Ge- und Befangen in der Verfahrensbeschleunigung

Ein Umsatzsteuerkarussell im XXL-Format beschäftigt zur Zeit eine Wirtschaftsstrafkammer. Der in der Anklageschrift behauptete Steuerschaden soll im sehr hohen zweistelligen Millionenbereich liegen. Beteiligt sind – neben den drei Angeklagten – von kleinen Rechnungsschreibern über Mittelständler bis hin zu Großindustriellen eine Vielzahl von überwiegend „gesondert verfolgten“ Beschuldigten aus mehreren Ländern. Entsprechend komplex ist der gesamte Verfahrensstoff, der insbesondere bei der Strafkammer für wenig gute Unterhaltung zu sorgen scheint.

Deswegen bietet sich hier an, das Verfahren durch eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten nach § 257c StPO zumindest zu beschleunigen, jedenfalls zu vereinfachen, vielleicht auch kurzfristig zu beenden.

Klappt das mit dieser Verständigung nicht, könnte es sein, daß sich das Verfahren bis zum St. Nimmerleinstag hinziehen wird. Das hört sich vor dem Hintergrund der völligen Überlastung der Kammer und deren Geschäftsstelle überhaupt nicht gut an.

Nun hat das Gericht den Angeklagten ein Angebot gemacht, das einerseits nicht den Erwartungen und andererseits auch nicht den Spielregeln entsprechen könnte. Deswegen zeichneten sich auf der Stirn eines Angeklagten erhebliche Sorgenfalten ab, die seine Verteidiger in für das Gericht gar nicht wohlklingende Worte gefaßt haben:

Indem die Kammer mit ihrem Vorschlag die allgemeinkundigen Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts bewußt außer Acht lässt, hat sie auch für einen besonnenen Angeklagten durch die erkennenden Berufsrichter erkennen lassen, dass ihr die nötige Distanz in der Sache abhandengekommen ist, da sie für die Aussicht auf einen schnellen Abschluss des Verfahrens einen Vorschlag unterbreitet, dessen Verfassungswidrigkeit auf der Hand liegt. Denn es handelt sich bei dem Vorschlag eindeutig um das Ansinnen einer vom Bundesverfassungsgericht gerade verbotenen Absprache, welche auf die entsprechenden tatsächlich notwendigen Feststellungen verzichten will und verzichtet hat.

Da hat es ein Gericht nun schonmal gut gemeint, und dann haut ihm die Verteidigung die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 19.03.2013 (2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10 sowie 2 BvR 2155/11) um die Ohren. Und zwar zu Recht!

Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht.

Ich fürchte, so schnell wird die Kammer kein neues Deal-Angebot mehr machen. Was dazu führen wird, daß nun nach den Regeln der StPO verhandelt wird. Und nicht nach den Grundsätzen einer Mängelverwaltung in der Strafjustiz. Die Dealerei, die in der Praxis der völlig überlasteten Wirtschaftstrafsachen um sich gegriffen hat, hat ein nicht akzeptables Ausmaß angenommen.

Mir hat mal ein Richter gesagt: Wenn eine Anwaltskanzlei die Arbeit nicht vom Tisch kriegt, dürfe sie eben keine neuen Mandate annehmen. Das ist auf die Justiz entsprechend anwendbar – mit der Maßgabe, daß die Ressourcen für die Fallbearbeitung dann zur Verfügung gestellt werden müssen; weil die Annahmeverweigerung für das Strafgericht keine Alternative darstellt. Windschiefe Deals sind jedenfalls keine geeigneten Mittel zur Durchführung fairer und rechtsstaatlicher Verfahren.

__
Bild: © tutto62 / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Justiz, Steuerstrafrecht, Strafrecht, Wirtschaftsstrafrecht veröffentlicht.

6 Antworten auf Ge- und Befangen in der Verfahrensbeschleunigung

  1. 1
    Waschi says:

    Mir ist nicht so recht klar, wie man schon dem Dealvorschlag entnehmen will, dass die Kammer auf die nötigen tatsächlichen Feststellungen verzichten will. Das Gericht wird doch kaum geschrieben haben „Es ist beabsichtigt, nach Abgabe eines Formalgeständnisses die Beweisaufnahme zu schließen“ oder sowas.

    Oder mit anderen Worten: dass ein Deal rechtswidrig war, kann man doch normalerweise erst deutlich erkennen, wenn er abgeschlossen wurde und das Urteil vorliegt, oder?

  2. 2
    Waschi says:

    Und ja: Mir ist klar, dass es viele Deals gibt, bei denen von Anfang an klar ist, dass sie nicht dem § 257c StPO entsprechen werden. Aber die werden typischerweise nicht vor großen Wirtschaftsstrafkammern am LG getroffen, sondern am AG beim Strafrichter.

  3. 3
    stelfox says:

    Möglicherweise entsprach das Angebot in erster Linie nicht den (Straf)-Erwartungen des Mandanten. Das Hohelied auf das BVerfG wird ja nur angestimmt und die Mauschelei verteufelt, wenn der Mandant droht, zu schlecht weg zu kommen. Die Gründe dafür sind ja klar, Mandanteninteresse etc, aber ein Schmunzeln über die von Fall zu Fall divergierenden Maßstäbe kann man sich nicht verkneifen.

  4. 4
    Hennes says:

    Ob der Angeklagte wohl weiß und billigt, dass ihn dieses Manöver seines Verteidigers voraussichtlich ein paar zusätzliche Jahre im Knast kosten wird??

  5. 5
    Der wahre T1000 says:

    @Hennes: der erfahrene Strafverteidiger wird es wohl besser einschätzen können. Ich vermute mal, dass sich die Sache nun über Jahre ziehen wird. Eventuell geht es nochmal ganz von vorne los, weil irgendwann Fristen platzen oder doch noch jemand befangen scheint. Es könnte ein Richter in den Ruhestand gehen, eine Richterin schwanger werden und vieles mehr.

    Am Ende wird man dann die extrem lange Verfahrensdauer den Angeklagten strafmildernd zurechnen. Oder es gibt einen besseren Deal, um die Sache doch noch zeitnah vom Tisch zu bekommen.

    Was ich mich allerdings frage: solch lange Prozesse kosten viel Geld. Und wenn am Ende kein Freispruch steht, geht das zu Lasten der Angeklagten. Können die das bezahlen oder ruiniert es sie? Hm, angesichts des deutlich zweistelligen Millionenertrages aus den Geschäften macht es ihnen vielleicht gar nichts aus…

  6. 6
    HugoHabicht says:

    @Hennes
    wie der Blogbetreiber so schön schrieb, entsprach der Dealvoschlag nicht den Erwartungen. Dann gibt es für den Angeklagten aber auch keinen Grund sich darauf einzulassen, dann kann die Devise nur Attacke lauten, um doch noch zu einem besseren Ergebnis zu kommen. Bei solchen Umfangsachen durchaus nicht aussichtslos. Erfordert halt Sitzfleisch und im Zweifel eine gut gefüllte Kriegskasse.