Monatsarchive: Dezember 2016

Immer schön auf dem Teppich bleiben

Unsere Kanzlei-Wanne hat in ihrem nun mehr als drei Jahrzehnten ihres Lebens schon eine Menge mitgemacht. Nun ist sie auf den Teppich, und deswegen dann wieder einmal in die Zeitung gekommen.

Karin Schmidl, Lokalredakterin und u.a. zuständig für Kreuzberg SO36, berichtet in der Berliner Zeitung über einen Kreuzberger Teppich. Unter der Überschrift „Der Kotti fürs Kinderzimmer“ geht es um einen Bodenbelag, der für ein Kinderzimmer eher weniger geeignet sein dürfte. Obwohl: Besser kann man einem kleinen und künftigen SO36-Besucher eigentlich nicht erklären, „wie diese verrückte Welt da draußen tickt.“

Liebling Kreuzberg 2.0
Vor allem kann es nicht verkehrt sein, heranwachsenden Straftätern zu Unrecht Beschuldigten früh genug auf den Weg in unsere Kanzlei zu bringen: Und zwar per …

… Polizeitransporter mit der Aufschrift „Kanzlei“, der im Kiez bekannt ist wie der berühmte bunte Hund. Die grün-weiße „Wanne“ gehört dem Kreuzberger Anwalt Carsten Hoenig. Das Fahrzeug passt zu Kreuzberg, wo man auf Widerborstigkeit jeder Art stolz ist. Hoenig, der als guter Strafverteidiger gilt, wird in der Szene übrigens auch als „der wahre Liebling Kreuzberg“ bezeichnet.

Übrigens:
Solche Wimmelbilder haben seit den 70er Jahren bereits ihre Kreuzberger Tradition … damals aber noch nicht auf Teppichen. Wo soll das alles enden?

Beste Grüße auch an Manne und Gerhard!

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Bild: © Muschi Kreuzberg / via Berliner Zeitung

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Schwimmfähiger Winkeladvokat

Es gibt Mandanten, die man nicht zufrieden stellen kann. Das endet dann mitunter im Streit. In dem geht es zuvörderst „um’s Prinzip“. Und dann auch noch um’s Geld.

Manchmal auch um relativ viel Geld.

So sieht die Rechnung eines Mandanten aus, die er dem Verteidiger nach Beendigung des Mandats geschickt hat:

Die Portokasse des Verteidigers reichte nicht aus, deswegen hat der Mandant seinen Verteidiger verklagt.

Aus dem zweiseitigen Schriftsatz des nun nicht mehr anwaltlich vertretenen Mandanten, mit dem er seine Klage begründet:

… gaukelte der Wahrheit zuwider vor, dass er fähig sei, in einem Strafverfahren … tätig zu werden.
… die wiederholte anwaltliche Falschberatung
… groteske Vertretung in zwei Terminen vor dem Amtsgericht
… anwaltlich … falsch beraten
… nicht im Ansatz mit der Materie vertraut gemacht
… erbarmungswürdig grob pflichtverletzend einen erheblichen Schaden verursacht hat
… groben Pflichtverletzungen
… mit seiner notleidenden anwaltlichen Falschberatung
… selbsternannter „Winkeladvokat“, der nicht über die nötige Expertise verfügt – die er aber vorgaukelt zu besitzen
… mehrfachen und wiederholten Pflichtverletzungen

Ein wenig zum Hintergrund.
Das Vorstrafenregister des Mandanten hatte den Umfang einer mittelstädtischen Bibliothek, überwiegend Delikte aus dem 22. Abschnitt des StGB, aber auch ein paar Mal aus dem StVG: Fahren ohne seine 1995er Fahrerlaubnis, die man ihm 1998 entzogen hat. Wegen übervollen Punktekontos.

Der aktuelle Tatvorwurf lautete:

Übersetzt:
Erst brutales Ausbremsen, dann „zu kleiner Penis“ und das alles ohne Fahrerlaubnis.

Fahrerlaubnisrecht am Hochreck
Wer sich mit dem Fahrerlaubnisrecht auskennt und um die Probleme „Deutscher mit Wohnsitz im Ausland, entzogene Fahrerlaubnis, Sperrfrist, ausländische Fahrerlaubnis, Umschreibung eines ausländischen Führerscheins in einen anderen ausländischen Führerschein und dann Umschreibung in einen deutschen Führerschein“ weiß, kann sich die Schwimmstunde im gerichtlichen Verfahren vorstellen.

Zwischenerfolg
Der unsinkbare Verteidiger hat schließlich mit heftigen Schwimmbewegungen eine große Welle gemacht und eine Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung eines kleinen dreistelligen Betrags erreicht. Der Mandant hatte zugestimmt, aber die Auflagenzahlung nicht geleistet.

This is the end
Dann kam die Ladung zur Fortsetzung des gerichtlichen Verfahrens. Der Verteidiger erhielt die Mandatskündigung und der Mandant ist in dem neuen Termin komplett abgesoffen. Er wurde zu einer gut vierstelligen Geldstrafe sowie einer nicht unbedeutenden Sperre für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis verurteilt.

Die Fortsetzung
Ich fürchte, zu den bisherigen Kosten des Strafverfahrens kommen jetzt noch die Kosten für die gescheiterte Klage …

Ergänzung
Ach so, hatte ich erwähnt, daß der Mandant die Honorarrechnung für die Verteidigung noch nicht vollständig bezahlt hat? Nein? Hat er nicht! Macht er aber später bestimmt noch. Wenn auch sicherlich nicht freiwillig. ;-)

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Bild: © Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de

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Update unserer Mandanten-Info zu § 153a StPO

Nichts bleibt wie es war. Sogar harter Stahl muß ab- und an geschliffen werden, damit man damit arbeiten kann.

Auch unsere Mandanteninformationen bedürfen von Zeit zu Zeit einer Anspitzung und Anpassung an die aktuellen Anforderungen.

Nun hatte ich mal wieder einen Fall, in dem ich meinem Mandanten erklären wollte, was es mit der Einstellung eines Verfahren gegen Zahlung einer Auflage nach § 153a StPO auf sich hat.

Damit sich unsere Mandanten auf die persönliche Besprechung und Beratung in unserer Kanzlei (und den damit verbundenen Genuß einer Tasse leckere Caffes) vorbereiten können, verschicken wir vorab einen Link zur Information auf unserer Website. Die Vorteile liegen auf der Hand: Der Mandant kann sich in Ruhe zuhause auf der Couch liegend informieren und seine weitergehenden Fragen notieren. Und wir müssen nicht immer wieder dasselbe vortragen und können so das Gespräch auf das Wesentliche fokussieren.

Das habe ich zum Anlaß genommen, die Informationen über die Einstellung gegen Auflage gestern einem Update zuzuführen.

Wenn jemand noch etwas zu ergänzen oder kritisieren hat: Immer gern her damit!

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Bild: ©Karl-Heinz Laube / pixelio.de

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Die einen sagen so, die anderen sagen so.

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Im Rahmen einer mündlichen Haftprüfung soll das Gericht darüber entscheiden, ob der Haftbefehl aufgehoben, außer Vollzug gesetzt oder vollstreckt wird. Ich hatte beantragt

hp-antraege

Vorher hatte ich für meinen Mandanten Akteneinsicht beantragt, die er bis zum Haftprüfungstermin noch nicht erhalten hat. (Im übrigen fehlte ihm auch die Einsicht in die Anklagbeschrift.) Die mangelnden Kenntnisse der Akteninhalte und der Anklagevorwürfe waren ein Standbein von mehreren, auf denen die Anträge ruhten.

Theorie …
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sagt
in der so genannten Lamy-Entscheidung (EGMR-E 4, 262), Urteil vom 30. März 1989; StV 2001, 201; StV 1993, 283:

Auf Tatsachen, die dem Beschuldigten infolge einer Akteneinsichtsverweigerung unbekannt sind, dürfen keine Haftentscheidungen, vor allem auch keine Haftfortdauerentscheidungen gestützt werden dürfen.

… und Praxis
Die Strafkammer sagt:

ae-in-der-u-haft

und erläßt den Haftfortdauerbeschluß:

haftfortdauer

Noch einmal, liebe Kafka-Fans, meine Frage, die ich schon hier und hier gestellt hatte:

Was rät der Verteidiger dem Richter in so einer Situation?

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Bild: © H.-P.Haack – Antiquariat Dr. Haack Leipzig / via Wikipedia

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Frist für die Vorlesung des Strafverteidigers

220px-kafka_der_prozess_1925Über das kafkaeske Verfahren, dem mein Mandant derzeit ausgesetzt wurde, hatte ich in der vergangenen Woche berichtet.

Gegen ihn wurde Anklage erhoben und ihm eine 765 Seiten starke Anklageschrift vom Vorsitzenden Richter quasi persönlich in die Hand gedrückt. Allerdings hat man dem Mandanten den Ordner mit der Anklage sofort wieder abgenommen. In der Untersuchungshaftanstalt. Aus Gründen des Brandschutzes.

Nachdem der Mandant dem Gericht anläßlich des Haftprüfungstermins am 29.11.2016 über diesen noch nie dagewesene Eingriff in die Verteidigungsrechte berichtete, hat der Vorsitzende wohl mal ein ernstes Wörtchen mit dem Leiter der JVA gesprochen. Jedenfalls liegt das Anklagepaket seit dem 30.11.2016 auf dem Tisch in der Zelle des Mandanten.

Meinen Antrag auf die angemessene Verlängerung der Frist zur Stellungnahme im Zwischenverfahren (§ 201 Abs. 1 StPO) quittierte der Vorsitzende mit einem lustigen

einlassungsfrist

Dafür hatte er auch ein Argument. Ich hatte den Mandanten am 14.11.2016 in der U-Haft besucht. Dazu bemerkte der Richter lapidar:

Auch hätte er sich spätestens an diesem Tag über seinen Verteidiger über den Anklageinhalt informieren können.

Nochmal in einfach verständlichen Worten:
Die Anklageschrift umfaßt siebenhundertfünfundsechzig Seiten. Auch wenn man die Tabellen, die der konkrete Anklagesatz enthält, mal abzieht (obwohl sie gerichtsbekanntermaßen teilweise grob fehlerhafte Datensätze enthält und von meinem Mandanten analysiert werden müssen), reicht der Rest immer noch aus, um damit eine spannende Vorlesung von einem knappen Semester abzuhalten.

Nur nebenbei sei noch angemerkt:
Man (vermutlich das Gericht) hatte dem Mandanten nicht nur zwei Datenträger mit den digitalisierten Akten übergeben. Er berichtete mir auch davon, daß er die Silberlinge – Hört! Hört! – in einen Anstalts-Rechner einlegen durfte. Was fehlte also jetzt noch zur Akteneinsicht? Richtig! Die Passworte, damit er die geschützen ZIP-Dateien öffnen kann. Die hat er mittlerweile von uns bekommen (sofern sie mit den uns mitgeteilten identisch sind).

Irgendwann im Laufe dieser Woche wird er dann noch einmal einen Versuch starten können, sich die 21 Bände der Hauptakten, die 58 Sonderbände, die 15 Beweismittelordner und rund 20 weitere Bände beigezogener Akten aus anderen Verfahren zumindest mal anschauen zu können.

In dem ursprünglichen Beitrag hatte ich abschließend eine Frage gestellt, die ich hier wiederholen möchte:

Was rät der Verteidiger dem Richter in so einer Situation? Bis zum Fristablauf heute um 24.00 Uhr?

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Bild: © © Foto H.-P.Haack – Antiquariat Dr. Haack Leipzig / via Wikipedia

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Big Data und die Wahlerfolge der Populisten

677271_web_r_k_b_by_lupo_pixelio-deWer sich fragt, was passiert ist, dort in Großbritannien mit dem Brexit und da in den USA mit dem Trump, findet in „Das Magazin“ vielleicht eine Erklärung.

«Das Magazin» ist eine wöchentliche Beilage vier renommierter Zeitungen in Schweiz. Unter der Überschrift „Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt“ liefern die beiden Journalisten Mikael Krogerus und Hannes Grassegger Hinweise auf ein Phänomen, mit dem sich hiesige Wahlkampfmanager unbedingt mal beschäftigen sollten.

Die vielen Versuche, die Wahlerfolge der Populisten in Great Britain, in den USA und in den deutschen Bundesländern zu erklären, übersehen die extrem effektiven Möglichkeiten, die das Internet und die sozialen Netzwerke liefern, um Einfluß auf richtungsweisende Entscheidungen zu nehmen. Wenn man weiß, wie es funktioniert.

Jeder, der nicht die letzten fünf Jahre auf dem Mond gelebt hat, kennt den Begriff «Big Data». Big Data bedeutet auch, dass alles, was wir treiben, ob im Netz oder ausserhalb, digitale Spuren hinterlässt. Jeder Einkauf mit der Karte, jede Google-Anfrage, jede Bewegung mit dem Handy in der Tasche, jeder Like wird gespeichert. Besonders jeder Like. Lange war nicht ganz klar, wozu diese Daten gut sein sollen – ausser dass in unserem Facebook-Feed Blutdrucksenker beworben werden, weil wir grad «Blutdruck senken» gegoogelt haben. Unklar war auch, ob Big Data eine grosse Gefahr oder ein grosser Gewinn für die Menschheit ist. Seit dem 9. November kennen wir die Antwort. Denn hinter Trumps Onlinewahlkampf und auch hinter der Brexit-Kampagne steckt ein und dieselbe Big-Data-Firma: Cambridge Analytica mit ihrem CEO Alexander Nix.
[Verlinkungen durch den Blogautor.]

So leiten Krogerus und Grassegger ihren lesenswerten Report ein. Es geht um Methoden der „Psychometrie“ bzw. „Psychografie“ und die sogenannte „Ocean-Methode“ und in welchem Zusammenhang sie mit den relativ harmlos erscheinenden Netzwerken wie Google und Facebook stehen.

Erschreckende Erkenntnisse, die hoffentlich zum Nachdenken anregen. Es ist eben nicht einfach eine ungefährliche Spielerei, wenn Facebook Werbung für Waschmittel ausliefert, weil man sich kurz zuvor bei Google oder Amazon Waschmaschinen angeschaut hat.

Auch wenn’s ein wenig dauert: Die Lektüre des Artikels der beiden Schweizer ist notwendig. Unbedingter Lesebefehl!

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Bild: © Lupo / pixelio.de

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Adé liberté, égalité, fraternité?

Liberté, égalité, fraternitéDeine Freiheit ist mir egal, Brüderchen.

Das ist der Gedanke, der mir bei der Lektüre des Beitrags „Frankreich: Zwei Jahre Haft für Besuch dschihadistischer Websites“ von Martin Holland auf heise online gekommen ist.

Da surft jemand durchs Netz, besucht ein paar politisch mißliebige Seiten, speichert von dort einige bunte Bildchen auf seinem Rechner und nutzt ein applaudierendes Paßwort. Und dafür fährt er zwei Jahre ein.

Grundlage dieses Urteils ist ein Gesetz, das in Frankreich für den „regelmäßigen Besuch terroristischer Internetseiten“ bis zu zwei Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe in Höhe von 30.000 Euro vorsieht. Wie Martin Holland berichtet, ist dieses Urteil nicht das erste und einzige auf dieser Grundlage, die als Reaktion auf die Anschläge in Paris folgte.

Ok, ich gehe an diese Urteile und Gesetze mit meiner 1949er-grundgesetzlichen Sozialisation heran. Aber die „Liberté“ gibt es hier wie dort. Oder sollte ich sagen: „Gab es“?

Nein! Ich sympatisiere nicht mit den Ideologien des Daesh. Aber jemanden beim Surfen zu überwachen, seine Passwörter auszuspionieren, um ihn anschließend in den Knast zu stecken, weil es gerade gut in die politische Stimmung paßt, erinnert fatal an die kruden Vorschriften, die der IS durchzusetzen versucht.
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Bild: © zerfe / pixelio.de

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Justiztechnik und die TKÜ

709836_web_r_by_dieter-schuetz_pixelio-deDie Überwachung der Telekommunkation (TKÜ) gehört zum Standard-Programm der Ermittler. Wenn es beispielsweise um einen kleinen Hehler geht, der mit geklauten Handys handelt, stellt das niemanden vor größere Probleme.

Es ergeht ein gerichtlicher Beschluß nach § 100a StPO und schon werden die Telefonate des Verdächtigen auf behördliche Datenträger gespeichert. Daraus erwickeln die Ermittler den dringenden Tatverdacht und der Staatsanwalt später die Anklage.

Wenn nun der Verteidiger Akteneinsicht beantragt, stellt man ihm eine DVD zur Verfügung, damit er sich die Aufzeichnungen gemeinsam mit seinem Mandanten anhören kann. Soweit jedenfalls funktioniert die Praxis hier in Berlin.

Wenn es aber um mehr als eine Person geht – zum Beispiel eine zwölfköpfige Gruppe von Verdächtigen, deren Gespräche und SMS dann auch noch über einen längeren Zeitraum abgehört wurden, wächst schnell ein Datenvolumen an, das nicht mehr so einfach zu handhaben ist.

Dies illustriert der folgende Vermerk aus eine Umfangstrafsache:

tkue-dvd-technik

Dazu hatte der Vorsitzende über seine eigenen Versuche berichtet, der Datenmengen Herr zu werden.

Ein Test der Kammer, eine DVD auf eine Festplatte zu übertragen, ergab eine angezeigte Dauer von zwölf Stunden, weshalb dies bei dem Gesamtvolumen von 18 DVDs keine Lösung darstellt.

Na gut, das technische Equipment der Kammer wird sicherlich nicht auf dem aktuellen Stand sein. Aber selbst wenn man für das Kopieren der zigtausenden Dateien auf einer DVD nur 1 Stunde benötigen würde, käme man noch immer nicht in den Bereich eines akzeptablen Handlings.

Vielleicht zum konkreten Hintergrund noch eine Information:
Die Telefonate wurden nicht in deutscher Sprache geführt. Die Ermittlungsbehörden selbst haben – quasi mit Bordmitteln – Übersetzungen sowie Gesprächszusammenfassungen angefertigt und dabei eine für ihre Zwecke nützliche Auswahl getroffen.

Aufgabe der Verteidigung ist es, sowohl die Übersetzungen als auch die Auswahl zu prüfen. Wichtigstes Hilfs-„Mittel“ dabei ist der Mandant, der – man ahnt es – in Untersuchungshaft sitzt.

Also in einer Haftanstalt, in der Elektronik für die Justizverwaltung sowas ähnliches darstellen muß, wie eine Petroleumlampe in einer Halle mit offen gelagertem Schwarzpulver. Die dadurch entstehenden Schwierigkeiten, den Art. 6 Abs. 3 Lit. a und b EMRK zum Leuchten zu bringen, ist leicht vorstellbar.

Es stehen sich also gegenüber:

  • Die Europäische Menschenrechtkonvention:

Jede angeklagte Person hat mindestens folgende Rechte:

a) innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden;
b) ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben;

  • und in der anderen Ecke:

Die technische Ausstattung unserer Justiz, der es zwar gelingt, säckeweise Daten zu sammeln, aber nicht, diese in adäquater Form zu verarbeiten.

Und was fällt hinten runter?
Die (Menschen-)Rechte der Verteidigung.

Und wie reagiert die Justiz?
Sie macht den Angeklagten ein Angebot (§ 257c StPO), das sie – nach Ansicht des Anbieters – nicht ablehnen sollten: Abnicken des Ergebnisses der Ermittlungen und Verzicht auf alle Rechte, die die Strafprozeßordnung schützen soll. Dafür gibt’s ein scheinbares Sonderangebot.

Auf den nur wenig überspitzen Punkt gebracht:

  • Die Kriminalbeamten zeichnen auf, übersetzen und wählen aus.
  • Das Ergebnis verwertet die Staatsanwaltschaft – unbesehen und ungehört – als Beweismittel in einer Anklageschrift.
  • Die Angeklagten „gestehen“ alles – unbesehen und ungehört.
  • Das Gericht verurteilt – unbesehen und ungehört – auf einer Grundlage, die kriminalbeamtete Techniker irgendwann mal aufgezeichnet haben.

Damit das Problem noch deutlicher wird
Einem Angeklagten werden in der Anklage 10 Taten vorgeworfen. Er ist sich aber sicher, daß er maximal an 5 beteiligt war, und zwar nur als Gehilfe, nicht als Mittäter. Außerdem ist der Schaden viel geringer und es gibt massive rechtliche Probleme.

Soll der Angeklagte das richterliche Angebot – sagen wir mal: 3,5 Jahre Freiheitsstrafe für 10 Taten – akzeptieren, nur um das Risiko auszuschließen, nach Durchsetzung der Verteidigerrechte in einer – sagen wir mal: – 50 tägigen Bweisaufnahme mit erstmaliger(!) Anhörung und unabhängiger(!) Übersetzung der Aufzeichnungen wegen nur 5 Taten, dann aber zu 4,5 Jahren verurteilt zu werden? (Komme mir jetzt keiner der hier anwesenden Juristen mit der Sanktionsschere. Kennt Ihr die Erfolgsquoten für Revisionen beim 5. Senat? Die Strafkammer kennt sie ganz genau!)

Was passiert,
wenn – sagen wir mal – vier von zwölf Angeklagten quasi blind das Angebot annehmen? Und die anderen nicht auf die saubere Arbeit der Kriminalbeamten vertrauen wollen?

Herr Justizminister Maas hat mal wieder schöne – und völlig sinnlose – Vorschläge zur Opitimierung des Strafrechts gemacht. Warum nimmt er nicht mal das Geld in die Hand, das notwendig wäre, um die Justiz mit notwendiger Technik und Personal auszustatten?

tl;dr
Keine Technik; keine Rechte

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Bild: © Dieter Schütz / pixelio.de

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Franz Kafka und der Brandschutz in der JVA

220px-kafka_der_prozess_1925Der Mandant wurde verhaftet. Bei der Verkündung des Haftbefehls wurde ihm auch gleich die Anklageschrift in die Hand gedrückt, bevor man ihn in die Untersuchungshaftanstalt verfrachtete. Kein leichtes Gepäck, diese Anklage; immerhin 765 Seiten Blatt Papier hat die Staatsanwaltschaft bedruckt. Das paßte aber – wenn auch eher knapp – in zwei handelsübliche Stehordner.

Welche Bedeutungen hat ein solches Werk, in dem soviel Arbeit steckt?

Die Strafjuristen haben von zweierlei Funktionen gehört, als sie im ersten Semester Jura noch die Strafrechtsvorlesungen an der Uni besucht haben.

Informationsfunktion
Die Anklageschrift soll dem Angeschuldigten das Wissen über den gegen ihn erhobenen Vorwurf vermitteln. Wer von Franz Kafka „Der Prozess“ gelesen hat, weiß, was es bedeutet, nicht zu wissen, was einem vorgeworfen wird.

Umgrenzungsfunktion
Mit der Anklage soll ferner die Tat konkretisiert und von anderen Lebenssachverhalten abgrenzt werden.

Es geht also um die Festlegung des Prozessgegenstands. Aber was hat das nun mit der Überschrift zu tun?

Diese oben beschriebene Anklageschrift ist brandgefährlich.

Zum einen
für den Angeschuldigten.
Denn bestätigen sich die Tatvorwürfe, könnte das die Desozialisierung hinter Gittern bedeuten, bevor man ihn nach ein paar Jahren als resozialisiert wieder entläßt. Keine schöne Aussicht.

Sie ist aber auch
für die Untersuchungshaftanstalt
gefährlich, und zwar im wörtlichen Sinne einer Brandgefahr. Soviel Papier auf einem Haufen in einem Ordner und dann in der Nähe ein Streichholz – das treibt einem gestandenen Gefängnisdirektor den Schweiß auf die Stirn.

Die Lösung für den Anstaltsleiter?
Ganz einfach: Man nimmt dem Gefangenen das Machwerk des Staatsanwalts ab und deponiert es bei seiner Habe, mithin unerreichbar für den Angeschuldigten.

Und jetzt?
Was ist mit der Verteidigung? Sind wir nun doch wieder bei Herrn Josef K. aus Kafkas Roman?

Die Suche nach der Lösung dieses Problems
habe ich erst einmal an die Strafkammer weiter gegeben, die über den Antrag des Staatsanwalts entscheiden muß, die Anklage zuzulassen und das Hauptverfahren vor dem Landgericht – Wirtschaftsstrafkammer – zu eröffnen. Zu diesem Antrag muß der Angeschuldigte gehört werden, § 201 StPO. Der hat aber nichts zu sagen, weil er die Anklage gar nicht kennt.

Der Vorsitzende Richter dürfte da ein Problem mit seinem Terminskalender und den laufenden Fristen bekommen. Was rät der Verteidiger dem Richter in so einer Situation?

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Bild: © © Foto H.-P.Haack – Antiquariat Dr. Haack Leipzig / via Wikipedia

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