Zielorientierter Hellseher?

Am 17. Oktober 2015 um 10:38 Uhr meldete Zeit Online:

Henriette Reker, die parteilose Kandidatin für die Oberbürgermeisterwahl in Köln, wurde bei einer Attacke schwer verletzt.

Der Täter habe sich widerstandslos festnehmen lassen, nachdem er Frau Reker mit einem Jagdmesser am Hals schwer verletzt hat.

Am 18. Oktober 2015 um 13:50 Uhr, also rund 27 Stunden später, lese ich (wieder) auf Zeit Online:

Der Attentäter […] war bei seiner Attacke […] nach Ansicht eines Gutachters voll schuldfähig. Es gebe keine Anhaltspunkte, nach der psychologischen Begutachtung daran zu zweifeln, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit.

War das tatsächlich eine „psychologische Begutachtung“. Oder hat da ein Druide ein paar Hühnerknochen in die Luft geworfen?

Bei diesem Schnellschuß unmittelbar nach der Tat kann es doch „nur“ um die Frage gehen: „Ist er haftfähig oder muß er in der (forensischen) Psychiatrie untergracht werden?“ Aber dann kann man doch nicht von einem „Gutachten“ sprechen, liebe Polizisten und Staatsanwälte. Oder haben sich da ein paar Qualitäts-Journalisten ihre Agentur-Meldung mit ihren küchenpsychologischen Bordmitteln selbst zusammengebastelt?

Die Frage, ob der Beschuldigte „voll schuldfähig“ ist oder nicht, wird im Laufe des Ermittlungsverfahrens sicherlich noch von einem Psychiater (!) gewissenhaft untersucht werden.

Dieser Beitrag wurde unter Medien, Polizei, Staatsanwaltschaft veröffentlicht.

3 Antworten auf Zielorientierter Hellseher?

  1. 1
    Holger Lauermann says:

    Da wird sich wohl wieder ein Journalist gedacht haben, dass er haftfähig den Lesern vermitteln und erklären müsste, wenn er es selbst überhaupt weiß und hat das griffigere und geläufigere „schuldfähig“ einfach selbst eingebaut.
    Bildblog-Leser kennen so was, passiert ja auch häufig mit den Gerichten, der EGMR wird ja auch immer wieder „EU-Gericht“ genannt…

  2. 2
    BV says:

    Von einem „Gutachten“ ist ja auch nicht die Rede, sondern lediglich von einer „Begutachtung“. Und das kann ja selbst ein kurzes Zusammentreffen eines Sachverständigen und des Beschuldigten sein, in dem es eben nur um eine vorläufige Entscheidung für die Frage der Unterbringung geht.

    So heißt es auch in der Pressemitteilung der Polizei:

    „Den Ermittlern liegt mittlerweile das Ergebnis der psychologischen Begutachtung des Festgenommenen vor. Hier ist in einer ersten Bewertung festgestellt worden, dass keine Anhaltspunkte für den Ausschluss der Schuldfähigkeit des Angreifers vorliegen.“

    Es gibt also nur eine „Begutachtung“ und eine „erste Bewertung“, die eben keine Anhaltspunkte geliefert hat. Das finde ich alles ziemlich unauffällig.

  3. 3
    schnorri says:

    Wie wird denn entschieden, ob der Tatverdächtige von der Polizei Einrichtung Psychiatrie oder in Richtung U-Haft weiter“befördert“ wird?
    Entscheidet das ein Mediziner durch Handauflegen/ Knochenwerfen oder wird da etwas schriftliches , eine „Begutachtung“ (verfasst, an dem sich womöglich ein Richter zwecks weiterer zeitlicher Anordnung der Fortdauer der Unterbringung ggf. orientieren wird?