Das Vertrauen ins aktive Nichtstun

Die Mandantin wurde beschuldigt, sich bei der Finanzierung eines Immobilienkaufs unredlich verhalten zu haben. Erst von den Käufern – zwei Polizeibeamte – und dann von der Staatsanwaltschaft.

Das Ermittlungsverfahren ging los im Jahr 2011, der Finanzierungsvertrag mit einem Volumen von knapp 300.000 Euro wurde in 2009 geschlossen.

Das Szenario war für die Mandantin existenzbedrohend, und zwar nachhaltig. Ein Schwerpunkt der Verteidigung bestand also auch in dem Bemühen, die besorgte Mandantin zu beruhigen. Sie unterstützte den Verteidiger mit ausführlichen Stellungnahmen zu der umfangreichen Ermittlungsakte und lieferte reichlich Material, mit dem sie sich den Vorwürfen entgegen stellte.

Und was macht der Verteidiger? Nichts!

Die Empfehlung des Verteidigers – und zwar nach genauer Analyse des Akteninhalts – lautete: Schweigen zu den Tatvorwürfen. Die Standard-Erläuterung:

  • Es ist Aufgabe der Ermittlungsbehörde, der Beschuldigten nachzuweisen, daß sie die ihr zur Last gelegte Tat begangen hat.
  • Es ist nicht Aufgabe der Verteidigung nachzuweisen, daß die Beschuldigten die ihr zur Last gelegte Tat nicht begangen hat.

Jede Einlassung, jede Rechtfertigung und jede Stellungnahme hätte die Staatsanwaltschaft veranlaßt, weitere Ermittlungen zu führen, weitere Zeugen zu hören und weiteres Beweismaterial zu sammeln. Wenn aber bereits nach Aktenlage feststeht, daß der Tatnachweis nicht erbracht werden kann, sind weitere Ermittlungen nicht nur überflüssig, sondern eher gefährlich aus Sicht der Verteidigung. In dieser Konstellation ist es ausgesprochen sinnvoll und notwendig, eine Verteidigung durch Schweigen zu führen.

Das fordert von der Mandantin ein unbedingtes Vertrauen in die Arbeit und das Beurteilungsvermögen des Verteidigers. Der Verteidiger übernimmt in so einer Situation eine gewaltige Verantwortung. Für beide ist das Verfahren also eine spannende Geschichte.

Bis zum Eintreffen dieser erlösenden Mitteilung der Staatsanwaltschaft:

Für ein Verfahren, das sich über fast sechs Jahre hingezogen hat, ist diese Einstellungsnachricht zwar erfreulich, aber dennoch unbefriedigend. Und weil die Staatsanwaltschaften in aller Regel so wortkarg sind, wenn sie ein Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO einstellen (müssen), gibt es in unserer Kanzlei einen Textbaustein namens „88ristbv“:

ich nehme Bezug auf die Einstellungsnachricht vom [$DATUM] und beantrage unter Hinweis auf Ziffer 88 RiStBV, der Verteidigung ausführlich und im gebotenen Umfange die Gründe der Einstellung mitzuteilen.

Das führt dann in den meisten Fällen zu einer Erläuterung, die manchmal werthaltig ist, ein anderes Mal eher ein rhetorisches Nullsummenspiel darstellt. Im vorliegenden Fall war sie ausführlich genug und begann mit einer – insbesondere den Verteidiger beruhigenden ;-) – Bestätigung, daß die Verteidigungsstrategie richtig war:

Die weiteren Gründe entsprachen der Aktenanalyse, die der Verteidiger der Mandantin bereits nach der Akteneinsicht mitgeteilt hat. Der zwischenzeitliche Eintritt der Verjährung ist dann auch der endgültige Abschluß des Verfahrens.

Die Mandantin hat sich bedankt und wundert sich nun nicht mehr, daß ein Verteidiger auch dann aktiv kann, wenn er nichts tut.

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Bild (Hund): © kiramain / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Staatsanwaltschaft, Strafverteidiger, Wirtschaftsstrafrecht veröffentlicht.

10 Antworten auf Das Vertrauen ins aktive Nichtstun

  1. 1
    RA SG says:

    „So viel Geld für s Nichtstun!“ *Ironiemodus aus*

  2. 2
    Gerd says:

    Eine Frage, was heißt hier „unredlich verhalten“? Und das bei der Finanzierung?

    • Sorry, aber dieses Weblog ist nur für Leser, die zum Einen das Wesentliche in den Beiträgen erfassen können, und zum anderen hinsichtlich des Unwesentlichen über ein gewisses Maß an Phantasie verfügen. Sie gehören nicht zur Zielgruppe. crh
  3. 3
    WPR_bei_WBS says:

    Und trotzdem muss die unschuldige Mandantin für die Anwaltskosten aufkommen, und nicht der Staat…

  4. 4
    schmidt123 says:

    @WPR_bei_WBS

    Da „der Staat“ wir alle sind, bin auch ich Teil des Staates. Warum soll ich für einen Teil der Kosten aufkommen?

  5. 5
    BrainBug2 says:

    @Schmidt123: Weil ein durch 80 Millionen geteiltes Leid nur noch zu einem 80-Millionstel schwer wiegt. Und weil es für Sie kein Problem ist, wenn Sie ein 80-Millionstel Ihres Vermögen für eine zu Unrecht Beschuldigte „spenden“?

  6. 6
    Daarin says:

    „Die Mandantin hat sich bedankt und wundert sich nun nicht mehr, daß ein Verteidiger auch dann aktiv kann, wenn er nichts tut.“

    Kommt der zitierte Satz nur mir holprig vor oder vermissen sie ein „sein“?

    sein <–

  7. 7
    Phillipp says:

    Weil – nach der Logik – ja auch DU gegen die unschuldige Dame ermittelt hast, ohne ihr etwas nachweisen zu können. Dann solltest Du ihr auch den dadurch entstandenen Schaden ersetzen, mindestens finanziell (und man darf den emotionalen nicht vergessen, wer schon einmal Beschuldigter im Strafverfahren war, weiß, wie viel Schlaf das kostet).

  8. 8
    Miraculix says:

    Ich hätte mir gewünscht, mein Anwalt hätte so gehandelt.

    Jede Einlassung, jede Rechtfertigung und jede Stellungnahme hätte die Staatsanwaltschaft veranlaßt, weitere Ermittlungen zu führen, weitere Zeugen
    zu hören und weiteres Beweismaterial zu sammeln.

    Genau so ist es gekommen. Wobei die Beamten welche die Zeugen nochmals verhörten so viel Druck ausgeübt haben, daß die gewünschten Aussagen ins Protokoll kamen. Hat am Ende zwar nicht funktioniert, aber mir wäre viel Zeit und Ärger erspart geblieben.

  9. 9
    Nero says:

    Ich mag ja auch ein @Gerd ehrenhalber sein und nicht zur Zielgruppe gehören, aber gehörten die beiden Polizeibeamten wirklich zu den Käufern und nicht eher zu den Verkäufern?

  10. 10
    Tom Ziegler says:

    Ganz interessanter Fall. Habe nie gedacht, dass Nichtstun auch bezahlt werden kann… Das einzige, was ich nicht verstehe: warum das Verfahren 6 Jahre erfolgte?