Die Kugel der Richterin

Es ist ein Verfahren, das seinen Anfang in einer Denunziation hatte. Eine ehemalige Mitarbeiterin teilte einer überforderten Staatsanwältin Details aus dem früheren Beschäftigungsverhältnis mit. Das war zum einen die Retourkutsche für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Und andererseits erhoffte sich die Anscheißerin den Rabatt des § 46b StGB. Denn auch sie war Beschuldigte in einem Strafverfahren. Dementsprechend war die Qualität der Strafanzeige.

Das war im Jahr 2011. Die Ermittlungen zogen sich hin. Und irgendwann im Januar 2016 gelang es dieser Staatsanwältin endlich, die Anklageschrift fertig zu stellen. Oder das, was sie als Anklageschrift bezeichnete. Kompetente Strafjuristen bedauerten das Papier, das der Staatsanwältin hilflos ausgesetzt war.

Naja, die Anklage wurde trotz anwaltlicher Gegenwehr zugelassen, und zwar zum erweiterten Schöffengericht (§ 29 GVG). Auch die Anträge der Verteidigung auf Nichtverlesung der Anklageschrift waren nicht erfolgreich.

Aber so richtig gute Laune hat das Werk der Staatsanwältin auch beim Gericht nicht verbreitet. Jedenfalls schlug der Richter (!) coram publico vor, das Verfahren gegen beide Angeklagten nach § 153a StPO einzustellen.

Erleichterung auf seiten der Verteidigung, die sich diesem Vorschlag sofort anschloß. Allein die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, eine Frau in sehr jungen Jahren, meinte (nicht: „argumentierte“!), das Verfahren durchziehen zu müssen. Alles gutes Zureden nützte nichts, die wenig erfahrene Strafverfolgerin blieb stur wie tausend Rinder.

Und dann nahm – aus Sicht des Richters – das Elend seinen Lauf: Die Angeklagten verteidigten sich nicht nur durch Schweigen, sondern auch durch aktive Gestaltung der Beweisaufnahme.

Es war aber nicht der komplizierte Sachverhalt aus dem Sozialversicherungsrecht, der dem Gericht (und vorher schon dieser Staatsanwältin) die Sorgenfalten auf die Stirn riefen. Die häßlich penetranten Beweisanträge der Verteidigung nahm der Vorsitzende auch noch routiniert entgegen. Sogar die intensive Befragung der Zeugen, die den richterlichen Terminsplan  zum Explodieren brachte, führte nicht zum Kentern.

Sondern die Kugel der beisitzenden Richterin, die die aufmerksamen Verteidiger bereits beim ersten Aufruf der Sache bemerkt hatten, stellte den Richter vor ein Fristenproblem.

Keiner der männlichen Verteidiger hat sich – aus naheliegenden, hochrisikobehafteten Gründen – getraut, direkt nach der Ursache des Dickbauchs zu fragen.

Aber die sachverständigen weiblichen Angeklagten hatten die Sache im Griff die Kugel im Blick. Und sie wagten eine erste, wenn auch vage Prognose: Lange könne es nicht mehr dauern bis zur Niederkunft.

Der stets optimistische Richter ist bei der Terminierung noch davon ausgegangen, das Verfahren in drei Terminen noch vor Beginn des Mutterschutzes (§ 3 Abs. 2 MuSchG) zuende zu bringen.

Da sich die Staatsanwaltschaft aber querstellte und die Verteidigung engagiert betrieben wurde, war absehbar, daß auch die Frist des § 6 Abs. 1 S. 1 MuSchG gerissen wird. Danach dürfen Mütter bis zum Ablauf von acht Wochen nach der Entbindung nicht beschäftigt werden. Dieses Verbot beinhaltet, daß die Beschäftigung innerhalb der Frist zwingend verboten ist, eine Einwilligung der beisitzenden Richterin ändert an dem absoluten Arbeitsverbot nichts. Einmal abgesehen von möglichen Komplikationen, die eine Schwangerschaft und Geburt mit sich bringen können.

Der Vorsitzende Richter tat das einzig Richtige: Er zog die Reißleine und das Gericht beschloß:

Nun kann noch einmal in aller Ruhe und außerhalb der Hauptverhandlung nach einer Einigung gesucht werden. Findet die sich nicht, geht das Ganze wieder von vorne los … nach der Präsenzfeststellung mit dem Antrag auf Nichtverlesung der mangelhaften Anklageschrift, schweigenden Angeklagten, engagierten Beweisanträgen und mit Zeugen, die sich auf ihr Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO berufen werden.

Man hat es halt nicht leicht als Richter …

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Bild: © Jutta Wieland / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Richter, Staatsanwaltschaft, Strafverteidiger veröffentlicht.

6 Antworten auf Die Kugel der Richterin

  1. 1
    Malte says:

    Amüsanter (oder eher trauriger) Sachverhalt, aber warum so eher negativ konnotierte Begriffe wie „Dickbauch“ oder „Kugel“? Liest sich ein bisschen wie die Gespräche unter älteren Männern in der Eckkneipe – nach dem sechsten „Herrengedeck“.

    • Meinen Sie nicht, daß Sie ein wenig übertrieben empfindlich reagieren? crh
  2. 2
    skugga says:

    Die Reißleine war eine gute Idee, die nicht jedes Gericht hat: Siehe BGH, Urteil vom 7.11.2016 – 2 StR 9/15 (pdf)

  3. 3
    Marc Aurel says:

    Mit negativ konnotierten Begriffen sollte kein Strafverteidiger ein Problem haben, denn irgendwo muss der schlechte Ruf ja herkommen.

    • Haben Sie jetzt nur vergessen zu gendern oder schließen Sie tatsächlich die Strafverteidiger*innen in Ihrer Vorschrift aus?
       
      Nebenbei:
      Was ich „soll“ und was nicht, möchte und werde ich – nach über 60 Jahren Erwachsenwerden – ohne Vorschriften durch eine PC-Polizei eigentlich selbst entscheiden. crh
  4. 4
    Malte says:

    Meinen Sie nicht, daß Sie ein wenig übertrieben empfindlich reagieren? crh

    Nein, das meine ich nicht. Sonst hätte ich nicht kommentiert. Danke für die substantiierte Erwiderung :-)

    Aber wie man auch an ihrer „Antwort“ auf Marc Aurel sieht: Getroffene Hunde bellen. Wau!

  5. 5

    Ich liebe unseren schlechten Ruf. WAU!

  6. 6
    Engywuck says:

    Je nach Körperform, Veranlagung, Fortschritt der Schwangerschaft und auch Bekleidung sieht die durch das werdende Kind verursachte Formänderung des weiblichen Körpers tatsächlich recht kugelförmig aus – wir haben aktuell einen solchen Fall in unserer Firma (ab Ende des Monats Mutterschutz). Hier ist dann auch sehr eindeutig, dass sicher nicht „isst halt viel“ in Betracht kommt. Damit ist „Kugel“ zumindest in diesen Fällen keine Fehlbeschreibung oder gar misogyn sondern eine objektive Aussage über die (Teil-)Form.

    Bei anderen Frauen (übrigens auch sehr schlanken!) merkt man erst sehr spät was – oder kann es erst etwa mit Beginn des Mutterschutzes von alternativen Ursachen eindeutig unterscheiden.

    Bei ziemlich vielen Frauen, die man regelmäßig sieht, kann man eine Schwangerschaft an der veränderten Brustform erkennen – sogar ohne, diese Körperteile besonders intensiv be(tr)achten zu müssen. So hatte ich ich bei allen Schwangerschaften meiner Schwester die entsprechende Vermutung, bevor sie es bekanntgab (oder gar der Bauch sich wirklich weitete). Inwiefern ein Anwalt (m/w) eine Richterin oft genug sieht, um dies bemerken zu können, ist natürlich eine andere Frage.

    In diesem Zusammenhang interessant: dürfen Richter (m/w) Elternzeit nehmen wie „normale“ Arbeitnehmer, also mindestens zwei Monate (bzw. zwei mal ein Monat), sieben Wochen im Voraus bekanntzugeben? Das dürfte ja eigentlich auch so manchen Prozess platzen lassen. Oder wird das (speziell von Männern) nicht genommen, obwohl es möglich wäre?