Kafkas vorbefaßte Krähen und der verständige Angeklagte

Zu welchem Gemurkse das deutsche Strafprozeßrecht und deren Hüter fähig sind, zeigt ein Detail aus dem Kafka-Verfahren.

Gottfried Gluffke wurde verurteilt. Die fünf Richter – drei Berufsrichter und zwei Schöffen – befanden Gluffke einer Beihilfe schuldig. Er sei der Gehilfe mehrerer Haupttäter gewesen.

Einer dieser Haupttäter soll Wilhelm Brause heißen. Dazu schreiben die fünf Richter in ihrem Urteil, mit dem sie Gluffke der Beihilfe schuldig sprechen:

Die Feststellungen zur Verantwortlichkeit des Zeugen Mephisto und des gesondert verfolgten Brause für das Geschäftskonzept […], die Konzeption der Internetseite und die Installierung eines gestuften Mahn- und Inkassosystems zur Beitreibung der vorgeblichen Verbindlichkeit stehen zur Überzeugung der Kammer aufgrund der umfassenden und glaubhaften Angaben des Zeugen Mephisto fest.

Der Kundige erkennt bereits an diesem Zitat: Der – gesondert verfolgte – angebliche Haupttäter Brause war an dem Verfahren gegen den Gehilfen Gluffke gar nicht beteiligt. Das ist richtig. Das Gericht hatte das Verfahren gegen Brause abgetrennt, vorübergehend eingestellt und erstmal in Ruhe gegen Gluffke strafprozessiert.

In einem zweiten Durchgang soll nun gegen Brause verhandelt werden. Und zwar bei demselben Gericht. Über die Frage, ob Brause sich strafbar gemacht hat, wie die Staatsanwaltschaft es in ihrer Anklageschrift behauptet, sollen jetzt dieselben Berufsrichter und einer der beiden Schöffen entscheiden.

Nochmal in deutlicheren Worten:
Die vier Richter, die zuvor in dem Urteil gegen Gluffke die Verantwortlichkeit Brauses für das strafbare Verhalten (Konzept, Betrieb der Website, Inkassosystem …) festgestellt haben, werden in einem zweiten Verfahren entscheiden müssen, ob die Behauptung der Staatsanwaltschaft zutrifft, daß Brause das Geschäftskonzept […], die Konzeption der Internetseite und die Installierung eines gestuften Mahn- und Inkassosystems zur Beitreibung der vorgeblichen Verbindlichkeit zu verantworten hat.

Brause reibt sich verwundert die Augen.
Und er trägt vor: Diese vier Richter sind für sein Verfahren „verbrannt“; auf juristisch: Befangen. Er drückt sich sogar zurückhaltend aus: Er hat die Sorge, daß die Richter nicht mehr unvoreingenommen sein könnten. Und gießt diese Sorgen in ein Ablehnungsgesuch.

Darüber entscheiden andere Richter, allerdings solche, deren Dienstzimmer von den Dienstzimmern der abgelehnten Richtern genauso weit voneinander entfernt liegen, wie die Zellen im Knast Wien-Favoriten – Außenstelle Münchendorf.

Die Entscheidung der ZellenDienstzimmernachbarn liest sich so:

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen ist die Besorgnis der Befangenheit betreffend die abgelehnten Richter nicht gegeben. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die abgehlehnten Richter im Verfahren gegen Gottfried Gluffke unsachliche oder nicht gebotene abwertende Äußerung in Bezug auf den Angeklagten Brause gemacht haben. Auch aus den im Ablehnungsgesuch zitierten Auszügen aus dem Urteil gegen Gluffke ergibt sich solches nicht.

Der Umstand, dass im Urteil gegen Gluffke […] auch Ausführungen zur Tatbeteiligung des Angeklagten Brause gemacht wurden, rechtfertigen ebenfalls nicht die Annahme, die abgelehnten Richter seien befangen.

Wie oben ausgeführt, ist die notwendige Vorbefassung des Gerichts ist für sich gesehen grundsätzlich kein geeigneter Befangenheitsgrund; dies gilt auch, wenn Verfahren gegen einzelne Angeklagte zur Verfahrensbeschleunigung abgetrennt werden und anschließend ein Schuldspruch wegen Beteiligung an später abzuurteilenden Taten erfolgt. Anders verhalt es sich lediglich beim Hinzutreten besonderer Umstände, die über die Tatsache bloßer Vorbefassung als solcher und die damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen hinausgehen (vgl. BGH, NStZ 2011, 44). Dass Richter in einem Urteil gegen einen Mittäter [sic! crh.] zur Beurteilung seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit Feststellungen über das Verhalten eines Tatbeteiligten gemacht haben und später an dem Strafverfahren gegen ihn mitwirken, rechtfertigt auch nach Auffassung des EMRK gerade keine Zweifel an der Unparteilichkeit des Spruchkörpers (EGMR, Urteil vom 10.08.2006, NJW 2007,3553).

Vorliegend enthält das Urteil keine unsachlichen, abwertenden Äußerungen über den Angeklagten Brause. Die Ausführungen zu seiner Tatbeteiligung waren auch objektiv notwendig. Bei gemeinschaftlicher Tatbegehung bzw. miteinander verwobenen Tatbeiträge mehrerer Beteiligter können schlüssige Feststellungen anders nicht getroffen werden und eine nachvollziehbare Darstellung des Sachverhalts im Urteil ist nur unter Einbeziehung der Tatbeträge der anderen Tatbeteiligten möglich. Das Gebot der Sachlichkeit wurde hierbei nicht verletzt.

Daß es zu dieser eigenartigen Konstellation kommen mußte, hatte Brause vorhergesehen. Deswegen hat er auch den Beschluß, mit dem sein Verfahren abgetrennt wurde, mit einer Beschwerde angegriffen. Wie man sieht, haben die drei Berufsrichter die Beschwerde verworfen. Nebenbei: Mit einer vollständig inhaltlslosen Begründung.

Was haben die Berufsrichter sonst noch so gemacht?

  • In einem Haftbefehl festgestellt, daß Brause der ihm zur Last gelegten Taten dringend verdächtig ist.
  • In einem Eröffnungsbeschluß festgestellt, daß Brause wegen der ihm zur Last gelegten Taten wahrscheinlich verurteil wird.
  • In einem Urteil festgestellt, daß Brause die Taten konzipiert hat, zu denen Gluffke Beihilfe geleistet haben soll.

Die paar Spielereien drumherum – Haftbefehl statt Pflichtverteidigerbestellung, Vereitelung der Rechte im Zwischenverfahren – die ebenfalls Gegenstand des Ablehnungsgesuchs von Brause waren, sollen hier nur kurz am Rande erwähnt werden.

Die Entscheidung über den Befangenheitsantrag überrascht trotz alledem nicht. Brause war vorgewarnt. Deswegen rechnete er auch mit diesem einfältigen Schlußsatz der Richter, die über sein Ablehnungsgesuch entschieden haben:

Ein verständiger Angeklagter hat daher keine Grund zu der Annahme hat, die abgelehnten Richter seien ihm gegenüber voreingenommen.

Der Prozeß gegen Brause wird sich zu einem unwürdigen Theaterstück entwickeln, protegiert von Krähen, die ihren Nestnachbarn keine Augen auskratzen wollen. Man könnte sich die ganze Aufführung eigentlich auch sparen; das hat man doch vor ein paar Jahrzehnten doch auch schon so gemacht.

 
Was meint der geneigte Leser dazu?

Kann Wilhelm Brause noch mit einem fairen Verfahren rechnen?


     

 

Ergebnis anschauen

Wird geladen ... Wird geladen ...

__
Bild: © H.-P.Haack – Antiquariat Dr. Haack Leipzig / via Wikipedia

Dieser Beitrag wurde unter Kafka - Der Process, Prozeßbericht (www.prozessbericht.de), Richter, Wirtschaftsstrafrecht veröffentlicht.

26 Antworten auf Kafkas vorbefaßte Krähen und der verständige Angeklagte

  1. 1
    BV says:

    Ich bin ja eigentlich niemand, der schnell von der Besorgnis der Befangenheit ausgeht, hätte aber gedacht, dass so ein Fall quasi ein Musterbeispiel dessen ist. Wenn die Richter schon einmal die Schuld des Angeklagten in einem förmlichen Verfahren festgestellt haben, wenn auch ohne dessen Beteiligung, werden sie es schwer haben, davon wieder abzurücken.

    Und ist nicht einmal ein Schöffe wirksam abgelehnt worden, weil er den Angeklagten als „Täter“ bezeichnet hatte? Hier haben die Richter diese Bezeichnung sogar aufgeschrieben…

  2. 2

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    als Autor mehrerer nicht veröffentlichter Bücher liegt mir die Literatur sehr am Herzen. I.V.m. Jura (sogenannte „Alchimie der Geisteswissenschaften“, Zitat Frau Irmgard Dohle) wird stets Sachlichkeit verlangt. Hier kann ich (metagraphisch) punkten.
    Beweis: Ich war schon ein sachliches Kind, das haben mir meine Eigentümer schon sehr früh anheimgestellt. (z.B. durch förmlich zugestellte Titulierungen wie – ich zitiere erneut – „d****s Ding“!)

    Aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit habe ich mich bisher meiner Stimme enthalten, da die Umfrage befangen scheint.

    Erste Antwortmöglichkeit:
    „Selbstverständlich. Richter können ihre Vorbefassung vollständig vergessen und wie ein Computer kaltstarten.“

    Beurteilung:
    Aus rein sachlichen Erwägungen heraus wäre diese Antwort zwingend richtig, da der Inhalt dieser Antwort grundsätzlich Voraussetzung ist, um Beamter zu werden. (elementares „Ausbildungsziel“) Berufsrichter sind in Deutschland Beamte. Schöffen nicht. Schöffen können i.d.R. nicht zerebral kaltstarten.

    Daraus lässt sich ableiten, dass nur die Schöffen kasuistisch befangen sein können. Die noch bestehende hälftige Befangenheit kann durch surrogationslehregemäße Substition auf Entitätsebene der Schöffen (auf die Altlast bezogen) abbedungen werden.

    So verbleibe ich mit kernigen Grüßen aus dem System der juristischen Laien (Welpenprivileg) und weise daraufhin, dass ich ein großer Bewunderer der geometrischen Rechtswissenschaften bin (Ius angulum).

    Hilfsweise verweise ich auf meine Funktion als schutzwürdiges Gebiet der Natur.

  3. 3
    K75 S says:

    Selbst für den Fall, dass die Profis das mit dem Kaltstart hinbekommen – und weiter angenommen, Brause käme aus der Sache unbeschadet raus – könnte sich Gluffke dann seinerseits Hoffnung machen oder muss er befürchten nach einem erneuten Reset weiterhin als Tatbeteiligter kielgeholt zu werden?

    @OscarTheFish: Was auch immer sie eingenommen haben … ist davon noch etwas übrig? :-)

  4. 4
    Michael Mendelsohn says:

    Ich glaube, keine der beiden Alternativen trifft es so richtig.Erwünscht ist ja im Rechtsstaat, dass Angeklagte an der Meinungsbildung seitens der Richter mitwirken können. Nun liest so ein Richter ja auch in einem „normalen“ Verfahren die Anklage oft schon Monate vor der Verhandlung, und hat da eine Meinung zu. Das Verfahren sieht deshalb vor, dass der Angeklagte das gleiche lesen darf und dazu Stellung nehmen kann. Der Richter hört also zu den vorgetragenen Argumenten und Sachverhalten beide Seiten.

    Das Problem bei der Vorbefassung ist nun, dass im Vorverfahren zu genau dem Thema schon einiges vorgetragen wurde, was auf die Meinungsbildung der Richter Einfluss gehabt hat. Damit der Angeklagte darauf erwidern kann, müsste also das gesamte Vorverfahren in das aktuelle Verfahren einbezogen werden, damit der Angeklate seine Rechte wahrnehmen kann. Das könnte dann aber an der mündlichen Verhandlung scheitern, über deren Inhalt nichts bekannt ist (die Einlassungen und Argumente sind ja selbst nicht Teil des Protokolls). Der Richter hat sich also in der mündlichen Verhandlung im anderen Verfahren möglicherweise Dinge angehört, zu denen der Angeklagte nichts mehr sagen kann, aber eigentlich sagen können müsste. Der verständige Angeklagte muss also befürchten, dass der vorbefasste Richter Meinungen im Kopf hat, denen er nicht mehr entgegentreten kann, weil er nicht weiß, worauf sie beruhen. Und deswegen muss der Richter als befangen gelten.

    Das hat mit dem Charakter, der Vergesslichkeit und der Unparteilichkeit der Richter nichts zu tun. Wenn er von der Sache aus anderen Quellen als aus dem Verfahren weiß, die den Verfahrensbeteiligten nicht zugänglich sind, ist er befangen.

    Die Frage, die sich dann aber stellt: unter welchen Umständen ist es dann überhaupt legitim, ein Verfahren durch Abtrennung aufzuteilen, wenn man verhindern möchte, dass dem Angeklagten Rechte verlorengehen? Dei Antwort ist klar: wenn die verschiedenen Verfahren vor verschiedenen Richtern verhandelt werden. Wenn das nicht mehr „prozessökonomisch“ ist, darf man eben nicht abtrennen.

  5. 5

    Sehr geehrter Herr K75 S,

    ich verstehe nicht ganz, versuche aber investigativ abzuleiten, dass Sie gekonnt darauf anspielen, dass ich unrichtig „Ius angulum“ schrub an Eides statt von

    Ius anguli.

    Tatselbstvorwurf: Adjektivierung von Substantiven. (grammatikalische Ordnungswidrigkeit)
    Beweis: hier irgendwo oben.
    Abbehelf: Gekonnte Formulierung eines Korrekturschreibens (dieses hier) sowie 3 Tage Selbstverwürfe mit Abschwur zukünftiger, ähnlich gerichteter Entgleisungen meinerseits.

    Ansonsten vielen Dank für Ihre aufmerksame Art und Ihre wissenswerten Beiträge.

    Heute uß ich die letzten Weihnachtskekse, die mir mein freundlicher, jedoch verdächtig langhaarige Nachbar, bei dem es – zu seiner Entlastung – immer angenehm frisch nach Grünschnitt aus der Wohnung – nicht nur zur Weihnachtszeit – duftet, schenkte. Gern göbe ich Ihnen hiervon ab, mangels Masse werde ich von der Ausübung dieser nun (auch) avisierten (guten) Tat jedoch materiell abgehalten.

    Sehen, lesen und hören Sie mir dies bitte nach.

  6. 6
    Jochen says:

    Der Fall der Prozesstrennung kommt ja so oder ganz ähnlich durchaus öfter vor. Und deswegen gibt es unendlich viele Gerichtsentscheidungen dazu, wie man das behandeln muss. Sie lauten alle gleich: als Befangenheitsgrund erkennen wir das nicht an. Da fragt man sich doch, was sich ein Strafverteidiger eigentlich dabei denkt, wenn er in jedem neuen Fall wieder so ein Bohei veranstaltet. Nützen tut das niemandem, schon gar nicht dem Mandanten.

  7. 7
    matthiasausk says:

    Ich habe vor der Beantwortung einen mir bekannten ehemaligen Richter befragt. Er hat mir versichert, daß er bei Bedarf nahezu alles vollständig vergessen könne. Nur das mit dem „kaltstarten“ hat er nicht so recht verstanden.

  8. 8
    RA Feske says:

    Die beiden zur Abstimmung gestellten Alternativen erinnern mich an die bevorstehende Bundestagswahl. Keine von beiden macht mich zufrieden.
    Ich will aber an das Gute im Menschen glauben und seine Fähigkeit zu Vergessen. Dafür muss in diesem Fall aber auch ein Wille da sein. Daran habe ich erheblich Zweifel.

    @Jochen:
    ? „..was sich ein StV eigentlich dabei denkt..“
    ! Ach, sicher so einiges. Das muss aber nicht jeder verstehen, oder gut heißen.
    Ich halte es für eine Grundregel der Berufsausübung jedes Rechtsanwalts, gerade auch eines StV, sich mit Missständen nicht abzufinden und bequem zurück zu lehnen („kann ich sowieso nicht ändern“), sondern in solchen Fällen eben ein durchaus unbequemes „Bohei“ zu veranstalten.

  9. 9
    RA Ullrich says:

    @ Michael Mendelsohn: Sie interpretieren das Problem meines Erachtens nicht ganz richtig. Es ist nicht so, dass der Richter Prozessstoff verwerten würde, zu dem der Angeklagte nichts sagen könnte. Der Richter darf seinem Urteil nichts zu Grunde legen, was nicht in der Verhandlung gegen den Angeklagten erörtert wurde, die Beweisaufnahme wird also – soweit zum Nachweis der Tat des Angeklagten erforderlich – komplett wiederholt! Das Problem ist demnach weniger, dass der Richter das fast alles schonmal gehört hat, sondern dass er sich mit seinem früheren Urteil gegen den Mittäter auch bezüglich der Schuld des Angeklagten schonmal festgelegt hat (und damit in der Urteilsbegründung auch zu Vorfragen wie z.B. welche Zeugenaussage er für glaubhaft hält und welche nicht, etc.)! Wenn da im zweiten Prozess nicht wirklich etwas gravierend Neues zu Tage kommt, was der Richter bei seiner früheren Entscheidung noch nicht wusste (neue Entlastungsbeweise tauchen auf, ein beim ersten Mal glaubhaft aussagender Zeuge verwickelt sich auf Nachfrage in offensichtliche Widersprüche, etc.), ist vernünftigerweise davon auszugehen, dass sich der Richter vor der Öffentlichkeit eher nicht zum Trottel machen will und zu dem Ergebnis kommen möchte, dass sein Geschwätz von gestern Blödsinn und das frühere Urteil grottenfalsch war. Er verhandelt damit nicht mehr ergebnisoffen und die formell gegebenen Möglichkeiten der Verteidigung, zur Beweisaufnahme Stellung zu nehmen, sind weitgehend bloße Farce.

  10. 10
    HugoHabicht says:

    Was den dringenden Tatverdacht als Haftgrund anbetrifft, hat man insoweit ja die Chance, unbefangene Richter, die mit dem Verfahren auch garantiert sonst nix zu tun haben, zu konsultieren. Das sollte man in der Situation dann aber auch tun (was dem Blogtreiber klar ist).

    Die Situation ist sonst doch nicht viel anders, wenn sich ein oder mehrere andere Richter über den Fall beugen. Auch dann gibt es das andere Urteil schon und es wird sicher auch gelesen werden und der Inspiration für ein zweites Urteil dienen. Auch insoweit wird die eine Krähe der anderen nicht an die Augen wollen. Und wo wir schon bei Sprichwörtern sind, beißen halt den letzten auch immer noch die Hunde. Ich weiß ja nicht, warum das Verfahren abgetrennt wurde, aber wenn Brause das dringende Bedürfnis nach einem längeren Auslandsaufenthalt gehabt haben sollte, dann sollte man das in einem solchen Fall in seine Planungen einbeziehen.

    Wenn das Verfahren gegen Gluffke zwischenzeitlich rechtskräftig abgeschlossen ist, steht der neben Mephisto ja auch noch als weiterer Zeuge zur Verfügung. Als Zeuge, dem man Entlastendes nicht glaubt (weil Mittäter) Belastendes dafür aber um so lieber.

    Für den gewitzten Strafverteidiger ergeben sich aus der Konstellation allerdings auch ein paar zusätzliche Verteidigungsansätze. Mephisto (und alle anderen Zeugen) kann man mit ihren Aussageprotokollen aus dem Vorprozeß grillen und Richter die ein fix und fertiges Urteil nur noch einmal ausdrucken müssen, neigen dazu, Fehler zu machen, weil sie dass ja alles schon kennen.

  11. 11
    Fry says:

    Wirklich kafkaesk. Wofür dann überhaupt noch ein Gerichtsverfahren?

  12. 12

    Ob Kafka, Beton oder grüne Soße, Theater. Theater, Theater.

    @HugoHabicht: Das kafkaeske am deutschen Strafverfahren ist u.a., dass beim Landgericht, also bei den „wichtigen“ Sachen, gerade keine Aussagen protokolliert werden. Der geneigte Leser darf dort nur sehen: Der Zeuge sagte zur Sache aus.

    Und was man dann im Urteil liest, was der Zeuge ANGEBLICH ausgesagt haben soll, hat oft mit dem tatsächlich Ausgesagten weniger zu tun als mit dem vom Gericht Benötigten.

    Kafka, Schiller, Beethoven, scheißegal, Hauptsache grüne Soße.

  13. 13
    HugoHabicht says:

    @WSiebers
    stimmt, dieses internationale Alleinstellungsmerkmal weist der deutsche Strafprozeß auf. Aber dann muss man ihm eben seine „Aussage“ aus dem Urteil vorhalten. Dürfte es für den Zeugen nicht besser machen.

  14. 14
    Mirco says:

    Ist das der bunte Strauß, den die Kollegen aus der Nachbarzelle und ein Praktikant der FR unsinnig finden?

    Gibt es zu der Konstellation gleicher Richter beim Urteil gegen Beihelfende nicht schon tausende Entscheidungen?

    Gesamtgesellschaft gesehen ist es vielleicht sogar besser so, als wenn andere Richter zu der Erkenntnis gelangen, dass der Haupttäter gar nichts gemacht hat, während der angebliche Beihelfende Strafe aufgebrummt bekommt.

  15. 15
    Waschi says:

    Bei allem Respekt gegenüber Verteidigern im Allgemeinen und engagierten Verteidigern im Besonderen: ich verstehe nicht, was diese moralische Fallhöhe soll. Was Sie beschreiben, ist eine ganz normale prozessuale Situation. Weder der Untergang des Rechtsstaats noch ein kafkaesker Übergriff auf ein entwürdigtes Individuum.

    Ehrlich gesagt, finde ich diesen Blogbeitrag unredlich. Sie verschweigen nämlich, dass sie es mit Profis zu tun haben, für die Begriffe wie „Inbegriff der Hauptverhandlung“ und in dubio pro reo“ zum grundlegenden Handwerkszeug gehören.

    Und dazu gehört natürlich auch, dass man ohne Bedenken bereit ist, im Extremfall zwei einander komplett entgegengesetzte Urteile zu fällen (in denen das Gericht im Zweifel für den jeweiligen Angeklagten jeweils unterstellt, dass er nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat und die anderen die wahren Böden waren).

  16. 16
    Waschi says:

    „die wahren Bösen“ meinte ich.

  17. 17
    Oldman says:

    Was passiert eigentlich, wenn Brause freigesprochen wird?
    Ist Gluffke dann der Beihilfe für „kein Verbrechen“ verurteilt worden?

  18. 18

    @wischi In dieser Konstellation (Abtrennung) in 33 Jahren noch nie erlebt, aber Sie als Richter/Staatsanwalt sicher schon 1000e Male – oder?

  19. 19
    HugoHabicht says:

    @Oldman
    Dann hat Gluffke im Zweifel (insbesondere wenn sein Urteil rechtskräftig sein sollte) Pech gehabt. Gibt hierzulande nicht die vielen Wiederaufnahmemöglichkeiten, wie sie manche US-Rechtsordnungen vorsehen (auch längst nicht alle!). Nur wenn sich im zweiten Prozeß ergibt, dass z.B. Mephisto aktiv gelogen hat, könnte in die Richtung etwas gehen.

  20. 20
    meine5cent says:

    Wenn es danach geht, dürfte es auch keine Amtsgerichte mit weniger als 20 Berufsrichtern geben, damit wenigstens mal einer dabei ist, der die justiztiellen Dauerkandidaten nicht schon in irgendeiner Konstellation mal erlebt und vielleicht in einem Zivilurteil, bei einer Schediung,in einer Zwangsvollstreckungssache oder bei einer OWi mit wenig erfreulichen Worten bedacht hat.
    Natürlich ist es ein weitgehend psychologisches Problem, dass man bei Vorbefassung schon einen gewissen Bilderrahmen zurechtgezimmert hat.
    Aber ebenso wenig wie beim Anwalt immer gleich ein Interessenkonflikt oder gar ein Parteiverrat gegeben ist, wenn er seinem Mandanten irgendwann mal in anderer Konstellation schon mal begegnet ist, ist auch ein Richter wegen Vorbefassung nicht immer befangen. Auch wenn es den Verteidigern nicht passt und sie wie schon Herr Hoenig im Potsdamer Pillenprozess mit ihren Befangenheitsablehnungen wegen Vorbefassung sowohl in der Instanz als auch in der Revision oder gar in der Verfassungsbeschwerde gegen die Wand laufen. Die Anträge gehören aber offenbar aus (mancher) Verteidigersicht zum zu absolvierenden Pflichtprogramm. Warum auch immer.

  21. 21
    Subsumtionsautomat says:

    Natürlich ist die Vorbefassung ein Problem, aber bei einem Richter, der sich seiner Verantwortung bewusst ist, sollte sie nie dazu führen, dass ein bestimmtes Ergbebnis vorher schon feststeht. Sicher, er kennt die Zeugen zum Teil schon und wird auch diejenigen laden, die für die Verurteilung im vorherigen Verfahren entscheidend waren. Und wenn es keine völlig neuen Erkenntnisse gibt, wird er ihnen auch wieder glauben – wieso auch nicht? Das ist doch keine Befangenheit! Interessant wird es doch erst, wenn das neue Verfahren Erkenntnisse zutage fördert, die im Widerspruch zu jenen aus dem ersten Verfahen stehen. Zumindest vom Berufsrichter kann man erwarten, dass er diese auch entsprechend berücksichtigt. Und als Verteidiger kann man Berufsrichter und Schöffen durchaus auf diese Unterschiede hinweisen. Die Gefahr der Befangenheit wird also locker aufgewogen durch die Chance der Verteidigung, die Argumentation der Beweiswürdigung aus dem früheren Urteil bereits zu kennen und ggf. durch entsprechende Beweisanträge darauf Einfluss zu nehmen. Oder, falls der Mandant wider Erwarten tatsächlich schuldig sein sollte und es keine entsprechenden Gegenbeweise gibt, die Flucht nach Vorne anzutreten.

  22. 22
    Waschi says:

    @RA Siebers: Sie haben in 30 Berufsjahren noch nie eine Verfahrensabtrennung erlebt? Oder noch nie die BGH-Entscheidung gelesen, die in der von C. R. H. zitierten Passage verlinkt ist und in der der BGH ausdrücklich erklärt hat, dass Vorbefassung allein keine Befangenheit begründet?

    Und CRH.s Argument, die Befangenheit ergebe sich u.a. daraus, dass die Richter einen Haftbefehl erlassen (oder aufrecht erhalten) und die Anklage zugelassen haben: finden Sie es nicht ein wenig unredlich, zu verschweigen, dass das nach deutschem Prozessrecht so vorgesehen ist?

    Übrigens habe ich es so verstanden, dass „Brause“ sich ins Ausland abgesetzt hatte und erst ausgeliefert werden musste. Was ein guter Grund für eine Abtrennung ist, finde ich.

  23. 23
    meine5cent says:

    @Waschi: Dem Prozessbericht der Frankfurter Rundschau nach (bei aller Vorsicht gegenüber der Presse) „Reich durch Lebensprognose“ dürfte es zutreffend sein, dass Brause sich vorübergehend nach Malaysie und in die USA absentiert hat, während andere Beteiligte sich schon vor dem LG einfanden.
    Sein „extra aus Berlin eingeflogener Verteidiger“ , den die FR als „Dauerredner-Koryphäe“ bezeichnet ist nicht etwa der blogbetreiber?

  24. 24
    Silke says:

    @ meine5cent:
    sehr schlau erkannt. Das war aber bereits Thema im vorherigen Blog-Beitrag „Überflüsiger Reporter“, in dem es um ebendiese befangenheitsanträge des Verteidigers – und um die unseriöse Berichterstattung des FR-Reporters hierzu ging.

  25. 25
    Mirco says:

    @Silke
    Die Richter sehen das „überflüssig“ zumindest so wie der FR-Schreiber.

  26. 26
    Silke says:

    @ Mirco
    Vielleicht haben die Richter ja den FR-Beitrag gelesen und sich dadurch beeinflussen lassen…. So nach dem Motto: naja wenn es sogar in der Zeitung steht, dass die Befangenheistanträge überflüssig waren, dann werden wird die natürlich auch ablehnen.
    (das wäre übrigens fast schon wieder ein neuer Grund für einen Befangenheitsantrag gegen die Richter). Ich hatte RA Hoenig ja empfohlen eine Gegendarstellung bei der FR zu erwirken (wäre auch kostenfrei gewesen für RA Hoenig gewesen, selbst wenn die FR nicht auf seine Forderung eingegangen wäre). Aber das hat er sich ja dann wohl doch nicht getraut. das ändert natürlich nichts daran, dass die Bef-Anträge keinesfalls „überflüssig“ waren. Auch wenn sich der „überflüsssige“ FR-Reporter sicher sehr über die Entscheidung der Richter gefreut hat.
    Richter decken eben gerne ihre Richterkumpels und weisen Bef-Anträge fast immer zurück, selbst wenn diese klar begründet sind. Eben das berühmte Krähenprinzip – eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.