Genervte Strafkammer: Ende gut – alles gut?

Der zuständige Staatsanwalt atmet auf: Die Anklageschrift ist fertig. 20 Seiten auf Altpapier bedruckt sind im Geschäftsgang unterwegs zur Wirtschaftsstrafkammer. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeschuldigten vor, Steuern in Höhe eines zweistelligen Millionenbetrages hinterzogen zu haben. Jetzt soll sich das Landgericht mit dem Zeug beschäftigen.

Allerdings hat der Vorsitzende, auf dessen Schreibtisch die Papierberge entsorgt wurden, noch die eine oder andere Nachfrage:

Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß der Vorsitzende nach der Lektüre der Anklage und der beigefügten Ermittlungsakten ein 2 kg schweres Beißholz zu einem Zahnstocher verarbeitet hat, bevor er diese (nota bene: durchgehend höflich formulierte) „Klarstellungsbitte“ getippt hat.

Und dem Staatsanwalt, dem seine Schlamperei damit um die Ohren gehauen wurde, dürfte an einen spontanen Arztbesuch gedacht haben.

Aber am Ende wurde – zumindest für diesen Vorsitzenden – doch noch alles gut. Ihm ist es gelungen, das Verfahren an eine andere Strafkammer abzugeben. Dort wurde das Chaos zu einem anderen Durcheinander hinzuverbunden … an dem bereits ein anderer Vorsitzender gescheitert ist.

Wirtschaftsstrafsachen gelten als anspruchsvoll. Manchmal als zu anspruchsvoll für unsere Justiz.

Dieser Beitrag wurde unter Justiz, Richter, Staatsanwaltschaft veröffentlicht.

5 Antworten auf Genervte Strafkammer: Ende gut – alles gut?

  1. 1
    Der wahre T1000 says:

    Sie wollen damit sagen, dass, wenn man schon Leute oder das Finanzamt abzockt, man es möglichst umfangreich, verschleiert und mit vielen Leuten machen sollte? Und dann fähige Verteidiger gebraucht werden, die durch den Umfang der Sache die Justiz an der Nase herumführen können?

    Ich frag ja nur, so liest sich das zwischen den Zeilen…

    • Was Sie zwischen den Zeilen entdecken wollen, bleibt Ihnen überlassen. Und ob hier „Abzocke“ vorliegt, wird sich später noch herausstellen.
       
      Ich – und ich denke, auch die Richter – erwarten von der Staatsanwaltschaft (und den anderen Ermittlungsbehörden) hingegen saubere Arbeit und keine dahingehauene Schlamperei. Wenn, wie hier, schon die schlichte *Zusammenstellung* der Beweismittel in der Anklageschrift nicht klappt, muß man sich um die Qualität der *Erhebung* der Beweise erst Recht keine Gedanken machen.
       
      Es sind in der Praxis auch nicht die Steuerpflichtigen, die die Regeln des Steuerrechts verkomplifizieren, sondern die Finanzverwaltungen und der Steuergesetzgeber. Wenn die dann hinterher selbst nicht mehr durchblicken, kann das nicht zulasten des Bürgers gehen.
       
      Richtig ist allerdings, daß es kundigen Verteidigern möglich ist (oder sein sollte), die Schwachstellen im Steuer(straf)recht und im Ermittlungsverfahren aufzudecken. Besser wäre es aber noch, wenn kompetente Steuerberater im frühen Vorfeld tätig wären, damit die Steuerfahnder erst gar keinen Anlaß zu Ermittlungen bekommen (aus welchem Grund auch immer). crh
  2. 2
    slowtiger says:

    Dieser Vorsitzende kann gar nicht hoch genug gelobt werden: er hat den Ramsch nicht nur tatsächlich gelesen, ihm sind auch diese ganzen Fehler aufgefallen. Solche Richter wünsch ich mir überall.

  3. 3
    matthiasausk says:

    Das war auch mein erster Gedanke: Der Mann hat sich richtig viel Arbeit gemacht und hat offenbar sehr gut gelesen.

  4. 4
    Non Nomen says:

    Schade, dass sich ein derart kompetenter Richter die Sache vom Halse geschafft hat. Er ist also augenscheinlich auch noch intelligent. Mit dem beteiligten kompetenten Verteidiger hätten die Beteiligten sicherlich gegenseitige Freude gefunden und in aller Freundschaft schön die juristischen Klingen kreuzen können. Nun scheint die Karre das Verfahren bei einer anderen Strafkammer richtig verfahren zu werden.

  5. 5
    Flo says:

    Das juristische Duell vor Gericht wäre eher recht langweilig geworden. Die Staatsanwaltschaft hätte da nix zu lachen gehabt.
    Das der Richter das Verfahren noch abgegeben bekommen hat sehe ich auch als Schade. Der hätte vermutlich ein mildes Urteil auch entsprechend begründet.