Die Berufung und das Verschlechterungsverbot

Wenn das Amtsgerichts in einer Strafsache ein Urteil spricht, kann man das mit der Berufung angreifen. Dann muß das Landgericht die Sache noch einmal be-urteilen.

naziaerscheDas ist so in dem Verfahren gegen den tätowierten Nazi Brandenburger NPD-Politiker Marcel Zech abgelaufen. Zech hatte sich die Silhouette des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau und den Spruch „Jedem das Seine“ vom Eingang des Konzentrationslagers Buchenwald auf die Fettpolster den unteren Rücken tätowieren lassen. Und mit diesem Arschgeweih-Ersatz ist er dann durch’s Spaßbad stolziert.

Dafür hat er sich vor dem Amtsgericht Oranienburg eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten gefangen, deren Vollstreckung für 3 Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Gegen dieses Urteil wurde Berufung eingelegt. Und nun hat das Landgericht Neuruppin das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und den NPD-Kommunalpolitiker zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt. Das erstinstanzliche Urteil wurde also erhöht; verbösert, wie die Strafjuristen sagen.

Es stellt sich nun die Frage: Darf ein Berufungsgericht die Strafe erhöhen, wenn der erstinstanzlich Verurteilte ein Rechtsmittel eingelegt hat?

Grundsätzlich gilt das Verschlechterungsverbot; das heißt, der Verurteilte soll nicht davon abgehalten werden, ein Rechtsmittel einzulegen, „nur“ weil er damit das Risiko eingeht, daß es am Ende noch schlimmer wird. Und das ist auch gut so.

Wenn aber – und jetzt kommt die Ausnahme – auch die Staatsanwaltschaft „in Berufung geht“, darf die Strafkammer beim Landgericht noch nachlegen. Dann gilt die Grenze der ersten Instanz nicht mehr.

So war es hier: Zunächst hatte Marcel Zech die Berufung eingelegt, um sein Verteidigungsziel, den Freispruch, auch im Rechtsmittel noch zu verfolgen.

Aber auch die Staatsanwaltschaft hat sich mit dem Ergebnis des ersten Durchgangs unzufrieden gezeigt; dort hatte man sich 10 Monate „pur“, das heißt: ohne Bewährung, vorgestellt. Deswegen kam das Rechtsmittel – die Berufung – auch von der Anklagebehörde.

Wenn also beide Seiten – Verteidigung und Staatsanwaltschaft – „ins Rechtsmittel gegangen“ sind, ist das Ergebnis nach unten und nach oben völlig offen. Hier hat es den arschgeweihten NPD-Kreistagsabgeordneten erwischt: Er wird dann wohl – zumindest einen Teil – der 8 Monate absitzen müssen … wenn das Urteil des Landgerichts rechtskräftig wird.

Denn auch jetzt noch gibt es ein weiteres Rechtsmittel, die Revision, das wiederum sowohl der Verurteilte als auch die Staatsanwaltschaft einlegen können.

Dieser Beitrag wurde unter Justiz, Politisches, Strafrecht veröffentlicht.

9 Antworten auf Die Berufung und das Verschlechterungsverbot

  1. 1

    Der von mir sehr geschätzte Frei- und Straßburger Kollege Frédéric Falk Voelker kommentierte auf Facebook das Verhalten der Staatsanwaltschaft in diesem Verfahren:

    taktik

    Was ist eine taktische Berufung der Staatsanwaltschaft und wie kann sich die Verteidigung dazu positionieren?

    Ausgehend von dem Verschlechterungsverbot (dem Verbot der „reformatio in peius“) legen Staatsanwälte gern schon mal eine „Anschlußberufung“ ein: Das Urteil ist gerade verkündet, da tönt von der Verteidigerbank die vollmundige Erklärung, daß man ins Rechtsmittel gehen wird. Um zu verhindern, daß der Angeklagte nun quasi risikolos einen zweiten Durchgang erhält, öffnet die Staatsanwaltschaft den Deckel auch nach oben und legt ihrerseits die Berufung ein.

    Dagegen gibt es für die Verteidigung (unter anderem) grundsätzlich zwei recht effektive Maßnahmen:

    1. Der Verteidiger tönt nicht wild herum, sondern schickt ganz leise am letzten Tag der Berufungsfrist etwa gegen 20 Uhr (also laaaaaange nach dem Feierabend in der Justiz) ein Fax mit der Berufung an das Zentralfax des Gerichts. Damit nimmt man der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit einer Reflexberufung.
    2. Gibt es nun schon das Rechtsmittel der Strafverfolger, kann der Verteidiger versuchen, in einem Gespräch mit dem (nunmehr) zuständigen Staatsanwalt die beiderseitige Rücknahme der Berufungen zu vereinbaren.

    Das klappt nicht in jedem Fall und ich weiß auch nicht, wie es in diesem hier gelaufen ist. Die oben zitierte Vermutung von Frédéric Völker ist aber nicht von der Hand zu weisen. Gerade weil hier ein Szeneverteidiger am Werk war, dem ich persönlich aus grundsätzlichen Erwägungen heraus nicht allzu viel zutraue … Nicht verhindern zu können, daß so ein selten dämliches Tattoo, das zudem überstochen wurde, zu 8 Monaten Knast führt, zeugt nicht gerade von handwerklicher Brillianz.

  2. 2
    BV says:

    Ist das denn hier wirklich eine Anschlußberufung? Die Staatsanwaltschaft hatte 10 Monate pur beantragt und 6 mit bekommen. Das ist vom bloßen Zahlenwerk her doch durchaus berufungswürdig.

    • Dieser Rückschluß funktioniert in der Praxis nicht. Derjenige Staatsanwalt, der in der Sitzung den Antrag stellt, ist idR. nicht der Staatsanwalt, der über das Rechtsmittel entscheidet.
       
      So passiert es keineswegs selten, daß der Sitzungsvertreter Freispruch beantragt, das Urteil freispricht und der Chefstaatsanwalt dann doch in die Berufung geht. Spätestens dann hat ein angeklagter (freigesprochener) Bürger sämtlichen Glauben an die Lauterkeit der Strafjustiz verloren. crh

    Und dann gibt es Staatsanwälte, die sich komplett verbeißen. Da ruft der Verteidiger am Nachmittag des Fristablaufs an und erhält die wahrheitsgemäße Auskunft, dass kein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft eingegangen ist. Da konnte noch niemand wissen, dass der Staatsanwalt abends um zehn oder elf am Fristbriefkasten des Gerichts auftauchen wird…

  3. 3
    Karsten Koch says:

    Das ist überall gängige Praxis – einschließlich der Versuche, sich mit den Fristen gegenseitig auszutricksen. Ich hatte einen Amtsanwalt, der hatte seine Berufungen schon als Formular dabei und in der Sitzung gleich übergeben. Das grenzt zwar an Rechtsmissbrauch, muss aber wohl hingenommen werden. Und wenn man mal einen vernünftigen AA hatte, kam meisten die Berufung vom Abteilungsleiter (OStA), dem die Handakten je sogleich vorgelegt werden müssen. Allerdings hatte ich mal eine verstorbene StA-Kollegin, die hat in solchen Fällen in die Handakte geschrieben, das Urteil sei antragsgemäß ergangen und bereits rechtskräftig, obwohl das nicht der Fall war. Als sie mal damit aufgeflogen ist, sagte sie treuherzig – mit Erfolg –, das müsse wohl ein in der Eile entstandenes Missverständnis gewesen sein.

  4. 4
    unwichtig says:

    Mein Chef sagt, man erhebt Rechtsmittel. Einlegen tue man nur Gurken.

    Stimmt das?

  5. 5
    BV says:

    @ unwichtig, #4:

    Zumindest nach dem Gesetzeswortlaut stimmt das nicht. Nur ein Widerspruch wird erhoben, alle anderen Rechtsbehelfe/-mittel werden eingelegt.

  6. 6
    Marco says:

    @unwichtig: Der Gesetzgeber sagt, man legt Berufung oder Revision ein, vgl. §§ 314 ff. StPO.

    Insofern ist „Einlegen“ in juristischen Texten mal jedenfalls nicht falsch.

  7. 7
    Redakteurin says:

    Ich war nun schon zum zweiten Male Reporterin in diesem Fall. Acht Monate ohne Bewährung für eine Volksverhetzung – das hatte ich noch nie. Nicht, dass mir der Angeklagte leid täte. Doch ich bin gespannt, was das OLG dazu sagt. Die Urteilsbegründung fand ich etwas ungeschickt. Man muss es dem Angeklagten und seinem Anwalt – die beide Überzeugungstäter sind – nicht auch noch schriftlich geben, dass die Strafe aus einem politischen Kalkül heraus so hoch ausfällt.

  8. 8
    Kinki says:

    Mich stört weniger die Verurteilung als solche, sondern der Umstand, dass das Strafmaß offenbar politisch motiviert ist.

    Man muss sich doch nur einmal vorstellen, das Tattoo hätte aus Che Guevara und dem Spruch „Deutschland verrecke“ bestanden, dann wäre es nichtmal zur Anklage gekommen.

    Die Justiz soll sich einfach aus der Politik raushalten. 6 Monate auf Bewährung sind allemal ausreichend.

  9. 9
    Redakteurin says:

    Update Tattoo:

    Der Angeklagte hat Revision zum OLG eingelegt, teilt das Neuruppiner Landgericht auf Anfrage mit.