Die Staatsanwaltschaft hat Alpi wegen Mordes angeklagt. Seit dem 12.12.2016 wird nun vor dem Landgericht Bremen über diesen Anklagevorwurf verhandelt.
Alpi soll im Juni 2016 einen betagten Fußgänger angefahren haben. Darüber hatte ich bereits berichtet.
Der Mann sei trotz Rotlicht der Fußgängerampel über die Straße gegangen. Den Unfall hat Alpi mit einer Helmkamera aufgezeichnet. Er soll wieder mal einen Film für seine Youtube-Plattform gedreht haben. Der Fußgänger starb an der Unfallstelle, Alpi wurde ebenfalls schwer verletzt.
Die Staatsanwaltschaft unterstellt Alpi einen bedingten Tötungsvorsatz. Das bedeutet, er soll den Tod des Fußgängers „billigend in Kauf genommen“ haben. Die Indizien für diese Unterstellung leitet die Staatsanwaltschaft von der hohen Geschwindigkeit des Motorradfahrers ab. Auch die auf Youtube gut von Alpi selbst dokumentierten angeblichen wiederholten „groben“ Verkehrsverstöße und Beinaheunfälle seien ein deutlicher Hinweis darauf, daß Alpi …
… es billigend in Kauf [genommen hat], dass andere schwer verletzt werden oder gar sterben.
Sämtliche Youtube-Videos wurden dazu von den Ermittlern ausgewertet, nachdem sie sich wie 80.000 Abonnenten des YouTube-Kanals die Aufzeichnungen angeschaut und angehört haben. Daß Alpi mit diesen Filmchen nicht nur Fans unterhalten wollte, sondern auch über Werbeeinnahmen Einküfte erzielte, unterstützt die Argumentation der Strafverfolgungsbehörde.
Die Verteidigung wird zitiert mit dem Vortrag, Alip sei „nicht das Monster, als das er dargestellt wird“. Der 24-Jährige soll nach Darstellung eines Verteidigers …
… ein junger Mann [sein], der große Freude am Motorradfahren gehabt und dies möglicherweise übertrieben habe.
Das ist ein für mein Gefühl etwas zu entspanntes Argument, das bei der Frage „Tötungsvorsatz: Ja oder Nein?“ eher nicht weiterhilft. Die Verteidiger werden sich nach dem Eröffnungsfeuerwerk sicher stärker engagieren. Denn es steht einiges auf dem Spiel:
- Wenn (bedingter) Tötungsvorsatz, dann Mord, dann lebenslang.
- Wenn nicht, dann maximal 5 Jahre.
Entscheidend wird es also um ein Rechtsproblem gehen, mit dem sich Jurastudenten um Grundstudium herumschlagen müssen:
Die Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der bewußten Fahrlässigkeit.
Weil das eben keine Rechenaufgabe ist, die zwingend nur zu einem richtigen Ergebnis führen kann, rechne ich ganz sicher damit: Dieses Problem aus dem allgemeinen Teil des Strafrechts wird mittelfristig den Bundesgerichtshof beschäftigen. Denn Alpi und seine Verteidigung werden genausowenig eine erstinstanzliche lebenslange Freiheitsstrafe akzeptieren wie die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung „nur“ wegen fahrlässiger Tötung oder gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. Zumal bei letzterer Variante wegen des Mitverschuldens (Rotlichtverstoß!) des Geschädigten kaum die Maxmialstrafe ausgeurteilt werden dürfte.
Bleibt zu hoffen, daß bei der Strafkammer professionelle Richter sitzen, die sich von der kochenden Volksseele nicht beeindrucken lassen.
Das Grundproblem ist sicherlich spannend und klausurträchtig. Im vorliegenden Fall muss aber noch erwähnt werden, dass der Angeklagte bereits kurze Zeit vorher einen Beinahe-Zusammenstoß mit einem Fußgänger bei überhöhter Geschwindigkeit hatte, mithin also genau wusste, dass er diese Gefahr schafft und dennoch weiter so gefahren ist.
Entscheidend könnte auch die Frage der Kausalität sein, also ob der Unfall nicht auch geschehen wäre, wenn er 50 km/h gefahren wäre.
Wieso soll keine Verurteilung wegen Totschlags möglich sein? Kann doch sein, dass das Gericht zwar den bedingten Tötungsvorsatz bejaht, aber die Mordmerkmale verneint?
@RA Fuschi
Sehr schöne Zusammenfassung der bislang ausgeblendeten Punkte. Bezüglich (bedingter) Tötungsvorsatz wurde im vorangegangenen Blogbeitrag zu diesem Kasus auf folgendes (journalistisch verwurstetes) Video verwiesen:
https://www.youtube.com/watch?v=0z9a3TRUyRY
(besondere Beachtung verdient der Ausschnitt von 1:56 bis 2:02)
Da der Angeklagte schätzungsweise nebenberuflich (einnahmenorientiert) motiviert zahlreiche Videos (inkl. Rohmaterial vor dem Schnitt) produziert und diese weiland wohl selbst gefilmt hat, hege ich Zweifel, ob die Vorsätzlichkeit am Ende nur ein staatsanwaltlicher Feuchttraum bleiben wird.
Ich verbleibe gespannt.
Lieber Kollege Hoenig, Dein Beitrag könnte zu Teilen bei dem geneigten Leser den Eindruck hinterlassen, dass die, in dem prominenten Verfahren, immer excellent vorbereiteten Strafverteidiger juristische Unterstützung benötigen würden. Dem ist mitnichten so. Was des Volkes Stimme betrifft will ich Dir klipp+klar zustimmen. Das Ergebnis liegt „gg.“ schon vor. Ich halte ein geschlossenes Couvert(?) bereit.
P.S. Ich schätze Deine Arbeit und Engagement ausdrücklich.
Vielen Dank;
Peter Gohlke Strafverteidiger HB
In der Schweiz gab es eine recht rigide Auffassung des Bundesgerichtes, dass alleine die Tatsache des „zu schnell Fahrens“ hinreichend für die Erfüllung der Tatbestandsmerkmale des Mordes („Handelt der Täter besonders skrupellos, sind namentlich sein Beweggrund, der Zweck der Tat oder die Art der Ausführung besonders verwerflich“) ausreicht.
Das hat das Bundesgericht mittlerweile korrigiert, siehe hier: http://www.bger.ch/press-news-6b_165_2015-t.pdf.
Soweit ich weiss gibt es in Deutschland keine gleichartige Entscheidung, dass alleine das schnelle Fahren ausreicht, um den (bedingten) Vorsatz zu begründen.
@RA Fuschi:
Könnte nicht der vorangegangene Beinaheunfall ein Argument gegen den bedingten Vorsatz sein? Nach dem Motto: Weil es schon einmal trotz erheblicher Gefahrensituation glimpflich ausgegangen ist, hat Alpi (weiter) darauf vertraut, dass es (wieder) ohne Schaden ablaufen wird.
Abgesehen davon frage ich mich nach dem Vorliegen eines Mordmerkmales. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, wird wohl Verdeckungsabsicht wegen einer Fahrerflucht (während derselben Fahrt) angenommen. Müsste Alpi dazu die Vorstellung gebildet haben, den Fußgänger zu überfahren, um nicht entdeckt zu werden (er hat gerade deshalb weiter „draufgehalten“, um zu entkommen)? Oder reicht auch hier dolus eventualis?
@ docmw: Realistischer als Verdeckungsabsicht ist hier wohl die Alternative Habgier (wenn man seine Motivation so auslegt, dass er bewusst für andere Leute tödliche Unfälle in Kauf genommen habe, um dadurch besonders spektakuläre Fahrtvideos drehen und seine Werbeeinnahmen erhöhen zu können) oder die „sonst niederen Beweggründe (Tötung von Menschen allein zur Erreichung des vergleichsweise nichtigen Ziels in Kauf genommen, maximalen Fahrspaß und persönlichen Nervenkitzel zu bekommen).
Verdeckungsabsicht in der Variante, dass er den Fußgänger bewusst umgefahren habe, damit die vorangegangene Tat nicht entdeckt wird, ist wohl eher abwegig. Denken könnte man an Mord durch Unterlassen mit Verdeckungsabsicht, wenn man ihm zusätzlich vorwirft, entgegen seiner Hilfspflicht aus Ingerenz (Herbeiführen der Gefahr durch den Unfall) dem verletzten Fußgänger keine Hilfe geleistet zu haben, um unerkannt entkommen zu können. Diese Variante setzt aber zum einen voraus, dass der Fußgänger nach dem Unfall überhaupt nachweislich noch hätte gerettet werden können und zum anderen, dass Verdeckunsabsicht als Motiv einer aktiven Tötungshandlung einerseits und eines lediglich passiven Nichthelfens andererseits rechtlich gleichgesetzt werden können, was die wohl h.M. in der Rechtsprechung meines Wissens verneint.
Lt. dem Weser-Kurier hat er kurz zuvor an einem PKW ein Blinklicht beschädigt, dies bemerkt und ist geflüchtet. Die Gründe liegen wohl im fehlenden Führerschein.
Bei dieser Unfallflucht hat er wiederum den älteren Herrn angefahren, der dann verstorben ist.
Quelle: http://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadtreport_artikel,-Motorradfahrer-Will-mich-meiner-Verantwortung-stellen-_arid,1513328.html
Mordmerkmale sehe ich nicht. Der StA blieb wohl nichts anderes übrig dennoch erst mal einen Mord in den Raum zu stellen. So kann man später immer noch sagen, dass man es versucht hat, aber es halt nur zum Totschlag gereicht hat.
Mein Tipp: Am Ende der Fahnenstange stehen 4 Jahre auf dem Zettel. Aufgrund der U-Haft wird am Ende kaum/keine Haft mehr übrig bleiben.
Ich ´kann wirklich empfehlen, die Argumentation des Bundesgerichtes in der Schweiz einmal durchzulesen. http://relevancy.bger.ch/php/clir/http/index.php?lang=de&zoom=&type=show_document&highlight_docid=atf%3A%2F%2F130-IV-58%3Ade
Meiner Ansicht nach müsste die Staatsanwaltschaft eine ähnliche Argumentation fahren – Du entscheidest Dich zu schnell zu fahren, Du weisst, dass ein Zusammenstoss bei dieser Geschwindigkeit tödlich verläuft „und Du machst es doch“, also hattest Du einen Eventualvorsatz.
@Alex
Das beweist nur wie die Schweizer ticken und hat mit dem deutschen Gesetz nicht viel zu tun. Gott sei Dank.
@Böörnd in der Schweiz hat das Bundesgericht das auch schon wieder relativiert.
Ich finde die Mordanklage absurd, populistisch und wenig hilfreich – Effektheischerei der Staatsanwaltschaft, die weder dem Fall noch einer möglichen Generalprävention irgendwie hilft.
Absurde, populistische Effekthascherei der Staatsanwaltschaft – dass trifft es wohl.
Also ich hab ja mal als Hilfsmittel bzgl. der Abgrenzung gelernt:
– „Wird noch nichts passieren, wenn ich hier zu schnell fahre (gingja bis jetzt auch immer gut)“ –> bewußte Fahrlässigkeit
– „Dann niete ich halt jemanden um, weil ich zu schnell fahre. Shit happens“ –> dolus eventualis
Was das jetzt war, kann man sicherlich so oder so sehen. Aber auch wenn mein „gesundes Volksempfinden“ den Typen gerne so lange wie möglich im Knast sieht – da der Typ keinen Panzer fährt, sondern ein Motorad und man bei ihm bis dato wohl keine suizidalen Absichten festgestellt hat, ordne ich das als Fahrlässigkeit ein. Bei bedingtem Vorsatz müßte es ihm nämlich auch schnuppe sein, wenn er selbst übel zugerichtet wird.
Vorbemerkung: Ich bin langjähriger Motorradfahrer, aber kein Jurist.
Sofern man bei „Alpi“ nicht irgendwie nachweisen kann daß sein Selbsterhaltungstrieb eingeschränkt oder nicht vorhanden ist halte ich den Mordvorwurf für absurd.
Begründung: Anders als beim Führen eines PKW geht man als Motorradfahrer bei einer Kollision mit einem Objekt nicht geringfügiger Masse immer das Risiko ein, selbst zu stürzen. Abseits von Rennstrecken mit großzügig bemessenen Auslaufzonen ist das bei höheren Geschwindigkeiten praktisch immer mit einem hohen Risiko von schweren Verletzungen mit bleibenden Schäden bis hin zum Tod verbunden.
Ich sehe daher nicht, wie man ohne die obige Vorbedingung eine andere Annahme als „wird schon gut gehen“ als Grundeinstellung von Alpi begründen kann.
Juristen sollen es sich nicht einfach machen und mann muss als Laie auch nicht jede Entscheidung begrüßen.
Aber zumindest sollten Entscheidungen für einen normalen Bürger, denn letzlich unterliegt man als ein solcher, solchen Entscheidungen, zumindest nachvollziehbar sein.
Es ist für mich schlichtweg nicht mehr nachvollziehbar, dass in einem Fall „Ehefrau tötet ihren tyrannischen Ehemann heimlich, bewusst und mit nicht bestrittenem Vorsatz hinterhältig mit Gift“ kein Mord darstellen soll, auch ein Tottreten von wahllos ausgewählten Passanten an U-Bahnhöfen aus Langeweile hin und wider auch nicht als Mord angeklagt wird, dann aber ein Motorradfahrer, der einen besoffenen Passanten, der bei Rot über die Ampel läuft, anfährt, ein Mörder sein soll während unbestritten ist, dass der Täter versucht hat zu bremsen (geht schon daraus hervor, dass bekannt ist, dass er mit weit über 100 gefahren sein soll, der Aufprall aber mit 60-70 Km/h erfolgte).
Ich habe dein Eindruck, hier fehlt dem Ankläger das passende Strafmaß, deswegen verbiegt er den Sachverhalt so sehr, dass er in einen anderen Tatbestand passt, der das passende Strafmaß liefert.
Für mich wird der Begriff „Mord“, einer der schlimmsten Tatbestände, mit solchen an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfen völlig entwertet. Alleine schon die Vorstellung, dass Alpi mit Oskar Gröning wegen dem selben Tatbestand lebenslang in einer Zelle sitzen würde, während in der Nachbarzelle ein Bahhofstottreter nur eine Zeitstrafe absitzt, finde ich widerlich. Alpi hat’s verschissen und gehört ins Gefängnis, aber nicht wegen Mord.
Es gibt ja aktuell noch ein zweites Verfahren in Berlin, bei dem es letztlich auf die gleiche Wertung ankommt:
> http://www.rbb-online.de/panorama/beitrag/2016/09/berlin-ku-damm-raser-wegen-mordes-angeklagt.html
Das werden zwei spannende Entscheidungen beim BGH.
In einem Fall hat man 1,7 Tonnen, eine Knautschzone, eine steife Fahrgastzelle, Gurte und 12 Airbags um sich herum. Man verabredet sich zu einem illegalen Rennen und überfährt 12 rote Ampeln.
Ich erkenne da einen Unterschied zum Alpi Fall.
@docmw:
Ja, deshalb habe ich es ja erwähnt. Das und der vorherige Unfall, von dem er geflüchtet ist, sollten m. E. ausreichen, dass man ihm unterstellen kann, dass er erkannt haben muss, dass er nicht in der Lage ist, das Motorrad bei solchen Geschwindigkeiten sicher zu führen und es trotzdem getan hat, eben weil es ihm darauf ankam, möglichst schnell zu entkommen, egal was passiert.
@Forist:
Selbsterhaltungstrieb jein. Wenn ich auf der Flucht bin, bin ich mglw. geneigter, auch weitere Beschädigungen etc. in Kauf zu nehmen.
@ Manfred
Sicher sind die Fälle nicht identisch, aber im Kern geht es um die gleiche Rechtsfrage. Überschreitet jemand, der bewußt und gewollt Verkehrsregeln mißachtet und sein Fahrzeug in einer Weise beschleunigt, die im innerstädtischen Verkehr schlicht nicht mehr beherrschbar ist, die Grenze zum bedingten Vorsatz einer Tötung.
Es ist – wenn man sich vor Augen hält, wann bedingter Vorsatz sonst so bejaht wird – verwunderlich, dass es erst jetzt zu solchen Verfahren kommt, die diese Frage aufwerfen.
Da es zwei Fälle fast gleichzeitig zum BGH schaffen werden, wird spannend sein, wie der BGH sich positioniert. Da für Berlin & Bremen der gleiche Senat zuständig ist, wird es auch keine abweichenden Entscheidungen geben, die kommen möglicherweise später.
Bejaht der BGH den bedingten Vorsatz, müssten die Staatsanwaltschaften konsequenterweise in Zukunft bei Extremrasern vermehrt auch wegen versuchten Mordes anklagen. Ein weiterer Aspekt, den man nicht außer acht lassen sollte.
Vielliecht ist das ja ein wenig so wie mit den brennenden Asylantenheimen in den 90ern:
Solange die Taten als „Brandstiftung“ angeklagt wurden, uferte es immer weiter aus. Als dann irgendwann a) Bundesstaatsanwalt das Verfahren an sich gezogen hatte und b) plötzlich solche Taten als Mord angeklagt (und verurteilt) wuden, war vielen Mitläufertätern das Risiko offenbar zu groß geworden und die Taten namen ab.
Das Problem illegaler Straßenrennen ist ja auch ein immer lauter werdendes Thema. Vielleicht erhofft man (die StA) sich ja auch eine analoge Wirkung, wenn es nicht mehr „nur“ um Führerscheinentzug und Bewährungsstrafen geht, sondern um Lebenslänglich.
(Persönlich halte ich Mord im konkreten Fall auch eher für fernliegend. Aber ich bin auch kein Jurist. Verteidigen würde ich (als Laie) vermutlich mit einer klinischen narzisstischen Persönlichkeitsstörung…)
@ Manfred, # 14:
Das ist das klassische Problem, dass das Gefühl manchmal eben nicht mit der Rechtslage in Einklang zu bringen ist. Dafür kann das Recht aber eher nichts.
Du argumentierst vom Ergebnis her, wobei der „juristische“ Weg gerade umgekehrt ist. Der Richter fragt sich nicht als erstes, was denn rauskommen soll, sondern prüft erst einmal, welche Tatbestände verwirklicht worden sind. In Deinen Beispielen kommt da einiges zusammen.
Da gibt es einen Mörder, der sein Opfer ganz gezielt umbringt und jemanden, der „nur“ „unvorsichtig“ Motorrad fährt. Das ist natürlich nicht zu vergleichen und soll ja auch gar nicht verglichen werden. Zu prüfen ist aber, welcher Tatbestand verwirklicht wurde. Und an dieser Stelle kommen wir zu der – gerade im Ergebnis – ganz besonders bedeutsam Abgrenzung von bewusster Fahrlässigkeit zum bedingten Vorsatz. Dazu wurden Bücher geschrieben und Studenten lange gequält. Ein Bauchgefühl reicht hier nicht aus.
Im Übrigen ist es natürlich auch grundsätzlich so, dass man jede Straftat in unterschiedlicher Intensität begehen kann. Dadurch wird aus Alpi noch lange kein Oskar Gröning. Es macht nun einmal rein tatbestandlich keinen Unterschied, ob ich Dein 100 €-Fahrrad oder Dein 100.000 €-Luxussportwagen stehe. Beides ist erst einmal Diebstahl. Alle individuellen Aspekte sind bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Beim (vollendeten) Mord besteht hier allerdings die Besonderheit, dass es nur eine denkbare Strafe gibt.
@crh Ist der Alkoholpegel wirklich ein Aspekt für den Tatbestand oder werden die Promille am Ende nur von der Strafe abgezogen?
@Forist Ich neige dazu Motorradfahrern einen geringeren Selbsterhaltungstrieb zu unterstellen, bei mehr als 100 km/h in der Stadt ganz bestimmt.
@BV Wie sieht das mit dem nicht gezielten Schießen oder Klotzwürfen von Autobahnbrücken aus?
In Genf gab es 2013 einen ganz ähnlichen Fall, in dem jetzt ein Urteil gesprochen wurde. Der Richter hat sich der Forderung der Staatsanwaltschaft nach Mord mit Eventualvorsatz nicht angeschlossen.
Warum ich das poste? Weil die juristische Argumentation sich nicht grossartig unterscheidet.
http://www.20min.ch/schweiz/news/story/Staatsanwalt-fordert-6-Jahre-Haft-fuer-Raser-18634193
http://www.tdg.ch/geneve/actu-genevoise/Les-deux-fous-de-la-route-condamnes-pour-homicide-par-negligence/story/17310004
Da wir beide Motorrad fahren, erkennen wir in folgender Aussage wohl die Schutzbehauptung.
Zitat Anfang: Über den tödlichen Unfall sagte der Beschuldigte, dass er vor der Kollision mit dem Fußgänger eine Vollbremsung gemacht habe – sowohl Vorder- als auch Hinterradbremse habe er angezogen und aus dem dritten in den ersten Gang heruntergeschaltet, um die Motorbremse auszunutzen. Der Motor der 200-PS-Maschine hätte deswegen aufgeheult. Zitat Ende.
Bei einer Vollbremsung ist das Hinterrad fast komplett entlastet, wozu also herunterschalten? Zwei Zeugen sagten aus, er hätte beschleunigt. Das erscheint mir plausibler. Ihnen etwa nicht?
Quelle:
https://www.taz.de/Bremer-Prozess-um-Todes-Fahrer/!5363921/
Ich würde gerne an den Mercedes-Testfahrer erinnern, der im Juli 2003 mit seinem Auto den tödlichen Unfall einer jungen Mutter mit ihrer Tochter auf einem Autobahnabschnitt bei Karlsruhe verursachte.
de.wikipedia.org/wiki/Verkehrsunfall_auf_der_Bundesautobahn_5_im_Juli_2003
Urteil: Das Amtsgericht Karlsruhe verurteilte Rolf F. am 16. Februar 2004 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) in zwei Fällen zu 18 Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung (Az: 2 Ls 40 Js 26274/03). Von dem Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort wurde er freigesprochen.(…) Im Berufungsverfahren erkannte auch das Landgericht Karlsruhe am 29. Juli 2004 auf fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB) in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) in zwei Fällen, reduzierte das Strafmaß jedoch auf ein Jahr Freiheitsstrafe mit Bewährung sowie 12.000 Euro Geldbuße als Bewährungsauflage und Entzug der Fahrerlaubnis für ein Jahr.
Und das obwohl der Fahrer erst aufwendig ermittelt werden musste.
Ich habe selber schon erlebt wie ein Fahrer eines Kleinwagens aufgrund des Bedrängens durch einen schnelleren Wagen so ungeschickt reagierte, dass sich sein Auto auf der Autobahn überschlug und dort auf dem Dach(!) liegenblieb, bei beginnender Dämmerung.
@ Egbert Sass:
Nein, das erscheint mir nicht notwendigerweise plausibler:
1.) Zeugenaussagen sind bekanntermaßen das unzuverlässigste Beweismittel. Dass da jemand allein aus einem aufheulenden Motor auf Beschleunigung schließt (und dann „hat beschleunigt“ im Gedächtnis abspeichert) ist allees andere als unwahrscheinlich.
2.) In so einer Situation reagiert man zwnagläufig relativ schnell. Da wird man nicht noch großartige theoretische Überlegungen zur Fahrphysik anwenden. Der Gedankenimpuls bei „Voll in die Eisen“ kann also sehr wohl „beide Bremsen und Runterschalten“ sein. Zumal ihrem Argument nach man bei einer Vollbremsung ja die Hinterradbremse garnicht bäuchte.
So, heißt das nun, dass ich diesem Alpi seine Schilderung gluabe? Nein, natürlich nicht. Aber ob er jetzt in dieser Situation gebremst oder bescheunigt hat klärt man besser auf objektive, wissenschaftliche Weise (z. B. Gutachter), anstatt sich auf Zeugen zu verlassen, die womöglich Motoraufheulen mit Beschleunigung verwechseln oder eine Aussage nicht zu glauben, nur weil man selbst im ruhigen vor dem Computer anders reagiert hätte.
@WPR_bei_WBS
Bei einer Vollbremsung auf der Rennstrecke benutzen die meisten Fahrer tatsächlich NUR die Vorderradbremse. (Herr Hoenig hat selbst Rennstreckenerfahrung, mein Post richtete sich an ihn). Oft befindet sich dabei das Hinterrad komplett in der Luft – Hinterrad- und Motorbremse wären also völlig wirkungslos. Ist eine Straßenmaschine mit ABS ausgestattet, kann vorn und hinten maximal gebremst werden. Allerdings wird dazu schon in der Fahrschule gelehrt, unbedingt die Kupplung zu ziehen.