Langweiliger Standardhaftgrund

Seit 20 Jahren lese ich bundesweit in den Vermerken der Staatsanwaltschaften zur Entscheidung über § 121 StPO immer wieder den selben Text:

Wozu haben sich die Staatsanwälte eigentlich so für ihre Prädikatsexamina gequält, wenn sie am Ende doch immer nur dieselben rhetorischen Nullsummenspiele wiederholen, die sie von ihren VorVorVorgängern übernommen haben?

Was der Mensch nicht alles in Kauf nimmt, nur um monatlich am Ersten sein sicheres Gehalt auf’s Konto zu bekommen …

Dieser Beitrag wurde unter Staatsanwaltschaft veröffentlicht.

19 Antworten auf Langweiliger Standardhaftgrund

  1. 1
    nullplan says:

    Ist der Schreibfehler bei b. („Fluchanreiz“) auch Teil der immer gleichen Formulierung, oder ist hier nur ein Textblockprogramm mit der Staatsanwaltschaft durchgegangen?

  2. 2
    Stanislaus says:

    Wozu das Rad neu erfinden? Aus ökonomischer Sicht ist dieses Vorgehen absolut zu begrüßen, insbesondere wenn der Inhalt den Tatsachen entspricht.

    Außerdem dürfte dieser bewährte Textbaustein wenig Angriffsfläche für Verteidiger bieten. Wurmt Sie das etwa? ;-)

  3. 3
    Maik says:

    Abschn. 5a b) RiStBV

    Gern geschehen!

    • Es könnte in Haftsache vielleicht eine schlaue Idee sein, die Frage nach den Haftgründen nicht unter einen Kostenvorbehalt zu stellen. crh
  4. 4
    Waschi says:

    Vielleicht vertreten Sie auch seit 20 Jahren einfach nur immer wieder denselben Typ Mandanten?
    Ich frag ja nur…

  5. 5
    Student auf Lebenszeit says:

    @Stanislaus Eine erwartbare hohe Haftstrafe reicht (nach ständiger Rspr.) nicht aus, um Fluchtgefahr anzunehmen.
    Z.B sagt das OLG Naumburg : „So würde ihm zwar eine nicht unerhebliche Gesamtstrafe drohen, allerdings begründete sich die Straferwartung nicht von alleine aus den Anreiz einer Fluchtgefahr. Vielmehr müssten alle sonstigen und individuellen Umstände berücksichtigt werden.“ Aus: https://www.strafrecht-bundesweit.de/strafrecht-blog/zu-haftgruenden-fluchtgefahr-und-verdunkelungsgefahr-§-112-abs-1-nr-2-und-abs-2-nr-3-stpo/
    Die allwissende und unfehlbahre Behörde sollte das eigentlich aus wisen.

  6. 6
    docmw says:

    „Was der Mensch nicht alles in Kauf nimmt, nur um monatlich am Ersten sein sicheres Gehalt auf’s Konto zu bekommen“

    Ernsthaft? Nach dem Motto „Wie kann man sich nur so erniedrigen, Textbausteine zu verwenden, weil nur das die sichere Besoldung bringt“?

  7. 7
    soundso says:

    Ja docmw, das wird es bestimmt gewesen sein, die reine Nutzung der Textbausteine und nichts anderes.
    Ich fuehle mich geehrt solch praechtigen Geister wie deinen erleben zu duerfen.

  8. 8
    Stanislaus says:

    @Student auf Lebenszeit: Richtig, aus diesem Grunde existiert ja auch der Textbaustein zu b).

  9. 9
    Der wahre T1000 says:

    Man mag hinterfragen, ob dem Textbaustein ein gewisser Wahrheitsgehalt zu entnehmen ist. Ich würde sagen: viele flüchten nicht, aber manche doch. Aber was weiß ich schon?

    Klar ist jedoch, dass sich eine Wahrheit nicht durch Zeitablauf ändert. Wenn also dieser Textbaustein einen brauchbaren (realistischen) Kern vor 20 Jahren hatte, so hat sich das nicht geändert. In der Folge braucht der Baustein nicht geändert werden. Weshalb berschweren Sie sich also?

    Im Übrigen wird U-Haft doch angerechnet, so dass den Mandanten in der Regel kein Schaden entsteht.

  10. 10

    Nun wollte ich aus den Kommentaren hier mal etwa lernen, bin dem Hinweis des Kommentators „Maik“ zu den RiStBV nachgegangen und was stelle ich fest? Abschnitt 5 hat weder lit a. noch lit. b, sondern lediglich zwei Ordnungsziffern (170 und 171) und die Überschrift „Wiederaufnahme des Verfahrens“. Hm.

  11. 11
    Johannes Aquila says:

    Was hier einige übersehen: Der zweite Teil des Textbausteins ist so allgemein formuliert, dass man ihn verwenden kann, ohne irgendetwas über die persönlichen Lebensverhältnisse des Beschuldigten wissen zu müssen. Hinterher kann man es sich dann bei Bedarf so zurechtbiegen, wie es einem passt. Zum Beispiel so:

    „Der Angeklagte, ein Beamter, lebt mit seiner Ehefrau und seinen fünf Kindern zusammen. Er pflegt außerdem seine alte Mutter, die im selben Haushalt lebt. Er ist als Stadtrat, Schöffe sowie im Vorstand der örtlichen Gesangs-, Kaninchenzüchter- und Häkelvereine tätig. Seine Lebensverhältnisse stellen sich damit als dermaßen stressig dar, dass bereits ohne ein Ermittlungsverfahren ein erheblicher Fluchtanreiz besteht. Der Angeklagte hat zudem in der Schule eine Fremdsprache (Englisch) gelernt. Es ist daher wahrscheinlich, dass er sich dem kombinierten Druck von Familie und Strafverfolgung durch die Flucht ins Ausland entziehen wird.“

    Das ist zwar offenkundiger Blödsinn, aber dem Verwender des Textbausteins ist nicht nachzuweisen, dass er diesen Blödsinn nicht tatsächlich geglaubt hat. In der Praxis bedeutet das, dass ein Staatsanwalt einen Abschnitt über die Lebensumstände von irgendwoher kopieren kann, ohne ihn auch nur lesen zu müssen. Der Baustein passt ja sowieso immer. Von Vertretern eines verantwortungsvollen Berufs, in dem das Hauptwerkzeug die Sprache ist, muss man mehr erwarten können.

  12. 12
    HugoHabicht says:

    @ Chr. Nebgen
    es ist – von Maik richtig so bezeichnet – Nummer 5a und dort dann lit. b)
    > https://www.jurion.de/gesetze/ristbv/5a

    Die Ermittlungen sind so durchzuführen, dass unnötige Kosten vermieden werden (vgl. auch Nr. 20 Abs. 1, Nr. 58 Abs. 3). Kostenbewusstes Handeln ist etwa möglich durch

    b) die Nutzung der Möglichkeit zu standardisiertem Arbeiten (Textbausteine, Abschlussentscheidungen nach Fallgruppen),

  13. 13
    docmw says:

    @soundso:
    Ich habe mich redlich bemüht, aber mir will tatsächlich keine andere Deutung des Schlussatzes einfallen (wenngleich ich die von mir wiedergegebene auch an den Haaren herbeigezogen finde, insbesondere wegen des final eingeleiteten Nebensatzes). Du siehst: zu viel der Ehre, so prächtig ist der Geist nicht.
    Was „anderes“ sollte denn – vorbehaltlich einer Erläuterung des Verfassers – deiner Auffassung nach gemeint sein?

  14. 14
    Mirco says:

    @Stanislaus
    Ich vermute @crh bemängelt, dass der StA nur behauptet, er hätte die Lebensverhältnisse berücksichtigt um zum Ergebnis der wahrscheinlichen Fluchtgefahr zu kommen, dies aber in keiner Weise darlegt.

  15. 15
    Argumentation ist alles says:

    @ Johannes Aquila

    made my day :-)

  16. 16
    egal says:

    Nicht die Staatsanwälte mit Textbausteinen sind das Problem, sonder nur die Richter, die das einfach so durchwinken.

  17. 17
    Johannes Aquila says:

    @HugoHabicht: Als Nicht-Jurist habe ich den Eindruck, dass bei der RiStBV unglaubliche Chaoten am Werk waren. „Abschnitt 5a“ befindet sich nämlich versteckt in „1. Allgemeines“, was wiederum im „I. Abschnitt“ der Richtlinie zu finden ist. In den Versionen, die ich zuerst gefunden habe – u.A. http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/ -, ist da auch gar nicht die Rede von ein einem „Abschnitt 5a“. Da heißt es einfach nur „5 a“. Damit war dort auch weder „5a“ (ohne Leerzeichen) noch „Abschnitt 5“ per Suche im Browser zu finden, was mich zu dem Schluss verleitet hat, dass die Referenz auf die falsche Vorschrift gehen muss.

    Es mag gute Gründe geben, warum auf jurion.de eine Untereinheit in einer Untereinheit eines Abschnitts selber wieder als Abschnitt bezeichnet wird. Aber schön ist es nicht.

  18. 18
    Victor Hahn says:

    @Johannes Aquila: Einer des besten Kommentare seit Langem :)

  19. 19
    N.D. says:

    Sicher, dass da nicht einfach der/die Justizobersekretär/in Aktenzeichen und Anschriften in ein Word-Makro hackt und dann drei Dutzend Serienbriefe aus dem Drucker kommen?