Diese Berliner Staatsanwaltschaft scheint für den Wettkampf im Datenschleudern zu trainieren.
In einer zunächst überschaubar scheinenende Strafsache habe ich mich als Verteidiger für den Mandanten gemeldet. Er hatte Hausbesuch von ein paar Uniformierten. Gefunden wurde nichts, deswegen(?) hatten die Polizisten dann auch eine „durchsuchungsbedingte Unordnung“ in der Wohnung hinterlassen. Vorher hatte sie noch einen „sauberen und aufgeräumten Eindruck“ gemacht. So jedenfalls die Historie der Durchsuchung laut Protokoll.
Und selbstverständlich habe ich Akteneinsicht beantragt. Der Mandant will ja wissen, wonach genau man gesucht hat und warum. Das Akteneinsichtsgesuch quittierte die Staatsanwaltschaft mit diesem Schreiben:
Für diese hohle Nachricht haben wir eigentlich einen Textbaustein:
Gemäß § 147 II StPO kann Akteneinsicht vor Abschluß der Ermittlungen zum Teil versagt werden, wenn der Untersuchungszweck bei Akteneinsicht gefährdet wäre. Ein Recht, die Akteneinsicht zu verweigern mit der Begründung, die Akten seien versandt oder seien aus anderem Grunde nicht verfügbar, kennt die StPO nicht. Wenn Akten versandt werden, sind dem Verteidiger ggf. (digitalisierte) Zweitakten zur Verfügung zu stellen; wurden solche nicht gefertigt, sind die Erstakten von der Stelle zurückzufordern, an die sie versandt wurden bzw. wo sie verfügbar sind.
Der Mandant hat es – obwohl er wirklich nicht weiß, warum man ihm die Bude auf den Kopf gestellt hat – nicht eilig. Wir lassen es erstmal dabei bewenden und warten noch ein Weilchen.
Was mir allerdings gegen den Strich geht, sind die Namen und die Geburtsdaten der offenbar Mitbeschuldigten, die die Staatsanwaltschaft in der Weltgeschichte herumstreut. Welchen Zweck verfolgen die Strafverfolger damit? Oder ist es wieder einmal die Kazim-Akboga-Beamtenmentalität? Keine Ahnung, is mir egal.
Wenn ihr Mandant nicht der mit Baujahr 72 ist, ist doch klar was der Staatsanwalt will. Ihnen einen Wink geben zum Aufbau der Verteidigungsstrategie.
Unerfahrene Heranwachsende haben sich von falschem älteren Freund dazu verleiten lassen.
Das ist wohl nicht unüblich. Ich habe kürzlich die StA Siegen mal per Mail gefragt, ob sie in einem von Renate Künast in einem Gastartikel für die FAZ geschilderten Vergewaltigungsfall überhaupt Revision eingelegt hatte. Künast hatte behauptet, der BGH habe das Geschehen für straffrei erklärt. Da es in dem verlinkten Urteil aber gar nicht darum ging (sondern parallel begangenen Exhibitionismus), habe ich die StA einfach mal gefragt, ob sie wegen des Freispruchs vom Vorwurf der Vergewaltigung überhaupt Revision eingelegt hat. Hat sie nicht.
In dem Schreiben standen aber auch im Betreff der volle Name sowie Geburtsdatum und -ort des Beschuldigten. Was zusätzlich pikant ist, weil das Tatgeschehen in einem Artikel auf einem großen deutschen Onlineportal detailliert beschrieben wurde.
Wo liegen die Probleme?
Sie sind doch Organ der Rechtspflege und zusätzlich zur Verschwiegenheit verpflichtet.
Das weiß auch ein Staatsanwalt. Deswegen muss er davon ausgehen, dass ich meinem Mandanten die gesamte Korrespondenz mit der Staatsanwaltschaft zur Verfügung stelle.
Und daraus resultiert dann auch die Verpflichtung, mit anderer Leuts Daten sparsam umzugehen.
Es ist schlicht nicht notwendig, in dem gegenwärtigen Verfahrensstadium die Namen und Geburtsdaten aller Mitbeschuldigten zu
verratenoffenbaren, wenn es doch nur um eine simple Sachstandsmitteilung geht. crhAuch ich hatte zweimal die Ehre eines solchen Besuches im Auftrag vom Generalstaatsarmwalt wegen Verleumdung, was ja bekannterweise eine Katalogstraftat ist. Eine der besten Lehrveranstaltungen in Sachen Rechtsstaatlickeit! Danach weiss man genau wo man lebt.
Sollen in den übersandten Akten die Daten dann auch geschwärzt werden, weil selbige auch an Ihren Mandanten weiter gegeben könnten?
@Thomas: interessant, aber die Sache mit der Revision hast du missverstanden. Die StA hat gegen den (Teil-) Freispruch des Angeklagten Revision eingelegt. Also musste der BGH beurteilen, ob das Geschehen, hinsichtlich dessen der Angeklagte freigesprochen wurde, irgendwie strafbar war. Das schließt die Prüfung der Frage, ob §177 vorliegt, mit ein. Nur war es für den BGH wohl so offensichtlich, dass dem nicht so war, dass er das nicht mal näher erörtert hat.
@Waschi: Nein, eben nicht. Die Revision der StA betraf nur den teilweisen Freispruch wegen der angeklagten exhibitionistischen Handlungen. Das ebenfalls am LG Siegen angeklagte mutmaßliche bzw. dann-doch-nicht-geschehene Vergewaltigungsgeschehen ist zwar in dem BGH-Urteil als Teil des Gesamtvorgangs beschrieben, wird aber nicht behandelt, weil die StA – und das ergibt sich nicht nur aus dem BGH-Urteil, sondern ist auch die Auskunft, die ich direkt von der StA explizit erhalten habe – gegen den Freispruch wegen Vergewaltigung keine Revision eingelegt hat.
Da ist die StA Opfer der arbeitsteiligen Arbeitsweise und der Technik geworden, würde ich sagen: die/der StA/in hat einfach nur sowas wie „Versandnachricht an Verteidiger Hoenig senden“ in die Akten gekritzelt, und die Geschäftsstelle hat das dann ausgeführt. Und dabei das Schreibrogramm verwendet, das standardmäßig einfach Namen und Geburtsdaten aller als Beschuldigter erfasste Personen ins Betreff steckt.
Und zu dem Textbaustein: ich verstehe ja, dass man als Verteidiger Druck macht. Und natürlich ist „anderweitig versandt“ eine ziemlich lahme Ausrede. Aber es gibt imho in der Regel keinen Anspruch auf eine umfassende und korrekte Begründung dafür, dass man die Akten vor Abschluss der Ermittlungen nicht kriegt.
@Thomas: das widerspricht zum Einen der BGH-Entscheidung und zum Anderen der juristischen Logik:
Der BGH hat das LG-Urteil aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen wurde. Wenn der BGH den Freispruch nur teilweise hätte aufheben wollen, hätte er das in den Entscheidungstenor schreiben müssen.
Außerdem ging es da um eine einheitliche Handlung. Die kann man prozessual nicht aufspalten. Die StA hätte höchstens die Strafverfolgung gemäß § 154a StPO auf den Vorwurf des Exhibitionismus beschränken können, aber das wäre dann in der BGH-Entscheidung erwähnt worden (und es wäre auch so grotesk rechtswidrig, dass die StA das sicher nicht gewagt hätte – das hätte die StA nämlich damit begründen müssen, dass eine Vergewaltigung im Vergleich zu einem Fall von Exhibitionismus nicht ins Gewicht fällt).
Was die StA dir wahrscheinlich erklären wollte, war, dass man die Revision nicht mit §177 begründet hat. Aber an die Begründung war der BGH nicht gebunden.
@Waschi: Was kann schon so grotesk rechtswidrig sein, dass eine StA es nicht wagt? ;)
Der Typ wurde vom LG Siegen vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen und vom Vorwurf exhibitionistischer Handlungen teilweise freigesprochen, teilweise hierfür verurteilt. Die StA Siegen hat auf meine Anfrage, ob hier überhaupt Revision wegen des Freispruchs vom Vorwurf der Vergewaltigung eingelegt wurde, mit Schreiben vom 15. Juni 2016 mitgeteilt, dass lediglich „Revision wegen der Verletzung materiellen Rechts eingelegt […], *soweit im Urteil des Landgerichts Siegen eine exhibitionistische Handlung gem. §183 StGB verneint wurde.*“
Das Urteil des BGH ergeht dementsprechend auch nur in einer Strafsache „wegen exhibitionistischer Handlungen“. Ich habe mich – Du hast sicher schon gemerkt, dass ich kein Jurist bin – in der Urteilsdatenbank des BGH umgetan und bemerkt, dass bei mehreren Tatvorwürfen entweder eine explizite Bezeichnung der weiteren Vorwürfe oder zumindest ein angefügtes „u.a.“ auf dem Deckblatt steht. Das ist hier nicht der Fall.
Dementsprechend geht es in der Urteilsbegründung auch nur um die Frage, ob exhibitionistische Handlungen vorgelegen haben, und nicht um den Vorwurf der Vergewaltigung. Ich würde mich schon sehr wundern, wenn da einfach implizit und ohne jede Begründung auch eine Urteilsaufhebung wegen eines Freispruchs enthalten wäre, der von der StA gar nicht zur Revision gebracht wurde.
Verstehe die Aufregung nicht. Die Daten kommen mit der (später irgendwann unvermeidlich erfolgenden) Akteneinsicht doch sowieso. Ist nichts anderes als eine Mini-Vorabauskunft.
Nun Ja..
da wäre noch der §37 Abs.2 VwVfG.
Diesen hätte ich, als Betroffener einer Maßnahme, gegenüber der Polizei bemüht….
Evtl. hätte der etwas Nebel ins Dunkle gebracht :-)
MFG