Strafverfahrensrecht für Zivilrechtler

Ich verteidiger zur Zeit einen Kollegen, der seinen Schwerpunkt im Zivilrecht hat. Ihm wird ein recht unangenehmer Vorwurf aus dem Bereich der Vermögensstraftaten vorgeworfen. Es geht also um die Wurst.

Deswegen ist der Kollege auch sehr engagiert dabei, mir zahlreiche Vorschläge für die Verteidigung zu machen und ganz tolle rechtliche Hinweise zu geben.

Nachdem ich mir den ganzen Sermon angeschaut habe, konnte ich es mir nicht verkneifen, den Oberlehrer zu geben und ihm die StPO aus Sicht der Strafrechtspraxis zu schildern:

Du hast Recht, wenn Du von der klassischen Arbeit der Strafjuristen an der Uni ausgehst, die schlicht einen feststehenden Sachverhalt subsumieren. Die Praxis sieht anders aus:

Der Staatsanwalt blickt nicht richtig durch. Er verfügt – wie alle erfahrenen Strafjuristen – aber über die Fähigkeit, jedes gewünschte Ergebnis mit einer vordergründig schlüssigen Argumentation zu erreichen.

Der Wunsch des Staatsanwalts in solchen Situationen besteht darin, die Akte von seinem Schreibtisch zu bekommen. Deswegen wird er seine Mühe darauf richten, eine einigermaßen am § 200 StPO orientierte Anklage zu schreiben und dem Angeschuldigten konkludent mitzugeben, er möge das dann doch in der Beweisaufnahme vor Gericht klären.

Der Richter, der sich nicht dagegen wehren kann, die Anklage auf seinen Tisch zu bekommen, hat dann auch keinen Bock, sich das zivilrechtslastige Zeug anzuschauen. Er erläßt (mehr oder minder ungeprüft) den Eröffnungsbeschluß und geht davon aus, daß er die Sache mit einem Deal später wieder von seinem Tisch bekommt.

So funktionieren die überwiegenden Wirtschaftsstrafsachen, wenn die Verteidigung nicht vorzeitig eingreift und dem Staatsanwalt Alternativen zur Anklageerhebung liefert, damit er sich wieder in Ruhe um Ladendiebe und Schwarzfahrer kümmern kann.

Der Kollege hat jetzt verstanden, wie es im richtigen Leben abgeht.

Obiter dictum:
Oft wird in Anwaltskreisen nur von Lehrern gesprochen, wenn es um schwierige Mandanten geht. Einen Rechtsanwalt mit Schwerpunkt im Zivilrecht als Mandanten zu haben, ist für einen Strafverteidiger jedoch die Höchststrafe.

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Bild: © M.E. / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Gericht, Mandanten, Rechtsanwälte, Richter, Staatsanwaltschaft, Strafverteidiger, Verteidigung, Wirtschaftsstrafrecht, Zivilrecht veröffentlicht.

9 Antworten auf Strafverfahrensrecht für Zivilrechtler

  1. 1
    le D says:

    Ich gehe aber mal davon aus, dass der gemeine Zivilrechtler in rechtlichen Sachen lernfähiger als der Lehrer ist!

  2. 2
    Mirko Laudon says:

    Leider ziemlich zutreffend. Die Kunst besteht m.E. darin, der Staatsanwaltschaft und dem Gericht von vornherein klarzumachen, dass sie an der Hauptverhandlung keine Freude haben werden. Dann steigt häufig die Bereitschaft, mal über eine Einstellung gegen Auflagen nachzudenken.

  3. 3
    Martin Overath says:

    Man vermietet ja auch nicht an Lehrer, Ingenieure oder Rechtsanwälte.

  4. 4
    K75 S says:

    @Martin Overath: Gegen Ingenieure hab´ ich nichts. Bei mir stehen Taxifahrer an zweiter Stelle. :D

  5. 5
    DonJon says:

    Dass Strafrechtler kein ZPO können (wollen), war mir schon klar. Aber im Ernst: Jeder Anwalt kennt doch den Spruch „Wer sich selbst vertritt, hat einen Esel zum Anwalt/Mandanten“.
    Ich selbst war Gott sei Dank noch nie in der Situation, dass ich einen Kollegen beauftragen musste, erst recht keinen Strafverteidiger. Ich habe also keine Ahnung, wie ich mich verhalten würde, wenn es mal soweit sein sollte (hoffentlich nie).
    Aber wenn ich schon einen Strafverteidiger bezahle, soll der auch was tun für sein Geld. Mal sehen ob ich mich im Fall der Fälle an diesem weisen Spruch erinnere.

  6. 6
    Höchststrafe says:

    Ich denke, der nicht geringfügige Vorschuss wird die Qualen der „Höchststrafe“ Jurist als Mandant erheblich mildern.

  7. 7
    Andreas says:

    Kommt mir irgendwie bekannt vor. Ärzte und Krankenschwestern als Patienten sind die Höchststrafe, dagegen sind Helikopter-Eltern geradezu pflegeleicht…

  8. 8
    Klaus Krebs says:

    Ihre Gedanken sind m. E. etwas einseitig, aber durch ihre Pointiertheit durchaus anregend.

  9. 9
    Frank says:

    Hallo und danke für den tollen Artikel.
    Ein guter Anwalt für Zivilrecht ist schwer zu finden.
    Ich werde mich auf paar Seiten informieren.