Justiztechnik und die TKÜ

709836_web_r_by_dieter-schuetz_pixelio-deDie Überwachung der Telekommunkation (TKÜ) gehört zum Standard-Programm der Ermittler. Wenn es beispielsweise um einen kleinen Hehler geht, der mit geklauten Handys handelt, stellt das niemanden vor größere Probleme.

Es ergeht ein gerichtlicher Beschluß nach § 100a StPO und schon werden die Telefonate des Verdächtigen auf behördliche Datenträger gespeichert. Daraus erwickeln die Ermittler den dringenden Tatverdacht und der Staatsanwalt später die Anklage.

Wenn nun der Verteidiger Akteneinsicht beantragt, stellt man ihm eine DVD zur Verfügung, damit er sich die Aufzeichnungen gemeinsam mit seinem Mandanten anhören kann. Soweit jedenfalls funktioniert die Praxis hier in Berlin.

Wenn es aber um mehr als eine Person geht – zum Beispiel eine zwölfköpfige Gruppe von Verdächtigen, deren Gespräche und SMS dann auch noch über einen längeren Zeitraum abgehört wurden, wächst schnell ein Datenvolumen an, das nicht mehr so einfach zu handhaben ist.

Dies illustriert der folgende Vermerk aus eine Umfangstrafsache:

tkue-dvd-technik

Dazu hatte der Vorsitzende über seine eigenen Versuche berichtet, der Datenmengen Herr zu werden.

Ein Test der Kammer, eine DVD auf eine Festplatte zu übertragen, ergab eine angezeigte Dauer von zwölf Stunden, weshalb dies bei dem Gesamtvolumen von 18 DVDs keine Lösung darstellt.

Na gut, das technische Equipment der Kammer wird sicherlich nicht auf dem aktuellen Stand sein. Aber selbst wenn man für das Kopieren der zigtausenden Dateien auf einer DVD nur 1 Stunde benötigen würde, käme man noch immer nicht in den Bereich eines akzeptablen Handlings.

Vielleicht zum konkreten Hintergrund noch eine Information:
Die Telefonate wurden nicht in deutscher Sprache geführt. Die Ermittlungsbehörden selbst haben – quasi mit Bordmitteln – Übersetzungen sowie Gesprächszusammenfassungen angefertigt und dabei eine für ihre Zwecke nützliche Auswahl getroffen.

Aufgabe der Verteidigung ist es, sowohl die Übersetzungen als auch die Auswahl zu prüfen. Wichtigstes Hilfs-„Mittel“ dabei ist der Mandant, der – man ahnt es – in Untersuchungshaft sitzt.

Also in einer Haftanstalt, in der Elektronik für die Justizverwaltung sowas ähnliches darstellen muß, wie eine Petroleumlampe in einer Halle mit offen gelagertem Schwarzpulver. Die dadurch entstehenden Schwierigkeiten, den Art. 6 Abs. 3 Lit. a und b EMRK zum Leuchten zu bringen, ist leicht vorstellbar.

Es stehen sich also gegenüber:

  • Die Europäische Menschenrechtkonvention:

Jede angeklagte Person hat mindestens folgende Rechte:

a) innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden;
b) ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben;

  • und in der anderen Ecke:

Die technische Ausstattung unserer Justiz, der es zwar gelingt, säckeweise Daten zu sammeln, aber nicht, diese in adäquater Form zu verarbeiten.

Und was fällt hinten runter?
Die (Menschen-)Rechte der Verteidigung.

Und wie reagiert die Justiz?
Sie macht den Angeklagten ein Angebot (§ 257c StPO), das sie – nach Ansicht des Anbieters – nicht ablehnen sollten: Abnicken des Ergebnisses der Ermittlungen und Verzicht auf alle Rechte, die die Strafprozeßordnung schützen soll. Dafür gibt’s ein scheinbares Sonderangebot.

Auf den nur wenig überspitzen Punkt gebracht:

  • Die Kriminalbeamten zeichnen auf, übersetzen und wählen aus.
  • Das Ergebnis verwertet die Staatsanwaltschaft – unbesehen und ungehört – als Beweismittel in einer Anklageschrift.
  • Die Angeklagten „gestehen“ alles – unbesehen und ungehört.
  • Das Gericht verurteilt – unbesehen und ungehört – auf einer Grundlage, die kriminalbeamtete Techniker irgendwann mal aufgezeichnet haben.

Damit das Problem noch deutlicher wird
Einem Angeklagten werden in der Anklage 10 Taten vorgeworfen. Er ist sich aber sicher, daß er maximal an 5 beteiligt war, und zwar nur als Gehilfe, nicht als Mittäter. Außerdem ist der Schaden viel geringer und es gibt massive rechtliche Probleme.

Soll der Angeklagte das richterliche Angebot – sagen wir mal: 3,5 Jahre Freiheitsstrafe für 10 Taten – akzeptieren, nur um das Risiko auszuschließen, nach Durchsetzung der Verteidigerrechte in einer – sagen wir mal: – 50 tägigen Bweisaufnahme mit erstmaliger(!) Anhörung und unabhängiger(!) Übersetzung der Aufzeichnungen wegen nur 5 Taten, dann aber zu 4,5 Jahren verurteilt zu werden? (Komme mir jetzt keiner der hier anwesenden Juristen mit der Sanktionsschere. Kennt Ihr die Erfolgsquoten für Revisionen beim 5. Senat? Die Strafkammer kennt sie ganz genau!)

Was passiert,
wenn – sagen wir mal – vier von zwölf Angeklagten quasi blind das Angebot annehmen? Und die anderen nicht auf die saubere Arbeit der Kriminalbeamten vertrauen wollen?

Herr Justizminister Maas hat mal wieder schöne – und völlig sinnlose – Vorschläge zur Opitimierung des Strafrechts gemacht. Warum nimmt er nicht mal das Geld in die Hand, das notwendig wäre, um die Justiz mit notwendiger Technik und Personal auszustatten?

tl;dr
Keine Technik; keine Rechte

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Bild: © Dieter Schütz / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Justiz veröffentlicht.

18 Antworten auf Justiztechnik und die TKÜ

  1. 1
    Duncan says:

    warum wundert mich nur, dass noch keiner auf die Idee gekommen ist dafür die schönen 5einviertel Zoll-Disketten zu nutzen. Die kann man so praktisch lochen und abheften…

  2. 2
    T.H., RiLG says:

    Für die Ausstattung wäre nicht der Bundes-, sondern der jeweilige Landesjustizminister zuständig.

    Gleichwohl können wir uns darauf einigen, dass Herr Maas als untauglichster BMJ aller Zeiten in die Geschichte eingehen wird.

    • Im BMJ wird zur Zeit (d.h. seit reichlich Jahren!) an der Integration des Stands der Technik (von vor reichliche Jahren?) in die StPO gewerkelt. Dort wäre meiner Ansicht nach auch eine Rahmenregelung für die Länder angebracht, um für bundeseinheitliche Maßstäbe auch in der Vollstreckung zu sorgen. Aber Sie haben Recht: In concreto und im Detail sind dann die Länder für die Umsetzung (und damit z.B. für die zeitgemäße Ausstattung der Knäste) zuständig. crh
  3. 3
    Berliner says:

    Aber wenigstens ein BMJ in schönem Maasanzug.

  4. 4
    Tim says:

    Wieso wäre eine Kopierdauer von 1 Std. pro DVD ein Problem? Da muss man ja nicht die ganze Zeit dabei sitzen, und selbst wenn es der selbe Arbeitsrechner ist, der sollte dadurch im Regelfall nicht ausgelastet sein, so dass nebenbei weiter gearbeitet werden kann.

  5. 5
    Exberde says:

    Warum sind 18 DVD technisch ein gößeres Problem als dieselbe Datenmenge auf einer HDD? Das Problem ist doch, dass es einen Monat dauert, die alle anzuhören, und nicht, dass man 18x eine Minute braucht, um die DVDs zu wechseln.

  6. 6
    ich says:

    Wer solche Reden schwingt, sollte vielleicht wissen, wie der Bundesjustizminister heißt.
    ;-)

    • Ob der der BMJ nun mit „s“ oder „ß“ geschrieben wird, darauf kann’s nun wirklich nicht mehr ankommen. Dennoch Dank für den Hinweis. crh
  7. 7
    Interessierter Mitleser says:

    18 DVDs? Ich bin hier nur interessierter Mitleser ohne praktische Erfahrung im Justizbetrieb. Die technische Seite macht mich bei diesen Zahlen aber neugierig um eine Vorstellung der in diesem Bereich vorhandenen Kompetenz zu bekommen. Kann CRH bitte vielleicht mal die Grössenordnung der auf diesen Datenträgern vorhandenen Gesprächsminuten und auch die tatsächliche Bruttodatenmenge benennen? Ich habe schon jetzt die Ahnung, dass die Antwort bei mir aus irgendeinem Grund ganz sicher ein Gruseln erzeugen wird.

  8. 8
    Böööörnd says:

    @Interessierter Mitleser
    Es wird mit Sicherheit unkomprimiert und in Stereo und 44100 sein. ;)
    Als MP3 in Mono, etc. passt dann alles auf eine Daten-CD.

    Aber das ist geschenkt. Viel schlimmer ist es der Datenmenge Herr zu werden und sie zu verstehen. Dazu 12 Beteiligte und eine fremde Sprache. Egal welche Seite, ob nun Ermittlungsbehörden, StAs, Richter und Verteidiger, darum ist niemand zu beneiden. Den Drang zu einer Verständigung kann ich nur zu gut nachvollziehen.

  9. 9
    Interessierter Mitleser says:

    @Böööörnd: richtig.

    Grusel1: selbst mit dieser absurden CD-Qualitätsvorstellung und der Annahme einer DVD-5 bin ich dann schon bei dreistelligen Stundenzahlen, die noch nicht übersetzt sind (ich hoffe, ich habe keinen Fehler in meiner Überschlagsrechnung)

    Grusel2: Ich kann mich technisch kaum soweit herunter denken, um auf 12h für das Kopieren einer DVD zu kommen. Da muss man sich ja schon in USB 1.0 Zeiten versetzen. Den letzten Rechner mit so einer Schnittstelle habe ich vor über 10 Jahren gebraucht günstig erworben.

  10. 10
    Böööörnd says:

    @Interessierter Mitleser
    Wobei man aber bedenken muss, dass man im Nachgang die Qualität der Aufzeichnungen (von 44100 , Stereo auf 14000, Mono), sowie der Konvertierung ins MP3-Format nicht vornehmen darf, da man damit ein Beweismittel verändert. Es müsste also schon direkt bei der Aufnahme in dieses Format gebracht werden. Das dauert wohl noch eine Generation.
    Die Frage ist nur welche Generation. Die des Menschen oder der Technik. ;)

  11. 11
    BärlinR says:

    Apropos TK:
    Nutzen Sie schon das beA, Herr crh? ;)

  12. 12
    Markus says:

    @BärlinR
    Meine Vermutung: Herr Hoenig ist zwar technikaffin, aber wird wohl eher nicht als erster in den Pool springen, sprich kein Early Adopter sein.

  13. 13
    Waschi says:

    @Böööörnd:
    warum soll es nicht zulässig sein, die Aufnahmen in ein MP3-Format herunterzurechnen? Das ist rechtlich überhaupt kein Problem, zumal die Polizei ja weiterhin die „Original-DVDs“ und/oder die Originaldatenspeicherung beim LKA hätte, wenn ein Verteidiger deshalb Stress machen würde.

  14. 14
    RA Thomas W. says:

    Also das ist vielleicht technisch ein Problem, juristisch aber überhaupt nicht. Mir wurde mit einem Laptop, voll mit Beweismitteln, der Zugang zur JVA verwehrt, weil so böse Technik dort nichts zu suchen habe. Auf meine Beschwerde belehrte mich letztlich das OLG, das beeinträchtige überhaupt nicht die Verteidigungsrechte des Beschuldigten. Denn dieser habe nicht das Recht, die Beweismittel selbst zu sehen. Vielmehr genüge es, wenn der Verteidiger sie sehe und seinem Mandanten vortrage, was er gesehen und gehört habe.

    Maximale Lebensfremdheit an der Grenze zur Verar…… Soll man als Verteidiger 40 Stunden aufgezeichnete Gespräche auswendig lernen und dem Mandanten auf polnisch, russisch oder vietnamesisch vorsingen? Und das ganze für die Verfahrensgebühr VV 4104, 4105 in Höhe von 161,00 Euro? Ja, sagt die Rechtsprechung. Die angebotene Alternative, der Beschuldigte solle doch einen eigenen, nicht internetfähigen Laptop erhalten, damit er auf der Zelle die Daten studieren könne, wurde ebenfalls abgelehnt. Denn auf den DVDs befand sich auch „Kipo“ und das darf der Beschuldigte ja nicht besitzen, auch nicht zu Verteidigungszwecken… Und Laptop auf Zelle geht schon mal gar nicht.

    Ich hätte mit solchen Richtern nur wenig Mitleid, wenn sie infolge eines kleinen Irrtums im Auslandsurlaub einmal festgenommen würden und Richtern ihresgleichen gegenüberständen…

  15. 15
    Silke says:

    @ Berliner:
    :))) , – naja, vielleicht gab es die schicken „Maas-Anzüge“ gleich noch als Zugabe mit dazu von den Sponsoren der gekauften Gespräche mit dem BMJ Maas.
    Frage an RA Thomas W: was ist denn „Kipo“ ?!

  16. 16
    Böööörnd says:

    @Silke
    KiPo => Kinderpornographie

  17. 17
    ich says:

    Denn auf den DVDs befand sich auch „Kipo“ und das darf der Beschuldigte ja nicht besitzen, auch nicht zu Verteidigungszwecken…

    Blödsinn, selbst wenn es sich um etwas verbotenes handelt, was ja noch gar nicht bewiesen ist, dann handelt es sich beim Besitz für 2 Sekunden nicht um tatmehrheitlichen Besitz von 2 x 1 Sekunde. Das Unrecht ist also schlimmstenfalls bereits eingetreten.

    Die DVD in Händen des Verteidigers zu belassen, ist da viel kritischer…

  18. 18
    RA Michael Seidlitz says:

    „44 DVD mit TKÜ-Daten, oder: Die bekommt der Verteidiger dann doch“
    von RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D.

    http://blog.burhoff.de/2016/12/41394/

    KG, Beschluss vom 15.03.2016, (1) 2 StE 14/15-8 (3/15)

    1. Der Angeklagte hat keinen Anspruch auf Überlassung der im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung oder Fahrzeuginnenraumüberwachung aufgezeichneten, amtlich verwahrten Daten zum Zweck der Besichtigung dieser Beweismittel. Die Strafprozessordnung sieht ein solches Recht des Angeklagten nicht vor, außerdem verbietet der Schutz der Grundrechte dritt-betroffener Personen die Herausgabe der Daten.

    2. Grundsätzlich hat auch der Verteidiger keinen Anspruch auf Überlassung dieser Beweisstücke; die Einsichtnahme findet am Ort der amtlichen Verwahrung statt (§ 147 Abs. 4 Satz 1 StPO).

    3. Zu Ausnahmen von dem Verbot, dem Verteidiger die Dateien zu überlassen.

    http://www.burhoff.de/asp_weitere_beschluesse/inhalte/3769.htm