Politisch motivierte Verteidigung?

Am 24.11.2017 verurteilte das Amtsgericht Gießen die Ärztin Kristina Hänel wegen unerlaubter Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen.

Soweit ich es aus den verschiedenen Medienberichten entnehmen konnte, scheint dieses (nicht rechtskräftige!) Urteil das Ergebnis einer politisch motivierten Verteidigung zu sein.

Wie berichtet wird, hat die Ärztin bereits mehrere Ermittlungsverfahren „überlebt“, die von Abtreibungsgegnern der Organisation „Nie wieder!“ initiiert, d.h. angezeigt wurden. Jene Verfahren wurden eingestellt. Dennoch hat die Ärztin ihre Internet-Präsentation nicht geändert.

Statt dessen hat Frau Hänel weiter für ein „Informationsrecht für Frauen zum Schwangerschaftsabbruch“ gekämpft und auch eine Online-Petition an den Deutschen Bundestag gestartet, für die sie inzwischen mehr als 115.000 Unterschriften gesammelt hat.

Das Strafverfahren wäre – soweit ich das aus der Ferne beurteilen kann – vermeidbar gewesen. Die eingestellten Verfahren sollten die Ärztin – und ihre strafrechtlichen Beraterinnen – in ausreichendem Maße sensibilisiert haben. Es wäre sicher problemlos möglich gewesen, die Website an die geltende Strafrechtslage anzupassen.

Ich kann mir auch gut vorstellen, daß eine unpolitische Verteidigung eine Verurteilung nach einer öffentlichen Hauptverhandlung hätte verhindern können. Für eine diplomatische Argumentation, die zur erneuten Einstellung führen kann, bietet die StPO ein ausreichend effektives Instrumentarium.

Es geht aber nicht immer nur nach dem Kopf eines puristischen Strafverteidigers, der eine „technische“ Verteidigung zu betreiben empfiehlt. Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen und für eine Idee brennen, haben oft andere Vorstellungen als ein Jurist. Dann ist es die Aufgabe des Beraters, dem Idealisten das Risiko einer politisch motivierten Verteidigung darzulegen.

Welche Möglichkeiten – außer der Anklageerhebung – hat eine Staatsanwaltschaft, wenn die Beschuldigte mit dem Kopf durch die Wand will? Das Legalitätsprinzip ist insoweit zwingend.

Und wie anders als mit einer Verurteilung (abgesehen von § 59 StGB) kann eine Richterin am Amtsgericht darauf reagieren, wenn die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale nach ihrer Überzeugung feststehen?

Dann bleibt der politisch engagierten Angeklagten eben nur noch der Instanzenzug und anschließend die Verfassungsbeschwerde, in der dann die Verletzung von Grundrechten reklamiert wird. „Verletzer“ ist dann aber nicht das (Amts-/Berufungs-/Revisions-)Gericht, sondern die Strafnorm, die zu Zeiten eingeführt wurde, als Gebärfreude mit Mutterkreuzen ausgezeichnet wurde.

Allerdings: Bis Karlsruhe über diese Beschwerde entschieden haben wird, dürfte die Ärztin aus Altersgründen eher nicht mehr als Ärztin tätig sein. Und für lau bekommt man so ein Verfahren auch nicht.

Trotzdem ist es manchmal notwendig, diesen mühsamen und kostenintensiven Weg zu wählen. Wenn die Entscheidung dazu gut beraten, informiert und dann bewußt getroffen wird, ist es in Ordnung. Aber nur dann.

Ach ja: Auch (und gerade!) um den Schloßbezirk herum tobt die hohe See.

Dieser Beitrag wurde unter Politisches, Strafrecht, Strafverteidiger veröffentlicht.

12 Antworten auf Politisch motivierte Verteidigung?

  1. 1
    Kommunikatorin says:

    Soweit ich gelesen habe, hat die Strafverteidigerin das Gericht aufgefordert, die Vorschrift dem BVerfG zur Prüfung vorzulegen – inzidente Normenkontrollklage nennt man das, oder? Das spricht für Besonnenheit, oder? Und anstatt zackzack zu verurteilen, hätte die Richterin doch mal die strafbegründende Norm einfach mal überprüfen lassen können, oder?

  2. 2
    Philipp says:

    Die Hürden für eine konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 GG sind hoch, das macht man nicht „einfach mal“. Das BVerfG hat strenge Anforderungen an die Begründung von Zweifeln der Verfassungsmäßigkeit einer Norm. Angesichts der Rechtsprechung des BVerfG drängen sich solche Zweifel bei § 219a StGB eben nicht auf.

  3. 3
    Der wahre T1000 says:

    Die Ärztin kämpft – zumindest aus ihrer Sicht – für eine gute Sache. Ich finde das legitim, auch wenn man möglicherweise selbst einen anderen Standpunkt vertritt.

    Die Kosten sind für eine gestandene Ärztin doch recht überschaubar. Bis die Sache beim Bundesverfassungsgericht landet kostet es geschätzte 50.000,- Euro. Die kann man schon aufbringen, erst recht wenn dadurch größere Mengen an „Kundschaft“ gewonnen werden. Was kostet ein Schwangerschaftsabbruch und wie viele Frauen werden sich nun wohl an diese Ärztin wenden?

    Ich glaube nicht, dass das eine Werbeveranstaltung ist. Ich glaube diese Ärztin handelt aus Überzeugung. Aber sie wird vermultich keinen großen wirtschaftlichen Schaden dadurch haben; egal wie es ausgeht.

    Jedenfalls ist es die Sache wert, dass man darum streitet. Einerseits ist die Veröffentlichung einer angebotenen Dienstleistung naturgemäß eine Werbung, wenn man für diese Leistung Geld nimmt. Offensichtlicher geht es nicht. Der Fliesenleger, der auf seiner Website auch seine Dienste ums Parkett anbietet, der will damit Aufträge gewinnen. Nichts anderes ist die öffentliche Aufzählung von Leistungen durch einen Arzt. Andererseits ist das Verbot darüber zu informieren, dass man eine Dienstleistung anbietet ein Eingriff in die Berufsfreiheit und vor allem die Möglichkeiten der Betroffenen (hier: Frauen) sich zu informieren. Schwangerschaftsabbruch mag umstritten sein, aber wieso soll man darüber keine Angaben machen dürfen? Werbung ist ja auch immer eine Aufforderung eine Dienstleitung in Anspruch zu nehmen, was bei einer reinen Aufklärung eben gerade nicht der Fall ist.

    Es wird Zeit, dass da mal emand mit Augenmaß drüberschaut, und wenn es am Ende nur einen politischen Denkprozess anregt.

  4. 4
    1. November says:

    Respekt vor dieser Ärztin!
    Und soweit ich mitbekommen habe,wolllen wohl Politiker/ Bundestagsabgeordnete mehrerer Parteien die Abschaffung dieses Paragrafen fordern, auch angeregt durch diesen konkreten Fall.
    Da ein Schwangerschaftsabbruch, unter strenger gesetzlichen Kriterien, in DT nicht strafbar ist, kann es natürlich auch nicht strafbar sein, wenn eine Ärztin darauf aufmerksam macht, dass sie diesen medizinischen Eingriff durchführt.

    • Sie sprechen da einen da einen Wertungswiderspruch an, den es nur aus einem Blickwinkel zu geben scheint. Nimmt man die andere Position ein, ist paßt die Regelung ins Gefüge.
       
      Was in diesem Zusammenhang grundsätzlich strafbar ist und was nicht, entzieht sich aber einer Wertung. § 219a I 1 StGB (ich empfehle die Lektüre!), um den es hier geht, ist insoweit eindeutig.
       
      Sinnvoll und legitim ist es selbstverständlich, durch den Versuch politischer Einflußnahme die aktuell vorhandene Rechtslage zu ändern. Ob der Weg, den die Ärtzin dazu beschreitet – nämlich sich im Sinne der Vorschrift strafbar zu machen, um die Änderung/Abschaffung des § 219a StGB zu erreichen – (für sie) der richtige ist, kann und will ich nicht entscheiden.
       
      Ich möchte an dieser Stelle auch an das Erdogan-Gedicht von Jan Böhmermann erinnern, das zum Nachdenken über den Sinn des § 103 StGB geführt hat. Öffentlichkeitswirksam eine Straftat zu begehen, kann durchaus ein effektives Mittel zur Verfolgung politischer Ziele sein.
       
      Es muß nur klar sein, welche Nachteile damit verbunden sein können. Denn wer das Recht nicht kennt, bringt sich um das Vergnügen, dagegen zu verstoßen.
      crh
  5. 5
    Zielfahnder Krawuttke says:

    Man stelle sich nur vor, es gibt auch Menschen, die die Strafbarkeit der Abtreibung immernoch gut heißen. Es ist ja nicht so, dass das Pendel in der Bevölkerung ganz klar in Richtung „Selbstbestimmung der Frau“ schlägt. Es mag immer gute Gründe für einen Abbruch geben (bspw nach Vergewaltigung oder wenn der Embryo mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht lebensfähig sein wird), aber die Fristenlösung mit Beratung und Abbruch bis Woche 12 ist nicht zwingend. Es ist ja nicht so, dass bei Woche 12 nicht schon ein Baby erkennbar wäre. Es ist eben kein Zellkonglomerat mehr (Biologieunterricht hilft). Letztlich ist es ja auch nicht unmöglich anderweitig die Entstehung eines Embryos zu verhindern (Verhütung), oder? Die ganzen Aktivistinnen überhöhen meines Erachtens dass“Selbstbestimmungsrecht“ der Frau.

  6. 6
    Ralph S. says:

    „Und für lau bekommt man so ein Verfahren auch nicht.“
    Falls es dem BMFSFJ ernst ist mit Emanzipation und Gleichstellung der Frau (z.B. Selbstbestimmung über ihren Körper) wäre das ja mal ein förderwürdiges Projekt.
    Ansonsten könnte sie es noch „Abtreibungen gegen Rechts“ nennen und in die stetig wachsenden diesbezüglichen Fördertöpfe greifen¹ ;)

    ¹ nicht ganz unernst gemeint. Im Gegensatz zu geförderten(!) „Schach gegen Rechts“ etc. vermag Abtreibung effektiv neue Rechte zu verhindern… Auch, weil Abtreibung alleinerziehende Mütter (zu oft inkl. sozialem Abstieg) verhindert.

  7. 7
    Ralph S. says:

    @Krawuttke, #5

    Keine Verhütung == grob fahrlässiges Verhalten von Vergewaltigten? Spannende Idee, da sollte die Krankenkasse auch nicht leisten müssen…
    Im Übrigen ist (fast?) keine Verhütungsmethode ’sicher‘: Bitte mal „Pearl-Index“ googeln.

  8. 8
    Overath Martin says:

    Statistisch spielt § 219a Abs. 1 Nr. 1. StGB keine Rolle.
    – Die hessische Justizministerin (CDU) sollte die Gynäkologin begnadigen.

  9. 9
    Mendel says:

    T1000 schreibt: „Andererseits ist das Verbot darüber zu informieren, dass man eine Dienstleistung anbietet ein Eingriff in die Berufsfreiheit und vor allem die Möglichkeiten der Betroffenen (hier: Frauen) sich zu informieren.“

    Zum einen existiert hier ein Ungleichgewicht: wirtschaftliche Interessen stehen hinter einer Alternative, aber nicht hinter der anderen. Beipiel Rauchen: es gab Werbung für das rauchen, aber nicht dagegen, obwohl das Nichtrauchen aus Verbrauchersicht die gesündere und aus vlkswirtschaftliche Sicht die billigere Alternative ist. Der Staat hat durch gesetzliche Regelungen dieses Ungleichgewicht beseitigt. Es ist sicher wünschenswert, beim Thema Abtreibung ein solches Gleichgewicht gar nicht erst entstehen zu lassen.

    Was die Möglichkeit, sich zu informieren angeht, so bleibt das Bewerben von Informationsdienstleistungen ja meiner Lesart des Gesetzes nach straffrei. Grob gesagt:
    „Ungewollzt schwanger? Lassen Sie’s hier wegmachen!“ ist verboten, „Ungewollt schwanger? Lassen Sie sich hier beraten!“ scheint mir erlaubt zu sein. Und dann kann ich als Betroffene ja immer noch anrufen: per Telefon ist das Anbieten dieser Leistung ja nicht öffentlich, so dass ich dann die gewünschte Auskunft erhalten werde.

  10. 10

    […] November“ hat dieser am Samstagmorgen um 6:47 Uhr erhoben, nachdem seine Kommentare (dieser und jener) in der Moderationsschleife hängen geblieben sind und ich noch nicht so früh wach war, […]

  11. 11
  12. 12
    TomDoll says:

    @Philipp:
    „Wenn die Rechtsordnung Wege zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzte eröffnet, muss es dem Arzt auch ohne negative Folgen für ihn möglich sein, darauf hinzuweisen, dass Patientinnen seine Dienste in Anspruch nehmen können (BVerfG v. 24.05.2005 – 1 BvR 1060/02, RdNr. 36).“

    Dieses kleine obiter dictum macht mich Glauben, dass das BVerfG gerne über das Schicksal des § 219a StGB entscheiden würde: noch auslegungsfähig (Art. 103 II GG) oder schon verfassungswidrig (Art. 12 GG)?. Und liest man dann auch noch „Zu § 219a StGB“ in BT-Drucks. 7/1981 (neu), S. 17 vollständig und aufmerksam, lässt ich vllt. sogar ahnen, wo die Reise dann hingeht…

    ?
    TD