Eigenartige Begründung

In dem Frauenarzt-Prozeß vor dem Landgericht Dortmung hat der Angeklagte über seine Verteidiger den Sachverständigen aus Besorgnis dessen Befangenheit abgelehnt. Die Strafkammer hat dem Ablehnungsgesuch stattgegeben.

Soweit ich die Medienberichterstattung verfolgt habe, war die Entscheidung des Gerichts korrekt. Mir stößt allerdings die Begründung auf, aus der Martin von Braunschweig in der WAZ das Gericht wohl wörtlich zitiert:

Der Gutachter sah seine Aufgabe offenbar darin, belastende Umstände festzustellen und den Angeklagten zu überführen. Damit hat er seine Aufgabe gründlich missverstanden. Er sah sich offenbar in der Rolle eines Staatsanwalts oder Richters und nicht in der eines unabhängigen Gutachters.

Welche Rolle hat ein Staatsanwalt oder ein Richter eigentlich? Ist es deren Aufgabe Umstände festzustellen und den Angeklagten zu überführen? Oder geht es vielmehr um Belastendes und Entlastendes bzw. um die Erforschung der Wahrheit (§§ 160 II, 244 II StPO), wenn Staatsanwälte und/oder Richter unterwegs sind?

Es steigt da so ein eigenartiges Gefühl in mir auf, als wenn das Gericht (und die Staatsanwaltschaft) da etwas Grundlegendes völlig falsch verstanden hätten.

Nur gut, daß der Angeklagte kompetent von seinen Verteidigern Clemens Louis und Oliver Allesch vertreten wird, die den üblen Fehltritt dieses Sachverständigen für ihren Mandanten reklamiert hatten.

Einen gewissen Charme hätte es ja gehabt, wenn der Angeklagte den Vorsitzenden wegen dieser verräterischen Begründung nun auch noch abgelehnt hätte. Aber hätte selbst ich mir in dieser Situation wohl eher verkniffen. ;-)

Update, Ergänzung und Korrektur:
Mir liegt nun der Wortlaut des Beschlusses vor, mit dem das Gericht das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt. Darin heißt es:

Die angegriffene Äußerung des Sachverständigen „Ich habe versucht, eine Grundlage zu finden für eine Anklage der Staatsanwaltschaft. Dies war ja mein Auftrag“, …

Der Auftrag der Staatsanwaltschaft lautete jedoch anders, ist in dem Beschluß zu lesen:

Die Ermittlungsbehörde bat um Auswertung des Videomaterials und um die Erstattung eines Gutachtens zu der Frage, ob die auf den Videoaufnahmen festgehaltenen Handlungen gynäkologischen Standards entsprechen und medizinisch indiziert waren. Falls dies nicht der Fall sein sollte, wurde gebeten, die Abweichungen auszuführen.

An dieser offenen Formulierung gibt es nichts Handfestes auszusetzen. Die Äußerung des Sachverständigen zeigt, daß er seinen Auftrag gründlich mißverstanden hat.

Die Passage in dem Artikel von Martin von Braunschweig in der WAZ, die mir Anlaß gegeben hat zu diesem Blogbeitrag, ist ein zumindest ungenaues Zitat. In dem Beschluß heißt es wörtlich:

… so lässt [die Formulierung] doch erkennen, dass sich der Sachverständige in der Rolle der Staatsanwaltschaft oder des Gerichtes sieht. Denn die Überprüfung strafrechtlicher Konsequenzen obliegt allein den staatlichen Behörden und nicht dem Sachverständigen, der lediglich die ihm aufgetragenen Fragestellung aus fachlicher Sicht beantworten sollte.

Das ist in Bezug auf meine Empfindlichkeit ein wenig mißverständlich. Die „Rolle der Staatsanwaltschaft oder des Gerichtes“ ist zunächst Aufklärung und Untersuchung. Danach erfolgt die Überprüfung. Und dann die Entscheidung.

Wenn ich aber mit etwas Wohlwollen an diesen Satz herangehe, dann erkenne ich die korrekte Intention des Gerichts, den Sachverständigen als Unterstützer bei der Aufklärung und Untersuchung sehen zu wollen. Das ist völlig in Ordnung und gibt keinen Anlaß zu Zweifeln an der Unbefangenheit des Gerichts.

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Das ursprüngliche Bild (Holzstempel) war von © Tim Reckmann via pixelio.de. Er verschickt aber auch Rechnungen für die Veröffentlichungen seiner Photos, deswegen habe das Bild vom Server genommen und entsprechend ersetzt.

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