Monatsarchive: September 2016

Keine haltlose Verteufelung einer Staatsanwältin

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich noch einmal die defizitären Umgangsformen in der Kommunikation zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft zur Brust genommen.

Am 29. Juni 2016 ging es beim BVerfG unter dem Aktenzeichen 1 BvR 2646/15 um eine Sache, die zuvor vom Kammergericht und Landgericht verhandelt wurde.

Thema war wieder einmal der engagierte Kampf eines Verteidigers um’s Recht einerseits und die Mimosenhaftigkeit einer Staatsanwältin auf der anderen Seite.

Der Verteidiger soll die zuständige Staatsanwältin in einem Telefonat mit einem Journalisten als

„dahergelaufene Staatsanwältin“, „durchgeknallte Staatsanwältin“, „widerwärtige, boshafte, dümmliche Staatsanwältin“, „geisteskranke Staatsanwältin“.

bezeichnet haben. In dem Spannungsfeld zwischen Wertungen und Schmähungen sind dann auch drei Berliner Gerichte (AG, LG, KG) untergegangen.

Mit der August/September-Ausgabe der Online-Zeitschrift HRRS (HöchstRichterliche Rechtsprechung im Strafrecht) unter der Nummer HRRS 2016 Nr. 733 hat Holger Mann die folgenden Leitsätze formuliert, mit denen er die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf den Punkt gebracht hat:

1. Unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen Werturteile sowie Tatsachenbehauptungen, soweit diese zur Bildung von Meinungen beitragen. Geschützt sind nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen; vielmehr darf gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt geäußert werden.

2. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch die Strafvorschriften der §§ 185, 193 StGB gehören. Bei deren Auslegung und Anwendung haben die Fachgerichte den wertsetzenden Gehalt des Grundrechts interpretationsleitend zu berücksichtigen. Dies verlangt grundsätzlich eine auf den Einzelfall bezogene Abwägung zwischen dem Gewicht der Persönlichkeitsbeeinträchtigung einerseits und der Einschränkung der Meinungsfreiheit andererseits.

3. Eine Abwägung ist allerdings regelmäßig entbehrlich, soweit es um herabsetzende Äußerungen geht, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähkritik darstellen. Hiervon darf wegen der für die Meinungsfreiheit einschneidenden Folgen nur in eng begrenzten Ausnahmefällen ausgegangen werden. Auch eine überzogene oder sogar ausfällige Kritik macht eine Äußerung erst dann zur Schmähung, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.

4. Bezeichnet der Verteidiger in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren die zuständige Staatsanwältin gegenüber einem Journalisten ausfallend scharf und in einer ihre Ehre beeinträchtigenden Weise, so kann darauf eine Verurteilung wegen Beleidigung ohne Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht nur gestützt werden, wenn unter Ausschluss anderer Deutungsmöglichkeiten ein fehlender Verfahrensbezug der Äußerungen dargelegt wird.

5. Allerdings ist ein Anwalt grundsätzlich nicht berechtigt, aus Verärgerung über von ihm als falsch angesehene Maßnahmen eines Staatsanwalts diesen – insbesondere gegenüber der Presse – mit Beschimpfungen zu überziehen. Insoweit muss sich im Rahmen der Abwägung grundsätzlich das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen durchsetzen.

Beiden an dieser strafrechtlichen Auseinandersetzung beteiligten Seiten sei gesagt: Mäßigt Euch und legt Euch ein dickeres Fell zu. Was sollen denn die Leute von uns denken?!

Der Streit geht jetzt in die nächste Runde:

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Berlin zurückverwiesen.

… tenorierte das Bundesverfassungsgericht.

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Bild (Ausschnitt: © Thomas Max Müller / pixelio.de

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Mutige Gäste in Kreuzberg?

Wer in Kreuzberg SO36 eine Caffè in einem Gartenlokal bestellen möchte, muß schon ein wenig mutiger sein als anderswo.

CaveCanem

Ich könnte mir aber vorstellen, daß der Gastwirt seine Prioritäten noch etwas anders setzen wird. Sonst könnte es auch in den nächsten Wochen noch so (leer) aussehen wie auf dem Schnappschuß.

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Entscheidungs-Katalysator

342878_web_r_k_by_einzmedia_pixelio-deDie Wirksamkeit einer Dienstaufsichtsbeschwerde ist umstritten. Weit verbreitet in diesem Zusammenhang sind die drei „F“: Formlos! Fristlos! Fruchtlos!

Daß ich einen andere Ansicht vertrete, jedenfalls, was das dritte „F“ angeht, ist dem aufmerksamen Blogleser sicher bekannt. In einer durchaus beachtenswerten Anzahl konnte ich mit einer „DAB“ die Ziele erreichen, die ich damit verfolgt hatte.

Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Beamte …
… sind recht einfach zu bewerkstelligen. Die Herrschaften unterliegen einer Hackordnung und haben Vorgesetzte. Das kann der gewaltunterworfene Bürger ausnutzen, wenn er sich beim Chef beschwert.

Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Richter …
… sind allerdings etwas für Fortgeschrittene. Das hängt mit richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 GG) zusammen, die aus historischen guten Gründen Schlimmes verhindern soll. Dennoch: Eine FFF-Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Richter ist zwar keine Rasierklinge, aber ein stumpfes Schwert ist es nicht.

In einer recht eiligen Beschwerdesache drückt sich die Beschwerdekammer seit Wochen um die überfällige Entscheidung. Rechtlich spielt sich das Ganze auf der Spielwiese der Vermögensabschöpfung ab, einem Strafrechtsgebiet mit stark zivilrechtlichem Einschlag, um das sich mancher Strafrechtler gern herumdrückt. Wer hat schon eine aktuelle Kommentierung der ZPO in seiner Strafrechtsbibliothek?

Um also etwas Schwung die moabiter Kriminalhütte zu bringen, habe ich dann mal diesen freundlich gehaltenen Text an die 9014-2010 gefaxt.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrter Herr Richter, sehr geehrte Frau Richterin,

die in Art. 97 GG festgeschriebene richterliche Unabhängigkeit ist ein hohes Gut unseres Rechtsstaates, für die ich mich als Strafverteidiger und Organ der Rechtspflege stets stark gemacht habe und auch künftig für deren Erhalt einsetzen werde. Ein ebenso wichtiges Kriterium für die Sicherung unser aller Freiheit ist das Vertrauen, das der rechtsprechende Gewalt, also den Richtern entgegen gebracht wird (Art. 92 GG).

Diese Unabhängigkeit ist allerdings nicht grenzenlos. Jenseits der roten Linie befinden sich Desinteresse, menschelnde Bequemlichkeit, Willkür und böser Wille. Und dort bröckelt dann auch das Vertrauen.

Ich bin mir jetzt nicht mehr sicher, wo ich, sehr geehrte Frau Richterin, sehr geehrte Herren Richter, Ihr Verhalten einordnen soll. Es ist Ihnen gelungen, binnen weniger Tage (Beschwerde vom 1.8.2016 -> Postlauf -> Beschluß vom 11.08.2016) mit einem knappen Einzeiler die Beschwerde zu verwerfen, ohne dem Beschwerdeführer zuvor das rechtliche Gehör zu gewähren. Daß Sie damit auch dem Verteidiger – also mir – signalisieren, was Sie von dessen Position in jenem Verfahren halten, macht es mir nicht einfacher, Ihnen und Ihrem Amt mit Respekt gegenüber zu treten. Einfach war es nur für Sie, mit einem Federstrich die Lästigkeit einer Beschwerde vom Richtertisch zu hauen.

Nun sitzen Sie bereits seit gut vier Wochen auf der Akte und entziehen sich der Entscheidung über die Anträge vom 25.08.2016, mit denen ich versuche, Ihren Reflex(*) einer inhaltlichen Überprüfung zuzuführen – also quasi von der Kniesehne ins Hirn zu transportieren. Meine wiederholten Erinnerungen daran, daß Sie da noch eine offene Aufgabe auf Ihrer To-Do-Liste haben, scheinen wohl auch wieder nur zu einem Reflex geführt zu haben. Ich kenne das: Unangenehme Arbeiten schiebe ich manchmal auch auf die lange Bank, in der Hoffnung, sie erledigen sich von selbst.

Wenn ich zuhause mit dem Fensterputzen so verfahre, hat das nun eine andere Qualität, als wenn Sie, sehr geehrte Dame, werte Herren, sich um die Ihnen anvertraute (s.o.) Entscheidungsbefugnis drücken. Da ich nun – wie oben bereits dargestellt – meine Schwierigkeiten damit habe, Ihre Fensterbanktechnik richtig einzuordnen (Unabhängigkeit, Gleichgültigkeit, Faulheit, Willkür … ?) bitte ich nicht Sie, sondern Ihre Dienstaufsicht, mir bei der Subsumtion Ihres Verhaltens zu helfen.

Seien Sie bitte so gut und legen Sie diese, meine

Dienstaufsichtsbeschwerde

demjenigen vor, der Ihnen – außerhalb Ihrer richterlichen Unabhängigkeit – auf die Finger schauen und ggf. auch hauen darf.

Es grüßt Sie freundlich aus Kreuzberg

Carsten R. Hoenig
Rechtsanwalt
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(*) Laut Wikipedia ist ein Refelx eine unwillkürliche, rasche und gleichartige Reaktion eines Orga-nismus auf einen bestimmten Reiz. Reflexe werden neuronal vermittelt.

Mal sehen, was und wie schnell jetzt etwas passiert.

Für die Angsthasen und Berufsbedenkenträger: Nein, mit diesem informellen Rechtsmittel kann kein Porzellan des Mandanten zu Schaden kommen.

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Bild: © einzmedia / pixelio.de

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Historische Verantwortung statt Soldateska

111537_web_R_by_Michael König_pixelio.deDer Einsatz der Bundeswehr im Inneren steht immer mal wieder auf dem Wunschzettel der Law-And-Order-Fraktion.

Wer sich einmal abseits des Wahlkampfgetöses der Wirsinddasvolksvertreter auf sachlicher Grundage informieren möchte: Hier (pdf) gibt es eine sachliche Darstellung der rechtlichen Voraussetzungen für eine Militär-statt-Polizei-Verwendung.

Den Fans einer Soldateska sei zur zurückhaltenden Mässigung geraten. Für den Einsatz von Kriegsgerät gegen einen schießwütigen Amokläufer gibt es jedenfalls nach den Spielregeln unserer Verfassung keine Grundlage. Und das ist auch gut so.

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Ordentliche Anhörung

Es gibt sie noch, die fairen Textbausteine. Hier einmal einer, an dem auch ein pingeliger Strafverteidiger kaum was auszusetzen hat.

Unser Mandant hat Post bekommen von der Polizei. Ihm wird zur Last gelegt:

Sie verursachten einen Verkehrsunfall mit Sachschaden, indem Sie mit dem von ihnen geführten Pkw den vor ihnen abgestellten Pkw beschädigten. lm Anschluss entfernten sie sich unerlaubt vom Unfallort.

Dieser Vorwurf muß einem Beschuldigten bekannt gegeben werden, damit er sich dagegen verteidigen kann. Und was er sonst noch so machen kann, darauf weist dieser Textbaustein hin:

Anhörung

Alles drin, alles dran.

Nun mußte ich dem Mandanten nur noch erklären, was der erste Satz dieser Anhörung bedeutet:

Er bekommt die Gelegenheit, sich zu äußern. Diese Gelegenheit kann er nutzen oder nicht. Eine Verpflichtung zur Äußerung hat er als Beschuldigter nämlich nicht.

Das ist einfach verständlich, genauso wie der Rat, von dieser Gelegenheit erst einmal keinen Gebrauch zu machen. Bevor er nicht ganz genau weiß, wer und was ihm dieses Verfahren einbrockt hat, kann er sich auch nicht sinnvoll verteidigen. Deswegen gilt der eiserne Grundsatz:

Erst die Akteneinsicht, dann die Stellungnahme zu den Tatvorwürfen.

NIEMALS umgekehrt.

Zum Schluß habe ich unseren Mandanten dann noch auf unsere Sofortmaßnahmen hingewiesen, die er sich entspannt anschauen kann, bis wir die Ermittlungsakte bekommen. Dann sehen wir weiter, ob und ggf. wie eine Stellungnahme abgegeben werden soll.

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