Hirnlose Technokraten bei der Staatsanwaltschaft

Ich muß einfach mal Luft ablassen.

Da gibt es einen psychiatrisch kranken, HIV-positiven Mandanten. Der im Jahr 2008(!) aus seiner Not heraus ein paar strafrechtlich relevante Fehler gemacht hat, als er das illegale, aber lukrative Angebot eines Apothekers annahm.

Seit dieser Zeit hat sich der Mandant stabilisiert, ist nicht noch einmal straffällig geworden und verarbeitet mühsam seine Ängste u.a. auch vor diesem jahrelang offenen Strafverfahren. Seine Betreuerin berichtet fortlaufend über das ganz langsam dicker werdende Eis, auf dem sich der Mandant bewegt.

Im Mai 2015 habe ich mit dem Staatsanwalt die strafrechliche Verantwortungsreife des Mandanten besprochen und die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB vorerörtert. Er wollte weiter ermitteln und mir dann nochmal Gelegenheit zur Stellungnahme geben. In der nachfolgenden Zeit habe ich mehrfach vorsichtig angeklopft, den Sachstand abgefragt und ergänzende Akteneinsicht beantragt. Reaktionen des Staatsanwalts? Keine!

In der vergangenen Woche habe ich dann mit einem dicken Vorschlaghammer auf den Tisch dieses Staatsanwalts geschlagen. Das ging allerdings ins Leere, weil dieser promovierte Technokrat sich die Akte zwischenzeitlich mit einem Strafbefehlsantrag von eben diesem Tisch geschafft hat.

Ende vergangener Woche erhalte ich das Ergebnis dieser Aktion: Einen Strafbefehl, wonach der arbeitsunfähige Mandant eine Geldstrafe in Höhe von 3.000 Euro (100 Tagessätze zu je 30 Euro) nebst Kosten zahlen soll.

Ich frage mich, was ein Staatsanwalt außer kalter Subsumtionstechnikinstrumente sonst noch in seinem verbeamteten Hirn hat? Und dabei denke ich hier jetzt noch nicht einmal an die – entweder schusselige oder aber vorsätzliche – Verletzung des rechtlichen Gehörs.

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Update/Erläuterungen
Nachdem der erste Zorn ein wenig verraucht ist, gebe ich dem geneigten Leser ein paar Hinweise auf die Hintergründe:

  • Das Verfahren gegen die Haupttäter ist seit Jahren rechtskräftig abgeschlossen. Der zuständige Staatsanwalt hechelt seitdem legalitätsprinzipienreitend hinter den Randfiguren her. Im Dresdner „kino.to-Verfahren“ bspw. hat man das vergleichbare Problem großflächig über §§ 153, 153a StPO gelöst, um die Ermittler resourcenschonend für sinnvolle Aufgaben freistellen zu können.
  • Meine drei Sachstandsanfragen und meine Dienstaufsichtsbeschwerde blieben ohne jegliche Reaktion. Der „Vorschlaghammer“ war eine Strafanzeige, die dann binnen weniger Stunden zu mehrfachen Versuchen des Staatsanwalts führten, mich während meiner krankheitsbedingten Unerreichbarkeit ans Telefon zu bekommen. Bevor ich zurückrufen konnte, wurde uns der Strafbefehl zugestellt.
  • Dem Staatsanwalt sind sowohl die desolaten Sozialdaten des Mandanten bekannt als auch die Höhe seines Einkommens: ALG2. War es Chuzpe, daß er dennoch ein Einkommen von 900 Euro netto unterstellt; oder ist er schlicht zu faul, in die Akten zu schauen?
  • Den Strafbefehlsantrag rauszuhauen, ohne Rücksicht auf die Sachstandsanfragen (aka: Akteneinsichtsgesuche) der Verteidigung zu nehmen, belegt, daß der Mann besser bei Elektrolux am Fließband mit der Montage von Campingkühlschranktüren aufgehoben wäre. Dort könnte er seine überragenden Fähigkeiten zum stumpfen Arbeiten optimal verwirklichen.

Ich merke beim Schreiben der Erläuterungen, daß mir immer noch der Kamm schwillt. Besser, ich höre jetzt hier auf …

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Bild: © Klaus Stricker / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Staatsanwaltschaft veröffentlicht.

18 Antworten auf Hirnlose Technokraten bei der Staatsanwaltschaft

  1. 1
    Non Nomen says:

    Gut, dass es noch Verteidiger gibt, die sich über diesen haarsträubenden Bockmist aufregen (können). Viel Erfolg für den Mandanten und seinen Anwalt.

  2. 2
    Nurmalso says:

    Aufgrund des Verdachts welcher Straftat erfolgte denn die Strafanzeige?

  3. 3
    Maste says:

    Ich habe hier ähnliches erlebt. Bei Rücksendung der Akte wurde eine Einlassung angekündigt unter Nennung genauer Daten. Der Mandantin wird dann dennoch ein Strafbefehl zugestellt, von dem ich entgegen 145 III StPO nichts erfahre. Auch nach meiner Stellungnahme ggü der StA (in dem Glauben es gibt keine Anklage bzw. Strafbefehl) wird mir natürlich NICHT mitgeteilt, dass längst Strafbefehlsantrag gestellt wurde. Was soll das?? Der WIedereinsetzungsantrag war dann zumindest quasi ein Selbstläufer.

  4. 4
    Neric says:

    Wir haben einen arbeitsunfähigen Mandanten, der jedoch aus irgendwelchen Gründen 30×30=900 € pro Monat verdient. Der bekommt nun einen Strafbefehl, bei dem wir die Pfändungsgrenzen im Hinterkopf behalten. Ergebnis: Er zahlt gar nichts und die Sache ist vom Tisch.

    Die Alternative wäre sicherlich § 20 StGB gewesen, was jedoch im schlimmsten Fall in einer dauerhaften Unterbringung in der Psychiatrie enden könnte, § 63 StGB.

    Wo genau ist jetzt das Problem?

  5. 5
    Neric says:

    Oops, § 43 StGB vergessen. Ersatzfreiheitsstrafe natürlich.

  6. 6
    Denny Crane says:

    Kommt nicht nur in Berlin vor. Trotz mehrfacher, sich in den Akten befindender Akteneinsichtsgesuche erhielt mein Mandant (nicht einmal ich als Verteidiger) einen Strafbefehl übersandt, gegen den der psychich kranke Mandant keinen Einspruch einlegte . Weder der Staatsanwalt noch der Richter hatten meine Akteneinsichtsgesuche beachtet.

    Auf die beiden Dienstaufsichtsbeschwerden hin teilten mir sowohl der LOStA als auch der Gerichtspräsident mit, daß es daran dienstrechltich nicht zu beanstanden gäbe. „Bedauerliche Versehen“ eben. So kann man auch rechtskräftige Entscheidungen produzieren…

  7. 7
    Waschi says:

    @Nurmalso: der einzige Tatbestand, der hier passen würde, wäre Strafvereitelung im Amt. Würde mich allerdings wundern, wenn @crh als Verteidiger das in die Anzeige geschrieben hätte. Wahrscheinlich stand da eher Verfolgung Unschuldiger oder Rechtsbeugung- was juristisch Unsinn wäre, aber darum ging’s ja auch nicht.

  8. 8
    RA Ullrich says:

    Wahrscheinlich hat er Rechtsbeugung beanzeigt, das wissentliche und grobe Missachten von Verfahrensvorschriften kann diesen Tatbestand nämlich auch erfüllen, ist also bei einem über Monate ignorierten Akteneinsichtsgesuch nicht völlig abwegig (nicht dass man ernsthaft mit einer Verurteilung rechnet, aber das ist ja auch nicht der Sinn einer solchen Anzeige, die soll vielmehr Bewegung in den Laden bringen und Vorgesetzte auf den Plan rufen, ohne dabei natürlich derart abwegig zu sein, dass sie Gegenanzeigen wegen falscher Verdächtigung oder Ehrverletzungsdelikten provoziert). Vorsätzliche Verfolgung Unschuldiger stand hier wohl nicht im Raum, eine Strafanzeige wegen Strafvereitelung im Amt würde ich als Verteidiger des Tatbegünstigten eher nicht stellen, jedenfalls nicht wenn ich einen 153, 153a haben will.

  9. 9
    Sebi says:

    Pillen Verfahren Potsdam?

  10. 10
    RA Anders says:

    Genauso erschreckend wie die Beantragung eines Strafbefehls ist aber meiner Ansicht nach, daß der Strafbefehl auch erlassen wird. Das zeigt doch nur, daß zu den Anträgen die Akten nicht gelesen werden.
    Mir gegenüber hat gerade ein Amtsrichter gesagt, daß er die Akte vor der Unterschrift natürlich gelesen hat.
    Komisch nur, daß in letzter Zeit auf alle von mir gemachten Einsprüchen ein Angebot zur Einstellung nach § 153a StPO kommt.
    Ein Schelm wer böses denkt.

  11. 11
    Waschi says:

    @RA Anders:
    Was genau finden Sie „erschreckend“? Dass der Strafrichter einen Strafbefehl antragsgemäß erlässt, obwohl er eigentlich lieber nach § 153 oder § 153a einstellen würde? Das ist nicht „erschreckend“, sondern geltendes Recht.

  12. 12
    p90 says:

    Warum haben Sie den das Siegener gasometer als Hintergrund gewählt? Würde mich ja nicht wundern wenn es sich da zugetragen hätte….

  13. 13
    RA Anders says:

    @Waschi
    Es ist ja nicht so, daß der Richter nach § 408 StPO bei einem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls keinen Entscheidungsspielraum hat.
    Erschreckend ist, daß die Anträge ungelesen durchgewunken werden.
    Dann aber beim ersten Anzeichen von Gegenwehr ein unmoralisches Angebot zur Einstellung nach § 153a StPO kommt.

  14. 14
    Waschi says:

    @RA Anders:
    Jedenfalls hat der Richter nicht den Entscheidungsspielraum, den Sie sich offenbar vorstellen. Nach § 408 StPO kann der Richter versuchen, die StA zu einem anderen Strafmaß zu überreden. Und wenn die StA da nicht mitspielt, kann er anstatt des Strafbefehls Hauptverhandlung ansetzen.
    Also beschränkt sich der Entscheidungsspielraum des Richters darauf, den Strafbefehl entweder zu erlassen oder Hauptverhandlungstermin anzusetzen.
    Wenn Sie das erschreckt, sollten Sie sich an den Gesetzgeber wenden.

  15. 15
    Jurist says:

    @Waschi
    Oder der Richter greift zum Telefon und legt seinem „Kollegen“ von der StA nahe, den Antrag doch zurückzunehmen. Soll vorkommen. ;-)

  16. 16
    Waschi says:

    @Jurist:
    Und warum soll der StA das tun? Sobald der Strafbefehlsantrag gestellt ist, ist die Sache für ihn abgeschlossen. Warum soll er sie jetzt ohne Not wieder aufnehmen?

    Wenn der Angeschuldigte eine Einstellung will und auch bereit ist, dafür Auflagen zu erfüllen, kann man darüber ja immer noch reden, aber warum sollte der StA von sich aus das Druckmittel, das der Strafbefehlsantrag ja darstellt, wieder zurücknehmen? Das macht keinen Sinn, und deshalb wird der Richter das in aller Regel auch nicht vorschlagen. Wenn er eine Einstellung nach § 153 oder §153a erreichen will, wird der Richter genau den Weg wählen, den @RA Anders so erschreckend findet: nämlich den Strafbefehl erlassen, abwarten, ob sich der Angeklagte überhaupt dagegen wehrt, und dann ggf. mit StA und Verteidigung über eine Einstellung nach § 153 Abs. 2 oder § 153a Abs. 2 StPO sprechen.

  17. 17
    HugoHabicht says:

    Aber, aber, wer wird denn gleich in die Luft gehen.

    Wenn der Mandant unter Kuratel steht, ist die Pflichtverteidigung doch nahe und eine mit überschaubarem Arbeitsaufwand durchzuführende Hauptverhandlung bringt ein paar nette € Staatsknete.

    Der Sachverhalt schreit – neben der Reduktion der Tagessätze – auch noch nach einer Reduktion der Tagessatzanzahl wegen rechtsstaatswidriger Verzögerung des Verfahrens. Hätte man als Amtsrichter auch selbst drauf kommen dürfen.

  18. 18
    HugoHabicht says:

    @Sebi
    Ein Zusammenhang mit dem Potsdamer Verfahren ist eher unwahrscheinlich. Der Blogbetreiber hatte da mW verteidigt und dann greift § 146 StPO: Verbot der Mehrfachverteidigung.