Monatsarchive: September 2016

Aktuelle Reaktion auf Frontal21: Zellendurchsuchung

mainzelmannDie Leitung der Justizvollzugsanstalt Tegel reagiert bereits auf den Beitrag von „Frontal 21“, der gestern und heute morgen im ZDF ausgestrahlt wurde. Meinen Blogbeitrag über die Hintergründe findet man hier.

Timo F. berichtete darin ausführlich, daß Mitarbeiter der JVA seit Längerem Waren aus der Haftanstalt geschmuggelt und verkauft sowie ähnlich wie ein Pizzaservice Bestellungen von Gefangenen entgegen genommen und ausgeführt hätten. Ein Ex- und Import-Geschäft als Nebenerwerbsquelle einiger Justizwachteister.

Statt nun Timo F. aus der Schußlinie zu nehmen, zieht es die JVA-Leitung offenbar vor, an der Daumenschraube drehen:

  • Aktuell (gegen 11 Uhr) – also ein halber Tag nach der Ausstrahlung des Fernsehberichts – wird die Zelle von Timo F. auseinander genommen, d.h. von Sicherheitsbeamten durchsucht. Bei so einer Aktion wird die gesamte „Hütte“ auf Links gedreht.
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  • Eine weitere Maßnahme der Sicherheit, die aus Sicht des Gefangenen als eine reine schikanöse Repressalie empfunden werden muß: Er wird unter Verschluß genommen, nachdem er sich bis gestern noch als Hausarbeiter („Schanzer“, „Kalfaktor“) im Haus frei bewegen konnte.

Einen konkreten Anlaß – mit Ausnahme des Fernsehberichts – gibt es für diese Maßnahmen der „Sicherheit“ nicht.

Das Verhalten der JVA auf die Veröffentlichungen ist eine von Timo F. und seiner Verteidigung erwartete Reaktion.

Statt Mißstände zu beseitigen, wird Druck auf denjenigen ausgeübt, der die Mißstände öffentlich gemacht hat.

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Keine Freunde in der JVA Tegel

In „Frontal 21“ berichteten Christian Esser und Manka Heise am 13.09.2016 über Schmuggeleien in der JVA Tegel:

In Deutschlands größter Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel soll der Schmuggel von Waren in und aus der Haftanstalt an der Tagesordnung gewesen sein. Involviert in den Schwarzhandel seien angeblich mehrere Justizbeamte, berichten Gefangene.

heißt es auf den Seiten des ZDF.

Was hat den Protagonisten Timo F. dazu veranlaßt, sich vor eine Fernsehkamera zu stellen und über die Im- und Export-Geschäfte des Gefängnisses zu referieren?

Im Tagesspiegel vom 13.09.2016 schreibt Jörn Hasselmann:

Dem Vernehmen nach wollte [Timo F.] von der JVA Tegel einen Deal: Haftlockerungen und eine Verlegung [in eine andere JVA außerhalb Berlins] gegen diese Information.

Hasselmann trägt interne(!) Informationen (aka: Dienstgeheimnisse) vor, die er – dem Vernehmen nach – von der Justizsprecherin Claudia Engfeld bekommen hat. Und mit denen die Justiz versucht, die unglaublichen Zustände in dem Knast klein zu reden. Und vielleicht auch, um die Verwaltungsspitze aus der Schußlinie zu nehmen. Der Journalist erkennt nicht, vor welchen Karren er sich da hat spannen lassen.

mainzelmannWas bisher geschah
Timo F. hatte im Juli 2015 die konkrete Aussicht auf eine vorzeitige Entlassung aus der Haft binnen einiger Monate. Was bringt also einen Mann dazu, trotz dieser Perspektive zu fliehen? Und sich damit die volle Verbüßung bis seiner Freiheitsstrafe (bis zum 18.11.2020) einzuhandeln?

Es war das erhebliche Risiko, bei den Schmuggeleien und den ungenehmigten „Freigängen“ erwischt zu werden, das Timo F. veranlasste, sich von dem Netzwerk zu distanzieren und eine Teilnahme daran zu verweigern.

Daß damit die etablierten Wege, auf denen einige Gefangene und vor Allem die beteiligten Wachtmeister der JVA einen Nebenerwerb betrieben, unterbrochen wurden, war die wenig erfreuliche Konsequenz.

Insbesondere das Knast-Personal setzte sich zur Wehr, verlangte „Verdienstausfall“ von Timo F. und entwickelten ein Drohszenario: Nicht nur in Bezug auf die „körperliche Unversehrheit“. Angekündigt wurden auch Denunziationen, die zum Wegfall der Lockerungen und einer vorzeitigen Haftentlassung geführt hätten.

Bereits am 18. Januar 2016 habe ich der JVA mitgeteilt:

schmuggel-01

Seit dieser Zeit versucht Timo F., der JVA klar zu machen, warum er diesen auf den ersten Blick völlig unsinnigen Fluchtversuch unternommen hat.

Die Leitung der JVA stellte seine Erklärungen als „Schutzbehauptungen“ dar und versagte ihm sämtliche Unterstützung bei der Aufarbeitung seiner Entscheidung.

Timo F. wollte unbedingt vermeiden, als Verräter da zu stehen, der sich mit dem Verrat einen eigenen Vorteil erkauft. Deswegen lieferte er anfangs nur wenig konkrete Hinweise auf das Schmuggel-Netzwerk. Diese Informationen hätten allerdings schon locker dafür ausgereicht, daß die JVA interne Ermittlungen hätte anstellen können müssen. Geschehen ist jedoch wenig bis überhaupt nichts.

Auch als Timo F. seine Informationen sukzessive mit knackigen Details anreicherte, wurde er als uneinsichtig, gar unverschämt abqualifiziert. Die letzte VPK (Vollzugsplankonferenz) endete mit dem Attest: Timo F. hat keine Aussicht auf Lockerungen und er sitzt bis zum TE (Termin Ende). Basta!

In dem „Frontal 21“ Beitrag (Manuskript als PDF) stellen sich Staatsanwalt und Justizsprecherin breitbeinig auf und sprechen von Ermittlungen, die selbstverständlich eingeleitet worden seien.

Bei uns liegt eine Strafanzeige vor, die richtet sich gegen einen Mitarbeiter in der JVA Tegel und es geht um mutmaßlich korruptive Vorfälle. Aufgrund dieser Strafanzeige haben wir ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wegen des Verdachts der Bestechung beziehungsweise der Bestechlichkeit.

So formulierte es Martin Steltner von der Staatsanwaltschaft Berlin.

Diese Strafanzeige wurde von Timo F. erstattet: Am 13.07.2016 auf 17 Seiten und – dann noch einmal mit zahlreichen weiteren konkreten Details – am 24.08.2016 auf 45 Seiten.

Adressat dieser Anzeige waren nicht die JVA, sondern das Landeskriminalamt (LKA) und dort das LKA3, Dezernat 34: Korruptions- und Polizeidelikte. Erst als Timo F. dort einen Ansprechpartner gefunden hat, kam Bewegung in die Sache; die Staatsanwaltschaft legte erst dann (vermutlich Anfang August 2016) einen Deckel an – sprich: Es wurden endlich auch offiziell Ermittlungen eingeleitet.

In dieser Strafanzeige dokumentiert Timo F. die Hintergründe für seine damalige Notsituation, die ihn zur Flucht veranlaßt hatten. Seine Versuche, diese Denunziation zu vermeiden, sind an dem Blockadeverhalten u.a. der JVA gescheitert. Erst als ihm sowohl der informierte JVA-Leiter als auch die internen Stellen des Gefängnisses jegliche Unterstützung versagten, hat er sich an das LKA gewandt, um mit dessen Hilfe nachweisen zu können, daß einen triftigen Grund hatte erst einmal abzuhauen.

Und nicht nur die Teppich-Etage im Knast war informiert; sondern auch das Penthaus auf dem Dach – und das seit Januar 2016!

schmuggel-02

Justizsenator Thomas Heilmann hat anläßlich der Verabschiedung des Berliner Strafvollzugsgesetzes im März 2013 erklärt:

Es ist uns gelungen, […] die Rahmenbedingungen für einen modernen, zeitgemäßen Strafvollzug zu definieren. Resozialisierung und eine stärkere Einbindung des Opferschutzgedankens sind jetzt als wesentliche Teile unserer Vollzugsphilosophie verankert.

Der beste Opferschutz ist, Gefangene zu befähigen, nach der Entlassung ein straffreies Leben zu führen. Dieses Ziel verfolgen wir mit allen gebotenen Mitteln […]. Ich bin froh, dass wir es haben.

Das Ziel des Vollzugs der Freiheitsstrafe besteht darin, daß der Gefangene fähig werden soll, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (§ 2 StVollzG). Dabei soll das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden; schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges ist entgegenzuwirken (§ 3 StVollzG).

Das, was die SenJusV und die JVA bisher in dem Schmuggel-Fall der JVA Tegel abgeliefert haben, wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Aber vielleicht schafft es ja Herr Kriminaloberkommissar R. beim LKA 345, den Damen und Herren aus den oberen Etagen den Weg zu zeigen.

Und unter Umständen kommt jetzt auch irgendjemand auf die Idee, welche aktuellen Konsequenzen dieser Bericht für Timo F. haben wird und was man dagegen unternehmen könnte. Freunde hat er sich damit sicherlich keine gemacht. Jedenfalls nicht unter den Wachtmeistern der JVA Tegel.

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Ein Mainzelmann im Knast

Wer wissen will, wie dieser Mainzelmann …

mainzelmann

… in die JVA Tegel (JPG) kam, sollte sich den Beitrag von Christian Esser und Manka Heise heute Abend um 21 Uhr im ZDF das Magazin Frontal21 anschauen.

Das sei „bislang nicht bekannt gewesen“, teilte die Anstaltsleitung auf Nachfrage mit.

heißt es in der Preview des ZDF.

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Strafmaß für den Staatsanwalt

302061_web_r_b_by_korneloni_pixelio-deWas springt eigentlich für einen Staatsanwalt heraus, der (noch mutmaßlich) vier Straftaten begangen hat (und sich dabei erwischen ließ)?

Ein 38-jähriger Staatsanwalt hat sich nach einer (nicht rechtskräftigen) Entscheidung des AG Frankfurt/M. wegen Beleidigung, Körperverletzung, Mißbrauchs von Notrufen und seiner Befugnisse oder Stellung als Amtsträger strafbar gemacht.

Das Urteil vom 12.09.2016 hat dafür 10 Monate Freiheitsstrafe verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurden. Zusätzlich wurde ihm aufgegeben, 8.000 Euro an eine Polizeistiftung zu zahlen.

Die Anklagebehörde hatte 13 Monate Freiheitsstrafe beantragt. Das wäre die beamtenrechtliche rote Karte gewesen, § 24 BeamtStG. Soweit wollte das Amtsgericht ja nun doch nicht gehen.

Aber schauen wir uns doch mal die Strafrahmen der hier einschlägigen Vorschriften an.

  • Beleidigung, § 185 StGB: Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe
  • Körperverletzung, § 223 StGB: Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe
  • Mißbrauch von Notrufen, § 145 StGB: Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe
  • Mißbrauch seiner Befugnisse oder Stellung als Amtsträger, § 240 StGB: Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren

In der Regel bekommen die Amtsträger, die man wegen ihrer Verfehlungen nicht vom Platz stellen will, 11 Monate und irgendeine spürbare Bewährungsauflage. Das AG Frankfurt hielt hier einen etwas größeren Abstand zur Außenlinie.

Ist das Urteil für die vier von einem Repräsentanten der Justiz tatmehrheitlich begangene Straftaten angemessen?

Was macht man mit so einem?


     

 

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PS:
Die LTO berichtet hier und hier über weitere Details aus dem Verfahren.

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Bild: © korneloni / pixelio.de

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Notruf der Woche

Ein dringender Anruf aus der Türkei erreichte uns heute Nacht:

notruf2016-09

Was soll ich dem Anrufer mitteilen?

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Armes Gericht

Im Amtsgericht Tiergarten hört man schlecht. Deswegen hängt an der Wachtmeister-Loge seit gefühlten 100 Jahren ein gammeliges Hinweisschild:

Schlechte Akustik

Es gäbe ja auch die Möglichkeit, an der „Akustik“ zu feilen. Aber so ein Provisorium tut’s ja auch. Das Berliner Strafgericht in der Kirchstraße ist eben arm. Aber ganz bestimmt alles andere als sexy.

BTW:
Fehlt da nicht ein Komma?

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Befangenheit kompliziert ausgedrückt

Wie ein Richter versucht, sich die Arbeit vom Hals zu halten, zeigt dieser gern übermittelte Textbaustein (den wir hier fast schon rückwärts singen können):

kompliziert-ausgedrueckt

Ich finde, der Richter hat „Laß mich gefälligst mit diesem Mist da in Ruhe!“ recht kompliziert ausgedrückt.

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Ein Strafgericht ist kein Porzellanladen

Eine vielsagende Dekoration hat mich kürzlich im Berliner Kriminalgericht in der Kirchstraße zum Nachdenken gebracht:

Elefanten

Was soll dem Besucher damit gesagt werden? Oder ist das eine Warnung? Gar eine Drohung? Hat das Ganze eine Beziehung zu dem Anwaltszimmer, das um die Ecke liegt? An wen richtet sich die Botschaft?

Jedenfalls: Irgendeiner in der Verwaltung des Kriminalgerichts hat was mit Tieren.

Kennt sich hier jemand mit Psychologie aus?

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Verschrottungs-Ankündigung

Hier mal was für unsere lieben Erstsemester-Jura-Studenten.

2016-08-30 14.23.56 Schrott2

Das ist eine Hecke und kein Fahrradständer.

… ist auf dem Schild am Hinterrad zu lesen. Soweit so richtig. Das Fahrrad steht nun aber trotzdem dort. Wir sind eben in Kreuzberg! Und nicht Gundelfingen oder im Land der Kehrwoche.

Der Hausverwalter – seines Zeichens Grünzeugliebhaber – will er das Ding aber da weg haben. Deswegen hat er sich ein zweites Schild ausgedacht, nachdem das erste szentypisch wirkungslos geblieben (SO36!):

2016-08-30 14.24.05 Schrott

Was ist das denn jetzt – unter strafrechtlichen Gesichtspunkten? Und warum ist sie eher nicht so gut, so eine Verschrottungsankündigung? Was raten Sie dem Hausverwalter und Heckenliebhaber?

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Szenetypische Stückelung

In Verfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) haben nicht nur Konsumenten und Händler ihren eigenen Jargon entwickelt. Sondern auch die Ermittler. So findet man in den Durchsuchungs- und Beschlagnahme-Protokollen häufiger den Begriff der „szenetypischen Stückelung“, wenn die Spürnasen auf Bargeld gestoßen sind.

Aber was genau ist das? Es kommt darauf an, antwortet der Jurist. Und der Drogenfahnder. Der Strafverteidiger sagt: „Das hier.“

Szentypische Stückelung

Um welche Szene handelt es sich hier wohl? Und warum könnte diese Häufchen Scheine für einen Strafverteidiger gefährlich werden?

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