Monatsarchive: November 2018

Strafverteidigung, Beratungshilfe, Prozeßkostenhilfe

Der Beitrag von gestern zum Thema Zeithonorar motivierte die die Blog-Leserin Kristina, in einem Kommentar zu einer uns häufig gestellten Frage:

Vorneweg die knackige Antwort: Nein! Dieser Umkehrschluß ist falsch. Aus mehrerlei Gründen.

1. Beratungshilfe und Strafrecht

Die Beratungshilfe (BerH) ist im – na, wo? Richtig! – Beratungshilfegesetz (BerHG) geregelt. Nach § 1 BerHG gibt es finanzielle Unterstützung bei der Wahrnehmung von Rechten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens, und zwar in allen rechtlichen Angelegenheiten. Also grundsätzlich auch im Strafrecht. Allerdings mit einer Einschränkung (§ 2 Abs. 2 S. 3 BerHG):

In Angelegenheiten des Strafrechts und des Ordnungswidrigkeitenrechts wird nur Beratung gewährt.

Es gibt also keine strafrechtliche Vertretung (oder gar Verteidigung), sondern nur warme Worte. Mehr kann es tatsächlich nicht geben, weil zu einer fundierten Beratung im Strafrecht die Akteneinsicht gehört – ohne Ermittlungsakte kann ein Verteidiger keinen konkreten Rat erteilen, weil er nicht weiß, was die Ermittlungsbehörde weiß. Eine Beratung bezogen auf ein konkretes Problem nur auf der Basis von Informationen des Ratsuchenden zu liefern, funktioniert nicht.

Die Besorgung der Akteneinsicht durch den Rechtsanwalt wäre allerdings dann schon keine reine Beratung mehr; deswegen werden die Kosten dafür auch nicht von der Beratungshilfe übernommen (OLG Bamberg, Beschl. v. 08.02.2016 – 4 W 120/15).

Um die Frage von Kristina zu beantworten: Wir leisten dennoch Beratungshilfe und zwar hier und dort. Und das ganz ohne die Selbstbeteiliung des Ratsuchenden in Höhe von 15 Euro (§ 44 RVG iVm Ziffer 2500 VV) zu verlangen und ohne, daß sich der Ratsuchende sich mühsam den Beratungshilfeschein beim Amtsgericht (§ 4 BerHG) abholen muß.

2. Prozeßkostenhilfe und Strafrecht?

Die Prozesskostenhilfe (PKH) – früher als „Armenrecht“ bezeichnet – ist in § 114 ZPO geregelt, der bedürftigen Klägern oder Beklagten eine finanzielle Unterstützung gewährt. Dadurch soll gewährleistet werden, daß auch arme Menschen Verfahren vor den Zivil-, Verwaltungs-, Arbeits-, Finanz- und Sozialgerichten, dem Bundespatentgericht sowie dem Bundesverfassungsgericht führen können. Die PKH ist also eine Art Sozialhilfe im Bereich der (meist Zivil-)Rechtspflege.

Für das Strafrecht gibt es bis auf wenige Ausnahmen (Nebenklage, Adhäsion …) keine Prozeßkostenhilfe. Jedenfalls bisher noch nicht.

3. Notwendige Verteidigung / Pflichtverteidigung

Die sozialstaatlich gewährte PKH wird nicht selten mit der notwendigen Bestellung eines Pflichtverteidigers verwechselt (so auch von der Fragestellerin Kristina). Eine Verteidigung ist nicht nur schon allein deswegen notwendig, weil der Beschuldigte kein Geld für den Verteidiger hat. Notwenig kann hingegen eine Verteidigung auch dann sein, wenn der Beschuldigte Dagobert Duck heißt und im Geld schwimmt.

Notwendig ist eine Verteidigung regelmäßig dann, wenn der Beschuldigte mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr rechnen muß. Dies wäre zum Beispiel bei einem Ladendiebstahl oder einer leichten Körperverletzung regelmäßig nicht der Fall, wohl aber bei einem Raub. Geregelt ist das alles in § 140 Strafprozeßordnung (StPO). Dort sind weitere Fälle der notwendigen Verteidigung beschrieben.

Wer sich das Zitat in einem vertiefenden Zusammenhang anschauen möchte, kann sich – kostenlos – hier beraten lassen.

4. Übernahme von Pflichtverteidigungen

Ich unterstelle einmal, die Frage von Kristina lautet eigentlich:

Übernimmt die Kanzlei Hoenig auch Pflichtverteidigungen?

Auch dafür habe ich eine knackige Antwort: Na klar doch!

Es gehört zum Selbstverständnis eines Strafverteidigers auch den Menschen zur Seite zu stehen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens aufgewachsen sind.

TL;DR

  • Beratungshilfe im Strafrecht ist sinnlos.
  • Prozeßkostenhilfe im Strafrecht gibt’s nicht.
  • Pflichtverteidigung ist keine Sozialhilfe. Sondern notwendig.
, , 3 Kommentare

Mandanteninformation zum Zeithonorar

Die Verteidigung gegen Vorwürfe insbesondere auf dem Gebiet des Steuer- und Wirtschaftsstrafrechts ist in der Regel nicht kalkulierbar. Weder die Folgen des Vorwurfs, noch der Umfang der erforderlichen Verteidigertätigkeit sind zu dem Zeitpunkt absehbar, in dem ein Beschuldigter seinen Verteidiger um Hilfe bittet.

Das sind ein paar der Gründe, warum ich die Vereinbarung eines Zeithonorars für notwendig, aber auch für fair halte. Ich habe meine Gedanken aus eirnem gegebenen Anlaß in einer Mandanteninformation zusammen gefaßt, die ich hier veröffentlicht habe.

Vielleicht gibt es ja die eine oder andere Anmerkung dazu. You’re welcome …

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Bild (CC0): nile / via Pixabay

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Behördendeutsche Juristenprosa

Die (Schrift-)Sprache mancher Juristen ist eigenartig. Und auch in gewissem Umfang verräterisch.

Ein klassisches Beispiel aus dem Schreiben eines südwestdeutschen Amtsgerichts:

Diese Passivformulierungen wirken nicht nur gestelzt, sondern – im hiesigen Kontext – auch feige.

Ich hatte mich beschwert:

In der Strafsache gegen

Gottfried Gluffke
– 18 Cs 31 Js 49902/17-

nehme ich Bezug auf anliegendes Schreiben vom 24.05.2018, das ich am 01.09.2018 erneut und mit der Bitte um Beantwortung an das Gericht übermittelt hatte.

Eine Reaktion habe ich bis heute leider nicht erhalten. Ich bin nicht der Ansicht, daß es schicklich ist, die Anfrage eines Verteidigers schlicht zu ignorieren, und würde mich über eine Antwort bis zum 27.10.2018 freuen.

Ich bedanke mich vorab und verbleibe
mit freundlichen Grüßen aus Kreuzberg

Da ist also etwas schief gelaufen (kann ja mal passieren) und ich wollte durch meine etwas angestaubte Formulierung für Aufmerksamkeit sorgen. Das ist mir ja nun gelungen, schließlich habe ich darauf eine Reaktion erhalten.

„Es wird mitgeteilt …“ und „Weiter wird mitgeteilt …“ und „… noch nicht entschieden wurde“.

Was spricht dagegen, sich einer Sprache zu bedienen, die sich nicht anhört, als wäre sie aus einer längst vergangenen Zeit gekommen, in der ein Bürger (oder ein Verteidiger) ehrfurchtsvoll nach oben in Richtung der Obrigkeit zu blicken hat?

Zum Beispiel so:

… der Termin … fand wegen Ihrer Anträge nicht statt, die ich bisher noch nicht bearbeitet habe, aber umgehend bearbeiten werde. Ich bitte um Ihr Verständnis.

Das wäre ehrlich, höflich und eine Begegnung auf Augenhöhe. Ich habe Respekt vor den Leuten, die beim Gericht arbeiten, und ich erwarte ebensolches von ihnen mir gegenüber. Das Versteckspiel hinter den Passivformulierungen drückt das nicht aus, sondern steht für Überheblichkeit, die jedenfalls in heutigen Zeiten keine Rechtfertigung mehr findet.

Oder ist dieses „Behördendeutsch“ lediglich ein Ausdruck für fehlendes Selbstbewußtsein, das die Verwender damit kaschieren wollen?

Vielleicht bin ich ein wenig zu sprachsensibel, aber Sprache ist nun einmal das Werkzeug der Juristen. Damit sollte man sorgsam umgehen. Meint Ihr nicht?

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Auf der Suche nach der Wanne?

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin teilt mit, daß man bundesweit Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt (hat). Gegenstand des Ermittlungsverfahrens ist angeblich die gelbe Farbe am Großen Stern.

Ich hatte über die Anmalung des Kreisverkehrs hier im Blog berichtet und dazu aufgefordert, unsere Wanne im Kreisel zu finden. Daß die Staatsanwaltschaft jetzt nach über 4 Monaten immer noch danach sucht, war nicht zu erwarten.

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Ein Haftbefehl und gute Laune

Der Mandant hatte Schwierigkeiten, den Kontakt zur Justiz aufzunehmen. Dabei wollte ihm das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft ein wenig helfen. Das war vorauszusehen, und dem Mandanten auch von seinem Verteidiger so mitgeteilt.

Sei’s drum. Nun habe ich Akteneinsicht erhalten und fand in der Akte diesen roten Zettel:

Eine (Farb-)Kopie dieses wenig freundlichen Beschlusses hat der Mandant dann per Post bekommen, begleitet von diesen güldenen Worten:

Anbei übersende ich Ihnen den gegen Sie erlassenen Haftbefehl.

Es gibt nicht viele Menschen, die ein solches Dokument von ihrem *Verteidiger* ausgehändigt bekommen und nicht *nach* der Festnahme von einem *Haftrichter*.

Das gelingt nicht jedem Verteidiger. Sie sollten ihn sehr pfleglich behandeln, damit er keine schlechte Laune bekommt.

Es geht nichts über zufriedene Mandanten, oder doch? Eine Ausnahme könnte ich mir vorstellen: Ein zufriedener Verteidiger.

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Wie Sie sehen, sehen Sie nichts.

Daß ich das noch erleben darf!

Heute morgen, beim Start unserer Anwaltssoftware, der Blick auf meinen Posteingang:

Gestern Abend gegen 21 Uhr ist es mir nach langen Jahren erstmalig wieder gelungen, meinen Posteingang vollständig abzuarbeiten. Keine Rückstände mehr aus den Vortagen; keine Akten, die auf die Bearbeitung warten; alles erledigt.

Es ist dasselbe Gefühl, daß ich einmal hatte, als ich morgens zur Schule gegangen bin und sämtliche Hausaufgaben bereits erledigt waren … inklusive aller Lateinvokabeln.

So, uns jetzt stressfrei ran an die neuen Sachen …

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Tanzbären beim Amtsgericht Gießen

Ein Eckpfeiler des Jugendstrafrechts ist der Beschleunigungsgrundsatz. Es geht um den Erziehungseffekt, den ein Strafverfahren auf den Jugendlichen oder Heranwachsenden haben soll. Populistisch ausgedrückt heißt es: „Die Strafe soll auf dem Fuße folgen.“ Ein guter Gedanke.

Soweit die Theorie.
Nun zur Praxis des Jugendstrafgerichts beim Amtsgericht Gießen, ein Gericht, das mit dem Gütesiegel „Familienfreundlicher Arbeitgeber Land Hessen“ ausgezeichnet worden ist. Meinen Glückwunsch!

Der Fall
In der Nacht vom 30. auf den 31.03.2016 schlenderten zwei Jungs, jeweils einen Döner essend, durch die örtliche Fußgängerzone. Im Vorübergehen pöbelten die vier Angeklagten die Jungs an, die jedoch weiter kauten und gingen.

Einer der vier Angeklagten sprang einem der beiden Jungs in den Rücken, der fiel auf die Knie, die sich bis heute noch in einem derangierten „Zustand nach Patellafraktur“ befinden.

Die anderen drei Angeklagten machten sich über den zweiten Jungen her, schlugen ihm erst von hinten gegen den Kopf, dann auf den Boden und prügelten dort dann weiter auf ihn ein. Hier gab es „nur“ bleibende psychische Folgeschäden.

Soweit die Behauptungen aus der Anklageschrift vom 7.10.2016. Die Aussagen der beiden Jungs bestätigen den Vortrag der Staatsanwaltschaft. Die Angeklagten haben sich nicht bzw. besteitend zu den Taten eingelassen.

Das Verfahren
Sieben Monate für eine Anklage in so einer überschaubaren Sache ist ja schonmal eine ordentliche Hausnummer. Ich würde mich schämen dafür. Aber es geht ja weiter.

Am 9.11.2017, also 11 Monate nach Anklageverfassung und 20 Monate Monate nach dem Tattag, bittet mich das Gericht um „umgehende Mitteilung„, ob mir der Hauptverhandlungstermin am 05.03.2018 passen würde. Dieser Termin paßte und wurde danach noch zweimal aufgehoben, der letzte war der 22.10.2018.

In der vergangene Woche erhielt ich vor der Abteilung Jugendsstrafsachen des familienfreundlichen Amtsgerichts Gießen diese wahnsinnig dringende Anfrage:

Die Ursache(n)
Es gibt Ressourcenknappheit bei der Justiz, Richter und Säle sind nicht im ausreichenden Maß vorhanden, um den Bearbeitungsaufwand zu bewältigen; das ist bekannt und zu mißbilligen. Wenn sich aber eine Richterin wie ein Tanzbär am Nasenring durch die Manege führen läßt, sind Zweifel am Organisationstalent und damit an der Geignetheit zum Führen des Richteramts angebracht.

Als Grund für die Terminsaufhebung vom 22.10.2018 gab die Richterin am 12.10.2018 bekannt, daß …

… der Verteidiger des Angeklagten N* am 09.10.2018 mitgeteilt hat, dass sich der Angeklagte N* am Terminstag auf einer seit März 2018 gebuchten Urlaubsreise befindet.

Der Termin am 22.10.2018 stand seit Mai 2018 fest.

Ich freue mich auf die Zirkusvorstellung im Frühjahr 2019, drei Jahre nach der angeklagten Prügelei.

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Bild (CC0): Free-Photos / via Pixabay

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