Die Neuzeit beim Landgericht Potsdam

Die Journalistin Lisa Steger hat mit Dirk Ehlert, dem scheidenden Präsidenten des Potsdamer Landgerichts, gesprochen. Das Gespräch ist noch bis zum 18.07.2017 hier nachzuhören.

In der Vorankündigung zu der Ausstrahlung auf Antenne Brandenburg hieß es u.a.:

In welchem Zustand ist derzeit die brandenburgische Justiz? Warum dauern die Verfahren hier so lange? Und welche Folgen hat es, dass überall Richter und Staatsanwälte fehlen?

Ich hab’s mir angehört, auch weil ich gehofft hatte, daß Frau Steger die Gelegenheit nutzen konnte, Herrn Ehlert zum „Pillendienst-Verfahren“ zu befragen, über das die Journalistin ausführlich berichtet hatte.

Das war leider kein Thema, aber ich wurde mit folgendem Dialog mehr als entschädigt:

Lisa Steger:

Ich kannte mal einen Staatsanwalt, der hat seine Aktenstapel immer an die Wand gelehnt, damit sie nicht umfallen. Die sind ungefähr einen Meter hoch. Gibt es diese Leute bei Ihnen auch?

Der Präsident:

Das ist bei uns ein bisschen neuzeitlicher gestaltet …

Und jetzt, so dachte ich, kommt der Hinweis auf digitale, also eben neuzeitliche, Aktenführung.

Der Präsident weiter:

Wir haben jetzt Aktenschränke, in die die Akten gelegt werden können. Oder bei Strafrichtern gerade die Aktenwagen. Allerdings, wenn Sie versuchen, in das Zimmer zu kommen bei einem Strafrichter, der einen aktuellen Strafprozeß hat, ist es schwierig, einen Platz noch zu finden.

Nein, das habe ich mir NICHT ausgedacht!

Ok, aus der Perspektive eines kurz vor der Pensionierung stehenden Richters scheinen Aktenschränke und Aktenwagen ein Fortschritt darzustellen. Das wäre eine Erklärung.

Nun, vielleicht hat Frau Steger ja noch die Gelegenheit, den nächsten Präsidenten, der aus Altersgründen das Gericht verläßt, zum Thema Floppy Disks zu befragen. Im Verhältnis zum Aktenschrank sind die ja eine echte technische Revolution. Aus der Perspektive der Potsdamer Justiz.

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Bild „Historische Speichermedien“: George Chernilevsky / Public Domain

Dieser Beitrag wurde unter Justiz, Medien veröffentlicht.

6 Antworten auf Die Neuzeit beim Landgericht Potsdam

  1. 1
    Berliner says:

    Die elektronische Aktenführung kommt. Die Justiz eines Flächenstaats ist aber nicht mit einer Kanzlei mit 10-20 Dektop-Rechnern zu vergleichen, da bedarf es doch einiger organisatorischer und sachlicher Umstrukturierungen, bevor man sich „der Software“ (eIP) widmen kann. Den Anfang macht die Bündelung aller Aufgaben in einer Hand:

    https://bravors.brandenburg.de/verwaltungsvorschriften/zenit2016

    https://www.justiz.bayern.de/presse-und-medien/pressemitteilungen/archiv/2016/123.php

    • Ich habe daran keine Zweifel, daß es gelingen wird, die eAkte auch in Brandenburg einzuführen. Die Frage ist: Wann? Mir sind die grundlegenden Probleme der Strafjustiz bekannt (die sich z.B. von der Sozial-, Finananz- oder Patentgerichtsbarkeit erheblich unterscheiden). Ich vergleiche auch nicht unsere Apfel-Kanzlei mit den Birnen-Landgerichten.
       
      Der Focus meiner Kritik in dem Beitrag liegt im Wesentlichen auf der zeitlichen Komponente (Stichwort: „Mittelalter“). Wenn ein leitender Richter Aktenwagen als neuzeitliche Erfindung zu verkaufen versucht, ist der Zenit überschritten. Es bleibt zu hoffen, daß sein Nachfolger sich im Rahmen seiner Möglichkeiten ernsthaft engagiert, die Entwicklung voranzutreiben.
       
      Unsere Kanzlei hat bereits im Jahre ihrer Gründung 1996 mit elektronischen Aktenführung begonnen und sich in den 2 Jahrzehnten danach ständig weiter entwickelt. Das, was Herr Ehlert hingegen beschreibt, ist der Zustand *vor* 1996. Und er erzählt dabei nichts Unzutreffendes.
       
      Den „Zentralen IT-Dienstleister der Justiz des Landes Brandenburg (ZenIT)“ im Jahre 2016(!) *einzurichten*, deutet darauf hin, daß die eAkte in Potsdam im Jahr 2036 verfügbar ist. Vielleicht.
       
      An dieser Stelle noch der Hinweis: Googlen Sie mal nach „HessenDrive„, das war im Sept. 2016 bereits in der Version 2.0 unterwegs und wurde in Wirtschafs-Strafverfahren erfolgreich genutzt (leider nicht von der Kammer, vor der ich verteidigt habe).
      crh
  2. 2
    Thorsten says:

    Habe gestern per beA einen Schriftsatz in einer Strafsache an das LG Potsdam geschickt. Bin mal gespannt, wie die damit umgehen werden.

    Übrigens: HessenDrive wurde in einem Verfahren, in dem ich verteidigt habe, sehr erfolgreich genutzt! Trotzdem hat das werte Justizministerium beschlossen, dieses sinnvolle Projekt wieder einzudampfen. Der Vorsitzende Richter in meinem Verfahren hat das während einer seiner Urteilsbegründungen scharf kritisiert.

  3. 3
    asca says:

    Direktlink zur MP3:
    https://rbbmediapmdp-a.akamaihd.net/content/e35c80d2-73c3-4bc6-996e-a992622cc710_2c5837a7-b8f4-47d6-a5c3-419fc826cbdc.mp3

    Die wird geladen, wenn man in der Mediathek es anhört. So kann man ein persönlichen „Radiomitschnitt“ machen, wenn man’s vl. in den nächsten 3 Tagen nicht schaft es anzuhören.

    Gruß,
    asca

  4. 4
    Richard says:

    Ich habe beim Anhören jener Passage sehr laut gelacht, weil ich sie für gut rübergebrachte Satire hielt.

  5. 5
    RA Liebscher says:

    Aktenwagen, tsss… diese Woche erst einen Amtsrichter mit Akten im Einkaufswagen über den Flur rollen sehen…

  6. 6

    Mir geht es mit dem sogenannten Fortschritt auch viel zu schnell, und ich fordere analog zum Mietrecht eine Fortschrittsbremse, die dafür Sorge trägt, dass auch perseverierende Nutzer nicht übergebührlich / -entgeltlich zur Veränderung gezwungen werden.

    Höchsterfreut hat mich die Abbildung der urigen Elefantendiskette im stattlichen 8″-Format. In IT-Innenseiterkreisen – oder mir als Maschinenpädagoge – ist bekannt, dass auch Rechner lustvolle Wesen sind, denen es intermittierend gut tut, wenn Sie auch einmal etwas richtig großes ins Laufwerk gesteckt bekommen.
    Eine supportierende Kurzdokumentation habe ich meinem emotionalen Plädoyer angeheftet: https://www.youtube.com/watch?v=odOQT5xDrhg

    Und gegen ansteckende Krankheiten gibt es nun wirklich mächtige Computermedizin, so dass negativistische Haltungen diesbezüglich ruhig in den Hintergrund treten können.

    Fazit: Freie Liebe für freie Rechner (der Fortschritt kann warten)!