Pappbecher beim Bezirksamt Spandau

219284_original_r_k_b_by_marco-barnebeck_pixelio-de-ausschnittDie Machtfülle eines Mitarbeiters beim Bezirksamt Spandau war Gegenstand einer gerichtlichen Auseinandersetzung beim Amtsgericht Tiergarten.

„Anlaßtat“ war ein aus einem fahrenden Auto geworfener Pappbecher. Das hatte ein Mitarbeiter des Ordnungsamts bemerkt. Zu diesem Kapitaldelikt sollte unser Mandant als Zeuge gehört werden. Das Bezirksamt schickte dem – berufstätigen – Mandanten eine Ladung zum Vernehmungstermin am hellichten Tag im Rathaus.

Wie alle unsere Mandanten (und alle Lesern unserer Sofortmaßnahmen) war auch dieser darüber informiert, daß Ladungen einer Polizeibehörde eher einen Empfehlungs-, jedenfalls keinen verbindlichen Charakter haben.

Anders sieht es aber aus, wenn statt der Polizei- die Ordnungsbehörde zur Vernehmung lädt; die hat nämlich im Bußgeldverfahren eine vergleichbare Stellung wie eine Staatsanwaltschaft. Das war unserem Mandanten noch nicht bekannt.

Kurzum: Der Mandant war nicht bereit, sich wegen eines doofen Pappbechers, der im Fokus eines Ordnungsamtsmitarbeiters mit ausgeprägtem Jagdinstinkt stand, einen Tag Urlaub zu nehmen, um einem offenbar unterbeschäftigten Bezirksamtsmitarbeiter die Langeweile zu vertreiben.

Dieser Mitarbeiter nutzte die freie Zeit dazu, einen Ordnungsgeldbescheid zu erlassen. 100 Euro Bußgeld für’s Nichterscheinen hielt der Beamte für angemessen.

Dabei ist ihm aber eine wesentliche Grundlage des behördlichen Handelns durchgerutscht: Der in unserer Verfassung verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der vermutlich zum Persönlichkeitsprofil dieses Bezirksbeamten gehörende „Das-wollen-wir-doch-mal-sehen“-Grundsatz tritt dahinter zurück.

Das jedenfalls meinte auch das Amtsgericht Tiergarten in einem Beschluß vom 10.11.2015 (361 OWi 1685/15):

Das Ordnungsamt kann grundsätzlich Zeugen laden und im Falle des Nichterscheinens ein Ordnungsgeld festsetzen. Dies ergibt sich aus § 46 Abs. 2 OWiG, wo geregelt ist, dass die Verfolgungsbehörde, soweit nicht durch das OWiG anders bestimmt, im Bußgeldverfahren dieselben Rechte und Pflichten hat wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten.

Es gibt im OWiG keine Regelung, die der Anwendbarkeit des § 161a StPO im Wege stehen würde. Außerdem würde die Regelung des § 46 Abs. 5 OWiG, wonach eine Vorführung des Betroffenen vor die Verwaltungsbehörde durch den Richter beantragt werden kann, keinen Sinn ergeben, wenn nicht bereits grundsätzlich eine solche Erscheinenspflicht bestehen würde.

Allerdings ist durch § 46 Abs. 1 OWiG ebenfalls bestimmt, dass die Vorschriften der Strafprozessordnung nur „sinngemäß“ Anwendung finden . Dies bedeutet eine dem Wesen des Rechts der Ordnungswidrigkeiten angepasste Anwendung, die in besonderer Weise auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rücksicht nehmen muss (KK-OWiG/Lampe, 4. Aufl., § 46, Rn. 2) .

Dem wurde die Verwaltungsbehörde hier – wenngleich dies durch sachfremde Äußerungen des Betroffenen provoziert gewesen sein mag – nicht gerecht. Der Wurf eines Pappbechers aus einem Auto rechtfertigt nicht die Vorladung eines Zeugen und die anschließende Sanktionierung des Nichterscheinens mit einem Ordnungsgeld.

Was ich noch zu sagen hätte: Pappbecher beim Bezirksamt Spandau und seinen dortigen Mitarbeitern haben nichts zu tun mit Pappnasen.

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Bild (Ausschnitt): © Marco Barnebeck / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Behörden, Ordnungswidrigkeitenrecht, Zeugen veröffentlicht.

9 Antworten auf Pappbecher beim Bezirksamt Spandau

  1. 1

    Vielen Dank für diesen spannenden Bericht.
    Mir drängen sich im Anschluss drei essentielle Fragen auf:
    1. Der Beschluss wurde vor ca. einem Jahr gefasst. Was ist aus dem Pappbecherverbrecher geworden, der originär für die konsekutive amtliche Eskalation verantwortlich zeichnete?

    • Der Schwerstkriminelle konnte wegen der fehlenden Zeugenaussage – sehr zum Leid einiger Spandauer Pappnasen – nicht überführt werden. Der Pappbecher wurde zwischenzeitlich der Abfallwirtschaft zugeführt. crh

    2. Ebenso spannend ist die Frage, wo die ungefähren Grenzen „sachfremder Äußerungen des Betroffenen“ liegen. Man(n) möchte im Leben keine redundanten sanktionsfähigen Verbalverbrechen begehen, aber auch nicht als Pussy-Cat in Erinnerung bleiben, vor allem wenn eine weibliche Begleitung in auditiver Nähe verweilt.

    • Es kommt auf die Durchblutung der Pappnase und – ganz besonders – den dahinter/darüber liegenden Arealen des Gesprächspartners an. Versuch macht kluch. crh

    3. Wer hat letztendlich den mathematischen Lösungsweg (Rechnung) respektive das finanzgrafische Musikzeichen (Honorarnote) – im Sinne einer rechnungswesentlichen Last bzw. eines Pekuniärobligo – als rechnungswesentlicher Endverbraucher (der/die Letzte, den/die die Hund beissen) getragen?

    • Geld ist nicht alles! Es geht um Gerechtigkeit. Und um das Prinzip. crh
  2. 2
    Spandauer says:

    Abgesehen vom Spandau-Bashing.

    • Sind wir heute ein wenig übersensibel? Sind Sie etwa der Clown mit der Pappnase, oder was stört Sie an dem Bericht über einen übergriffigen BA-Bediensteten? crh

    der im Focus eines Ordnungsamtsmitarbeiters mit ausgeprägtem Jagdinstinkt stand

    Der „Focus“ ist entweder von Ford, ein Magazin oder Latein. Der „Fokus“ wäre jedoch der Brennpunkt der Aufmerksamkeit.

    • Danke. Repariert. crh
  3. 3
    BV says:

    Urlaub hätte er aber wohl nicht nehmen müssen. Der Arbeitgeber hätte ihn für die Zeit der Vernehmung freistellen müssen und er hätte einen etwaigen Verdienstausfall nach dem JVEG geltend machen können.

    • Ja klar. Auch noch den Arbeitgeber mit diesem Mist behelligen. Und das alles wegen eines Pappbechers, der einem Ordnungsbeamten vor die Füße gefallen ist. Irgendwas scheint auch mit Ihrem Gefühl für die Relationen durcheinandergeraten zu sein. crh
  4. 4
    WPR_bei_WBS says:

    @BV:

    Ist der Lohnausfall nicht gedeckelt?

  5. 5
    Zwerg says:

    Ich verstehe, dass Sie sich über die Entscheidung freuen. Allerdings ist sie – unabhängig davon, ob sie richtig oder falsch ist – ziemlich schlampig begründet. Das ist schade, weil, ich glaube das sehen Sie auch so, eine schlampige Begründung doch immer Zweifel aufkommen lässt, ob der Richter wohl richtig nachgedacht hat.

    … Dem (besondere Rücksichtnahme auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil es nur um eine Owi geht) wurde die Verwaltungsbehörde hier … nicht gerecht. Der Wurf eines Pappbechers aus einem Auto rechtfertigt nicht die Vorladung eines Zeugen und die anschließende Sanktionierung des Nichterscheinens mit einem Ordnungsgeld. …

    Ernsthaft? 1. Das ist keine Begründung. 2. Eine Owi rechtfertigt schon nicht die Vorladung eines Zeugen, weil schon das unverhältnismäßig sein soll?
    Es wäre schön, wenn der Beschluss noch ein wenig weiter gehen würde und eine Begründungen enthalten würde.

  6. 6
    Silke says:

    Eine köstliche Geschichte von RA Hönig! das wäre ja glatt etwas für die „heute-Show“ (beste Satiresendung im dt. TV).
    was mich allerdings wundert: woher wusste denn der Ordnungsamtmitarbeiter den Namen Ihres Mandanten?denn wenn der eine Ladung geschickt bekommen hat, muss ja das Amt seinen Namen gekannt haben? Wurden sämliche im Tatbereich (Pappbecher-Wurf) befindliche Personen sofort nach den Personalien befragt?! vielleicht auch gleich noch erkennungsdienstlich behandelt…?!
    jedenfalls: dieses „Ordnungsgeld“ von 100 Euro verstößt wohl nicht nur gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sondern auch gegen das Willkürverbot – Art. 3 GG

  7. 7
    Tobias says:

    Mir als Laien (ohne Rechtschutzversicherung) ist noch nicht ganz klar, wie man sich denn in einer ähnlichen Situation verhalten sollte:

    – nicht erscheinen und auf einen verständigen Richter hoffen, oder
    – einen Anwalt beauftragen mitzuteilen, man würde nicht aussagen und könne sich den Termin daher sparen, und gleichzeitig hoffen, dass die Anwaltskosten geringer sind als 100€ Bußgeld fürs Nichterscheinen, oder
    – Spandau meiden?

  8. 8
    Stanislaus says:

    Wenn der Rechtsstaat auch hier kapituliert, ist es wenig verwunderlich, dass erstens Berlin so dreckig ist und zweitens jeder Zweite heute denkt er könne machen was er will, weil sein Fehlverhalten ohnehin keine Konsequenzen hat.

    Wenn Ihr Mandant Anstand besessen hätte, hätte er den Namen des Fahrzeugführers (also vermutlich seinen eigenen Namen) in seiner (sicherlich zuvor erfolgten schriftlichen Anhörung) preisgegeben und fertig. Einfach mal für den Mist den man macht gerade stehen!

    Schade nur, dass heute niemand mehr Verantwortung für sein Handeln übernimmt, sondern lieber zum Anwalt rennt und dann leider auch noch damit durch kommt, weil viele Richter einfach keinen Bock auf Konflikte haben.

    Ich kann hier jedenfalls in keinster Weise erkennen wieso hier ein Missverhältnis vorliegen sollte. Um den Pappbecher geht es hier in der Sache nämlich nicht mehr sondern um die Weigerung eines Zeugen seinen Pflichten nachzukommen, also mittelbar um die Funktionsfähigkeit des Staates.

    [Den überflüssigen Teil des Kommentars habe ich gelöscht. crh]

  9. 9
    BV says:

    @ crh, Kommentar zu #3:
    Es ging mir gar nicht um Relationen, sondern allein um die rein rechtliche Feststellung. Dem Arbeitgeber muss man ja nicht zwingend erzählen, worum es geht. Außerdem ist das immer noch besser, als wenn die Verwaltungsbehörde auf die Idee einer Vorführung kommt und der Zeuge sich dann morgens mit zweifelhafter Begründung abmelden muss oder er sogar von der Arbeit abgeholt wird ;-)

    @ WPR_bei_WBS, #4:
    Ja, auf 21 EUR pro Stunde (§ 22 JVEG).