Seit 20 Jahren lese ich bundesweit in den Vermerken der Staatsanwaltschaften zur Entscheidung über § 121 StPO immer wieder den selben Text:
Wozu haben sich die Staatsanwälte eigentlich so für ihre Prädikatsexamina gequält, wenn sie am Ende doch immer nur dieselben rhetorischen Nullsummenspiele wiederholen, die sie von ihren VorVorVorgängern übernommen haben?
Was der Mensch nicht alles in Kauf nimmt, nur um monatlich am Ersten sein sicheres Gehalt auf’s Konto zu bekommen …
Ist der Schreibfehler bei b. („Fluchanreiz“) auch Teil der immer gleichen Formulierung, oder ist hier nur ein Textblockprogramm mit der Staatsanwaltschaft durchgegangen?
Wozu das Rad neu erfinden? Aus ökonomischer Sicht ist dieses Vorgehen absolut zu begrüßen, insbesondere wenn der Inhalt den Tatsachen entspricht.
Außerdem dürfte dieser bewährte Textbaustein wenig Angriffsfläche für Verteidiger bieten. Wurmt Sie das etwa? ;-)
Abschn. 5a b) RiStBV
Gern geschehen!
Vielleicht vertreten Sie auch seit 20 Jahren einfach nur immer wieder denselben Typ Mandanten?
Ich frag ja nur…
@Stanislaus Eine erwartbare hohe Haftstrafe reicht (nach ständiger Rspr.) nicht aus, um Fluchtgefahr anzunehmen.
Z.B sagt das OLG Naumburg : „So würde ihm zwar eine nicht unerhebliche Gesamtstrafe drohen, allerdings begründete sich die Straferwartung nicht von alleine aus den Anreiz einer Fluchtgefahr. Vielmehr müssten alle sonstigen und individuellen Umstände berücksichtigt werden.“ Aus: https://www.strafrecht-bundesweit.de/strafrecht-blog/zu-haftgruenden-fluchtgefahr-und-verdunkelungsgefahr-§-112-abs-1-nr-2-und-abs-2-nr-3-stpo/
Die allwissende und unfehlbahre Behörde sollte das eigentlich aus wisen.
„Was der Mensch nicht alles in Kauf nimmt, nur um monatlich am Ersten sein sicheres Gehalt auf’s Konto zu bekommen“
Ernsthaft? Nach dem Motto „Wie kann man sich nur so erniedrigen, Textbausteine zu verwenden, weil nur das die sichere Besoldung bringt“?
Ja docmw, das wird es bestimmt gewesen sein, die reine Nutzung der Textbausteine und nichts anderes.
Ich fuehle mich geehrt solch praechtigen Geister wie deinen erleben zu duerfen.
@Student auf Lebenszeit: Richtig, aus diesem Grunde existiert ja auch der Textbaustein zu b).
Man mag hinterfragen, ob dem Textbaustein ein gewisser Wahrheitsgehalt zu entnehmen ist. Ich würde sagen: viele flüchten nicht, aber manche doch. Aber was weiß ich schon?
Klar ist jedoch, dass sich eine Wahrheit nicht durch Zeitablauf ändert. Wenn also dieser Textbaustein einen brauchbaren (realistischen) Kern vor 20 Jahren hatte, so hat sich das nicht geändert. In der Folge braucht der Baustein nicht geändert werden. Weshalb berschweren Sie sich also?
Im Übrigen wird U-Haft doch angerechnet, so dass den Mandanten in der Regel kein Schaden entsteht.
Nun wollte ich aus den Kommentaren hier mal etwa lernen, bin dem Hinweis des Kommentators „Maik“ zu den RiStBV nachgegangen und was stelle ich fest? Abschnitt 5 hat weder lit a. noch lit. b, sondern lediglich zwei Ordnungsziffern (170 und 171) und die Überschrift „Wiederaufnahme des Verfahrens“. Hm.
Was hier einige übersehen: Der zweite Teil des Textbausteins ist so allgemein formuliert, dass man ihn verwenden kann, ohne irgendetwas über die persönlichen Lebensverhältnisse des Beschuldigten wissen zu müssen. Hinterher kann man es sich dann bei Bedarf so zurechtbiegen, wie es einem passt. Zum Beispiel so:
„Der Angeklagte, ein Beamter, lebt mit seiner Ehefrau und seinen fünf Kindern zusammen. Er pflegt außerdem seine alte Mutter, die im selben Haushalt lebt. Er ist als Stadtrat, Schöffe sowie im Vorstand der örtlichen Gesangs-, Kaninchenzüchter- und Häkelvereine tätig. Seine Lebensverhältnisse stellen sich damit als dermaßen stressig dar, dass bereits ohne ein Ermittlungsverfahren ein erheblicher Fluchtanreiz besteht. Der Angeklagte hat zudem in der Schule eine Fremdsprache (Englisch) gelernt. Es ist daher wahrscheinlich, dass er sich dem kombinierten Druck von Familie und Strafverfolgung durch die Flucht ins Ausland entziehen wird.“
Das ist zwar offenkundiger Blödsinn, aber dem Verwender des Textbausteins ist nicht nachzuweisen, dass er diesen Blödsinn nicht tatsächlich geglaubt hat. In der Praxis bedeutet das, dass ein Staatsanwalt einen Abschnitt über die Lebensumstände von irgendwoher kopieren kann, ohne ihn auch nur lesen zu müssen. Der Baustein passt ja sowieso immer. Von Vertretern eines verantwortungsvollen Berufs, in dem das Hauptwerkzeug die Sprache ist, muss man mehr erwarten können.
@ Chr. Nebgen
es ist – von Maik richtig so bezeichnet – Nummer 5a und dort dann lit. b)
> https://www.jurion.de/gesetze/ristbv/5a
@soundso:
Ich habe mich redlich bemüht, aber mir will tatsächlich keine andere Deutung des Schlussatzes einfallen (wenngleich ich die von mir wiedergegebene auch an den Haaren herbeigezogen finde, insbesondere wegen des final eingeleiteten Nebensatzes). Du siehst: zu viel der Ehre, so prächtig ist der Geist nicht.
Was „anderes“ sollte denn – vorbehaltlich einer Erläuterung des Verfassers – deiner Auffassung nach gemeint sein?
@Stanislaus
Ich vermute @crh bemängelt, dass der StA nur behauptet, er hätte die Lebensverhältnisse berücksichtigt um zum Ergebnis der wahrscheinlichen Fluchtgefahr zu kommen, dies aber in keiner Weise darlegt.
@ Johannes Aquila
made my day :-)
Nicht die Staatsanwälte mit Textbausteinen sind das Problem, sonder nur die Richter, die das einfach so durchwinken.
@HugoHabicht: Als Nicht-Jurist habe ich den Eindruck, dass bei der RiStBV unglaubliche Chaoten am Werk waren. „Abschnitt 5a“ befindet sich nämlich versteckt in „1. Allgemeines“, was wiederum im „I. Abschnitt“ der Richtlinie zu finden ist. In den Versionen, die ich zuerst gefunden habe – u.A. http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/ -, ist da auch gar nicht die Rede von ein einem „Abschnitt 5a“. Da heißt es einfach nur „5 a“. Damit war dort auch weder „5a“ (ohne Leerzeichen) noch „Abschnitt 5“ per Suche im Browser zu finden, was mich zu dem Schluss verleitet hat, dass die Referenz auf die falsche Vorschrift gehen muss.
Es mag gute Gründe geben, warum auf jurion.de eine Untereinheit in einer Untereinheit eines Abschnitts selber wieder als Abschnitt bezeichnet wird. Aber schön ist es nicht.
@Johannes Aquila: Einer des besten Kommentare seit Langem :)
Sicher, dass da nicht einfach der/die Justizobersekretär/in Aktenzeichen und Anschriften in ein Word-Makro hackt und dann drei Dutzend Serienbriefe aus dem Drucker kommen?