Die Gesamtstrafenbildung lebt zu Unrecht ein Schattendasein im Gewächshaus der Strafverteidigung. Wie man seinem Mandanten mit der praktischen Anwendung der §§ 53, 54 StGB unter die Arme greifen kann, zeigt folgender Fall.
Zunächst aber mal ein paar Grundlagen.
Was ist – grob gesagt – eine Gesamtstrafenbildung?
Wenn ein Straftäter zwei Straftaten begeht, die in einem engeren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen, wird aus beiden Strafen eine einzige „gemacht“. Es erfolgt aber keine Addition der beiden Strafen, sondern die höhere der beiden Strafen wird angemessen erhöht.
Variante: Gesamtstrafe mit einer bereits rechtskräftigen Vorstrafe
Am besten erklärt an einem Beispiel.
Der Mandant wird am 01.05.2015 rechtskräftig verurteilt für eine Tat, die er am 01.05.2014 begangen hat; sagen wir mal zu 6 Monaten Freiheitsstrafe.
Dann wird er angeklagt wegen einer Tat, die er am 01.12.2014 begangen hat. In dem nun anstehenden Urteil hält das Gericht im Sommer 2016 nochmal 6 Monate für angemessen.
Aus der alten Geschichte und der neuen Sache wird nun eine Gesamtstrafe gebildet: Statt addiert 12 Monate werden daraus 9 Monate gemacht. Das ist der klassischen Mengenrabatt, den der Gesetzgeber in § 54 StGB gewährt.
Es könnte alles so einfach sein, isses aber nicht.
Mein konkreter Fall: Der Mandant wurde in 1. Instanz zu 6 Monaten ohne Bewährung verurteilt. Dagegen haben wir Berufung eingelegt mit dem Ziel der Strafaussetzung zur Bewährung. Ein Ziel, das mit 10 (sic) einschlägigen Vorstrafen eher nicht zu erreichen war – auch nicht mit dem Spiel auf Zeit.
Zuvor hatte er sich aber schon eine Geldstrafe gefangen: 180 Tagessätze. Davon hatte er aber zwei Drittel (120 Tagessätze) schon bezahlt.
Beide Urteile waren gesamtstrafenfähig.
Mein Antrag
Nachdem in einem Rechtsgespräch geklärt war, daß eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht in Betracht kam, habe ich die Gesamtstrafenbildung beantragt:
6 Monate + 180 Tagessätze = 8 Monate. Eine solchen Mischung ist nach § 54 Abs. 3 StGB möglich. Das Urteil erging entsprechend.
Netto-Ergebnis
Da der Mandant bereits einen Teil der Strafe verbüßt (also einen Teil der Geldstrafe bezahlt) hat, bleiben von den 8 Monaten der Gesamtstrafe nur noch 4 Monate übrig, die er absitzen müßte.
Bonus
Wenn der Mandant jetzt die Zeit bis zur Rechtskraft der Gesamtstrafe bzw. zur Ladung zum Strafantritt nutzt, um noch weiter die Geldstrafe zu bezahlen, kann es ihm gelingen, die Haftzeit auf nur noch 2 Monate zu reduzieren.
Noch ein Versuch
Und wenn man dann immer noch nicht alle Hoffnung fahren läßt, kann man sich für diese Kurzzeithaft noch einen Gnadenantrag einfallen lassen …
Das war mal wieder eine Verteidigung einer Kleinigkeit, die richtig Spaß gemacht hat. Am Ende war selbst der Staatsanwalt von dieser Variante der Strafmaßverteidigung überrascht. Ich aber auch. ;-)
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Bild: © Gabi Schoenemann / pixelio.de
Bei einer Anzahl von Vorstrafen im zweistelligen Bereich dürfe eine ehrliche Erwerbsarbeit nicht leicht zu erlangen sein. Besteht noch eine Chance, zumindest einen Teil der Geldstrafe gegen bspw. gemeinnützige Arbeit zu „tauschen“?
Die Idee „Arbeit statt Strafe“ ist tatsächlich nicht verkehrt. Ich hatte sie wegen gegebener gesundheitlicher Beeinträchtigungen nicht in Erwägung gezogen. Vielleicht beim nächsten Mal …
crh
Würde denn die weitere Zahlung tatsächlich helfen? Vermutlich müsste die Zahlung doch sofort erfolgen und gleichzeitig müsste ein Rechtsmittel gegen die Gesamtstrafe eingelegt werden. Dann könnte ich mir vorstellen, dass die Gesamtstrafe neu zu bilden wäre. Aber nach der Rechtskraft wird doch die weitere Zahlung nicht helfen, da man eine – dann ja ausschließlich im Raum stehende – Freiheitsstrafe ja nicht abbezahlen kann. Oder?
1. Rechtsmittel (Revision) einlegen.
2. Zahlen
3. Rechtsmittel zurücknehmen, Urteil mit der Gesamtstrafe wird rechtskräftig
4. Vollstreckungsplan zur Kenntnis nehmen, ggf. korrigieren
crh
Gute Arbeit! (ohne jegliche Ironie oder so, es ist ihre Aufgabe als Strafverteidiger dafür zur sorgen, dass die Gesetze entsprechend, zum wohle des Mandanten, angewendet werden).
Wenn ich mir das allerdings noch mal so angucke (aus 180 Tagessätzen alt + 6 Monate ohne neu werden 2 Monate ohne, und das bei 10 einschlägigen Vorstrafen), dann denke ich, der Gesetzgeber sollte da vielleicht mal ein bißchen nachbessern. Ich will hier beileibe keine amerikanischen Verhältnisse – aber das ist ja schon fast so (bzw. wenn das Gnadengesuch durchgeht ist es so), dass man aufgrund des Faktes, dass es in kurzem Zeitrahmen die zweite Verurteilung ist (und nicht die erste) quasi einen Joker bekommt, defakto straffrei noch mal eine Straftat zu begehen,
Straftatbestände, die max 1. Jahr Freiheitsstrafe vorsehen, gehören ersatzlos gestrichten, hilfsweise nur mit einer Geldstrafe versehen. Das sind so Sachen wie Schwarzfahren (mit Bus/Bahn oder ohne Fahrerlaubnis). Dann stellen sich solche Probleme, wie Sie und ich beschreiben, erst gar nicht. crh
@WPR_bei_WBS (3)
Naja, aus 180 Tagessätzen und 6 Monaten ohne wurden ja nicht 2 sondern formal 8 Monate ohne. Da aber schon ein Teil der Geldstrafe bezahlt wurde, muss dieser natürlich auch bei der abzusitzenden Reststrafe berücksichtigt werden. Sonst wäre das ja eine Doppelbestrafung (erst zahlen und später nochmal absitzen). Zumal die 2 Monate ja auch nur das aktuell theoretische Minimum sind wenn die Geldstrafe entsprechend weiter abgezahlt wird.
„Straftatbestände, die max 1. Jahr Freiheitsstrafe vorsehen, gehören ersatzlos gestrichten, hilfsweise nur mit einer Geldstrafe versehen. Das sind so Sachen wie Schwarzfahren “
oder auch Hausfriedensbruch, Jugendgefährdende Prostitution, Bedrohung („Wer einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bedroht […]“), Fälschung von Gesundheitszeugnissen, Mißbrauch von Ausweispapieren oder Unterlassene Hilfeleistung.
nicht bei allem würde ich eine Streichung richtig finden.