Respekt vor einer Pflichtverteidigerbestellung

Die Richterin eines auswärtigen Gerichts rief mich an und fragte mich, ob ich bereit sei, eine Pflichtverteidigung in einer Wirtschaftsstrafsache zu übernehmen. Sie beabsichtige, mich einem Angeklagten zum Pflichtverteidiger zu bestellen.

Da ich sehr gern und oft auch außerhalb des Mollochs Moabit unterwegs bin, habe ich ihr zugesagt.

Es ist nicht das erste Mal, daß ich bei dieser Richterin verteidige. Wir kennen uns seit einigen Jahren und es hat immer wieder herrliche Auseinandersetzungen gegeben – ihr Verständnis von Ihrer Aufgabe wich nicht selten von meinen Vorstellungen ab. Die Beweisaufnahmen standen stets unter einem kontradiktorischen Stern.

Sie wußte also, daß ich kein Verurteilungsbegleiter bin und als Verteidiger keine „Sterbehilfe“ leiste. Dennoch oder gerade deswegen erging der entsprechende Beschluß und ich bin nun der gerichtsgewählte Pflichti des Mandanten.

In der Akte finde ich dann folgenden Vorlagebeschluß nach § 209 Abs. 2 StPO:

Die Staatsanwaltschaft hatte die Anklage zum Strafrichter erhoben, weil sie von einer Strafe von maximal zwei Jahren ausausgeht. Die Richterin, die über die Zulassung der Anklage zu entscheiden hatte, meinte nun, ihre Strafkompetenz reiche nicht! Deswegen soll das Schöffengericht ran an die Sache, weil ein Strafrichter, der von zwei Schöffen begleitet wird, maximal vier Jahre ausurteilen darf.

Das Schöffengericht lehnte die Übernahme allerdings dankend ab, eröffnete vor dem Strafrichter und schickte die Akte wieder zurück an die Strafrichterin.


Vor diesem Hintergrund und der Kenntnis des Verteidigungs-Engagements eines Kreuzberger Strafverteidigers ist meine Bestellung zu Pflichtverteidiger durchaus einen respektablen Blogbeitrag wert.

Ich freue mich, daß es Richter gibt, die Verteidiger, die ihre Aufgabe ernst nehmen, nicht als Störfaktor, sondern als unverzichtbaren Bestandteil eines fairen Strafverfahrens anerkennen.

Und ich bin gespannt auf die Reaktion der Richterin, wenn ich mich mit meinem Mandanten laut über ein Ablehnungsgesuch unterhalte.

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Bild: © Angela Parszyk / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Richter veröffentlicht.

14 Antworten auf Respekt vor einer Pflichtverteidigerbestellung

  1. 1
    Dante says:

    Mir ist es ja schlicht schleierhaft, wie man es als Angeklagter dazu kommen lassen kann, dass das Gericht den Pflichtverteidiger aussucht. Man wird schließlich gefragt, wen man als Pflichtverteidiger haben will.

    Wer darauf nicht reagiert und sich nicht seinen eigenen Pflichtverteidiger sucht, muss schon eine etwas seltsame Einstellung zur eigenen Freiheit haben.

    In meiner Praxis als Strafrichter waren solche Fälle tatsächlich auch äußerst selten.

  2. 2
    Hoppel says:

    @Dante

    Als angeblicher oder tatsächlicher Strafrichter sollte man eigentlich wissen, daß nicht jeder Angeklagte überhaupt einen Anwalt benennen kann – sei es, weil er noch nie mit dem Strafrecht in Berührung kam, bisher nichts mit Anwälten zu tun hatte oder schlicht und einfach nichts mit den Gepflogenheiten des deutschen Rechtssystem anzufangen weiß. Da ist es mir dann schlicht eher schleierhaft, wie man einen solch oberflächlichen Kommentar ohne weiteres Nachdenken wie Sie verfassen kann…

    • Schade, daß es Ihnen nicht gelungen ist, Ihre – vielleicht sogar berechtigte – Kritik nicht ohne einen Angriff auf die Person des Kommentators zu formulieren. crh
  3. 3
    Der wahre T1000 says:

    Ablehnungsgesuch? Weswegen? Weil die Richterin von einer höheren Strafe ausging? Vielleicht hat sie nur in Erwägung gezogen, dass es so sein könnte und wollte vorsorgen?

    • Audiatur et altera pars. crh
  4. 4
    RA Ullrich says:

    @ Hoppel: Nachdenken alleine reicht für einen zutreffenden Kommentar leider nicht, wenn es an der Sachkenntnis fehlt. Ein Angeklagter muss in solchen Fällen ja nicht sofort einen Anwalt benennen, sondern bekommt dafür in der Regel zwei Wochen Zeit, da kann auch der bislang Ahnungslose z.B. mal im Internet nach einem brauchbaren Verteidiger recherchieren oder jemanden fragen, der sich damit auskennt. Auf die mit der Anklageschrift verbundene Aufforderung des Gerichts, einen Verteidiger zu benennen, nicht zu reagieren, zeugt in aller Regel schon von einer gewissen gefährlichen Nachlässigkeit oder Blauäugigkeit (oder sonstigen geistigen Defiziten) und kommt auch in der Tat nur relativ selten vor. Noch viel seltener (gefühlt nie!) kommt es übrigens vor, dass so jemand dem Gericht tatsächlich schreibt, es möge ihm bitte einen Verteidiger bestellen, weil er selbst keinen findet. Wenn das Gericht den Pflichtverteidiger aussuchen muss, dann hat sich der Angeklagte in gefühlten 95 % der Fälle überhaupt nicht gemeldet. Die restlichen 5 % Fälle die sich melden, sind Leute, die aus Geldnot, chronischem Misstrauen gegenüber allen Juristen oder eigenen eingebildeten Expertenkenntnissen heraus dagegen protestieren, dass man ihnen überhaupt einen Anwalt beiordnen will.

  5. 5
    RA Feske says:

    Chapeau! Und:
    ein Strafrichter, der die Auseinandersetzung mit einer qualifizierten Verteidigung nicht scheut, wird auch mit einem Ablehnungsantrag umgehen können.

  6. 6
    Sascha Böttner says:

    Vielleicht will die Richterin ja abgelehnt werden?
    Wäre sie auch beim Schöffengericht zuständig gewesen oder wäre sie bei Übernahme die Sache losgeworden?

    • Ich hab’s nicht geprüft, aber so, wie es aussieht, wäre sie in diesem Fall nicht zuständig. Aber beachte die Reihenfolge: Erst der Verweisungsbeschluß mit der Reaktion des Schöffengericht, danach dann meine Bestellung zum Pflichtverteidiger. Andersherum wäre es keine Story Wert gewesen. ;-) crh
  7. 7
    Hoppel says:

    @RA Ullrich

    Danke für die erklärenden Worte :-)

    Ich war vielleicht tatsächlich zu harsch mit meinem ersten Kommentar und entschuldige mich bei Dante…

  8. 8
    klaus says:

    Es hätte wahrscheinlich nicht wenige Richter gegeben, die die Anklage einfach durchgewunken hätten. Womöglich hätten sie maximal den ersten und letzten Absatz gelesen, alles dazwischen ist eh überflüssiger Füllstoff. Das ist erstmal positiv.
    Negativ könnte sich auswirken, dass sie anscheinend noch nicht so abgestumpft ist, dass sie es anscheinend nicht normal findet, dass jemand so schnell (hohe Rückfallgeschwindigkeit, soviel zum Thema unerfahrener Angeklagter) nach dem letzten Konflikt mit dem Gesetz mutmaßlich 120 Leute um ihr Geld bringt, ohne es damit zu verbrämen, dass der Beschuldigte einfach einen guten Laus hatte, und empfindet, dass 12000€ schon ein ganzer Batzen Geld sind. Insofern ist es durchaus angebracht, laut mit dem Mandanten darüber nachzudenken, ob es nicht geschickter wäre, wenn man einen völlig abgestumpften Richter bekommt, dessen emotionalste Momente des Tages sind, wenn er morgens die Blumentöpfe im Büro gießt und ausrechnen kann, um wieviel ein Verteidiger den Staat schädigt, wenn er seinen Laptop mit Gerichtsstrom betreibt.

  9. 9
    Flo says:

    @Sascha Böttner, oder da hat jemand noch eine Rechnung mit dem offen der bei Ablehnung wegen Befangenheit zuständig wird.

  10. 10
    Techniker says:

    A propos Pflichtverteidiger: Wenn ich als Beschuldigter einen Anwalt brauche, dann mehr oder weniger von jetzt auf gleich. In viele Sachen rutscht man einfach rein, eine fahrlässige KV im Strassenverkehr ist schnell passiert, ein Verdacht des Fahrens unter Drogeneinfluss ist manchmal auch schnell da (mir selber passiert: Der Herr Polizist interpretierte meine Heuschnupfen-Roten Augen und den, warum auch immer, nicht 100% negativen Drogenschnelltest als Verdachtsgrundlage. Zum Glück war der in diesem Moment deutlich zu schnell und zu laut an uns vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer plötzlich deutlich interessanter als ich.)
    Ich denke dass es sich durchaus lohnen könnte, ein ode zwei Strafverteidiger kennenzulernen, bevor ein aktueller Bedarf besteht. Jmd wildfremden „aus der Zelle heraus“ anzurufen und im Hilfe zu bitten (wobei dies auch nur ein Geschäft ist) stelle ich mir sehr schwierig vor.
    Das Dilemma: Ohne konkreten Anlass wird sich wohl kein Verteidiger zum „kennenlernen“ Zeit nehmen wollen, ohne dafür nicht auch seine Zeit in Rechnung zu stellen (nachvollziehbar und gerechtfertigt).
    Wie also „seinen“ Strafverteidiger in Ruhe aussuchen und mit ihm eine viertel-halbe Stunde zusammensitzen, reden, prüfen ob beide Seiten überhaupt zusammenarbeiten können und anschliessend auseinandergehen mit den Worten „Ich hoffe dass wir uns niemehr sehen (müssen)“?

  11. 11
    Roland B. says:

    Bei einer angeblich schnell mal passierenden Körperverletzung, genau wie bei einem Drogenschnelltest dürfte man keineswegs in der Situation sein, „aus der Zelle heraus“ schnell und dringend einen Anwalt suchen zu müssen. Klar wird immer empfohlen, sofort einen Anwalt zuzuziehen, aber wenn man sich erstmal auf sein Aussageverweigerungsrecht bezieht, hat man in diesen Fällen doch sicher immer die Möglichkeit, sich in Ruhe umzuhören.

  12. 12
    Roland B. says:

    Bei der KV geht es natürlich um die angesprochene selbige im Straßenverkehr. Bei anderen, die sicher nicht so oft „schnell mal passieren“ könnte die vorherige Kontaktaufnahme mit einem Strafverteidiger natürlich durchaus empfehlenswert sein.

  13. 13
    Marc Aurel says:

    Ein Ablehnungsgesuch wegen der Nichtanhörung vor der Vorlage an das Schöffengericht hört sich sportlich an. Das Gericht trifft hier in keiner Weise eine Vorverurteilung, sondern muss abstrakt die Rechtsfolge einschätzen, die sich bei Bewahrheitung der Anklagevorwürfe ergibt.
    Ob, und das ist eine zweite Frage, man die Vorsitzende, die dem Angeklagten durchaus wohlwollend gegenübersteht (denn sonst hätte sie einen anderen Verteidiger genommen) durch einen Ablehnungsantrag verärgert, muss der Taktikfuchs CRH natürlich mit sich selbst ausmachen.

  14. 14