Im Zusammenhang mit der Beschwerde von Deniz Yücel hatte ich in einem Blogbeitrag vor übertriebenem Optimismus gewarnt. Und auf die Fallstricke hingewiesen, die das sogenannte Subsidiariätsprinzip (Art. 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG) über den Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht spannt.
Ein schönes Beispiel …
… dafür, daß selbst anerkannte Profis über diese Vorschrift stolpern können, zeigt der Beschluß der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgericht (BVerfG), vom 24. Mai 2017 – 2 BvQ 26/17.
Beschluß
Das Amtsgericht München hatte einen Durchsuchungsbeschluß erlassen, der die Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei anordnete. Die Ermittler haben dann anläßlich der Durchsuchung Unterlagen und Daten sichergestellt.
(Kein) Rechtsmittel
Gegen diese Sicherstellung hatte sich die Kanzlei (und parallel auch die Mandantschaft der Kanzlei – Az: 2 BvQ 27/17) zunächst beim Amtsgericht München gewehrt (analog § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO), ohne Erfolg. Die Beschwerde der Kanzlei gegen die Entscheidung des Amtsgerichts hatte das Landgericht noch nicht entschieden, für die Mandantschaft wurde diese Beschwerde gar nicht erst erhoben.
Das Ziel …
… nämlich die Verhinderung der Sichtung der sichergestellten bzw. beschlagnahmten Unterlagen und Daten durch die Staatsanwaltschaft, hat die Kanzlei dann mit einem Eilantrag auf eine einstweiligen Anordnung beim Bundesverfassungsgericht nach § 32 Abs. 1 BVerfGG zu erreichen versucht.
Hat nicht funktioniert, …
… weil die Möglichkeiten des fachgerichtlichen Eilrechtsschutzes nicht ausgeschöpft wurden. Zu früh geschossen also.
Auf die Beschwerde nach § 304 StPO hätte das Landgericht die Entscheidung des Amtsgerichts aufheben können. Eine Beschwerde-Entscheidung gab es noch nicht (s.o.). Zudem – und da genau liegt der subsidiäre Hund begraben – hätte das Landgericht (aka: Beschwerdegericht) nach § 307 Abs. 2 StPO von Amts wegen oder auf Antrag die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung des Amtsgericht bis zur Entscheidung über die Beschwerde aussetzen können.
Einen solchen (Aussetzungs-)Antrag hat weder die Kanzlei noch deren Mandantschaft gestellt. Aus-die-Maus.
Keine Laien
Wenn man sich jetzt mal anschaut, durch wen sich die Kanzlei und deren Mandantschaft hat vertreten lassen, sieht man, daß es sich keineswegs um Debütanten oder strafprozessuale Amateure handelt. Die Verteidiger sind ernst zu nehmende Schwergewichte.
und
Nicht lustig
Es ist natürlich leicht, sich über so einen vermeintlichen Anfängerfehler lustig zu machen. Die beiden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zeigen aber einmal mehr, daß Verfassungsbeschwerden keine Kindergeburtstage sind.
Nota bene:
Selbst wenn die Verfassungsgeschwerden zulässig gewesen wären, hätte das nicht zwingend auch deren Begründetheit zur Folge gehabt. Nicht ohne Grund liegen die Erfolgsquoten insoweit bei unter 5% (in Worten: fünf Prozent). Der verfassungsrechtliche Wald versteckt sich nicht selten hinter den Bäumen.
Was hat das nun mit Deniz Yücel zu schaffen?
Und da schließt sich nun der Kreis zur Menschenrechtsbeschwerde von Deniz Yücel. Wenn schon das Bundesverfassungsgericht sich schwertut mit der Annahme von Beschwerden, wird das beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ganz bestimmt nicht einfacher sein.
Ich drücke Deniz Yücel und den anderen in der Türkei inhaftierten Journalisten dennoch sämtliche Daumen!
PS:
Eine Zusammenfassung der beiden Beschlüsse des BVerfG mit einem anderen Schwerpunkt hat Marc Chmielewski in der juve geschrieben.
Das BVerfG hat m.E., jedenfalls schreibt das Herr Chmielewski, den für Herrn Yücel möglichen Seiteneinstieg zum EGMR zumindest ansatzweise aufgezeigt: „Gründe, warum die Inanspruchnahme dieser Rechtsschutzmöglichkeiten ausnahmsweise unzumutbar gewesen sein könnte(n), seien „weder dargelegt worden noch sonst ersichtlich“
Akdivar v. Turkey (1996) (21893/93), Paragraphen 70-77 könnte sich vermutlich auf die heutige Situation in der Türkei auch anwenden lassen… dort hat der EGMR die Rechtswegserschöpfung auch nicht durchgesetzt.
Ich hatte mich auch gewundert, dass es jetzt bekanntere Anwälte (mit einem noch bekannteren Auftraggeber…) getroffen hatte. Allerdings ist die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen von der Statistik her nochmal ne Runde weniger erfolgreich als in anderen Bereichen. Der Maßstab im Ermittlungsverfahren ist nunmal nicht so hoch.
Man mag dem BVerfG ja lassen, dass sie die Fachgerichtsbarkeit respektieren wollen, aber gerade in einem solchen Fall ist so eine Ablehnung schwer erträglich, weil die StA hier in den Kernbereich des anwaltlichen Arbeitens geht. Tolle Idee, wenn man da einfach mal alles beschlagnahmt, was der Auftraggeber intern dem Anwalt alles so erzählt hat. Man kann sich ja schon denken, was das Landgericht mit der Beschwerde gemacht hätte und vor allem wieviel Wochen eine Entscheidung gedauert hätte (zumindest in Berlin). Währenddessen sitzt der befasste Staatsanwaltschaft in seinem Kabuff und schmökert schön in den internen Untersuchungsberichten des Auftraggebers… fehlt nur noch das passende geistige Getränk dazu…
Vielleicht zeigt so ein Fall nur auf, dass es langsam Zeit wird, dass das BVerfG auch mit Rechtsanwälten besetzt wird.