Wegschließen, immer wieder – was sonst?

LampeEin gutes Beispiel für die begrenzten Mittel, die der Justiz in Betäubungsmittel-Verfahren zur Verfügung stehen, ist der folgende Fall.

Der Mandant wurde in die psychiatrische Abteilung des Justizvollzugskrankenhaus (JVK) eingeliefert (§ 126a StPO). Zuvor hatte er in der Psychiatrie einer Klinik randaliert und im Zustand der Schuldunfähigkeit ein paar unanständige Worte gebraucht und sich mit dem medizinischen Personal folgenlos eine körperliche Auseinandersetzung geliefert.

Die Ermittlungsakten enthielten auch ein Urteil aus vergangenen Tagen. Der Sachverhalt in den Urteilsgründen:

Heroingemisch1

Also einfach mal über den dicken Daumen gepeilt, ein paar Fälle wegen möglicher Unsicherheiten – in dubio pro reo, schönen Dank auch – in Abzug gebracht und aufgerundet. Fertig. Was soll man sich auch soviel Mühe machen mit so einem Kerl.

Heroingemisch2

Das ist dann das Ergebnis der Beweisaufnahme, gegossen in ein Urteil, bestehend aus insgesamt sieben Seiten: Zwei Seiten Zitate aus dem Vorstrafenregister, eine Seite mit Lebensmittel-Diebstählen, die einer in einer Tabelle zusammen gefaßt waren, noch ein wenig Geschwurbel über eine(!) Schwarzfahrt …

Der Angeklagte hatte bereits bei Fahrtantritt vor, den Fahrpreis in Höhe von 1,20 € nicht zu entrichten. Strafantrag wurde form- und fristgerecht gestellt. Die Staatsanwaltschaft hält wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten.

und drei, vier Zeilen zur Vita des Junckies. Das war’s dann zum Sachverhalt.

Kurz vor der Kostenentscheidung und Unterschrift der Richterin dann noch die Strafmaßerwägungen:

Heroingemisch3

In diesen dürren Worten der Strafrichterin kommt die ganze Hilflosigkeit der Strafjustiz zum Ausdruck. Das ist jemand, der noch niemals den Hauch einer Chance auf eine stabile Entwicklung bekommen hatte. Kein Wort über die versäumten Möglichkeiten unserer Gesellschaft, von der verweigerten Solidarität der Gemeinschaft. Und was kommt raus am Ende: Zwei Jahre und 10 Monate Gesamtfreiheitsstrafe. Knast also für einen kranken Menschen, für den es de facto zu den angeklagten Straftaten keine Alternative gegeben hatte.

Und diese 34 Monate hat er auch bis zu letzten Minute abgesessen. Zwischendurch mal – zum Zweidrittel-Zeitpunkt – gab es die Stellungnahme einer Regierungsrätin. Es mußte erwogen werden, ob eine Reststrafenaussetzung zur Bewährung in Frage kam. Selbstverstänlich nicht! Und zwar u.a. aus folgenden Gründen:

Strafrechtlich ist der Gefangene bereits mehrfach vorbelastet. Einen Bewährungswiderruf [gemeint war: eine Strafaussetzung zur Bewährung. crh] konnte er in der Vergangenheit nicht für sich nutzen, sondern beging stattdessen weitere Straftaten [Anm.: Verstöße gegen das BtMG. crh]. Ein wesentlicher Faktor ist hierbei seine Abhängigkeit von illegalen Drogen, welche er seit ca. seinem 14. Lebensjahr konsumiert. Etwa ab seinem 18. Lebensjahr konsumierte er erstmals Heroin.
[…]
Dem anlässlich der Hauptverhandlung in Auftrag gegebenen Gutachten vom 30. September 2011 ist zu entnehmen, dass bei dem Gefangenen u.a. eine dissoziale Persönlichkeitsstörung sowie eine polyvalente Substanzabhängigkeit vorliegt.

Und deswegen behält man ihn im Knast. Und belegt ihn auch dort noch mit Disziplinarmaßnahmen:

In der Justizvollzugsanstalt Kaisheim war sein Verhalten nicht immer beanstandungsfrei. Am 14. März 2013 wurde gegen ihn eine Disziplinarmaßnahme in Höhe eines einwöchigen Arrestes ausgesprochen, da er sich in Haft zweimal hat tätowieren lassen.

Die Empfehlung der Regierungsrätin daher:

Im Falle einer vorzeitigen Haftentlassung ist davon auszugehen, dass er in kürzester Zeit erneut Drogen konsumieren und in diesem Zusammenhang Straftaten begehen wird.

Sie hat Recht behalten. Nur kann er jetzt nicht mehr bestraft werden. Weil er so krank ist, daß er nicht mehr weiß was er tut, jedenfalls nicht mehr verhindern kann, daß er es tut, selbst wenn er es wüßte.

Mein Mandant ist 28 Jahre alt.

Dieser Beitrag wurde unter Betäubungsmittelrecht, Justiz, Knast, Mandanten veröffentlicht.

12 Antworten auf Wegschließen, immer wieder – was sonst?

  1. 1
    kristall says:

    Willkommen bei Freunden …

  2. 2
    Fritze says:

    Hier kommt allerdings zu kurz, dass hierzulande jeder in gewissem Maße für sich selbst verantwortlich ist. Der Staat ist nicht für alles und jeden verantwortlich, da der Bürger bekanntermaßen kein Objekt ist (Art. 1 GG).

    Wenn man anderes will, müssten kräftig die Steuern erhöht und deutlich mehr Staatsbedienstete eingestellt werden.

    So wie ich den Unterton in diesem Blog kenne, wäre das dann allerdings auch wieder nicht recht. Dann würde zudem wieder süffisant über die Beamten hergezogen.

  3. 3
    jj preston says:

    @Fritze

    Es steht schon die Frage im Raum, ob jemand mit derartigem Suchtdruck überhaupt in der Lage ist, das Unrecht seiner Handlungen zu erkennen, zu bewerten und rechtmäßige Handlungen zur Minderung des Suchtdrucks zu vollziehen. In dem Fall gehört er nämlich nicht in den Strafvollzug (der dann gerade genau gar nichts daran ändert, zukünftige Straftaten zu verhindern).

    Stichwort: § 20 StGB.

  4. 4
    meine5cent says:

    Und Therapieangebote hatte er niemals? Weder vor/nach/während der 2 J 10 Monate Haft? Bei der alten Bewährungsstrafe (Stellungnahme der Regierungsrätin) und nach der Haftentlassung auch nicht?
    Es dürfte bei der geschilderten BtM-Historie eher unwahrscheinlich sein, dass dem Mandanten niemals auch nur ein Strohhalm gereicht wurde.

  5. 5
    Fritze says:

    @ jj preston:

    Ich glaube nicht, dass der Fokus von CRH in diesem Artikel auf der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Mitbürgers liegt. Er will – so meine Lesart – die gesellschaftlichen Zustände anprangern. Zustände, für die wir allerdings allesamt – Rechtsanwälte, Banker, Müllwerker, Kaffeeverkäufer, Bäckereifachangestellte, Rentner, Beamte… – verantwortlich sind.

    In der Verhandlung, bei der der Mitbürger zu 2 Jahren 10 Monaten verurteilt wurde, wird sicherlich ein (Pflicht-)Verteidiger anwesend gewesen sein um das Thema §§ 20, 21 StGB anzusprechen. Offenbar ist das Urteil rechtskräftig geworden.

    Und auch wenn CRH in diesem Blog eher selten darauf abstellt, gibt es einen Typ Drogenabhängiger, die ab einem gewissen körperlichen Zustand besser in der JVA (oder Psychiatrie) als am örtlichen Drogenumschlagplatz aufgehoben sind, weil sie sich nämlich am besagten Drogenumschlagplatz sonst alsbald den Tod holen.

  6. 6
    Intercepta says:

    Bei einer derartigen Konstellation bietet sich §64 STGB statt Knast an. Der Schwerpunkt in der Entziehungsanstalt liegt auf der Therapie und nicht in der tendenziell fruchtlosen Verwahrung.
    Aber ja: Es ist bereits an dieser Stelle zu spät, den Reperaturbetrieb anzuwerfen; aber wenn diese Menschen schon vor Gericht sitzen, ist das besser als nichts.
    Niederschwellige nachhaltige Präventionangebote sind nicht überall vorhanden und nicht jeder akzeptiert sie; Das ist einerseits häßlich politisch gewollt, andererseits ist das auch der Preis für unsere individuelle Freiheit.

  7. 7
    jj preston says:

    @ Fritze

    Und wer gibt die Leitlinien für die Rechtsprechung vor? In letzter Konsequenz ist das die Gesellschaft, also wir. Wir sind diejenigen, die alle 4 Jahre sonntags das Kreuz machen und Entscheidungen treffen, wer sowohl in der Rechtslehre als auch in den Rahmenbedingungen die Maßstäbe setzt.

    Bei Ihrem letzten Absatz reden wir, wenn Sie darüber reden, dass jemand „besser“ hinter geschlossenen Türen aufbewahrt werden sollte, nicht von Strafverfolgung, sondern de facto von Sicherungsverwahrung mit unterschiedlichen Mitteln. Aber auch das kann nicht Sinn der Sache sein. Zumal das jede Menge Geld kostet, Menschen zu verwahren, in welcher Form auch immer. Monatlich etwa 3000 Euro. Im Jahr 36.000 Euro. Steuergeld. Von Ihnen und mir und allen anderen bezahlt.

    Jemanden allein nach § 20 StGB straflos auf die Straße zu setzen, der wie in diesem Fall in erster Linie sich selbst schadet – von (erweiterter) Beschaffungskriminalität abgesehen -, sehe ich auch nicht als das Optimum. Wenn jemals eine (Re-)Sozialisierung gelingen sollte, dann braucht jemand wie crhs Mandant (es war) Hilfe. Die bekommt er aber definitiv nicht in der JVA. Nur die, die eine solide Persönlichkeit haben, überstehen eine Haftstrafe ohne Makel. Und wieder andere gehen daran kaputt, selbst wenn der Strafvollzug berechtigt war.

    Wenn es nicht ausreichend Therapiemöglichkeiten gibt (man bedenke nur mal die Wartezeiten bei psychischen Krankheiten im ambulanten Bereich, selbst suizidgefährdete Personen müssen in der Regel mehr als ein Jahr warten) und es nur die Möglichkeit gibt, jemanden entweder für den Rest seines Lebens wegzusperren oder für eine vergleichsweise kurze Zeit und ihn danach wieder sich selbst und seinem Schicksal zu überlassen (ohne versucht zu haben, ihn von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten), dann haben alle versagt: Legislative, Judikative, Exekutive – und die Gesellschaft, die für diese drei und ihre Ausgestaltung die Verantwortung hat.

  8. 8
    Simon says:

    Mal abgesehen von den Vorkommnissen in der Klinik und anderen „Nebenstraftaten“ finde ich es ungerechtfertigt, jemanden wegen einer Sucht oder auch nur dem einmaligen Gebrauch jedartiger Drogen einer Straftat zu bezichtigen. Für mich hat jeder das Recht, über seinen Körper selbst zu bestimmen. Da finde ich es besser (wie es teilweise ja auch schon gehandhabt wird), dass betroffenen Personen ein Raum und keimfreies Spritzbesteck zur Verfügung gestellt bekommt und dort dementsprechende Therapieangebote angeboten werden.
    Ist aber nur meine laienhafte Meinung ;)

  9. 9
    Fritze says:

    @Simon:

    Es muss sich immer nur jemand finden, der das alles bezahlt. Der Politiker, der sich diese Ziele in sein Wahlprogramm schreiben lässt, kann getrost schon mal seinen Koffer packen und sich einen neuen Job suchen, weil die Gesellschaft nämlich geil auf Kitaplätze und gebührenfreies Studium, nicht jedoch auf Resozialisierung und/oder Behandlung von Straftätern Wert legt.

    Jede Gesellschaft bekommt das Recht, das sie verdient und bestellt hat. Schlicht und einfach.

    @jj preston: meinetwegen auch in einer Therapieeinrichtung, aber oftmals sind diese Kandidaten nicht mehr therapierbar.

  10. 10
    Simon says:

    @Fritz
    Da magst du Recht haben. Aber ich würde jede Wette eingehen, dass die eingesparten Kosten durch die dann fehlende Strafverfolgung durch die Polizei und die späteren etlichen Verfahren um einiges mehr einsparen würden, als solche Einrichtungen kosten würden. Belegen kann ich das nicht, aber was jährlich im Bereich der Drogendelikte (gerade bei Delikten „weicher“ Drogen wie Cannabis, die meines Erachtens nach erst recht legal sein sollten) an Kosten zusammenkommt, ist sicherlich enorm.

  11. 11
    Fritze says:

    @ Simon: Das mag alles sein, aber zu einer Überprüfung dieser Wette in der Realität wird es aus den dargelegten Gründen nie kommen. Sie können Ihre Argumente mal beim nächsten Dorfstammtisch darlegen und schauen, was passiert.

  12. 12
    T.H., RiLG says:

    Es ist doch aber auch nicht so, dass es hierzulande gar keine Hilfsmöglichkeiten gibt. § 64 StGB, § 35 BtMG, Bewährungsauflagen, Weisungen, Bewährungshilfe….