Im Rahmen einer mündlichen Haftprüfung soll das Gericht darüber entscheiden, ob der Haftbefehl aufgehoben, außer Vollzug gesetzt oder vollstreckt wird. Ich hatte beantragt
Vorher hatte ich für meinen Mandanten Akteneinsicht beantragt, die er bis zum Haftprüfungstermin noch nicht erhalten hat. (Im übrigen fehlte ihm auch die Einsicht in die Anklagbeschrift.) Die mangelnden Kenntnisse der Akteninhalte und der Anklagevorwürfe waren ein Standbein von mehreren, auf denen die Anträge ruhten.
Theorie …
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sagt
in der so genannten Lamy-Entscheidung (EGMR-E 4, 262), Urteil vom 30. März 1989; StV 2001, 201; StV 1993, 283:
Auf Tatsachen, die dem Beschuldigten infolge einer Akteneinsichtsverweigerung unbekannt sind, dürfen keine Haftentscheidungen, vor allem auch keine Haftfortdauerentscheidungen gestützt werden dürfen.
… und Praxis
Die Strafkammer sagt:
und erläßt den Haftfortdauerbeschluß:
Noch einmal, liebe Kafka-Fans, meine Frage, die ich schon hier und hier gestellt hatte:
Was rät der Verteidiger dem Richter in so einer Situation?
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Bild: © H.-P.Haack – Antiquariat Dr. Haack Leipzig / via Wikipedia
Also jetzt haben Sie sich wirklich verrannt. Mit der Argumentation müsste man auch beinahe jeden frisch in Haft genommenen Beschuldigten erstmal wieder ‚rauslassen, weil er ja noch keine Akteneinsicht hatte.
Ich habe das EGMR-Urteil nicht gelesen,
bin mir aber ziemlich sicher, dass der EGMR einen anderen Fall meinte,
nämlich :
– eine ausdrückliche Verweigerung der Akteneinsicht (und nicht nur organisatorische Probleme, die die Akteneinsicht verzögern)
– und das auch gegenüber dem Anwalt des Inhaftierten (und nicht nur gegenüber dem Inhaftierten).
Passt also nicht wirklich.
Gar nichts. Der ist offenbar beratungsresistent. Der würde nicht einmal den Rat annehmen, sich evtl. besser schon einmal einen eigenen Verteidiger zu suchen.
Guten Morgen. Herzliche Grüße nach Berlin. Antwort:kein Beispiel nehmen.
Wer verweigert denn hier wem die Akteneinsicht? Hat der Mandant die Akteneinsicht nicht erhalten oder Sie (… für meinen Mandanten, der sie nicht….) ?
Nach der StPO hat doch der Verteidiger das Akteneinsichtsrecht, nicht der Beschuldigte.
Und auch die EGMR-Entscheidung stellt in Rdnr. 29 auf den Rechtsbeistand und dessen fehlende Akteneinsicht ab, nicht auf den Beschuldigten.
Angeklagt ist hier nicht der Verteidiger. Bitte frischen Sie Ihre Kenntnisse über die verschiedenen Auslegungsmethoden auf. Die nach dem Wortsinn ist nur eine von mehreren. Sie erinnern sich? crh
Ich rate dazu, keine Straftaten zu begehen!
a.A. Meyer-Ladewig/Harrendorf in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 6 Rn. 108:
„Die Gebote des fairen Verfahrens und der Waffengleichheit machen es grundsätzlich erforderlich, Akteneinsicht zu gewährend, auch für einen Beschuldigten selbst, wenn er keinen Verteidiger hat. Wenn der Angeklagte verteidigt ist, verstößt es hingegen nicht gegen Art.?6, das Recht auf Akteneinsicht dem Verteidiger vorzubehalten. … Befindet sich ein Beschuldigter in Untersuchungshaft, sieht der Gerichtshof die Waffengleichheit (…) nicht als gewährleistet an, wenn seinem Verteidiger diejenigen Informationen verwehrt werden, …“
m.w.N.
Handelt es sich hier nicht um den gleichen Richter, der vor wenigen Tagen dem Anstaltsleiter der JVA Licht ans Fahrrad gelegt hat?
Immerhin durfte der Angekl… ähm Beschuldigte daraufhin doch wohl einen anstaltseigenen Rechner benutzen, oder?
Ich weiß jetzt auch nicht, ob ein Verteidiger überhaupt in der Position ist, einem Richter irgendwelche Ratschläge zu erteilen – aber vermutlich würde ich in solch einer Situation den Richter (hilfsweise den Leiter der JVA) beiläufig und mit pisperschem Unterton mal als „ausgewiesenen Menschenrechtsexperten“ titulieren.
Ob das dem Mandanten allerdings hilft … ?
Erstmal: Die Ausführung der Strafkammer liegt doch neben der Sache, sollten die sich tatsächlich nur am Wortlaut orientiert haben. Denn – förmlich – Akteneinsicht war ja gewährt worden.
Dass das natürlich auch bedeutet, dass man die Chance haben muss, die Akte auch zur Kenntnis zu nehmen, ist offensichtlich.
Denn dass das (Wahrnehmung des Inhaltes) nachgeradezu der Sinn der Akteneinsicht sein muss (sonst ist das Ganze ja witzlos – „juhu, ich hab 700 Seiten Papier bekommen“; darum geht’s ja nicht) ist die andere Seite der Medaille.
Die Strafkammer ist dann – wobei man hier mangels mitgeteilter Informationen etwas im Trüben fischen muss – wohl auch der Ansicht, dass Akteneinsicht im obigen Sinne (also mit der Chance auf Kenntnisnahme des Inhaltes) gerade noch nicht gewährt wurde; denn diese soll ja „weiterhin“ – was soll das überhaupt bedeuten? .- in Untersuchungshaft erfolgen.
Dann aber verstößt die Entscheidung gegen die Grundsätze der Entscheidung des EMRK – wohl aber eher Lietzow, nicht Lamy.
Also:
Jetzt Haftbeschwerde (die einen sagen so, die anderen sagen so)?
Na denn man viel Spaß beim Kammergericht (oder sonstigen OLG). Ich wage mal eine Prognose, wie es ausgehen wird, nämlich so, dass der Delinquent auch weiterhin seine Akteneinsichtnahmen auf dem Anstalts-PC vornehmen muss. Und dass die U-Haft am Ende die angestrebte Rechtskraft schaffen wird.
Die Spannung steigt ins Unermessliche…. wann kommt die Auflösung? Hoffentlich mit Happy End?
Richter im Knast, Angeklagter draußen? Man wird ja noch träumen dürfen.