Hilfloser Aktionismus der Strafjustiz

Am Schluß der gerichtlichen Beweisaufnahme in einem Strafverfahrfen steht das Plädoyer; deswegen auch Schlußvortrag genannt.

Ich habe nicht mitgezählt, wie oft es war, daß ich im schwarzen Kittel stehend mal mehr, mal weniger warme Worte gesprochen habe. Nicht immer sind es derer unterschiedlicher. Für „Standard“-Fälle hat wohl jeder Strafverteidiger ein paar Textbausteine und Formulierungen, die er in seinen Schlußvortrag einfließen läßt.

Für den Fall, daß mal wieder ein Staatsanwalt eine unbedingte Freiheitsstrafe für meinen Mandanten fordert, und ich der Ansicht bin, daß er nicht ins Gefängnis gehört, habe ich von Thomas Galli und der BRUXUS Stiftung einen Hinweis auf schöne Zitate gefunden:

Wer mit dem Strafrecht abschrecken, wer Furcht und Zittern erregen will, der muss Festungswälle, Dunkelzellen, Wasser und Brot, Kettengerassel und die Tretmühle sinnloser Beschäftigung fordern. Er wird freilich keinen Mitbürger mit sozialkonformem Verhalten die Zwingburg verlassen sehen, sondern gebrochene, lebensunfähige Menschen, manchmal auch gefährliche Bestien. Die härtesten Strafen des Mittelalters haben nicht abgeschreckt und nicht gebessert.

Autor dieser Sätze – und deswegen besonders geeignet für ein Verteidiger-Plädoyer – ist ein Staatsanwalt, Generalstaatsanwalt Fritz Bauer

Bauer hat bereits im Jahre 1960 verlangt:

Resozialisierung fordert individuelle, gezielte Maßnahmen. Freiheitsentzug, der taxenmäßig zuerkannt wird, wird in einem Fall zu lang, im anderen zu kurz sein. Freiheitsentzug mag überhaupt ein ungeeignetes Mittel sein, die soziale Frage zu lösen, die der konkrete Fall aufwirft. Vorläufig will die Öffentlichkeit und das geltende Recht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, sie wollen abschrecken und vergelten und dabei gleichzeitig resozialisieren. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Wer Plus und Minus addiert, erhält Null.

Und wenn sich der Verteidiger dann angesichts einiger weniger Voreintragungen im Strafregister vom Staatsanwalt anhören muß, daß die Vorstrafen angeblich wirkungslos waren und allein deswegen nun hart durchgegriffen werden muß, stellt Prof. Dr. Heinz Cornel auf S. 334 des Handbuchs der Resozialisierung (PDF) in der 4. Auflage (2017) das folgende Zitat zur Verfügung:

Das Einsperren von Menschen ist in einer demokratischen, den Freiheitsrechten verpflichteten Gesellschaft nur schwer zu legitimieren und sollte eher als Zeichen der Hilflosigkeit des Staates, denn als Zeichen seiner Souveränität und Macht verstanden werden, was es zweifellos aus einer gesellschaftsanalytischen Perspektive auch ist.

Hilfloser Aktionismus, das ist die zutreffende Bezeichnung für manchen staatsanwaltschaftlichen Strafantrag. Oder einfacher ausgedrückt: Der Jusitz fällt einfach nichts mehr ein.

Den ausführlichen Aufsatz „Unverzichtbarer Beitrag zur Reform des Strafrechts“ von Thomas Galli findet man im Fritz-Bauer-Blog. Nachlesen!

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Die obigen Zitate sind nachzulesen bei „Die Rückkehr in die Freiheit: Probleme der Resozialisierung,“ in: Schuld und Sühne, hrsg. v. Burghard Freudenfeld. München: C. H. Beck, 1960, S. 139–149, hier S. 148 u. 149)

Dieser Beitrag wurde unter Staatsanwaltschaft, Strafverteidiger veröffentlicht.

13 Antworten auf Hilfloser Aktionismus der Strafjustiz

  1. 1
    Bundesverband der Häftlingshilfe says:

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    Ihr Beitrag ist sehr lesenswert. Viele Grüße aus Münster!

  2. 2
    asca says:

    Kopfschüttelnd muss ich an den aktuellen Fall des SS-Buchhalters Oskar Gröning denken. 96-Jähriger der eine 4-Jährige Haftstrafe anzutreten hat, sodass endlich nach Jahrzehnten nach der Tat eine Resozialisierung stattfinden kann.
    Puh da geht’s der Gesellschaft dann endlich besser und den Opfern ja sowieso.

    Gruß,
    asca

    PS: Das Urteil des OLG Celle, dass Herr Gröning vollzugstauglich ist, will ich gar nicht anzweifeln – mir geht’s allerdings nicht um die Tauglichkeit.

  3. 3
  4. 4
    Moritz Peters says:

    Bei „Bewährungsplädoyers“ und Mandanten, die endlich einer geregelten Arbeit nachgehen, zitiere ich gerne Mozarts Zauberflöte:

    Wo Tätigkeit wohnet und Müßiggang weicht, erhält seine Herrschaft das Laster nicht leicht.

  5. 5
    Klaus says:

    Leider kennt heute kaum noch jemand Fritz Bauer…

    • Auch deswegen habe ich den Blogbeitrag geschrieben. Jetzt sind es wieder ein paar mehr. :-) crh
  6. 6
    Fritz says:

    Wie war das noch gleich mit der Gesetzesbindung der Rechtsprechung? Oder hat der Gesetzgeber die Freiheitsstrafe mittlerweile abgeschafft? Fritz Bauer jedenfalls war noch bewusst, was geltendes Recht ist und was ein rechtspolitisch frommer Wunsch.

    Das letzte Zitat stammt übrigens nicht von Fritz Bauer, sondern von Heinz Cornel (wie in der Galli-Rezension richtig nachzulesen ist).

    • Danke für den Hinweis auf den Fehler, den ich dadurch korrigieren konnte. crh
  7. 7
    Carsten Petersen says:

    Nun, da bleibt am Ende leider nur die Frage: Was bleiben dem Rechtsstaat noch für Möglichkeiten?

    Am Ende ist das Einsperren dann doch nützlich, denn wer gerade sitzt kann niemandem mehr Schaden zufügen. Dies wird leider immer wieder vergessen, da der Fokus zu sehr auf den Tätern und nicht auf den (auch künftigen) Opfern liegt.

  8. 8
    Arnooo says:

    verteitiger.de? Really? ROTFL.

  9. 9
    Der wahre T1000 says:

    Der Staat ist mächtig. Der Staat ist hilflos.

    Wie will man Straftaten verhindern? In einer idealen Gesellschaft werden sie gar nicht erst begangen. Die Realität sieht leider anders aus.

    Wer machen kann, was er will, also nicht von Strafe für seine Handlungen bedroht ist, wird das auch tun. Das nennt sich Anarchie.
    Die „Strafe“ kann vielfältig aussehen: Ächtung durch die Familie, Verstoß ins Wüstenland, Entzug von Liebe oder auch Knast.

    Wenn fehlende Moral – als Überbegriff für anständiges Verhalten – nicht sanktioniert wird, dann gibt es keine Moral.

    Es braucht also Sanktionen. Wie soll das bitte heute aussehen? Früher gab es Schuldentürme, bei Dieben abgehackte Hände und heute noch in muslimischen Ländern die Steinigung, wenn der Mann den Ehebruch der Frau behauptet. Wollen wir das? Wirklich?

    Also bitte: was soll der Staat mit Straftätern machen? Einfach laufen lassen? Keine Abschreckung? Kein Schutz der Bevölkerung vor weiteren Straftaten durchs Wegsperren? Vielleicht ein Schulkurs „wie verhalte ich mich richtig“?

    Ich wäre allen Lesern, aber vor allem Hern Hoenig, dessen Kanzlei mich auch schon vertreten durfte, dankbar für das Aufzeigen sinnvoller Alternativen. Ohne funktionierende Alternativen ist es wenig sinnvoll am bestehenden System rumzukritteln.

  10. 10
    Zivilrechtler says:

    @Der wahre T1000: Ihr Ansatz (Vielleicht ein Schulkurs „wie verhalte ich mich richtig“?) ist schon mal ein vernünftiger Anfang. Mehr Sozialarbeiter, mehr Schulpsychologen, mehr Streetworker, mehr Lehrer, mehr Hilfen und Aufklärung zur Suchtbekämpfung – es gibt genügend Möglichkeiten, die Kriminalität zu senken. Nur, es kostet Geld. Schärfere Gesetze zu erlassen ist (zunächst) billiger und öffentlichkeitswirksamer.

  11. 11
    Der wahre T1000 says:

    @Zivilrechtler 10: Der Ansatz, Straftaten zu vermeiden, sollte natürlich das primäre Ziel sein. Und da stellt sich gleich die Frage, ob das wirklich teurer als ein überlastetes Justizsystem mit Knästen ist. Soviel ich weiß kostet Haft richtig viel Geld, was im Regelfall verloren ist.

    Prävention und Resozialisierung sind schon die richtigen Ansätze, das liegt auf der Hand. (Gerade die Prävention wirds offenkundig vernachlässigt.) Nur: allein reicht es nicht.

    Deswegen bin ich auch der Auffassung, dass ein Sozialsaat, wie wir ihn haben, richtig ist. Durch die Umverteilung wird ein Frieden geschaffen. Die Vermeidung von zu großer Not verhindert Straftaten. Und in jeder Familie werden auch die Schwachen von den Starken unterstützt. Sozial ist richtig, auch wenn ich das Kotzen bekomme, wenn von „sozialer Gerechtigkeit“ gesprochen wird, denn die zwangsweise Enteignung der Fleißigen zugunsten der nicht Arbeitenden ist eben nur sozial und gerade nicht gerecht. Aber ich schweife ab.

    Ich vertrete die Auffassung, dass es auch die Androhung (und letztlich Umsetzung, denn sonst wäre die Drohung wirkungslos) von Sanktionen braucht. Ohne geht es leider nicht.

    Es stellt sich dann also die Frage, ob jemandem mehr bzw. etwas besseres als „der Justiz“ einfällt.

  12. 12
    Ralph S. says:

    @T1000
    fatalistische Antwort: Unser Strafvollzug ist weit zu human um Die abzuschrecken, bei denen es am Nötigsten wäre. Die primäre(n) Anwärter/Clientel schreckt eine Haftzeit nicht (entweder, weil im Vergleich zum freien(!) Leben im Heimatland „ein Hotelaufenthalt“ (Aussage so kolportiert von bayr. Strafvollzugsbeamten – zugegeben, nur ‚annekdotische Evidenz‘)), oder weil sich der Straftäter darauf hinreichend einrichten kann (z.B. nicht allein lebende Hartzer). Zudem ist das gesellschaftliche Stigma einer Haft (insbesondere in *deren* Umfeld) gegen Null.

    Woher soll also die Abschreckung kommen?

    P.S. Selbst Erzwingungshaft wg. nicht eintreibbarer Geldforderungen ist (bei entsprechender Vorbereitung) ein Witz: Getrennte Unterbringung (wenn man darauf besteht), max. 6 Wochen. Das schrreckt nur arbeitende Menschen wirklich.

  13. 13
    Kai H. says:

    Der Beitrag ist in sich nicht stringent, weil er nicht deutlich macht, ob der Verfasser sich grundsätzlich gegen die Freiheitsstrafe wendet oder er sie in einzelnen Fällen für sinnhaft hält.

    Denn es heißt zu Beginn:

    Für den Fall, daß mal wieder ein Staatsanwalt eine unbedingte Freiheitsstrafe für meinen Mandanten fordert, und ich der Ansicht bin, daß er nicht ins Gefängnis gehört, …

    Gibt es also Fälle, wo der Verfasser meint, jemand gehört doch ins Gefängnis?

    Wenn ja, ist die nachfolgende Argumentation nicht sinnvoll, weil er die Bestrafung durch Freiheitsstrafe grundsätzlich in Frage stellt.

    Wenn er meint, niemand dürfe einer Freiheitsstrafe unterzogen werden, scheint mir das in Zeiten, in denen extremistische Ansichten sich immer weiter ausbreiten, und angesichts der Tatsache, dass es schlichtweg gefährliche Straftäter gibt, eher lebensfremd.

    Der Beitrag ist trotzdem ein äußerst sinnvoller Denkanstoß, weil man sich natürlich immer daran erinnern sollte, dass Strafrecht nach seinem Wesen eigentlich eine „ultima ratio“ ist und man sich natürlich die Frag stellen muss, wen man im konkreten Einzelfall bestraft und wen nicht und ob die Art der Bestrafung für den jeweiligen konkreten Angeklagten sinnvoll ist oder nicht. Ich möchte im übrigen daran erinnern, dass für eine durchaus nicht geringe Anzahl von Tätern, die über ihr Verhalten Scham empfinden (ja, das gibt es!), eine Bestrafung wie eine Reinigung wirkt, die es ihnen ermöglicht, abzuschließen. Für alle Leser wünsche ich ein friedvolles Weihnachtsfest!

    • Anders als dem einen oder anderen Richter ist es einem Blogger erlaubt, Beiträge so zu verfassen, daß noch einige Fragen noch offen bleiben. Blogbeiträge sind keine dem Revisionsgerichts vorlegbare Urteile. ;-)
       
      Die erwähnten Zitate eignen sich selbstredend nicht für für Plädoyers in Schwurgerichtsverfahren mit den entsprechenden Hausnummern. Insoweit bin ich als Strafverteidiger durchaus auch Realist.
       
      Aber auch bei Freiheitsstrafen im zweistelligen Bereich muß man sich Gedanken machen, ob es sinnvoll ist, jemanden erst 15, 17 oder 20 Jahre zu desozialisieren, um ihn dann als vermeintlich rezozialisiert wieder zu entlassen. Das allerdings – insoweit gebe ich Ihnen Recht – unter der Prämisse, er oder sie ist nicht „gefährlich“ – also kein Serienkiller, sondern bspw. ein Spontantäter, dem einmalig die Sicherung durchgebrannt ist.
       
      An dieser Stelle rufe ich dann auch noch die Blicke in die Kristallkugel Gefährlichkeitsprognosen der einschlägig bekannten forensischen Sachverständigen in Erinnerung. Das ganze System, so wie es heute existiert und praktiziert wird, ist – höflich formuliert – mit groben Mängeln behaftet.
       
      Ich lege – insbesondere Richtern, die andere Leute in den Knast schicken – die Erfahrungen derjenigen ans Herz, die sich mit dem akuellen Strafvollzug und dessen üblen Konsequenzen beschäftigt haben – neben Bauer und Cornel sind das insbesondere der schon zitierte, aus dem Gefängnis entlassene Thomas Galli, oder Bernd Maelicke, um nur zwei von vielen Autoren zu benennen, also jeweils: „m.w.H.“.
       
      Um den Bezug zu der aufgeworfenen Frage herzustellen: Ja, ich stelle die Freiheitsstrafe, so wie es sie heute immer noch gibt, grundsätzlich in Frage. Aber ich sehe auch die relativ wenigen Ausnahmen, in denen sie dennoch sinnvoll sein kann.
       
      Nebenbei: Am 14.12. erscheint hier ein Blogbeitrag über einen Fall, in dem die sinnlose Reaktion der Strafjustiz auf einen Fehltritt sehr deutlich wird. crh