Verräterische Akteneinsicht

Der Mandant hatte uns vor einiger Zeit bereits mit seiner Verteidigung beauftragt. Nun ist endlich die Ermittlungsakte gekommen. Es sind ein paar dicke Aktenbände, aber immer noch überschaubar. Jedenfall für einen einigermaßen routinierten Strafverteidiger in Wirtschaftssachen.

Unter anderem enthielt das Aktenkonvolut auch einen mehr oder minder aktuellen Auzug aus dem Bundeszentralregister. Dort werden nicht nur die Vorstrafen notiert, sondern das BZR beinhaltet auch ein paar andere wertvolle Informationen.

bzr-hb
Den roten Zettel (Szenejargon für Haftbefehl) hatte die Staatsanwaltschaft aus den Akten entfernt, ebenso wie alles weitere, was auf ihn hinweisen könnte. Nur den Registerauszug hat man vergessen.

Noch einmal die Frage in die Runde: Was mache ich jetzt damit?

Soll oder darf der Strafverteidiger seinen Mandanten warnen?


     

 

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Was passiert eigentlich dem Strafverteidiger, der seinen Mandanten auf den Haftbefehl hinweist, und dieser dann wirklich abhaut?

Dieser Beitrag wurde unter Strafverteidiger veröffentlicht.

23 Antworten auf Verräterische Akteneinsicht

  1. 1
    vb says:

    Dem Mandanten ist natürlich einsicht in seine Akte zu gewähren. Dass man den gelben Postit vergessen hat…
    Da hat man auch direkt die Möglichkeit die Möglichkeiten und Konsequenzen aufzuzeigen.

    Anders rum, Vorsätzlich den Mandanten falsch zu informieren? Berufsethik / Strafbar?

    By the way: Wieso hat der Trottel nicht bezahlt…

    Wie ist das eigendlich wenn die Sta vorsätzlich eine unvollständige Akte verschickt? Darf die das?

    Ein nichtjurist

  2. 2
    Alles wurscht says:

    Ich würde auch sagen, dass man dem Mandanten die Akte zugänglich macht und dabei sicherstellt, dass er gewisse Seiten mit erhöhter Aufmerksamkeit sich anschaut.

    Alles andere liegt dann in der Hand vom Mandanten.

  3. 3
    mojito says:

    Wieder mal das Spannungsfeld zwischen dem Auftrag des Verteidigers, den Interessen seines Mandanten bestmöglich zu dienen, und § 258 StGB. Ich würde auf den HB nicht explizit hinweisen, aber ich mache glücklicherweise auch kein Strafrecht. Wobei die interessante Frage ist, ob der Verteidiger den erforderlichen direkten Vorsatz hat oder nicht. Schwieriges Dilemma.

  4. 4
    vb says:

    @MOJITO

    dem Verteidiger darf doch auch durch die Lappen gehen was der Sta entgeht.

    Das der Mandant dass dann entdeckt kann ja sein.

  5. 5
    docmw says:

    @vb: Diese Argumentation dürfte mit dem Blogeintrag ausgeschlossen sein.

    Im Übrigen ist die Information über den HB wegen der Vorerkenntnisse doch wohl nicht zur Verteidigung in der neuen Sache erforderlich. Daher jedenfalls mal keine Pflicht zur Weitergabe der Information aus dem Mandatsverhältnis. Dazu auch: http://www.burhoff.de/veroeff/aufsatz/zap_f22_s345ff.htm#IV4

  6. 6
    RA Jörg Jendricke says:

    Klarer Fall: Verpflichtung des Verteidiger den Mandanten über den Haftbefehl zu informieren. Das ist never ever § 258 StGB. Aber natürlich nicht zur Flucht raten.

  7. 7
    mojito says:

    @RA Hendricke:

    Gegen Sie besteht Haftbefehl. Bleiben Sie aber bitte hier.

    Irgendwie unrealistisch, Herr Kollege ;-)

  8. 8
    Denny Crane says:

    Seit wann muß ich denn die Akte lesen, bevor ich sie für den Mandanten kopiere? Häufig lautet der (vorläufige) Auftrag doch nur: „Besorgen Sie mir einen Aktenauszug“. Wenn da zufällig etwas drin steht, was der Mandant vielleicht nicht wissen sollte, ist das doch nicht mein Problem. Und wenn mir dann jemand den für § 258 StGB erforderlichen dolus directus 1. oder 2. Grades unterstellen will und mir nicht abnimmt, daß ich die Akte vor der Weitergabe nicht gelesen habe, darf ich doch mal die Gegenfrage stellen, weshalb der staatsanwaltiche oder richterliche Sachbearbeiter dies vor der Versendung offenbar auch nicht getan hat… Anderenfalls er/sie die kritischen Blätter doch sicher ausgeheftet hätte.

  9. 9
    meine5cent says:

    Nachdem es ohnehin ein Vollstreckungshaftbefehl ist, dürfte der Mandant doch zumindest eine gewisse Ahnung davon haben, was ihm dräut, falls er schon vom Bewährungswiderruf erfahren hat oder von der Ladung zum Strafantritt (Bzr Nr. 2) oder falls er weiß, dass er die Geldstrafe nicht bezahlt hat und ggf. eine Ersatzfreiheitsstrafe aus BZR Nr. 1 im Raum steht.

  10. 10
    Non Nomen says:

    RA Jörg Jendricke sagt:
    13. Oktober 2016 um 12:57

    Klarer Fall: Verpflichtung des Verteidiger den Mandanten über den Haftbefehl zu informieren. Das ist never ever § 258 StGB. Aber natürlich nicht zur Flucht raten.

    Mein lieber Mandant, hier ist erstmal meine Vorschussrechnung. Bitte seien Sie so vorausschauend, dass ich Sie erreichen kann, sofern Sie sich entschließen, sich aus gewissem Anlass (siehe Blatt x der Akten) an den Rand unseres Raum-Zeit-Kontinuums zu begeben. Halten sie andernfalls stets ihr Luftschutzgepäck griffbereit. Man geht nicht mehr „ohne“.

  11. 11
    maaaaax says:

    Anrufen bei der StA, nachfragen, ob der Haftbefehl noch besteht, weil man ja nachmittags einen Termin mit dem Mandanten hat und das direkt mit ihm in der Kanzlei besprechen/klären werde.

    • Den eigenen Mandanten zu verraten und ans Messer zu liefern, ist wohl die ferkelige Idee eines Kommentatoren, der sich sich mit dem anwaltlichen Berufsrecht und Ethos nicht auskennt. crh
  12. 12
    K75 S says:

    Hm … wenn verraten nicht, dann Mandant traurig,
    wenn verraten doch, dann Staatsanwalt traurig.

    Am besten man fragt in einem auch dem Mandanten zugängliche Bereich – z.B. einer öffentlichen Pinnwand – wie man sich denn nun am Besten verhalten möge. Mit etwas Glück geht die Kenntnisnahme durch den Mandanten dann als Kollateralschaden durch. XD

  13. 13
    mojito says:

    @crh:

    Vielleicht fragen Sie ja mal Richter K., der weiß sicher was da zu tun ist ;-))

  14. 14
    riag says:

    Wenn die Staatsanwaltschaft freiwillig, wenn vielleicht auch versehentlich, die Informationen über den Haftbefehl weiter gibt, könnte man der StA unterstellen, dass sie eine „Gefährdung des Untersuchungszwecks“ verneint.
    Bei dieser Auslegung hällt sich das moralische Dilemma in Grenzen…

  15. 15
    Oliver Hansen says:

    Also ich würde dem Mandanten nichts sagen, aber ihn auf den Blog seines Verteidigers hinweisen… (Herr xy, haben Sie eigentlisch schonmal meinen Blog gelesen? Gerade heute ein interessanter Beitrag…“ , vielleicht erkennt er sich ja wieder… „geb. am xx.xx.1987“ und die entsprechenden Strafen…

  16. 16
    RA Meier says:

    Ob es wirklich ein besonders kluger anwaltlicher Rat wäre – ob explizit oder unausgesprochen – , sich wegen der drohenden Vollstreckung einer einjährigen (!) Freiheitsstrafe auf die Flucht zu begeben, ist füglich zu bezweifeln.

  17. 17
    A. C., KR says:

    Ein sehr schmaler Grat. Aber u. a. das KG (NStZ 1983, 556) und der BGH (NJW 1980, 64) fanden die Weitergabe (jedweder Form) vor längerer Zeit mal strafwürdig. Dass u. a. das OLG Hamburg das (zumindest teilweise) anders sieht, wird uns CRH bestimmt noch erzählen :)

  18. 18
    Knoffel says:

    Selbstverständlich darüber informieren und beraten, darüber gibt es doch gar keine Diskussion. Der § 258 StGB ist hier so weit entfernt wie die Erde von VY Canis Majoris, das hat doch nichts mit Strafvereitelung zu tun.

  19. 19
    JWD says:

    Mandanten vielleicht wie folgt ansprechen:

    „Lieber Mandant, wie Sie aus der Akteneinsicht ersehen konnten, gibt es da ja noch den Haftbefehl gegen Sie. Wir sollten uns darüber alsbald mal unterhalten. Wann passt es Ihnen, vormittags oder besser nachmittags…“

    Ein Anwalt ohne Motiv für das Handeln ist wie ein Lottoschein ohne Quittung – wertlos!
    §258 StGB will auch schon den Versuch einer Strafvereitelung unter Strafe stellen – ist ein echtes Argument für jeden, der diesen Versuch begehen will. Doch „unser“ Anwalt will nicht etwas versuchen und schon gar nicht einen solchen Versuch starten. Er will aber mit seinem Mandanten über dieses „Problem“ sprechen. Und das darf er ohne jede Konsequenz, es sei denn, er würde seinem Mandanten raten, sofort das Weite zu suchen…

  20. 20
    Subsumtionsautomat says:

    Das Verfahren mit dem Haftbefehl hat ein Aktenzeichen aus /14, ebenso wie das erste Verfahren mit der Geldstrafe von 40 Tagessätzen. Der Vollstreckungshaftbefehl dürfte sich also auf diese Geldstrafe bzw. die entsprechende Ersatzfreiheitsstrafe von 40 Tagen beziehen. Der Mandant sollte diese also schnellstmöglich vollständig zahlen oder man versucht, mit der Staatsanwaltschaft eine Ratenzahlung zu vereinbaren gegen Aufhebung des Haftbefehls. Wegen 40 Tagen Haft zu fliehen oder unterzutauchen wäre mehr als dumm, zumal das schnell dazu führen könnte, dass der Mandant auch im aktuellen Verfahren in Untersuchungshaft landet.

  21. 21
    Lumpia says:

    Irgend Etwas stimmt hier nicht. Der Haftbefehl gehört zu einem anderen Verfahren als dem, zu welchem Sie die Akteneinsicht erhalten haben. Das ergibt sich doch schon aus dem Register Auszug. Wenn dem aber so ist, dann hat doch die Staatsanwaltschaft keinen roten Zettel aus der Akte entfernt – denn der Haftbefehl ist in der von Ihnen angeforderten Akten doch gar nicht enthalten. Außerdem würde soetwas doch sowieso auffallen. Warum also behaupten sie das? Und die von Ihnen aufgeworfene Frage ist damit doch auch eine ganz andere. Sind Sie verpflichtet ihren Mandanten über Umstände aus einem Verfahren aufzuklären, in welchem sie offensichtlich nicht als Verteidiger für ihn tätig sind?

  22. 22
    Rolf Schälike says:

    Meeschenrechtlich gesehen dürfte ein Krimineller das Recht haben zu wissen, dass er mit Haftbefehl gesucht wird, genauso wie der Staat das Recht hat, diesen zu suchen.

  23. 23
    WPR_bei_WBS says:

    Wie soll sich der Mandant denn bitte stellen können, wenn er garnicht darauf hingewiesen wird, dass er einrücken muß? Er scheints ja bis dato nicht mitbekommen zu haben.

    Weirterhin würde ich von meinem Anwalt dann auch erwarten, mich über das weitere Vorgehen zu beraten. Ich packe ja lieber emin Täschchen mit meiner Zahnbürste und bezahle schnell noch die ein oder andere rechnung, anstatt irgendwann nachts bei einer Kontroller auf der AUtobahn eingeckerkert und zwei Wochen per Verschubung durch die Gegend kutschiert zu werden.
    (bzw, wenn ich sehe was Subsumtionsautomat sagt, möchte ich darüber beraten werden, dass ich vielleicht meine Luxusausgaben etwas einschränke und stattdessen schnell mal die restliche STrafe zahle).

    @ Lumpia: Da so ein Haftbefehl bzw. das derzeitige sich auf der „Flucht“ befinden natürlich auch Auswirkungen auf das aktuelle Verfahren haben kann, gehört soetwas selbstverständlich zur Beratung.