Optimistischer Dealer

Eine Grundvoraussetzung für den Erfolg eines Strafverteidigers ist der Optimismus. Wer ständig schwarz sieht, verliert in der Summe.

Aber auch Richter sollten Optimisten sein, wenn sie in ihrem Beruf klarkommen wollen. Mit einem solchen Vorsitzenden Richter habe ich es zur Zeit in einer Umfangstrafsache zu tun. Auf der anderen Seite der Theke sitzen neun Angeklagte und 18 Verteidiger.

Rundschreiben
Der Vorsitzende informiert die Verteidiger:

verstaendigung

Einmal mehr wird es also darum gehen, die Überlastung einer Strafkammer beim Landgericht Berlin wegzudealen.

Ob aber bei anderthalb Dutzend Verteidiger keiner auf die Idee kommt, prozeßfördernde Anträge zu formulieren, die vor Verlesung der Anklageschrift oder nie gestellt werden müssen? Ich habe es erlebt, daß die Anklage erst am Abend (sic!) des vierten Hauptverhandlungstermins verlesen werden konnte, weil vorher über allerlei Aussetzungs- und Ablehnungsgesuche entschieden werden mußte.

541683_web_r_by_makrodepecher_pixelio-deAuftakt
Und ob sich dann alle neun Angeklagte auf das Markttreiben einlassen werden, hängt einerseits vom Drohpotential und anderseits vom Angebot der Kammer ab. Perspektivisch sieht das eher nicht danach aus …

Bei so einem Prozeßauftakt wird es wieder sehr deutlich, was die Verständigungsregeln der StPO und die … sagen wir mal: flankierende … Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht anrichten.

Der historische Normalfall
Für die Findung der materiellen Wahrheit im Rahmen des formellen Rechts standen dem Gericht seinerzeit ausreichende Ressourcen zur Verfügung. Der Normalfall war die Beweisaufnahme, in der das Gericht die Tatvorwürfe der Anklageschrift zu bestätigen hatte, wenn sie für eine Verurteilung reichen sollen.

Hilft der Angeklagte dabei mit einem ehrlichen und von Reue getragenen Geständnis, bekam er dafür einen Rabatt: Einen Bonus von – über den dicken Daumen – etwa einem Drittel.

680144_original_r_k_by_stefan-bayer_pixelio-ausschnitt-deDer Normalfall heute
Nun sieht es genau anders herum aus. Die Strafgerichte sind hoffnungslos überlastet. Der Normalfall ist daher der Deal auf der Grundlage eines Geständnisses geworden – die verfahrensbeendende Abrede ist zur Regel geworden. Will der Angeklagte seine Rechte in einem formellen Verfahren durchsetzen und tritt er den Vorwürfen bestreitend entgegen, bekommt er einen Aufschlag: Den Malus von ebenfalls einem Drittel. Wenn es nach der Nase mancher dealsüchtiger Richter ginge, wäre der Malus sogar noch höher; dieser „Sanktionsschere“ haben jedoch die Revisionsgerichte einen Riegel vorgeschoben.

Das Problem der (ganz oder teilweise) falschen Geständnisse, um der Gefahr einer vergleichweise hohen Bestrafung entgegen zu treten, sei hier nur am Rande erwähnt.

Alles wird gut
Insgesamt stehe ich solchen Nachrichten wie der oben zitierten sehr kritisch gegenüber. Als gnadenloser Optimist hoffe ich aber trotzdem, daß am Ende des orientalische Basars doch noch alles gut wird für unseren Mandanten.

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Bild Basar: © Makrodepecher / Bild Überlastung (Ausschnitt): © Stefan Bayer / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Richter, Strafrecht, Strafverteidiger veröffentlicht.

4 Antworten auf Optimistischer Dealer

  1. 1
    Flo says:

    Ist das Ansinnen nicht eigentlich bei 9 Angeklagten direkt zum scheitern verurteilt? Weil ohne das die sich im Rahmen des Deals gegenseitig in die Pfanne hauen, dürfte das doch eigentlich nicht klappen.

    Und wie läuft das im Rahmen der Verhandlung unter den Verteidigern? Guckt jeder das er für seinen Mandanten das Optimum rausholt oder stimmt man sich da auch untereinander ab. Nach dem Motto „wenn deiner die Klappe hält zum Thema X haut meiner ihn nicht rein im Rahmen seiner Einlassung zum Thema Y“

  2. 2
    WPR_bei_WBS says:

    Ich weiß schon, warum ich kein Freund des „Deals“ bin…

  3. 3
    Der wahre T1000 says:

    Wieso wird überhaupt gegen 9 Angeklagte gleichzeitig verhandelt? Wäre es nicht sinnvoller, wenn sich Staatsanwaltschaft und Gericht jeden einzeln vorknöpfen? Das ginge nicht nur einfacher, weil weniger kompliziert, sondern würde sicher dazu führen, dass der eine oder andere Angeklagte Informationen gibt, die in den anderen Prozessen hilfreich wären.

    Was den Rabatt/Malus angeht: das ist sicher nur eine Frage der Perspektive.

  4. 4
    Thorsten says:

    Kann ich überbieten. Beginn mit der Verlesung der Anklageschrift am Ende des 6. Hauptverhandlungstags. :-)