Keine haltlose Verteufelung einer Staatsanwältin

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich noch einmal die defizitären Umgangsformen in der Kommunikation zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft zur Brust genommen.

Am 29. Juni 2016 ging es beim BVerfG unter dem Aktenzeichen 1 BvR 2646/15 um eine Sache, die zuvor vom Kammergericht und Landgericht verhandelt wurde.

Thema war wieder einmal der engagierte Kampf eines Verteidigers um’s Recht einerseits und die Mimosenhaftigkeit einer Staatsanwältin auf der anderen Seite.

Der Verteidiger soll die zuständige Staatsanwältin in einem Telefonat mit einem Journalisten als

„dahergelaufene Staatsanwältin“, „durchgeknallte Staatsanwältin“, „widerwärtige, boshafte, dümmliche Staatsanwältin“, „geisteskranke Staatsanwältin“.

bezeichnet haben. In dem Spannungsfeld zwischen Wertungen und Schmähungen sind dann auch drei Berliner Gerichte (AG, LG, KG) untergegangen.

Mit der August/September-Ausgabe der Online-Zeitschrift HRRS (HöchstRichterliche Rechtsprechung im Strafrecht) unter der Nummer HRRS 2016 Nr. 733 hat Holger Mann die folgenden Leitsätze formuliert, mit denen er die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf den Punkt gebracht hat:

1. Unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen Werturteile sowie Tatsachenbehauptungen, soweit diese zur Bildung von Meinungen beitragen. Geschützt sind nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen; vielmehr darf gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt geäußert werden.

2. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch die Strafvorschriften der §§ 185, 193 StGB gehören. Bei deren Auslegung und Anwendung haben die Fachgerichte den wertsetzenden Gehalt des Grundrechts interpretationsleitend zu berücksichtigen. Dies verlangt grundsätzlich eine auf den Einzelfall bezogene Abwägung zwischen dem Gewicht der Persönlichkeitsbeeinträchtigung einerseits und der Einschränkung der Meinungsfreiheit andererseits.

3. Eine Abwägung ist allerdings regelmäßig entbehrlich, soweit es um herabsetzende Äußerungen geht, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähkritik darstellen. Hiervon darf wegen der für die Meinungsfreiheit einschneidenden Folgen nur in eng begrenzten Ausnahmefällen ausgegangen werden. Auch eine überzogene oder sogar ausfällige Kritik macht eine Äußerung erst dann zur Schmähung, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.

4. Bezeichnet der Verteidiger in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren die zuständige Staatsanwältin gegenüber einem Journalisten ausfallend scharf und in einer ihre Ehre beeinträchtigenden Weise, so kann darauf eine Verurteilung wegen Beleidigung ohne Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht nur gestützt werden, wenn unter Ausschluss anderer Deutungsmöglichkeiten ein fehlender Verfahrensbezug der Äußerungen dargelegt wird.

5. Allerdings ist ein Anwalt grundsätzlich nicht berechtigt, aus Verärgerung über von ihm als falsch angesehene Maßnahmen eines Staatsanwalts diesen – insbesondere gegenüber der Presse – mit Beschimpfungen zu überziehen. Insoweit muss sich im Rahmen der Abwägung grundsätzlich das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen durchsetzen.

Beiden an dieser strafrechtlichen Auseinandersetzung beteiligten Seiten sei gesagt: Mäßigt Euch und legt Euch ein dickeres Fell zu. Was sollen denn die Leute von uns denken?!

Der Streit geht jetzt in die nächste Runde:

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Berlin zurückverwiesen.

… tenorierte das Bundesverfassungsgericht.

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Bild (Ausschnitt: © Thomas Max Müller / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Richter, Staatsanwaltschaft, Strafverteidiger, Verteidigung veröffentlicht.

6 Antworten auf Keine haltlose Verteufelung einer Staatsanwältin

  1. 1
    jj preston says:

    Erinnert mich stark an den Fall Michael Naumann, der den Berliner Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge in einer n-tv-Sendung zum Koks-Fall Michel „Paolo Pinkas“ Friedman als „durchgeknallt“ bezeichnet hatte. Das BVerfG hob die Verurteilung Naumanns zu 9.000 Euro Geldstrafe damals auf.

  2. 2
    Waschi says:

    Die straf- und verfassungsrechtliche Bewertung mal beiseite gestellt: Finden Sie ernsthaft, dass die zitierten Äußerungen noch viel mit dem „engagierte[n] Kampf eines Verteidigers um’s Recht“ zu tun haben?

    Ich würde sagen: Jemand, der verbal dermaßen Amok läuft, kämpft nicht um’s Recht, sondern vor allem mit dem eigenen Ego. Mit Verteidigung hat das schon deshalb nicht mehr viel zu tun, weil es dem eigenen Mandanten zwar vielleicht imponiert, im Ergebnis aber mehr schadet als nützt.

    Man kann sich jetzt vielleicht darüber streiten, ob es Aufgabe des Strafrechts ist, ermittelnde Staatsanwälte vor solchen Äußerungen zu schützen. Wen man aber ganz sicher vor solchen Rechtsanwälten schützen sollte, sind imho. die eigenen Mandanten.

  3. 3
    Schweinske says:

    Ja, sehe ich genauso. Ich bin Jurist und durchaus ein Freund des Rechtsstaats sowie der Meinungsfreiheit. Warum solche Äußerungen aber *erlaubt* sein sollen, erschließt sich mir nichts. Ja, der Kampf ums Recht kann drastische Äußerungen gebieten, zweifelsohne. Aber das da ist doch jenseits dessen. Jedenfalls reicht meine Phantasie nicht aus, um mir einen Sachverhalt vorzustellen, in dem die Überlegung vertretbar ist, daß gerade diese Bemerkungen das Verteidigungsziel fördern.

  4. 4
    bingo2 says:

    Widerwärtig, dümmlich, geisteskrank? Gilt bei Euch Rechtsanwälten denn nicht mal mehr ansatzweise eine Etikette? Derartige Äußerungen empfinde ich einfach als unwürdig.

  5. 5
    alter Jakob says:

    Zugegeben, nett ist das nicht. So wie ich das verstehe war das aber nicht im Gerichtsaal in der Öffentlichkeit, sondern im Gespräch mit einem Journalisten. Dass man bei einer Unterhaltung Auge in Auge (oder Ohr an Ohr) mit Dritten auch skrupelloser vom Leder zieht halte ich für nicht so überraschend allerdings auch nicht für so verwerflich wie es bei manchen Vorpostern der Fall zu sein scheint. In öffentlicher Sitzung wären diese Begriffe sicher problematisch. Bei einem Telefonat das man unter zwei Personen führt und das mutmaßlich nicht für die Ohren der Staatsanwältin gedacht ist, finde ich es nicht strafwürdig.

  6. 6
    Engywuck says:

    @alter_jakob: gerade bei Gesprächen mt Journalisten muss ich in der Regel davon ausgehen, dass der Inhalt (insbesondere auch „saftige Zitate“) an die Öffentlichkeit dringt bzw. weiterverbreitet wird. Dem kann man höchstens entgegenwirken, indem man ein gespräch klar als „Hintergrundgespräch“, „nicht zur Veröffentlichung“ o.ä. deklariert. In den allermeisten Fällen spricht man aber mit Journalisten, um die eigenen Ansichten zu verbreiten…
    Aders sieht dies bei einem Telefonat mit einem (engen) Freund oder dem Ehepartner aus.