Vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) fand 2015 ein Schwurgerichtsverfahren statt, daß u.a. wegen mangelhafter Ermittlungen der zuständigen Mordkommission in der Kritik stand. Das Ergebnis lautete „LL“.
Der 5. Senat des Bundesgerichtshofs hat sich das Verfahren nochmal genauer angeschaut und zumindest das Urteil für richtig erachtet.
Die Pressestelle des Bundesgerichtshofs teilte am 8. April 2016 in der Presseerklärung Nr. 069/2016 mit, daß die Verurteilung u.a. wegen versuchten Mordes im Fall des „Maskenmanns“ durch das Landgericht Frankfurt (Oder) mit Beschluss vom 5. April 2016 – 5 StR 18/16 rechtskräftig geworden sei.
Das Landgericht Frankfurt (Oder) hat einen Dachdecker aus Berlin u.a. wegen versuchten Mordes und wegen erpresserischen Menschenraubes schuldig gesprochen, ihn zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und einem Geschädigten Schmerzensgeld in Höhe von 250.000 € zugesprochen.
Nach den Feststellungen der Schwurgerichtskammer hatte sich der Angeklagte entschlossen, durch die Entführung wohlhabender Opfer Lösegeld in Millionenhöhe zu erpressen. Im Gebiet um den Scharmützelsee hatte der Angeklagte zunächst die Bewohnerin einer Villa in Bad Saarow niedergeschlagen und schwer verletzt. Einige Wochen später hatte er bei dem Versuch, deren Tochter zu entführen, einen Wachmann niedergeschossen, der infolge seiner lebensgefährlichen Verletzungen querschnittsgelähmt ist. Schließlich hatte der Angeklagte in Storkow einen Manager eines Finanzinvestment-Unternehmens zum Zwecke der Lösegelderpressung entführt und ihn auf einer kaum zugänglichen Insel in einem Sumpfgebiet gefesselt festgehalten. Das Opfer hatte sich nach eineinhalb Tagen befreien und fliehen können.
Der 5. (Leipziger) Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die gegen dieses Urteil gerichteten Revisionen des Angeklagten und zweier Nebenklägerinnen entsprechend den Anträgen des Generalbundesanwalts als offensichtlich unbegründet verworfen. Das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) ist damit rechtskräftig.
Diese „offensichtlich-unbegründet-Beschlüsse“ sind unbefriedigend. Ich bin sehr sicher, daß zumindest die Verteidigung des Verurteilten eine qualitativ hochwertige Revisionsbegründung abgeliefert hat. So eine Arbeit dann mit einem „O-U“ und ohne weitere Begründung zu disqualifizieren, trägt den Geruch von Arroganz der Macht. Nicht gut.
Mein Reden! Insbesondere dann, wenn es um die Höchststrafe des deutschen Rechts geht, sollte eine Begründung obligatorisch sein.
Die StPO ist schon lange erheblich renovierungsbedürftig. Aber es ist ja wichtiger, jetzt Kunden von Zwangsprostituierten fünf Jahre in den Knast zu schicken – während der „normale“ Vergewaltiger mit zwei Jahren davonkommt.
Man sollte vielleicht dennoch darauf hinweisen, dass der GBA seine Anträge mit durchaus eingehenden Stellungnahmen versieht, auf die Argumente des Revisionsführers eingeht und teilweise sogar Fragen aufwirft und erörtert, auf die der Revisionsführer gar nicht von selbst gekommen ist.
Da die Anträge allerdings nur im absoluten Ausnahmefall veröffentlicht werden, werden sie in der Außenwirkung quasi nicht wahrgenommen.
Ich kann Gerichte gut verstehen, wenn sie in ‚manchen Einzelfällen‘ ihre Zeit nicht darauf verschwenden wollen, Eulen nach Athen zu tragen, sondern sagen „offensichtlich unbegründet“ (ich wünschte, ich hätte es mir seinerzeit so einfach machen können!):
Nichts gegen Anwälte, aber auch da gibt es eben ‚Einzelfälle‘, die vor Inkompetenz nur so strotzen.
Ich „kämpfte“ 2014 zivilrechtlich gegen so Einen: In jedem Schriftsatz strotzte es nur so vor (offensichtlichen!) sachlichen und rechtlichen Fehlern sowie falsch- oder unbelegten Behauptungen. Es hätte meine Zeit verschwendet, auf jeden Bullshit einzugehen (mein Eindruck: je unsicherer ein Anwalt sich seiner Sache ist, desto länger das Schreiben…).
Das habe ich dem Gericht an den wenigen wichtigen Punkten/Beispielen belegt und begründet und den Fall gewonnen – auch ohne auf jedes Detail einzugehen.
Das einzige PRO-Argument für eine Pflicht zur Begründung ist aus meiner Sicht, dass der Mandant bei einer nicht verklausulierten Begründung sähe, was er für einen Anwalt hat(te). Aber der BGH wird wohl kaum schreiben „abgewiesen wegen sachfremder, inkompetenter Begründung“.
Ich würde vorsichtig tippen, dass mittlerweile die Mehrzahl aller Revisionsverfahren mit einem
OU – Einzeiler endet. Wenn es denn überhaupt einmal ein für den Angeklagten erfolgreiches Revisionsverfahren gibt, dann endet es wahrscheinlich mit einer Reduktion des Strafmaßes, nicht aber mit der Aufhebung des angefochtenen Urteils wegen eines falschen Schuldspruchs.
Oder ?
ME hatte die Verteidigung in dem Fall wohl den Schwerpunkt auf eine eventuelle Sachrüge gestützt, wenn man so die Prozessberichterstattung ansieht.
Als Alternative zu den Presseberichten – und dem vom Tagesspiegel (in Zusammenwirken mit der Verteidigung?) kurz vor Urteilsverkündung aus dem Hut gezauberten Alternativtäter gibt es zum Maskenmann einen recht interessanten Bericht eines Herrn Bisanz, der zwar einige Sachen prozessual nicht richtig einordnen kann, aber einen recht ausführlichen Einbick in das Geschehen in der Hauptverhandlung liefert. U.a. zeigt er auf, wie sich eine Kriminologin (die jetzt in einem Ministerium gelandet ist..), als aussagepsychologische Expertin, als Medizinerin und Kriminalistin gerierte und und eine ordentliche Bauchlandung hinlegte, als ihre „Fachkompetenzen“ sich in Luft auflösten.
Auch eine „qualitativ hochwertige Revisionsbegründung“ kann keine revisiblen Rechtsfehler ins das Urteil hineinzaubern, die der Tatrichter einfach nicht begangen hat. Und dann sollte es auch nicht bloß für das Ego des Verteidigers eine Revisionshauptverhandlung geben müssen.
Ein ou-Beschluß bedeutet zunächst nur, daß der BGH ohne Revisionshauptverhandlung entschieden hat (wie heutzutage fast immer). Ob die Entscheidung tatsächlich ohne Gründe ergangen ist, ist eine zweite Frage und die Pressemitteilung sagt darüber nichts. Ich hoffe jedenfalls, daß eine Begründung kommen wird. Wenn nicht einmal in Fällen wie diesem begründet werden muß, wann dann? Der 5. Strafsenat würde das Ansehen der Justiz in der Öffentlichkeit beschädigen, wenn er bei Verhängung der Höchststrafe, jedenfalls in einem kontroversen Fall wie hier, sich zurückzieht auf „Wir haben eine feste Meinung, behalten aber die Gründe für uns“. Es ist außerdem nicht nur eine „Stilfrage“ sondern auch eine Rechtsfrage. Nach dem 7. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention hat jeder Angeklagte einen Anspruch auf eine zweite Instanz. Und ein Gerichtsverfahren ist mehr als nur eine sorgfältige Sachbearbeiterprüfung: „Not only must Justice be done; it must also be seen to be done.“
@ CRH:
Stimmt zwar durchaus, aber der GBA macht nach meinem Dafürhalten jedenfalls in Revisiionssachen (wo sie mit den Ermittlungen noch nicht einmal ansatzweise etwas zu tun hatten, und wo der Sachbearbeiter im Regelfall keine der am Ausgangsverfahren beteiligten Personen kennt) einen ausgesprochen neutralen und unvoreingenommen Eindruck (was man nicht zuletzt an den nicht gerade seltenen Revisionen der StA, die der GBA nicht vertritt, sieht).
Ich will damit nur sagen: Würde man eine Begründungspflicht für alle Entscheidungen des BGH in Strafsachen einführen, würde das wohl auf das Schema „Der GBA hat in seiner Stellungnahme ausgeführt: – Absatz – [40 Seiten Stellungnahme einrücken] – Absatz – Dem schließt sich der Senat an.“ hinauslaufen.
Hat nicht Richter Fischer ausführlich ind er ZEIT dargelegt, dass das alles rechtsstaatlich unbefriedigend ist, es jedoch aufgrund der sonst zuviel Arbeit hingenommen werden muss? Da war doch was.
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-06/bundesgerichtshof-justiz-fischer-im-recht
Naja, ob das Strafmaß so angemessen ist… Verstehe manchmal auch die OU-Entscheidungen einfach nicht…
Hat aufgrund der fehlenden, da in der StPO nicht vorgesehenen ausführlichen Begründung schon ‚mal jemand beim BVerfG geklagt ? Schließlich dürfte Art. 103, Satz 1 GG verletzt sein, wenn das rechliche Gehör im Wesentlichen darin besteht, dass der Antrag zu den Akten genommen wird.
@JLloyd
BVerfG, Beschluß vom 22.01.1982 – 2 BvR 1506/81
11: im Falle einer Klage / Beschwerde besteht die Wahrscheinlichkeit von über 90 %, dass diese nicht zur Entscheidung angenommen wird , oft ein einzeiliger Beschluss,, manchmal mit einer kurzen Begründung versehen, gefolgt von einem kurzen Statement, dass dieser Beschluss unanfechtbar ist.
Interessant wäre allerdings einmal zu sehen, was der Europäische Gerichtshof machen würde, wenn eine weitere Beschwerde folgt.
@Arne Rathjen (4): Auch wenn tatsächlich „die Mehrzahl aller Revisionsverfahren mit einem OU – Einzeiler endet“ kann dies verschiedene Gründe haben:
– die Revisionsrichter machen sich die Sache einfach (evtl. aus Zeitmangel) und bescheiden einfach alles nicht extrem offensichtliche mit „OU“
– ein gewisser Prozentsatz wird automatisch ohne wirklich gelesen zu werden mit „OU“ beantwortet
oder natürlich
– die Mehrzahl aller Revisionsanträge ist tatsächlich unnötig und wird nur gemacht, weil der Anwalt
— alles versucht, was möglich ist oder
— dem Mandanten nicht sagen will, dass eine Revision erfolglos ist oder gar
— mit einem Revisionsantrag Geld verdient, und er nur deshalb (und dann auch noch schlampig) gestellt wird bzw.
— der Staatsanwalt auf seiner Einschätzung beharrt und bei allen ihm nicht genehmen Urteilen automatisch (wo keine Berufung möglich ist) Revision beantragt
Was nun genau der Fall ist können die „nackten Zahlen“ nicht sagen.
Das ist so ähnlich, wie mit der Zahl der Verurteilungen in Strafverfahren. Winken die Richter alle Anträge der Staatsanwaltschaft einfach durch – oder hat die Staatsanwaltschaft gut ermittelt und bringt nur die Fälle zur Anklage, die auch beweisbar sind? Bzw. bei niedrigen Verurteilungsquoten: sind die Anwälte extrem gut oder bringt die Staatsanwaltschaft einfach alles zur Anklage, was ihr bekannt wird ohne sauber zu ermitteln?
14: die Möglichkeit, Verfahren mit einem Einzeiler schnell zu erledigen, wurde ab den neunziger Jahren weit ausgedehnt. In der NJW etwa wurde dies mit dem Kommentar quittiert, das Bundesverfassungsgericht habe seine Funktion eingebüßt (Redeker). Das Anwaltszimmer im Kammergericht in Berlin wurde geschlossen, weil dort so gut wie keine Berufungsverfahren mehr stattfinden. Fast alle Berufungen werden durch einen Einzeiler erledigt.
Und Ähnliches wird sich sicher im Bereich des Strafprozessrechts abgespielt haben. Mir ist nicht ganz klar, wie hoch die Quote der Einzeiler -Beschlüsse ist.
Dass Revisionen meist nur im Hinblick auf den Strafausspruch, also die Strafhöhe und damit verbundene Maßnahmen Erfolg haben, ist ein relativ alter Hut.
Man sieht also recht deutlich, dass die Befugnisse der Judikative zugunsten der Exekutive massiv beschnitten worden sind, verbunden etwa mit dem Dauerbrenner der Forderung, die Bundeswehr als Polizeitruppe im Inneren einzusetzen.
In diesem Kontext sind dann Einzeiler völlig überflüssig.