Monatsarchive: Dezember 2016

Richterlicherbeschuss

Eine Frage, die unter genau dieser Überschrift in einem Portal veröffentlicht wurde, das dem Publikum kostenlosen Rechtsrat und Rechtsanwälten möglicherweise Mandanten vermitteln möchte:

Ich habe bei einer unübersichtlichen lagen wo Überholverbot mit durchgezogener Linie war, da ich mich hinter 2 LKW Fahrer befand und der LKW vor mir den LKW vor im überholte hängte ich mich gleich an den LKW der vor mir fuhr an der LKW Fahrer der vor mir fuhr schaffte es gerade noch der anderen Lkw zu überholen mir kam schon ein auto entgegen das andere auto nahm den Grünen streifen und weichte mir aus, hätte sie nicht ausgewichen wäre es zum Frontal-stoß gekommen. Mir wurde ein 8 monatiges Fahrverbot und 600 € als strafe angeben. Da ich Azubi bin und nicht so viel verdiene und auf den Führerschein angewiesen bin brauche ich nun Hilfe ob ich was tuen kann.

Wenn ich mir vorstelle, daß dieser Mensch mindestens neun Jahre in einer Schule gewesen sein muß, frage ich mich, was der dort sonst noch gelernt hat. Liebe Freunde, der darf am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen und die am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Mandatsträger wählen.

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Die Resozialisierungslücke

Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, spricht Bekanntes kolumniszierend aus:

Ich halte es für unerträglich und verlogen, dass, wie, in welchem Ausmaß und mit welch merkwürdiger Energie verantwortliche Politiker und Verwaltungen seit vielen Jahren das gesetzlich verankerte Strafvollzugsziel der Resozialisierung missachten und in sein Gegenteil verkehren, um populistischen Stimmungen gerecht zu werden. Der Strafvollzug ist erbärmlich ausgestattet, ineffektiv und reformbedürftig. Stattdessen hat sich der Bund aus der Verantwortung verabschiedet; die Länder machen die Standards, wie sie wollen. Wenn die Resozialisierung „nicht klappt“, werden irgendwelche Strafen erhöht oder notfalls Minister entlassen. Dabei wäre es nach ganz einhelliger Meinung aller Sachverständigen einfach nur erforderlich, die eingesetzten Personalmittel zu verdreifachen. Die gesellschaftlichen Kosten wären wesentlich niedriger als heute, der Nutzen evident.

Quelle: Zeit Online

Deckt sich im Wesentlichen mit meinen Erfahrungen im Knast.

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Überflüssiger Reporter

Der Prozess beginnt mit einem bunten Strauß überflüssiger Befangenheitsanträge.

So überschreibt ein Glossenjournalist und für seine etwas anderen, schrägen Geschichten bekannter Reporter, unter anderem Gerichtsreporter seinen Beitrag in einer ansonsten seriösen, altehrwürdigen Tageszeitung. Es geht um den ersten Hauptverhandlungstermin in einer Umfangstrafsache.

Tags zuvor gab es die Schnellschüsse der bekannten Nachrichten-Agenturen und – selbstredend – einer Zeitung, die immer als erste mit den Toten spricht. Diese unrecherchierten und auf schiere Reproduktion des Gehörten reduzierten Kurzbeiträge gaben das Prozeßgeschen einigermaßen korrekt wieder, der BILD-Reporter in dem für dieses Medium bekannten Sprachstil. Das ist OK so.

Der faule Redakteur hingegen kramte irgendwas aus seiner Erinnerung, und bastelte sich den Rest dazu. Obwohl er sicherlich hinten auf der Galerie gesessen haben wird, hat er zum einen nicht zugehört und zum anderen das Nichtgehörte auch nicht verstanden.

In rund 3.000 Zeichen zeigt er, welchen katastrophalen Spuren ein prekäres Dasein als Glossenschreiber hinterlassen kann. Solche Hohlfiguren empfinden selbstverständlich Langeweile, wenn sie Vorträgen zuhören müssen, die aus mehr als nur zwei Sätzen bestehen.

Trotzdem weiß er:

Der erste Verhandlungstag vor dem Landgericht brachte nichts – bis auf drei Befangenheitsanträge seines Verteidigers,

Er kennt die Akten nicht, die Hintergründe für die Ablehnungsgesuch auch nicht. Er versteht nichts von den Spielregeln, die im Strafprozeß gelten und ist damit auch nicht imstande, den Sinn dieser Verfahrenseröffnung zu erfassen. Ok, das ist nicht jedem gegeben. Aber nicht jeder outet sich damit als Dilettant.

Aber in der Einschätzung der Qualität des Verteidigers hat er Chancen, die er zu nutzen weiß:

einer offenkundigen Dauerredner-Koryphäe, die eigens aus Berlin eingeflogen kam.

Und richtig stellt der prekariatäre Pleistozäneur dar:

es kam nicht einmal zu einer Verlesung der Anklage.

Was soll der arme Staatsanwalt auch machen, wenn der Vorsitzende wegen der Ablehnungsgesuche ihn nicht zum Vortrag auffordern darf. Aber das muß man als Gerichtsreporter diesen Niveaus ja auch nicht wissen.

Seinem Wortschwall konnte man entnehmen, daß er auch sonst wenig begriffen hat von dem, was er in den gut 60 Minuten Verhandlungsdauer gehört hat.

Erwähnenswert ist noch, daß mein einigermaßen freundlicher Kommentar mit einem Hilfsangebot an den Berichterstatter, die intellektuelle Mangelernährung, unter der er zu leiden scheint, zu kompensieren, nicht veröffentlicht wurde … obwohl ich mich den Mühen einer Disqus-Anmeldung unterzogen hatte:

Liebe Gerichtsreporter oder die, die es werden wollen. Ich beiße nicht! Ihr könnt mich gern ansprechen, wenn Ihr Fragen habt oder Hintergrundinformationen braucht, um gute und unabhängige Artikel zu produzieren. Und nicht so einen Müll.

Admiror, o paries, te non cecidesse ruinis, qui tot scriptorum taedia sustineas.

In diesem Sinne: Frohes Fest!

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Kein offensichtlicher Revisionsgrund

Der Haftbefehl hat meinen Mandanten nicht amüsiert. Deswegen habe ich ihn mit der Haftbeschwerde angegriffen. Und das gleich zweimal. Ja, das ist ungewöhnlich, hat aber seine Gründe.

Auch das Gericht war etwas irritiert. Das machte sich besonders in dem Beschluß bemerkbar, mit dem der zweiten Haftbeschwerde nicht abgeholfen wurde.

In einer eMail habe ich dem Richter einen anwaltlichen Hinweis erteilt:

Der Nichtabhilfebeschluß vom 09.12.2016 bezieht sich auf die ältere Haftbeschwerde (vom 04.07.2016); Gegenstand des Verfahrens ist jedoch meine Beschwerdeschrift vom 07.12.2016. Ich rege eine Korrektur an, nicht daß sich das noch zu einen absoluten Revisionsgrund auswächst.

Es dauerte keine 12 Stunden, da kam ein Fax der Strafkammer hier an:

Naja, ganz so offensichtlich war der Schreibfehler ja nicht, sonst hätte es der Vorsitzende ja beim Korrekturlesen gemerkt. Aber gut, daß er die keimenden Revisiongrund verhindert hat. Ordnung muß sein!

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Sprichwörter, der Rebellensenat und die Binnendivergenz

Heute mal wieder einen Beitrag zum Thema: „Sprichwörter in der Gerichtspraxis“ und der Blick in die Glaskugel.

Udo Vetter berichtete über ein Lotteriespiel auf Hoher See und in Gottes Hand: Der Fischer-Senat, also der 2. Senat beim Bundesgerichtshof (BGH), hatte über zwei spannende Fälle zu entscheiden:

Fall 1: Ist die Nötigung zur Herausgabe von Betäubungsmitteln strafbar?

Dazu die (beabsichtigte) Lösung des 2. Senats:

Die Nötigung zur Herausgabe von Betäubungsmitteln richtet sich nicht gegen das Vermögen des Genötigten und erfüllt daher nicht den Tatbestand der Erpressung.

Quelle: Beschluß vom 01.06.2016 – 2 StR 335/15

Und nun der Fall 2: Ist die Nötigung zur Herausgabe von Betäubungsmitteln strafbar?

Dazu die (ausgeurteilte) Lösung des 2. Senats:

Wer … einen Rauschgifthändler oder –kurier mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Herausgabe von Drogen nötigt, … macht sich der räuberischen Erpressung schuldig.

Quelle: Urteil vom 22.09.2016 – 2 StR 27/16

Ja, zwei identische Fallgestaltungen! Aber zwei sich einander ausschließende Ergebnissse.

Wir haben hier im Ernstfall also zwei Angeklagte, die die gleichen Taten begangen haben:

  • Der Angeklagte Nr. 1 wird freigesprochen,
  • der Angeklagte Nr. 2 bekommt dafür 5 Jahre plus X.

Vom selben (nicht: gleichen) Gericht.

Vergleichbares kennen wir:
Berliner Gerichte interpretieren das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) und dessen Rechtsfolgen anders als Bayerische Gerichte. Aber zwischen der Turmstraße 91 und der Nymphenburger Straße 16 liegen laut Google mehr als 580 km Autobahn und eine Sprachgrenze.

Vorstellbar (wenngleich auch schon nur schwer nachvollziehbar) ist noch, daß innerhalb ein und desselben Gerichtsbezirks die Abteilungen, Kammern oder Senate in ihren Be- und Verurteilungen voneinander abweichen.

Das ist der Ausfluß der richterlichen Unabhängigkeit, Art. 97 Abs. 1 GG.

Aber innerhalb ein und desselben Senats rechnet kein normal, von den Kriterien des § 20 StGB entfernt denkender Mensch mit sich widersprechenden Entscheidungen. Zumal, wie Udo Vetter herausgearbeitet hat, es bis auf einen einzigen Richter dieselben (vier) Richter waren, die zu den divergierenden Ergebnissen gekommen sind.

Auch Detlef Burhoff bemüht zu diesem Thema ein Zitat, das bekannte von Conrad Hermann Joseph Adenauer, der sich nicht um sein Geschwätz von gestern kümmert.

Mir fällt dazu ein:
Vor Betrunkenen und den Richtern am Bundesgerichtshof sollte man sich in Acht nehmen: Man weiß nie, wohin sie torkeln. Wobei wir dann doch wieder beim § 20 StGB wären …

Was soll ich als Strafverteidger meinen Mandanten antworten, wenn er mir die Mandantenstandardfrage stellt: Mit was muß ich rechnen?

Dann kann ich eigentlich nur sagen: Rechnen Sie mit einem Freispruch, mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder mit irgendwas dazwischen. Ich sage oft gar nichts, sondern zeige nur auf unsere Glaskugel; damit kann ich nichts falsch machen.

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Legal Tech in unserer Kanzlei

Seit ein paar Monaten kursiert der Begriff „Legal Tech“ in der Medienwelt. 34 Jahre nach der Vorstellung des „Brotkastens“ (vulgo: Commodore 64 oder kürzer: C64) sollen die Organe der Rechtspflege vorsichtig an die elektronische Datenverarbeitung herangeführt werden.

Unsere Kanzlei bemüht sich seit 1996 darum, Papier zu sparen. Wir haben uns seit der Kanzleigründung stets auf die Elektronik gestützt und verlassen. Auch ein paar Rückschläge haben uns nicht davon abgehalten, immer wieder mal was Neues auszuprobieren.

Der aktuelle Status: Vollständig digitale Akten in den Strafsachen, über 90% unserer Kommunikation geht über Glas- und Kupferkabel. Nur die Geburtstagskarten an unsere Mandanten verschicken wir mit der Sackpost.

Bei dem Saarländischen Unternehmen e-consult sind wir seit letztem Jahrtausend schon zufriedene Kunden. Die WebAkte ist ein integraler Bestandteil unserer Mandanten-Kommunikation. Nun hat sich das Entwickler-Team der Saarländer eine neue Sache ausgedacht: Den Bußgeld-Assistenten.

Auch wenn das erst einmal die Katze ist, die sich noch in einem Leinengewebe verborgen hält, haben wir schonmal den Bestellknopf gedrückt. Wir sind gespannt auf das neue Spielzeug. Und werden berichten …

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Bild: © Dieter Schütz / pixelio.de

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Merkwürdiges Verständnis vom fairen Verfahren

Über die Beschuldigtenrechtereform berichtet das RTF.1 – Regionalfernsehen. In der Sache geht es um die Stärkung der Beschuldigtenrechte im Ermittlungsverfahren, die in einem Gesetzentwurf der Bundesregierung (pdf) formuliert sind.

Das Anwesenheitsrecht des Verteidigers bereits bei der ersten polizeilichen Vernehmung soll festgeschrieben werden. Die Polizeibeamten sollen verpflichtet werden, den Beschuldigten bei bei der Suche eines Verteidigers aktiv zu unterstützen. Der Verteidiger soll beispielsweise bei Gegenüberstellungen vorab informiert und beteiligt werden, um falsche Identifizierungen möglichst zu vermeiden.

Der Bericht zitiert den Kollegen Stefan Conen, Strafverteidiger in Berlin, der eine alte Forderung hervorhebt: Von solchen Ermittlungsmaßnahmen sollen

Videoaufzeichnungen angefertigt werden, die bei Zweifeln vor Gericht herangezogen werden könnten. Auch für andere Vorgänge im polizeilichen Ermittlungsverfahren wie Belehrungen sollten Aufzeichnungen vorgeschrieben werden. Bei Verfahrensfehlern trage der Beschuldigte die Beweislast, aber ohne Dokumentation könne er diesen Beweis kaum erbringen.

Und wie positionieren sich die Vertreter der Staatsgewalt zu diesen Forderungen, die im übrigen auch von vielen Polizeibeamten erhoben werden?

Der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Rolf Raum warnte dagegen, die im Gesetzentwurf angelegte „zunehmende Formalisierung“ der Verteidigerrechte würde „Verfahren schwerfälliger und ineffizienter machen“. Ähnlich argumentierte der Marburger Oberstaatsanwalt Gert-Holger Willanzheimer. Die vorgesehene Verpflichtung, im Verlauf eines Ermittlungsverfahrens „jedes Mal aktiv den Verteidiger zu benachrichtigen“, führe „zu einer Verkomplizierung“.

Diese Standpunkte sind nachvollziehbar:
Verteidiger stören ohnehin nur die Ruhe beim Verurteilen und Wegsperren. Konsequent zuende gedacht: Einfach die Verteidigung aus der EMRK und den Prozeßrechten streichen; dann klappt es auch wieder mit dem Standrecht.

Provokante Frage:
Wenn man Strafverteidiger nur noch zur Dekoration des Strafverfahrens heranziehen möchte – wozu braucht man dann eigentlich noch Richter? Die Staatsanwaltschaft ermittelt Straftaten, sie ist auch später zuständig für die Vollstreckung der Strafen. Warum sparen wir uns – neben den Verteidigern – nicht auch den Umweg über die Gerichte?

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Bild: © Bredehorn.J / pixelio.de

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Ein Mandant namens Dunning-Kruger

Wie es mit manchen Mandaten und Mandanten manchmal ausgehen kann, zeigt ein Verfahren vor dem Zivilgericht. Der ehemalige Auftraggeber eines Verteidigers hat Klage auf Schadensersatz erhoben und sich fürchterlich beschwert. Das hat bereits vor ein paar Tagen zu diesem Blogbeitrag über einen schwimmfähigen Winkeladvokaten geführt.

Die Geschichte geht weiter.
Die Zivilrichterin hat einen Termin zur mündlichen Verhandlung angesetzt und dazu geladen. Der Verteidiger läßt sich von einem Kollegen vertreten, der sich mit diesem Zivilrecht auskennt. Und anders wie in einem ernsthaften Gerichtsverfahren muß der Beklagte in Zivilsachen grundsätzlich nicht zum Verhandlungstermin erscheinen.

Das gefällt dem klagenden Ex-Mandanten aber nicht. Er verlangt nach dem persönlichen Show-down:

Die Kommentatoren sind sich noch nicht einig, ob hier ein Fall des ICD-10 F60.8 oder der Dunning-Kruger-Effekt vorliegt.

Nein, ich mache mich hier nicht lustig über das Gebrechen anderer Menschen. Mir tut nur die arme Zivilrichterin Leid, die diesem Herrn nun die Spielregeln erklären muß.

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Bild: © pizzadelivery.org

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Alpi ist gestartet

Alpifährt Die Staatsanwaltschaft hat Alpi wegen Mordes angeklagt. Seit dem 12.12.2016 wird nun vor dem Landgericht Bremen über diesen Anklagevorwurf verhandelt.

Alpi soll im Juni 2016 einen betagten Fußgänger angefahren haben. Darüber hatte ich bereits berichtet.

Der Mann sei trotz Rotlicht der Fußgängerampel über die Straße gegangen. Den Unfall hat Alpi mit einer Helmkamera aufgezeichnet. Er soll wieder mal einen Film für seine Youtube-Plattform gedreht haben. Der Fußgänger starb an der Unfallstelle, Alpi wurde ebenfalls schwer verletzt.

Die Staatsanwaltschaft unterstellt Alpi einen bedingten Tötungsvorsatz. Das bedeutet, er soll den Tod des Fußgängers „billigend in Kauf genommen“ haben. Die Indizien für diese Unterstellung leitet die Staatsanwaltschaft von der hohen Geschwindigkeit des Motorradfahrers ab. Auch die auf Youtube gut von Alpi selbst dokumentierten angeblichen wiederholten „groben“ Verkehrsverstöße und Beinaheunfälle seien ein deutlicher Hinweis darauf, daß Alpi …

… es billigend in Kauf [genommen hat], dass andere schwer verletzt werden oder gar sterben.

Sämtliche Youtube-Videos wurden dazu von den Ermittlern ausgewertet, nachdem sie sich wie 80.000 Abonnenten des YouTube-Kanals die Aufzeichnungen angeschaut und angehört haben. Daß Alpi mit diesen Filmchen nicht nur Fans unterhalten wollte, sondern auch über Werbeeinnahmen Einküfte erzielte, unterstützt die Argumentation der Strafverfolgungsbehörde.

Die Verteidigung wird zitiert mit dem Vortrag, Alip sei „nicht das Monster, als das er dargestellt wird“. Der 24-Jährige soll nach Darstellung eines Verteidigers …

… ein junger Mann [sein], der große Freude am Motorradfahren gehabt und dies möglicherweise übertrieben habe.

Das ist ein für mein Gefühl etwas zu entspanntes Argument, das bei der Frage „Tötungsvorsatz: Ja oder Nein?“ eher nicht weiterhilft. Die Verteidiger werden sich nach dem Eröffnungsfeuerwerk sicher stärker engagieren. Denn es steht einiges auf dem Spiel:

  • Wenn (bedingter) Tötungsvorsatz, dann Mord, dann lebenslang.
  • Wenn nicht, dann maximal 5 Jahre.

Entscheidend wird es also um ein Rechtsproblem gehen, mit dem sich Jurastudenten um Grundstudium herumschlagen müssen:

Die Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der bewußten Fahrlässigkeit.

Weil das eben keine Rechenaufgabe ist, die zwingend nur zu einem richtigen Ergebnis führen kann, rechne ich ganz sicher damit: Dieses Problem aus dem allgemeinen Teil des Strafrechts wird mittelfristig den Bundesgerichtshof beschäftigen. Denn Alpi und seine Verteidigung werden genausowenig eine erstinstanzliche lebenslange Freiheitsstrafe akzeptieren wie die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung „nur“ wegen fahrlässiger Tötung oder gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. Zumal bei letzterer Variante wegen des Mitverschuldens (Rotlichtverstoß!) des Geschädigten kaum die Maxmialstrafe ausgeurteilt werden dürfte.

Bleibt zu hoffen, daß bei der Strafkammer professionelle Richter sitzen, die sich von der kochenden Volksseele nicht beeindrucken lassen.

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„Wir kämpfen weiter für ein gerechtes Ergebnis.“

Das Amtsgericht Tiergarten hat Frau Gina-Lisa Lohfink zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte ihr vorgeworfen, zwei Männer fälschlich der Vergewaltigung beschuldigt zu haben.

Mit dem Urteil war sie nicht einverstanden. Deswegen ist sie „in’s Rechtsmittel gegangen“. Das Ganze spielte sich im August dieses Jahres ab. Danach haben sich die Prozeßanalytikerinnen erst einmal beruhigt. Vor ein paar Tagen kam aber wieder Bewegung in die Geschichte.

Der Stern berichtete: Der Prozess des Jahres geht weiter. Das Ergebnis ist mir Wurscht. Mir geht’s um das Verfahren.

Mit Verkündung des Urteils beginnt eine Frist zu laufen: Vor Ablauf des 7. Tages muß beim Gericht ein Rechtsmittel eingelegt werden (§ 341 StPO), sonst war’s das und das Urteil kann vollstreckt werden.

Das haben die Verteidiger von Frau Lohfink hinbekommen. Sie haben für ihre Mandatin an das Gericht geschrieben: Gegen das Urteil legen wir [Irgendwas] ein. Dieses [Irgendwas] kann sein:

  • Berufung
  • Revision
  • Rechtsmittel

Nach diesem Schreiben an’s Gericht gibt es erst einmal nichts zu tun. Es dauert dann ein paar Wochen (§ 275 StPO), bis das Urteil aufgeschrieben wurde und Frau Lohfink sowie ihren Verteidigern zugestellt wird. Dann beginnt erneut die Uhr zu laufen. Und zwar für die Begründung der Revision!

Variante Berufung:
Hat Frau Lohfink „Rechtsmittel“ oder „Berufung“ eingelegt und tut sie nichts weiter, bekommt die Verteidigung eine Reaktion von der Berufungskammer des Landgerichts. Entweder die üblich Frage nach dem Ziel der Berufung oder gleich die Ladung zum Verhandlungstermni. Berufungen muß die Verteidigung nicht begründen. Man verhandelt ähnlich wie beim Amtsgerichts. Es können erneut die Zeugen und Sachverständigen gehört sowie Urkunden verlesen werden. Es kann also eine komplette Wiederholung der Beweisaufnahme stattfinden. Nur diesmal sitzen drei Richter hinter der Theke, ein Berufsrichter und zwei Schöffen.

Variante Revision:
Der Stern berichtet, Frau Lohfink wolle „diesen Albtraum […] nicht noch einmal erleben„; gemeint war die öffentliche Hauptverhandlung. Deshalb nimmt die Verteidigung die Revisions-Begründungsfrist des § 345 StPO ernst. Und schreibt auf, warum sie der Ansicht ist, daß das Amtsgericht Fehler gemacht hat. Dazu wird dann die Staatsanwaltschaft gehört. Die schreibt dann auf, warum das Amtsgericht keine Fehler gemacht hat. Und dann würfelt entscheidet irgendwann einmal das Kammergericht (in anderen Bundesländern heißt diese Instanz Oberlandesgericht).

Noch eine Variante:
Denkbar wäre auch, daß die Verteidigung zuerst eine Berufung eingelegt und sich dann umentschiesen hat. Dazu reicht dann die Mitteilung an das Gericht, mit der die Berufung in einer Revision umbenannt und dann auch wie zuvor beschrieben begründet wird.

Und warum heißt das jetzt „Sprungrevision“?
Wenn Frau Lohfink zuerst das Berufungsverfahren „erlebt“ und dort immer noch nicht das erwünschte „gerechte Ergebnis“ erreicht hätte, dann wäre ihr noch die Revision geblieben. Weil sie aber auf dieses Erlebnis verzichten möchte, überspringt sie diese Instanz und stürzt sich in das Vergnügen beim Kammergericht. Das ermöglicht § 335 StPO.

Schriftliches Verfahren?
Einer der Verteidiger wird vom Stern zitiert:

In der Regel gibt es dabei keine mündliche Verhandlung mehr, sondern das Verfahren ist schriftlich.

Da hat er Recht. § 350 StPO sieht zwar auch eine öffentliche Hauptverhandlung vor. Die ist aber nicht nur höchst selten (die Richter am Kammergericht möchten sich in ihrem Elfenbeinturm nur ungern bei der Arbeit zugucken lassen.). Sondern Frau Lohfink hätte dort auch gar nicht mehr erscheinen müssen.

Verhandlung ohne Angeklagte
Aber das Vergnügen hätte sie auch beim Landgericht haben können. Denn auch dort hätte sie sich durch ihre Verteidiger vertreten lassen können, § 329 Abs. 2 StPO.

Was passiert danach?
Rein statistisch gesehen hat die Revision kaum Aussicht auf Erfolg. Die überwiegende Anzahl der Hilferufe an das Revisionsgericht werden zurückgewiesen. Aber manchmal klappt es ja doch mit der Hand Gottes auf der Hohen See. Aber was dann? Das Kammergericht kann die Revision nicht nur verwerfen, sondern ihr auch stattgeben.

Erfolgreiche Revision
Auch hier gibt es wieder zwei Varianten. Das Kammergericht …

  • … spricht Frau Lohnfink frei oder
  • … verweist die Sache zur erneuten Verhandlung zurück an das Amtsgericht,

wobei ich – nach meinem aktuellen Kenntnisstand – davon ausgehe, daß es eher in der Hölle schneit, als daß das Kammergericht sich hier einen Freispruch abquält. (Ich nehme aber noch gern Wetten entgegen.)

Was ich für wahrscheinlich halte?
Viel Lärm um nichts. Oder abgekürzt: Das Kammergericht wird einen „O.U.-Beschluß“ erlassen: Offensichtlich Unbegründet. Das hätte den großen Vorteil des Endes des Verfahrens und damit auch der aufgeblasenen Reality-Gerichtsshow. Zum anderen bleibt den Verteidigern die Kritik des Kammergerichts an ihrer unbegründeten Revisionsbegründung erspart.

Eine Schlußfolgerung
Was soll das Ganze also? Ich sehe eher Anzeichen für ein Rückzugsgefecht. Denn wenn man von Strafverteidigern hört, sie wollen „weiter für ein gerechtes Ergebnis kämpfen„, denke ich eher an einen alten und bekannten Witz als ein ein ernsthaftes Verteidigungsbemühen. Und daß die ehrenwerten Krähen beim Kammergericht den Vögeln beim Amtsgericht das Theater mit den Silikonvertretern noch einmal zumuten werden, glaube ich eher nicht.

Wir werden davon hören.
Vor allem dann, wenn das Kammergericht in diesem Fall den Verwerfungsbeschluß nach § 349 Abs. 2 StPO und die Ablehnung des Antrags auf Freispruch ausnahmsweise einmal begründet. Mit einem kernigen: „Nein heißt Nein!“

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Bild: © Joujou / pixelio.de

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