Rechtskraft um die Ecke

Der Job beim Landgericht in einer Berufungskammer ist unter Strafrichtern ziemlich beliebt. Denn oftmals gelingt es, sich der Akten, die auf ihrem Resopal-Schreibtisch landen, auf einfachem Wege zu entledigen. Dafür folgender Beleg.

Unser Mandant wurde entsprechend dem Verteidigungsziel verurteilt – zu einer mäßigen Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die unmäßige Staatsanwaltschaft legte am Tag nach der Verkündung gegen das Urteil die Berufung ein.

Wir haben es uns zur Regel gemacht, knapp vor Ende der Rechtsmittelfrist beim Gericht anzurufen. Ziel der Nachfrage ist es zu erfahren, ob das Urteil rechtskräftig wird. In diesem Fall informierte uns die Geschäftsstelle über die Berufung der Staatsanwaltschaft.

Um für unseren Mandanten alle Optionen in der Berufungsinstanz nutzen zu können, legen wir ebenfalls ein Rechtsmittel ein, quasi die Anschlußberufung (ein aus dem Zivilprozeß geklauter Begriff).

Ich weiß nun nicht sicher, was die Vorsitzende Richterin am Landgericht, bei der die Sache gelandet ist, gemacht hat. Mein Blick in den Caffèsatz verrät mir aber ein vertrauliches Gespräch in der Kantine zwischen ihr und dem zuständigen Staatsanwalt.

Das vorläufige Ergebnis dieser Besprechung war diese Faxanfrage:

Die Wege, auf denen die Verteidigung ihr Ziel erreicht, führen manchmal um die Ecke.

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Bild: © Rainer Sturm / pixelio.de

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10 Antworten auf Rechtskraft um die Ecke

  1. 1
    quicker-easier says:

    So wahnsinnig vertraulich war das Gespräch dann wohl doch nicht – immerhin wird es in dem Schreiben indirekt erwähnt.

    • Nun, ja. Wenn man mir das Gespräch an sich hätte verheimlichen wollen, dann wäre es der Staatsanwalt gewesen, der mir diesen Deal vorschlägt. Insoweit ist an dem Vorgehen der Richterin nichts auszusetzen. Was mir jedoch nicht mitgeteilt wurde, sind die Inhalte des Gesprächs und wer die Initiative dazu ergriffen hatte.
       
      Kantinen- oder Flurgespräche sind jedoch ein wesentlicher Bestandteil des Strafprozesses – auch und sogar in diesem unseren Land. crh
  2. 2
    SH says:

    Was ich da ja nicht ganz verstehe: Der Staatsanwaltschaft passt das Urteil also so sehr nicht, dass sie bereit ist, sich die Arbeit einer Berufung zu machen. Kaum kommt aber der Angeklagte auf die Idee, das auch zu tun, ist es plötzlich doch nicht mehr so wichtig?

  3. 3
    RA Schatz says:

    @SH:
    Meiner Ansicht liegt das wohl daran, dass eine längere Berufungsverhandlung bei der Strafzumessung angerechnet wird. Die Staatsanwaltschaft läuft dadurch Gefahr, dass das Berufungsurteil noch günstiger für den Angeklagten ausfallen wird. Daher auch die „Anschlussberufung“ – sonst wäre diese Gefahr weitaus geringer (aber nicht verschwunden). Zumindest rechnet die Staatsanwaltschaft mit Gegenwehr und will durch das Angebot ein noch besseres Urteil verhindern. Die Richterin wird dies wohl etwas näher verdeutlicht haben…

  4. 4
    SH says:

    @RA Schatz: Diese Gefahr besteht doch aber (zumindest theoretisch, ich bin kein Jurist) auch schon durch die Berufung der StA alleine?
    So wirkt es auf mich wie ein „man kann es ja mal versuchen“-Spiel, das nur mäßig auf ein Selbstbild von der „objektiven Behörde“ passt …

  5. 5
    quicker-easier says:

    @SH: ohne das Verfahren zu kennen, ist das eigentlich Kaffeesatzleserei. Daher nur ein paar Stichpunkte :

    Der Arbeitsaufwand, den die StA mit einer reinen Strafmaßberufung hat, ist sehr gering.

    Eine Berufung wird eingelegt, bevor man die schriftliche Urteilsbegründung kennt. Es kann also durchaus Sinn machen, die Berufung erst einzulegen und später zurückzunehmen, weil die Begründung einen überzeugt hat.

    Die StA muss nicht nur für gerechte Entscheidungen kämpfen (oder was sie dafür hält), sondern auch für Rechtsfrieden. Das kann dazu führen, dass man sich mit einer nur mäßig akzeptablen Entscheidung zufrieden gibt, weil man im Gegenzusteuern das endgültige Ende eines Verfahrens bekommt.

    Und vielleicht hat die Richterin der StA auch nur klar gemacht (oder angedeutet), dass sie das Urteil angemessen findet und vermutlich keine höhere Strafe herauskommen wird?

  6. 6
    WPR_bei_WBS says:

    Was ist denn der Vorteil, den man durch eine Anschlußberufung auf Seiten des Angeklagten erhält? Warum die Staatsanwaltschaft das im umgekehrten Fall macht (und auch hier erst zurück zieht, *nachdem* der Angeklagte dies getan hat) ist klar, der Angeklagte kann sich aufgrund seiner Berufung schließlich nicht verschlechtern.

    Aber davon abgesehen ist es doch (soweit ich das bis jetzt verstanden habe) so, dass eine Berufung(sverhandlung) eine Berufung(sverhandlung) ist, also sich weder am Aufwand des Gerichts noch am „Milde-Risiko“ der Staatsanwaltschaft etwas ändert. Oder?

    • Sobald die StA ins Rechtsmittel gegangen ist, kann am Ende das Urteil „schlechter“ für den Angeklagten ausgehen – unabhängig davon, ob der Angeklagte auch die Berufung eingelegt hat. Die StA kann dann ihre Berufung auch auf das Strafmaß beschränkten, so daß der Schuldspruch rechtskräftig wird, wenn der Angeklagte kein Rechtsmittel eingelegt hat.
       
      Bei eingelegter Berufung stehen dem Angeklagten dann aber auch alle Möglichkeiten offen, den Schuldspruch noch einmal anzugreifen und in vollem Umfang in die Beweisaufnahme einzusteigen.
       
      Die „Anschlußberufung“ erhöht für den Angeklagten also jedenfalls die Verhandlungsmasse, z.B. wenn es darum geht, die Staatsanwaltschaft zur Rücknahme ihres Rechtsmittels zu motivieren. Wenn das Berufungs-Gericht (wie gewöhnlich) eine umfangreiche Beweisaufnahme scheut, hat die Verteidigung dann oftmals in dem Vorsitzenden Richter einen Unterstützer in den Verhandlungen mit der Staatsanwaltschaft. crh
  7. 7
    Flo says:

    @WPR_bei_WBS, der Vorteil als Angeklagter auch in Berufung zu gehen ist eben das Verschlechterungsverbot. Geht nur der Staatsanwalt in Berufung ist alles wieder möglich.

  8. 8
    Fry says:

    Welchen Sinn macht es überhaupt, dass das Urteil verkündet wird, lange bevor die Urteilsgründe bekannt sind (sogar dem Richter…).

    Ich weiß, absurde Frage…

  9. 9
    Engywuck says:

    @Fry: damit das Ergebnis schonmal feststeht – z.B. ob der Angeklagte freigelassen wird. Die Gründe selber werden dem Richter schon (grob) bekannt sein, aber halt noch nicht „berufungsgerichtsfest“ ausformuliert.

    Das ist in anderen Bereichen aber auch so: ein Berufsschullehrer hat mir berichtet, dass bei Ihnen die Gesellenprüfung mit Abgabe des Gesellenstücks endet (die schriftlichen Prüfungen sind vorher). Damit *muss* aber am selben Tag noch klar sein, ob der Prüfling durchgefallen ist – ab bestandener Prüfung ist die Lehrzeit ja zuende. Also muss am selben Abend (Abgabe ist spät am Nachmittag) das Ergebnis der Prüfung klar sein, obwohl das Prüfungsprotokoll speziell bei „knappen“ Fällen einige Zeit dauert. Und das natürlich bei allen Prüflingen.

  10. 10
    quicker-easier says:

    @Fry, @Engywuck:
    Es gibt imho noch eine ganze Reihe weiterer guter Gründe:
    – Aus Richtersicht sind die Eindrücke aus der Hauptverhandlung frisch
    – Die Richter fällen ihr Urteil mehr aufgrund der Hauptverhandlung und weniger aufgrund der Akten
    – Strafrecht soll auch erzieherischen Eindruck machen – das funktioniert besser, wenn die Strafe auch direkt nach der Verhandlung verkündet wird und nicht Wochen später
    – und vor allem: zivilrechtliche Streitigkeiten sind oft juristisch schwierig, die löst man am besten allein am Schreibtisch. Die Schwierigkeiten im Strafrecht liegen dagegen meistens im Tatsächlichen – da braucht man nicht mehrere Tage Bedenkzeit. Und wenn das Gericht doch der Meinung ist, dass es mehrere Tage braucht, setzt es halt einen Fortsetzungstermin für die Urteilsverkündung an – ist eher unüblich, aber geht auch.