Der Rechtsanwalt als eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“

366836_web_r_b_by_thommy-weiss_pixelio-deEine Begegnung der ganz besonderen Art hatte der Berliner Kollege Dr. Martin Manzel. Er traf am Flughafen Tegel auf die öffentlichen Sicherheits- und Ordnungshüter der Bundespolizei.

Und nun trifft er sich vor dem Verwaltungsgericht mit Vertretern der Bundesrepublik Deutschland. Am 24.11.2016 um 9:30 Uhr, in der Kirchstraße 7, 10557 Berlin Moabit (Save the date!), um das erste Treffen juristisch aufarbeiten zu lassen.

Rechtsanwalt Dr. Manzel hat einen offenen Brief an uns Anwälte geschrieben, den ich mit seiner Zustimmung nachfolgend veröffentliche:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich verklage die Bundesrepublik Deutschland wegen eines Eingriffs der Bundespolizei in meine anwaltliche Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 GG. Der Fall hat grundsätzliche Bedeutung für die Tätigkeit von Anwälten. Ich bitte Euch:

Kommt zur Verhandlung und zeigt Präsenz.

Die Verhandlung findet am 24.11.2016 vor dem Verwaltungsgericht Berlin statt (9.30 Uhr, Paul Martin Manzel ./. Bundesrepublik Deutschland). In dem Verfahren verklage ich als Anwalt die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundespolizei.

1. Hintergrund des Verfahrens …
… ist die Abschiebung einer Mandantin am 15.12.2014 in der Ausländerbehörde Berlin. Medien berichteten über den Fall, da innerhalb des Verfahrens – wir beantragten die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Abschiebung – ein „Gutachterskandal“ der Berliner Ausländerbehörde aufflog. (Dazu die Berichte aus der Berliner Zeitung und auf Proasyl.de.

Das Verwaltungsgericht Berlin hatte mit Urteil vom 25.02.2015 (VG 24 K 14.15 – juris) die Rechtswidrigkeit der Abschiebung festgestellt und betont, dass eine derartige Art der Abschiebung sogar gegen die Menschenwürde verstoßen kann. Die Mandantin war ohne jede Ankündigung in die Türkei abgeschoben worden; auch das Besorgen der notwendigsten Dinge (Geld, Kleidung, Kreditkarte, wichtige Unterlagen etc.) wurde ihr verwehrt, freilich hatte man sie vorher noch unter Medikamente gesetzt und keinerlei Vorbereitungsmaßnahmen in der Türkei getroffen.

2. Bei der Abschiebung …
… wurde ich durch eine Täuschung von meiner Mandantin getrennt und diese direkt zum Flughafen Tegel gebracht. Am Flughafen verlangte ich Zugang zu meiner Mandantin, um sie abschließend persönlich beraten zu können. Dies wurde mir verwehrt – ich erhielt sogar einen formellen Platzverweis durch die Bundespolizei.

Innerhalb des gerichtlichen Verfahrens rechtfertigt die Beklagte dieses Vorgehen und verweist darauf, dass mein Verlangen, die Mandantin zu beraten, eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ dargestellt hätte. Es sei zu befürchten gewesen, dass ich versuchen werde die rechtswidrige Abschiebung zu verhindern. Wörtlich heißt es:

    „Nach § 14 Abs. 2 S. 1 BPolG ist Gefahr im Sinne des § 38 BPolG eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Bereich der Aufgaben, die der Bundespolizei nach §§ 1 bis 7 BPolG obliegen…Wenn Dritte eine polizeiliche Maßnahme stören oder behindern, stellt dies eine konkrete Gefahr für das Funktionieren einer staatlichen Einrichtung und damit für die öffentliche Sicherheit dar…Hiervon ausgehend durfte die Beklagte ein Betretensverbot für die Diensträume aussprechen…Aufgrund dieser Umstände durfte die Beklagte davon ausgehen, dass das Verhalten des Klägers insgesamt auch künftig darauf ausgerichtet sein würde, die Durchführung der Abschiebung zu be- oder verhindern und somit eine Gefahr für die Aufgabendurchführung der Beklagten bestand.“ (Hervorhebung durch mich.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wenn Anwälte zu einer „Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ werden, sollten wir alle hellhörig werden. Wenn dieses Beispiel Schule macht, bedroht das die unabhängige Anwaltschaft in unserem Rechtsstaat.

Ich bitte Euch daher um Eure Unterstützung! Je mehr Kollegen kommen, desto größer ist die Wirkung des Verfahrens. Die Berliner Anwaltschaft darf sich dieses Vorgehen nicht gefallen lassen. Für den 24.11.2016 sind umfassend Zeugen geladen worden, wir erwarten eine große Beweisaufnahme. Für Eure zahlreiche kollegiale Unterstützung wäre ich euch sehr dankbar!

Mit freundlichen und kollegialen Grüßen

Rechtsanwalt Dr. Martin Manzel
Lutherstraße 12, 13585 Berlin

Angesichts des Verhaltens dieser Bundespolizeibeamten sehe ich ganz woanders die Gefahr. Und die geht zum einen nicht von Anwälten, sondern von den Bundesbeamten aus. Gefährdet scheint zum anderen nicht nur die öffentliche Sicherheit und Ordnung, sondern der Rechtsstaat im Ganzen. Unglaublich, was in den Köpfen solcher Polizisten vorgeht!

Ich bitte nicht nur die Kollegen um zahlreiches Erscheinen, sondern auch die Medienvertreter, denen hier auch einmal ein spannendes Verfahren vor dem Verwaltungsgericht geboten wird. (Ich bin leider wegen eines angeblichen Kupferkabeldiebstahls verhindert.)

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Bild: © Thommy Weiss / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Behörden, Politisches, Polizei veröffentlicht.

16 Antworten auf Der Rechtsanwalt als eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“

  1. 1

    Am 24.11.2014, um 9:30 Uhr, in der Kirchstraße 7, 10557 Berlin Moabit (Save the date!)

    Also in die Vergangnheit reisen kann ich noch nicht, lieber Carsten :-)

    • Fixed. Danke! crh
  2. 2

    Ein ziemlich unglaublicher Vorgang, Mal sehen, wie das Verwaltungsgericht damit umgehen wird. Persönlich anreisen werde ich nicht können, drücke aber die Daumen und behalte die Sache im Auge.

  3. 3
    Miraculix says:

    BuPos mal wieder. Ja, die können das besonders gut.

  4. 4
    Jürgen Rößner says:

    Ja typisch Staatsgewalt,es muß hier Folgen haben,in der Tat!
    Es gab einen ähnlichen Fall,einem Türken der in sein Heimatland abgeschoben werden sollte.Der Flugzeugkapitän war dagegen – der junge Türke werte sich sehr,man zog ihm einen “ Helm „( Haniballekter ) auf damit er nicht spucken und beissen konnte.Unterwegs verstarb er wegen Luftnot,so fest wurde dieser Helm besestigt. Amen

    Gruß
    Jürgen Rößner
    ( Freier Journalist für die GG/BO in Berlin )

  5. 5
    JK says:

    Da fühlt sich ein Anwalt also auf den Schlips getreten, weil er nicht in selbstherrlicher Manier zu seinem Mandanten kann.

    Natürlich ist es richtig, dass ein Anwalt nicht einfach so in die Diensträume der Bundespolizei marschiert. Und jede Störung amtlicher Handlungen kann grundsätzlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Völlig logisch.

    Wahrscheinlich denken hier auch einige anders über die Abschiebung, wenn wir den Werdegang der Betroffenen mal vollumfänglich beleuchten: „…besaß illegal eine Schusswaffe und hatte unter Alkoholeinfluss einen Bekannten mit Messerstichen lebensgefährlich verletzt. Sie wurde zu vier Jahren und 10 Monaten Haft verurteilt, wegen einer Persönlichkeitsstörung aber in die Psychiatrie eingewiesen. Aus Sicht der Behörden gab es Gründe genug, sie auszuweisen. – Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/1309114 © 2016″

  6. 6
    mööp says:

    @JK: Ich kann auch selektiv zitieren: im Bericht der Berliner Zeitung steht auch, dass der Gutachter, der die Flugfähigkeit festgestellt hat, der Polizei nach eigenen Angaben seit 1980 in rund 50.000 Fällen „behilflich“ war.

    Falls das kein Druckfehler sein sollte: 50.000! Ca. 1351 pro Jahr, ca. 26 pro Woche, ca. 3,7 pro Tag. Tag ein, Tag aus, ohne Wochenende, Urlaub, Krankheit, etc. über 37 Jahre. Respekt!

    Was soll an solchen Gutachen schon auszusetzen sein, da kann es ja wohl keinerlei Bedenken geben. Solch einen Gutachter möchte ich auch „an meiner Seite“ haben, wenn ich mal mit der Staatsgewalt in Konflikt gerate. Und am liebsten wäre es mir in solch einem Fall, wenn mir die Staatsgewalt den Kontakt zu meinem Anwalt vorenthielte.

    Unfassbar, in welcher Art von „Rechtsstaat“ Sie leben möchten.

  7. 7
    aggiepack says:

    Unterstellt, die Aussagen in dem oben verlinkten Beitrag Nr. 5 zur Berliner Zeitung sind zutreffend, dann möge Herr Lerche, der angeblich nicht Mitglied einer Ärztekammer ist, schlüssig erklären, wie er an Diazepam herankommt.. Andernfalls sollte sich die Staatsanwaltschaft mal den Herrn Lerche etwas näher ansehen. Approbierter Arzt und fehlende Mitgliedschaft in einer Ärztekammer passen auf den ersten Blick nicht so recht zusammen. Da gibt es also doch möglicherweise einige dunkle Flecken in der Historie des ehrenwerten Herrn Lerche. Denn bezeichnenderweise ist in einem Untermenue des Beitrages der Berliner Zeitung die Rede davon, daß Herr Lerche in der Vergangenheit Mitlgied der Ärztekammer war. Explizit wird im weiteren Verlauf erklärt, er sei nicht mehr Miglied der Ärztekammer. Sollte er es allerdings nicht mehr zum Zeitpunkt seiner behaupteten Tätigkeit Mitglied der Ärztekammer gewesen sein, wird es auch mit der Berechtigung der medizinischen Betreuung während eines Fluges eng, und zwar erst Recht wenn er sich gegenüber Dritten als Arzt ausgegeben haben sollte, der zur Heilbehandlung berechtigt ist.

    Und hinsichtlich des Beitrages Nr. 6 wäre man geneigt ergänzend noch anzumerken: die Zahlen werden noch absurder, wenn man davon ausgeht, daß an jenen Tagen, an denen der sicherlich hochqualifizierte Herr Lerche auf den honorarmäßig interessanten Reisen war, er kaum noch nebenbei entsprechende „Gutachten“ erstellen konnte. Da liegt der Anfangsverdacht einer Straftat nach § 278 StGB nicht mehr allzu fern. Und auch die Anstiftung hierzu durch die Auftraggeber jener „Gutachten“ verdient durchaus eine gewissenhafte Prüfung.

  8. 8
    Silke says:

    Da hätte RA Dr. Manzel ja eigentlich durchaus auch Strafanzeige wegen Nötigung (im Amt) gegen die Polizisten stellen können, die ihm den Kontakt zu seiner Mandantin verweigert haben.
    Sehr interessant der Artikel in der Berliner Zeitung mit heftiger Kritik an diesem scheinbar sehr dubiosen (Möchtegern)-„Arzt“. Sitzt der eigentlich inzwischen im Gefängnis?! Viel Glück jedenfalls für den mutigen RA Manzel bei der Verhandlung am VG

  9. 9
    Flo says:

    Ich bin leider wegen eines angeblichen Kupferkabeldiebstahls verhindert.

    @CRH, wie kann man bitte eine Straftat anklagen die angeblich begangen wurde? Oder ist der Kupferklau unstrittig und es geht nur um die Beteiligung ihres Mandanten? *duck* ;)

    • Die „Wegnahme“ muß erst noch bewiesen werden; es könnte sich ja auch um eine freiwillige Herausgabe handeln. Oder der Ausbau der Kabel war nur vorgetäuscht. Oder …
      Hey, ein bisschen Phantasy stünde Ihnen auch ganz gut! Sonst wird aus Ihnen kein erfolgreicher Strafverteidiger. ;-) crh
  10. 10
    meine10cent says:

    Nun ja, offenbar haben die Atteste, die die Abgeschobene zum Beleg ihrer frisch entdeckten Flugunfähigkeit während der laufenden Verfassungsbeschwerde beigebracht hatte, auch nicht gerade durch profunde Anamnese und Diagnose geglänzt. Das VG war „not conviced“.

    Das Urteil des VG Berlin kann man in der LaReDa Berlin-Brandenburg nachlesen (24 K 14.15), zu den Attesten Rdnr. 58-61.

  11. 11
    HugoHabicht says:

    @ mööp
    4 Patienten pro Tag und Arzt ist jetzt nicht besonders viel, oder? Es steht ja nirgendwo, dass er bei 50.000 Fällen mitgeflogen ist (dann wäre er wohl längst an der Strahlenkrankheit gestorben). Flugfähigkeit festellen sollte nicht länger als 20 Minuten pro Patient dauern, wenn man es sehr gründlich macht.

  12. 12
    Silke says:

    @ Habicht: In dem Artikel steht aber; die Polizei recherchiert derzeit, ob Lerche (der „Arzt“) Honorare (von der Poliei) in Millionennhöhe erhalten habe“. Das zeigt schon, dass dieser Pseudo-Arrzt offenbar in sehr vielen Fällen die Flugfähigkeit bescheinigt hat – und dann auch gleich immer als „Flugbegleiter“ bei seinem Opfer mitgeflogen ist – Honorar pro Flug 800 – 900 Euro. (laut Aussage des Arztes!) Genau das hat das VG auch moniert, dass er aus eigener Gewinnabsicht gehandelt hat. Vor allem hat das Gericht festsgestellt (laut Artikel), dass dieser Azrt fachlich inkompetent für diese Aufgabe gewesen sei, eben schlicht „ungeeignet“, um die Flugfähigkeit überhaupt feststellen zu können.

  13. 13
    HugoHabicht says:

    @Silke
    wie mööp richtig ausgerechnet hat, ist 50.000 mal hin und her fliegen zeitlich nicht möglich. Um auf ein Millionenhonorar zu kommen, braucht man aber auch keine Flüge. Der soll eine Fallpauschale (ohne Flug) von € 180 bekommen haben. Multipliziert mit 50.000 Untersuchungen, macht das € 9.000.000,- wobei man berücksichtigen muss, dass die Pauschale sicher vor 30 Jahren noch niedriger war und im Laufe der Zeit immer mal wieder angehoben wurde.

    50.000 Fluguntersuchungen kann ein Arzt aber locker in der gegebenen Zeit bewältigen.

    Ob der konkrete Arzt dazu fachlich in der Lage ist, ist eine andere Frage.

  14. 14
    BV says:

    @ JK, # 5:

    Was hat denn der „Werdegang“ der Betroffenen damit zu tun, ob deren Rechte im Abschiebeverfahren hinreichend gewahrt wurden?

  15. 15
    RA Thomas W says:

    „Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ – das klingt zunächst einmal wild und nach Willkürstaat. Aber das ist einfachl der Grundbegriff des Polizeirechts, der in vielen Landespolizeigesetzen definiert ist.

    Auch ein zu lautes Radio oder Hundekot auf dem Gehweg kann eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ darstellen, ohne daß die Kavallerie ausrückt. Der Begriff bedeutet ja nicht, daß der Untergang des Vaterlandes durch die „Gefahrenquelle“ droht, sondern daß die geschriebene oder ungeschriebene Rechtsordnung beeinträchtigt sein kann.

  16. 16
    Silke says:

    @ RA T.W:: es klingt aber so, als ob „der Untergang des Vaterlands drohe“. Und dass Hundekot auf der Straße durchaus eine Gefahr für die öffentl. Sicherheit darstellen kann, ist ja klar, weil darauf Leute ausrutschen und sich verletzen können. Aber ein Anwalt, der von seiner Mandantin ferngehalten wird, welche zuvor mit stasiartigen Methoden von der Ausländerbehörde/ Polizei direktt zum Flughafen zwecks Überraschungsabschiebung verschleppt wurde, ist ja wohl keine gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Das ist ja wohl grotesk.
    Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und für den Rechtsstaat ist wohl eher dieser besagte Pseudo-Arzt Lerche, der diese rechtswidrige Abschiebung mit seinem unseriösen und hinterhältigen Verhalten überhaupt erst möglich gemacht hat.