Verteidigung. Man sollte sich nur nicht unnötig ein strafminderndes Geständnis abschneiden, wenn eine Verurteilung wahrscheinlich ist/wird. Genau den richtigen Zeitpunkt zu erkennen und entsprechend zu handeln, macht dann einen guten Strafverteidiger aus.
Der Strafverteidiger hat die Interessen des Mandanten zu vertreten. Wenn der Mandant eine Freispruchverteidigung wünscht dann hat der Strafverteidiger dem nachzukommen oder der Mandant sucht sich eben einen Strafverteidger der seinem W6nsch entsprechend handelt.
Ungeachtet dessen sollte es einem Strafverteidiger ohnehin nicht um die Schuld eines Mandanten gehen sondern lediglich darum das best Mögliche für den Mandanten zu erreichen. Moral hat bei einer Strafverteidigung nichts zu suchen. Genau dies ist auch der elementare Unterschied zwischen einem Strafverteidiger und einem Rechtsanwalt der ausschließlich in zivile Verfahren tätig ist. Ein Strafverteidiger will von schich aus das Beste für seinen Mandanten erreichen und darstellt sich die Frage von moralischen Bedenken nicht.
Ein erfahrener Mandant weiß zudem wie er seinem Strafverteidiger Umstände so mitteilt, dass dem Strafverteidiger alle Möglichkeiten einer Verteidigung bleiben, denn bedacht werden muss, dass ein Strafverteidiger nicht lügen darf. Aber wie gesagt ein erfahrener Mandant weiß wie er Dinge seinem Strafverteidiger mitteilt und ein Strafverteidiger sollte einem unerfahren Mandanten erklären wie man Umstände mitteilen kann.
Also zusammengefasst ein Strafverteidiger hat seinen Mandanten bestmöglich zu verteidigern dabei ist eine mögliche Schuld des Mandanten völlig unerheblich. Zudem wird ein erfahrener Strafverteidiger keine moralischen Bedenken bekommen.
„Ein erfahrener Mandant weiß zudem wie er seinem Strafverteidiger Umstände so mitteilt, dass dem Strafverteidiger alle Möglichkeiten einer Verteidigung bleiben“
Womit sich – selbst bei der eigenen Verteidigung – bestätigt: Der Ehrliche ist der Dumme. Im Vorteil sind in diesem Fall die „erfahrenen“ Multi- und Intensivstraftäter. Der, der ein mal im Leben straffällig gewordene hat dann selbst bei der eigenen Verteidigung schlechtere Karten. Eigentlich sollte es anders herum sein.