Durchlaufankläger: Wie Staatsanwälte arbeiten

Eine etwas überdurchschnittliche, aber dennoch bequem überschaubare Wirtschaftsstrafsache ist in fünf Aktenbänden (Hauptakten) zusammengefaßt worden. Von der Kriminalpolizei. Im fünften Band finde ich diesen Vermerk der zuständigen Staatsanwältin:

Abschlußbericht

Ich reduziere mal die im Gesetz niederlegten Aufgaben der Ermittlungsbehörden auf das Wesentliche:

  • Die Polizei ermittelt den Sachverhalt und legt ihn der Staatsanwaltschaft zur juristischen Einordnung vor.
  • Dann entscheiden die Volljuristen darüber ob die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage geben, § 170 Abs. 1 StPO.
  • Oder ob das Verfahren eingestellt wird, § 170 Abs. 2 StPO.
  • Oder irgendwas dazwischen, §§ 153 ff StPO.

In dieser Sache hier sieht das scheinbar anders aus, wenn ich den Vermerk unter Ziffer 1. richtig verstehe. Danach wünscht sich die Staatsanwältin von der Polizei eine Art Vorlage (Malen nach Zahlen?) für die Anklage, also nicht für die Entscheidung nach § 170 StPO.

Wir haben in unserer Berliner Altbauwohnung so etwas Ähnliches: Aus der Wand kommt kaltes Wasser rein und aus dem Wasserhahn kommt heißes Wasser raus. Meine Aufgabe besteht nur darin, die Wassertemperatur zu bestimmen. Den Rest erledigt der Automat zwischen Wand und Hahn. So ungefähr scheint die Berliner Staatsanwaltschaft in Wirtschaftsstrafsachen auch zu arbeiten.

Und am Ende steht dann ein Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, verliest die Anklageschrift (die de facto von der Polizei geschrieben wurde, siehe oben) und schöpft ohne jede Aktenkenntnis aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung. Wie die Laienrichter beim Schöffengericht.

Wofür brauchen wir eigentlich noch Staatsanwälte?

Dieser Beitrag wurde unter Staatsanwaltschaft veröffentlicht.

7 Antworten auf Durchlaufankläger: Wie Staatsanwälte arbeiten

  1. 1

    Um Ihre letztabsätzliche Frage als Ausdruck Ihres Wissenshungers unmaßgeblich zu beantworten (ich zitiere: „Wofür brauchen wir eigentlich noch Staatsanwälte?“), möchte ich tiefer in die moderne Sozialphilosophie eintauchen, aber darauf hinweisen (zur Vermeidung kommunikativer und kognitiver Missverständnisse), dass ich nicht(!) in der Funktion eines Vollphilosophen argumentiere(n kann).

    Um das Eingängliche zu verstehen, ist eine differenziertere Denkweise notwendig.
    Die Staatsanwältin ist zur Erfüllung von Erwartungen des Geschlechterhauptstromes dazu angehalten, sich (im Beruf) selbstzuverwirklichen. Aufgrund täglich-endlicher tempestatischer Ressourcen (erschwert durch die beamtenrechtlichen Rahmenbedingungen) ist die Staatsanwältin zur Erreichung und Erfüllung dieser gesellschaftlichen Erwartungswerte dazu angehalten, amtshilfliche Unterstützung (vor allem durch Rangniedere) in Anspruch zu nehmen.

    Dies sehe ich ansätzlich als erfüllt und moralisch als geboten an und wünsche der Staatsanwältin auf Ihrem weiteren Weg viel Erfolg und das Hinfortbleiben diesbezüglich sabotierender und kontraproduktiver Faktoren wie eigene Kinder und benachteiligende Männer.
    Ich freue mich auf weitere bunte Rollenbilder auf grauen Wänden.

  2. 2
    BV says:

    Ist das denn wirklich so bemerkenswert?

    Nach der Schilderung halte ich es für möglich, dass die Staatsanwältin einen hinreichenden Tatverdacht aufgrund des Ermittlungsergebnisses bejaht und eine Einstellung daher nicht in Betracht kommt.

    Auch die Bitte nach einem geordneten bzw. gegliederten Schlussbericht klingt für mich nicht danach, dass die Polizei die Schreibarbeit für eine Anklage übernehmen, sondern eine Aufstellung der einzelnen Taten mit den relevanten Eckpunkten erstellen soll. Das sollte für einen ordentlichen Abschlussbericht tatsächlich selbstverständlich sein.

    • Wenn das für Sie so klingt, ist das in Ordnung. Sie sind ja „nicht vom Fach“. Wenn aber eine Professionelle darum bittet, einen Bericht abzuliefern, auf den sie die Anklage stützen kann, läuft da etwas Grundlegendes falsch. Denn: Erst kommt der Bericht, dann das Verständnis/die Analyse der Sach- und Rechtslage und ganz am Ende die entscheidende Frage: Anklage oder Nicht-Anklage. Die Anforderung eines (im Detail und in der Übersicht noch unbekannten) Berichts, auf dessen Grundlage dann die Anklage verfaßt werden soll, ist verräterisch, was die auf der Basis der jeweiligen Kompetenz definierte Arbeitsteilung angeht. crh
  3. 3
    Waschi says:

    Kann es sein, dass Sie da doch ein bisschen sehr über-interpretieren?

    • Den Vorwurf, ich würde als Strafverteidiger sehr sensibel auf mögliche Rechtsverletzungen (oder auch nur -verstöße) reagieren, wenn es um die Position eines Beschuldigten geht, setze ich mich gerne aus. Staatsanwälte und deren Groupies mögen das anders sehen. crh

    1. Die Entscheidung zwischen Anklage/Einstellung ist einfach etwas anderes als das eigentliche Ausformulieren der Anklage. In vielen Fällen steht bereits vor Abschluss der Ermittlungen fest, dass die Sache für eine Anklage ausreicht. Oder man kann diese Entscheidung bereits beim Durchblättern der Akte fällen, auch ohne dass man die einzelnen Fälle bereits ausformuliert auf Papier oder im Kopf hat.

    2. So eine Verfügung hat häufig auch eine pädagogische Funktion. In Wirtschaftssachen (und eigentlich auch in allen großen Sachen) ist ein Abschlussbericht eigentlich Standard. Heißt: da steckt nicht ein „bitte schreibt mir die Vorlage für eine Anklage“ drin, sondern (zumindest auch) ein „Das machen wir jetzt nochmal, damit ihr für’s nächste Mal was lernt“.

    3. Und das Muster für einen Abschlussbericht ist nunmal eine Anklage – nicht weil man das Verfahren zwingend anklagen würde, sondern weil man für die Abschlussentscheidung die Sach- und Rechtslage Tat für Tat durchprüfen muss.

    • Die Funktionen sind bekannt, da liegen Sie vollkommen richtig. Es ist die Wort- und Formulierungswahl, die des Geistes Kind verraten. Für einen StPO-Puristen geht es beim Schlußbericht um eine Entscheidungs- und keine Anklagevorlage. Und die Entscheidung muß nach Prüfung der Sach- und Rechtslage der Staatsanwalt treffen, nicht der Kriminalbeamte. crh
  4. 4
    Waschi says:

    Ich glaube nicht, dass da eine echte Gefahr für den Rechtsstaat besteht. Wenn Sie die Polizei fragen, wird man Ihnen da vermutlich eher erklären, dass die StA sowieso alles einstellt.

    Übrigens hat die StAin geschrieben „auf den eine Anklage gestützt werden KÖNNTE“, nicht „KANN“. Wenn wir schon puristisch sein wollen.

    PS: Es gibt Staatsanwalts-Groupies? Cool! Wo?

  5. 5
    HAL says:

    Wofür steht eigentlich die Abkürzung „m. d. E.“?

  6. 6
    David says:

    Entweder es deutet auf eine Minderung der Erwerbsfähigkeit hin oder es heißt wohl „mit der Empfehlung“

  7. 7
    Rudi says:

    „mit dem Ersuchen“.