Ausschluß der Öffentlichkeit vor dem Schwurgericht?

758559_web_R_K_B_by_Dirk Maus_pixelio.deVor dem Potsdamer Landgericht findet zur Zeit die Hauptverhandlung gegen einen 33-jährigen Angeklagten statt, dem u.a. vorgeworfen wird, der „Mörder von Elias und Mohamed“ zu sein. Die Öffentlichkeit, insbesondere die Medien mit den großen Buchstaben, nimmt engagierten Anteil an dem Verfahrensauftakt.

Die Verteidigung hat nach Aufruf der Sache beantragt, die Öffentlichkeit für das gesamte Verfahren auszuschließen. Auch die Angehörigen der getöteten Kinder wollen die Medienvertreter nicht dabei haben, wenn über die Sache verhandelt wird – allerdings nur teilweise: Nur während der Anklageverlesung bzw. an einzelnen Tagen.

Der Öffentlichkeitsgrundsatz ist unverzichtbarer Teil des fairen und rechtsstaatlichen Verfahrens. Einerseits. Aber auf der anderen Seite stehen die Persönlichkeitsrechte der Prozeßbeteiligten. Hier also die der Hinterbliebenen und die des Angeklagten.

Die Schwurgerichtskammer des Gerichts muß nun über die Anträge entscheiden und eine Abwägung treffen. Die Regeln dafür stehen im § 171b GVG:

Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat (…) Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde.

Dieser Ausschluß kann auf Antrag (der Verteidigung, der Zeugen …) oder von Amts wegen (also auf Initiative des Gerichts) erfolgen.

Wenn aber …

… das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt …

… darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden.

Das Gericht hat also zwischen zwei Übeln zu entscheiden: Entweder die Öffentlichkeit muß draußen bleiben oder der Angeklagte wird nackt ausgezogen an den Pranger gestellt und möglicherweise schmerzende Details des Tathergangs finden sich in Wort und Bild im Netz und in den übrigen Medien.

Zu einer soliden Verteidigung gehört es, bei dieser Art des Verfahren den „171b-Antrag“ zu stellen. Oder gewichtige Gründe zu haben, den Ausschluß der Öffentlichkeit nicht zu beantragen.

Übrigens – für angehende Revisonsrechtler: Die Rüge in der Revision, die Voraussetzungen des § 171b GVG hätten nicht vorgelegen und der Ausschluß sei zu Unrecht erfolgt, ist nicht zulässig (BGH, Beschluß vom 19. 12. 2006 – 1 StR 268/06; Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 171b GVG Rdnr. 25). Damit ist einem Vorwurf, der Antrag der Verteidigung sei in Hinblick auf § 338 Nr. 6 StPO eine „Revisionsfalle“ für die Strafkammer, der Boden entzogen.

Update:
Die Schwurgerichtskammer hat den Ausschluss der Öffentlichkeit abgelehnt.
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Bild: © Dirk Maus / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Gericht, Medien, Verteidigung veröffentlicht.

2 Antworten auf Ausschluß der Öffentlichkeit vor dem Schwurgericht?

  1. 1
    Redakteurin says:

    Der Prozessauftakt wurde zutreffend zusammengefasst und eingeordnet, vielen Dank, Herr Rechtsanwalt Hoenig.

    • Ich hatte bei Ihnen abgeschrieben und Ihnen im Radio zugehört. Danach war die Zusammenfassung nicht mehr schwer. ;-) crh

    Meine Nachfrage lautet: Hat sich das Thema nun erledigt oder können die Verteidiger zu einem spätereren Zeitpunkt nochmals beantragen, die Öffentlichkeit auszuschließen? Etwa, bevor der Gerichtsmediziner sein Gutachten erstattet, denn dann sind ja wieder grausame Einzelheiten zu erwarten.

    • Ja, klar. Auf jeden Fall immer dann, wenn es andere/neue Gründe gibt, die einen Antrag nach § 171b GVG stützen.
       
      Im übrigen ist es der Verteidigung nicht verboten, auch unzulässige Anträge zu stellen.
       
      Bitte berücksichtigen Sie dabei, daß auch Anträge, die vom Gericht (erwartungsgemäß) abgelehnt werden, sinnvoll sein können, z.B. wenn es dem Antragsteller auf die Ablehnungs-Begründung ankommt. Ein abgelehnter Antrag ist nicht notwendig ein Mißerfolg. crh
  2. 2
    Redakteurin says:

    Danke für die sinnvollen Hintergrundinformationen; bitte bloggen Sie weiter, es ist auch für Journalisten sehr interessant.
    Gruß LS