Monatsarchive: Januar 2018

Flüchtlingsobergrenze erreicht?

In den vergangenen Tagen sind insgesamt neun Häftlinge aus der Justizvollzugsanstalt Plötzensee ausgebrochen oder nicht in den offenen Vollzug zurückgekehrt. Nach Ansicht einiger vermeintlicher Kompetenzträger trage der Justizsenator Dirk Behrendt (Die Grünen) dafür die Verantwortung.

Dazu hat der Vorstand der Vereinigung Berliner Strafverteidiger am 3. Januar 2018 die nachfolgende

Presseerklärung zu Gefangenenentweichungen aus der JVA Plötzensee

veröffentlicht:

Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger lehnt die oberflächlichen und von Sachkenntnis weitgehend ungetrübten Forderungen nach persönlichen Konsequenzen des Justizsenators für die jüngsten Entweichungen aus der JVA Plötzensee ab. Die jetzigen Vorkommnisse sind absehbares Resultat der verfehlten Personal- und Sparpolitik der Vorgängerregierungen des letzten Jahrzehnts. Deren Fehlleistungen sind weder dem Offenen Vollzug als Vollzugsform noch dem jetzigen Justizsenator anzulasten.

Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger hat ebenso wie die Rechtsanwaltskammer Berlin die langjährige Sparpolitik der Senate im Justizbereich wiederholt kritisiert. Auch unter dem CDU-Senator Heilmann wurde in den fünf Jahren seines Wirkens der Personalschlüssel in den Justizvollzugsanstalten nicht einmal im Ansatz an die Mindestanforderungen eines verantwortungsvollen Strafvollzuges und dessen tatsächliche Erfordernisse angepasst.

Tatsächlich kann erst angesichts der aktuellen Personalplanung des jetzigen Senators erstmals wieder Hoffnung auf Besserung aufkeimen. Damit ist keinesfalls gemeint, dass Justizpersonal nur insoweit vorhanden sein müsse, als es gelte, Ausbrüche zu verhindern: Nicht nur gesetzliche, sondern auch rational vordringliche Aufgabe eines aufgeklärten Strafvollzuges ist die Resozialisierung der Gefangenen. Berlin praktiziert zwar seit Jahren erfolgreich den Offenen Vollzug, ist indes traditionell ein Schlusslicht unter den Bundesländern, was die Zahl vorzeitiger Entlassungen aufgrund günstiger Prognosen für Gefangenen vor Ende ihres Vollzuges angeht. Dies ist direkte Folge der permanenten personellen Unterausstattung der Vollzugsanstalten durch die Vorgängerregierungen, welche bis heute eine adäquate Betreuung und Dokumentation der Behandlung der Gefangenen verhindert. Statt wohlfeiler Rücktrittsforderungen aus den Reihen derjenigen, welche diese Zustände maßgeblich mitzuverantworten haben, wäre es an der Zeit einen parlamentarischen und haushalterischen Konsens für einen verfassungsgemäßen Strafvollzug herbeizuführen, der gleichermaßen den Ansprüchen der Gefangenen und der Gesellschaft Rechnung und dann auch konsequent dafür Sorge trägt, dass entsprechende finanzielle Mittel und Personal bereitgestellt werden. Dies schuldet die Stadt nach unserer Auffassung nicht zuletzt auch ihren Vollzugsbediensteten, die unter schwierigsten Bedingungen und in Unterbesetzung einen immer noch bewundernswerten Einsatz zeigen.

Sach- und Personalmangel sind die Ursachen einerseits. Andererseits könnte man ja einmal mehr darüber nachdenken, ob es sinnvoll ist, daß fast jeder dritte Insasse in der JVA Plötzensee eine Ersatzfreiheitsstrafe wegen wiederholten Schwarzfahrens bei den Berliner Verkehrsbetrieben verbüßt.

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Bild: Ahle, Fischer & Co. Bau GmbH, CC BY-SA 3.0

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Strafverteidiger als Popstar?

Wir erhalten ja schon allerlei unterhaltsame eMail-Anfragen. Aber diese Nachricht von gestern ist etwas Besonderes:

Bin ich jetzt ein Popstar? Und wenn ja: Was mache ich jetzt damit?

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Zeugen-Verladung

Ein illustres Beispiel dafür, mit welcher Arroganz unsere Justiz mit dem wichtigsten Beweismittel in einem Strafprozeß – den Zeugen – umgeht, zeigt das folgende Beispiel.

Für den letzten Hauptverhandlungstermin hatte der Vorsitzende zwei Zeugen geladen. Beide gleichzeitig für 10 Uhr. Die erste Zeugin war eine Polizeibeamtin, die an zwei sehr umfangreichen Vernehmungen der minderjährigen Geschädigten aktiv beteiligt war; mit zwei weitere Vernehmungen hatte sie ebenfalls zu tun. Alle vier Vernehmungen enthielten reichlich Widersprüche, die der Aufklärung bedurften.

Die Geschädigte wurde bereits vorher schon an drei Tagen vernommen. Eine ihrer Standard-Antworten, wenn es an’s Eingemachte ging oder wenn diese Widersprüche thematisiert wurden, lautete: „Da kann ich mich grad nicht dran erinnern.“

Es war also erkennbar, daß wir – d.h. das Gericht, die Staatsanwaltschaft und die 8 Verteidiger der vier Angeklagten – die Vernehmungsbeamtin zahlreiche Fragen haben werden.

Der zweite Zeuge war ein Unbeteiligter, der über seine Wahrnehmungen zu einem kurzen Geschehen Auskunft geben sollte. Seine Aussage über ein Detail ist von zentraler Bedeutung für das Ergebnis der Beweisaufnahme. Das Wohl und Wehe von drei Angeklagten hängt von seinem Bericht ab.

Beide Zeugen warteten pünktlich um 10 Uhr vor dem Gerichtgssaal. Der Zeuge bereits seit 9:30 Uhr, weil er keinesfalls zu spät kommen wollte. Die Kriminalbeamtin wurde zuerst vernommen. Fast drei Stunden lang. Was von Anfang an vorhersehbar war.

Der Zeuge saß während dessen – uninformiert – auf dem zugigen Gerichtsflur. Gegen 13 Uhr wurde er dann vom Vorsitzenden in den Saal gerufen, um ihm mitzuteilen, daß man ihn heute nicht mehr anhören könne. Er durfte also unverrichteter Dinge das Gericht wieder verlassen. Allerdings nicht ohne erneute Ladung; zum 03.01.2018 um 10 Uhr soll er erneut erscheinen, damit man ihn dann vernehmen könne.

Zuvor hatte derselbe Vorsitzende, der jenen Zeugen bereits einmal verladen(sic!) hat, diese Ladungsliste an die Verfahrensbeteiligten geschickt:

Bei diesen Zeugen handelt es sich ebenfalls nicht um solche, die auf zwei, drei Fragen antworten und dann nach 3 Minuten den Saal wieder verlassen können. Es handelt sich um das Zeugenprogramm für den gesamten Verhandlungstag, der voraussichtlich wie die vorherigen gegen 16:30 Uhr enden wird. Da kommt’s dem Richter anscheinend auf den einen oder anderen mehr oder weniger auch nicht mehr an.

Hat jemand Einwände gegen meinen dringenden Rat: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen! Und es nach Möglichkeit vermeiden, als Zeuge in Betracht zu kommen. Um sich nicht von einem Richter zum Affen machen zu lassen?

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