Behördendeutsche Juristenprosa

Die (Schrift-)Sprache mancher Juristen ist eigenartig. Und auch in gewissem Umfang verräterisch.

Ein klassisches Beispiel aus dem Schreiben eines südwestdeutschen Amtsgerichts:

Diese Passivformulierungen wirken nicht nur gestelzt, sondern – im hiesigen Kontext – auch feige.

Ich hatte mich beschwert:

In der Strafsache gegen

Gottfried Gluffke
– 18 Cs 31 Js 49902/17-

nehme ich Bezug auf anliegendes Schreiben vom 24.05.2018, das ich am 01.09.2018 erneut und mit der Bitte um Beantwortung an das Gericht übermittelt hatte.

Eine Reaktion habe ich bis heute leider nicht erhalten. Ich bin nicht der Ansicht, daß es schicklich ist, die Anfrage eines Verteidigers schlicht zu ignorieren, und würde mich über eine Antwort bis zum 27.10.2018 freuen.

Ich bedanke mich vorab und verbleibe
mit freundlichen Grüßen aus Kreuzberg

Da ist also etwas schief gelaufen (kann ja mal passieren) und ich wollte durch meine etwas angestaubte Formulierung für Aufmerksamkeit sorgen. Das ist mir ja nun gelungen, schließlich habe ich darauf eine Reaktion erhalten.

„Es wird mitgeteilt …“ und „Weiter wird mitgeteilt …“ und „… noch nicht entschieden wurde“.

Was spricht dagegen, sich einer Sprache zu bedienen, die sich nicht anhört, als wäre sie aus einer längst vergangenen Zeit gekommen, in der ein Bürger (oder ein Verteidiger) ehrfurchtsvoll nach oben in Richtung der Obrigkeit zu blicken hat?

Zum Beispiel so:

… der Termin … fand wegen Ihrer Anträge nicht statt, die ich bisher noch nicht bearbeitet habe, aber umgehend bearbeiten werde. Ich bitte um Ihr Verständnis.

Das wäre ehrlich, höflich und eine Begegnung auf Augenhöhe. Ich habe Respekt vor den Leuten, die beim Gericht arbeiten, und ich erwarte ebensolches von ihnen mir gegenüber. Das Versteckspiel hinter den Passivformulierungen drückt das nicht aus, sondern steht für Überheblichkeit, die jedenfalls in heutigen Zeiten keine Rechtfertigung mehr findet.

Oder ist dieses „Behördendeutsch“ lediglich ein Ausdruck für fehlendes Selbstbewußtsein, das die Verwender damit kaschieren wollen?

Vielleicht bin ich ein wenig zu sprachsensibel, aber Sprache ist nun einmal das Werkzeug der Juristen. Damit sollte man sorgsam umgehen. Meint Ihr nicht?

Dieser Beitrag wurde unter Gericht, Philosophisches veröffentlicht und mit den Begriffen verschlagwortet.

15 Antworten auf Behördendeutsche Juristenprosa

  1. 1
    OHG says:

    „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“.

    Das Angestaubte ist es, das Raum für Vagheit belässt. Je „diverser“ die Anliegen, umso diversifizierter die Ausweichoptionen. Natürlich gilt auch: Wer etwas zu sagen hat, kann es klar sagen. Vielleicht ist dieses Phragma exakt der Filter, der – umgedreht angewendet – zur Lösung obiger Sprachakrobatik beiträgt.

  2. 2
    disel says:

    Wenn der Absender beispielsweise die Sekretärin / das Schreibbüro / die Praktikantin ist und der nur gesagt wurde „schreib dem mal das und das“ dann ist die Formulierung richtig. Also: wer hat unterschrieben?
    Eventuell „im Auftrag“?

    • Mir geht es nicht um richtig oder falsch. Sondern um den Tonfall und den vermittelten Subtext. crh
  3. 3
    blu*b says:

    Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Hoenig,

    es wird mitgeteilt, dass Sprache bekanntlich die Quelle der Missverständnisse ist.

    Weiter wird mitgeteilt, dass persönlich gehaltene Formulierungen einen gewissen Mehraufwand vom Verfasser fordern und dann beim Empfänger gerne auch mal missverstanden werden. Und dann ist es auch doof.

    Noch ganz viel weiter und etwas um die Ecke wird mitgeteilt, dass die Antwort auch hätte lauten können:

    „wenn Sie und andere mich weiter mit Anträgen fluten, wird das leider nix mit der Bearbeitung, denn hier ist Chaos. Und wann ich Ihre Anträge bearbeite, weiß ich auch nicht so genau. Ich sach mal, „umgehend“, weiß aber auch nicht so recht, was das bedeutet.“

    Dieser Textbaustein steht aufgrund von Wartungsarbeiten in unserem EDV-System und aufgrund einiger offener Verfahren, die dieser Textbaustein verursacht hat, jedoch derzeit und absehbar nicht zur Verfügung.

    Derzeit befindet sich folgender Textbaustein in der juristischen und linguistischen Prüfung durch die Fachdezernate: „Leider war mir eine Bearbeitung Ihrer Anträge bisher nicht möglich. Ich werde dies so schnell wie möglich nachholen und bitte noch um etwas Geduld“.

    Hiergegen habe ich Einspruch eingelegt, da ich nicht einsehe, dass ich wieder die Schuld haben soll.

    Mit vorzüglicher Hochachtung
    Nicht die Bearbeiterin (m/w)

    PS. Danke für die „Karte“ (Off-Topic)

  4. 4
    martin says:

    klarname Gottfried Gluffke ?

    • Anders als manche feige Kommentaroren (aka: lichtscheues Gesindel), die sich hinter gefaketen eMail-Adressen wie zB. „no@no.no“ verstecken, haben meine Mandanten keine Angst davor, eine steile Karriere in dem Weblog eines Strafverteidigers zu machen. crh
  5. 5
    blu*b says:

    @martin

    Herr Gluffke wohnt mit Herrn Hoenig sogar in einer WG. Habe ich jedenfalls gehört!

    • Nein. Sie verwechseln Gluffke mit Brause, Wilhelm Brause.
      Übrigens: Beste Grüße von Mütterchen Mü. crh
  6. 6
    M. Beermann says:

    So solle er sich anderlei Beschäftigung suchen, sei er mit den Formulierungen seiner Zunft unzufrieden. ;-)

  7. 7
    Willi says:

    Hallo,

    ich verstecke mich nicht hinter no@no.go, aber woanders :-)
    Und das aus gutem Grund. Daten die gespeichert sind, egal wie und egal wo, können irgendwann in falsche Hände geraten. Deshalb gibts keine (verwendbare) Mailadresse. Da stehe ich dazu und sehe mich trotzdem nicht als Lichtscheues Gesindel.
    Da ich quasi jedem (gewerblichen) Mail-Partner bei mir eine eigene Mailadresse zuweise sehe ich, wem alles schon Mailadressen (gewollt oder ungewollt) „abhanden“ gekommen sind. Es ist erstaunlich wer da alles Mailadressen weitergibt (oder sich „klauen“ lässt)

    Deshalb Datensparsamkeit, meine Mailadresse gibt es nur dort wo sie auch gebraucht wird.

    Gruß

    Willi

    • Hier, der ist für Sie. Werden Sie noch brauchen. crh
  8. 8
    Zielfahnder Krawuttke says:

    Das ist das Ergebnis der Verfügungstechnik. Insoweit hat Disel ganz recht. Die Verfügung auf der Rückseite Ihrer Anfrage wird in etwa so ausgesehen haben:

    Vfg
    1) Bitte schreiben an V (freundlich), dass Termin 16.4.2018 aufgrund der Anträge nicht stattfand und über die Anträge noch nicht entschieden worden ist; dies erfolgt umgehend.
    2) WV 3 Wo.

    • Ok, soll ich daraus schließen, daß ich jemand zwischen mir und dem Adressaten setzen soll, wenn ich überheblich wirkendes Amtsdeutsch fabrizieren will? Könnte es nicht auch eine Frage einer besseren Ausbildung der Mitarbeiter sein, die es entsprechend zu beantworten gilt?
       
      In unserer Kanzlei sehen die „Verfügungen“ grundsätzlich nicht viel anders aus; trotzdem bekommt meine Assistentin es mühelos auf die Reihe, ansprechende Formulierungen zu finden. Wo ein Wille ist … crh
  9. 9
    RA Schepers says:

    Sehr hilfreich für Juristen, die verständlich schreiben wollen, ist

    Tonio Walter: Kleine Stilkunde für Juristen (sponsored link).

  10. 10
    lichtscheues Gesindel says:

    Wer so schreibt, denkt auch so. Und wer das unterschreibt, denkt nicht (nach).

    Ich kenne aber auch einige Nichtjuristen, die glauben, so drücke man sich gewählt aus. Inhaltlich oft Käse, der mit einem Drittel Text ausgekommen wäre, aber es klingt halt so offiziös.

    Subtext: Auf das Niveau des offenbar ironisch gemeinten „schicklich“ lassen wir uns hier nicht herab, einem Piefke gegenüber schon gar nicht.

    Mich wundern nur die „freundlichen Grüße“, scheint aber nur ein Textbaustein zu sein…

  11. 11
    Kalle says:

    Mit was man sich so beschäftigt, wenn dass das Postfach leer ist ;)

  12. 12
    busy says:

    Etwas moderner wäre vieleicht:
    fyi, sry tldr, q&a asap.
    lg busy

    Text ist oft was man daraus macht aber Herr Hoenig hat schon recht, es tut niemandem weh eine freundliche Form zu wählen und ich denke, in diesem Fall soll es eine Art Schutz darstellen und sei es nur um professionell zu wirken.

  13. 13
    Charlie says:

    Zum Thema „(schlechtes) Amtsdeutsch“ wurde ja schon oft und viel fabuliert, ohne dass sich etwas geändert hätte. Aber Kollegen können das auch … ;-)

    Wenn man einen Anfang machen will, sollte man erst einmal einen Grundsatz beherzigen: die Verwendung des Verbs „erfolgen“ ist bei [Strafe] (hier einsetzen, was unangenehm genug ist) verboten. Es ist *immer* möglich, das deutlich besser zu formulieren.

  14. 14
    Subsumtionsautomat says:

    In unserer Kanzlei sehen die „Verfügungen“ grundsätzlich nicht viel anders aus; trotzdem bekommt meine Assistentin es mühelos auf die Reihe, ansprechende Formulierungen zu finden. Wo ein Wille ist … crh

    In Ihrer Kanzlei haben Sie auch einen Einfluss darauf, wer dort arbeitet, und wahrscheinlich handelt es sich um eine Handvoll Personen, denen Sie Weisungen erteilen dürfen. Der Richter hat aber mit wesentlich mehr Personen zu tun, insbesondere im Vertretungsfall, so dass individuelle Anordnungen nur begrenzt möglich sind. Außerdem ist er auch nicht der Chef „seiner“ Mitarbeiter. Nicht zuletzt bekommt er auch gar nicht mit, was am Ende nach außen gelangt, und hatte vielleicht bei seiner Verfügung etwas ganz anderes im Sinn. Außerdem tritt er in seiner Funktion auf – vielleicht sogar in Vertretung für einen anderen Kollegen – und ist gar nicht für die abschließende Entscheidung zuständig. Es gibt also diverse Gründe für eine solche Formulierung, die ich persönlich so sicher nicht in jedem Fall gewählt hätte. In manchen Situationen aber schon.

    Auch bei Anwälten scheint das „Ich“ einigermaßen verpönt zu sein, während in der Regel der „Unterzeichner“ etwas sagt/meint/etc. – das betont beim Richter oder Staatsanwalt einfach nur, dass er in seiner gegenwärtigen Funktion etwas sagt oder meint (die sich ja tagtäglich ändern kann), bei Rechtsanwälten, die ja in der Regel beständiger sind, macht das weniger Sinn… Es sei denn, es handelt sich auch dort um einen Vertretungsfall.

    • Da isses wieder: Das „Dafür-bin-ich-nicht-zuständig-Argument“, mit dem sich öffentlich-rechtlich-Bedienste gern aus der Verantwortung zu stehlen versuchen.
       
      Diesmal sogar begleitet von einem Whataboutism.
       
      Beides ist nicht hilfreich, wenn man ernsthaft daran interessiert ist, durch Sprachmüll transportierte Distanz (von oben nach unten) zum Gesprächspartner zu vermeiden. Geht nicht, gibt’s nicht. crh
  15. 15
    Häh ? says:

    Ich versteh hier irgnedwie nur Bahnhof..
    Wie können Sie denn am 13 .04. 2018 „Anträge stellen bzw ein Schriftstück beim Gericht einreichen, in dem Sie auf ein Schriftstück vom 24. Mai 2018 verweisen .
    Und woher kannte das Gericht schon am 16.4. 2018 (Absage der Verhandlung) dieses Ihrige Schriftstück vom 24. Mai 2018 ? Es wird immer rätselhafter, was an deutschen Gerichten so geschieht. Jedenfalls scheint der Gercihtsmitarbeiter/in über hellseherische Fähigkeiten zu verfügen! Toll.
    Im übrigen Stimme ich Kalle vollauf zu :-)

    • Es tut mir Leid, wenn Sie etwas nicht verstanden haben. Vielleicht hilft Ihnen diese Übersicht weiter:
      • 2018-04-13 Anträge
      • 2018-04-16 Termin
      • 2018-05-24 Schreiben (was ist aus den Anträgen vom 13.04. geworden?)
      • 2018-09-01 Erinnerung an das Schreiben vom 24.05.
      • 2018-10-** Beschwerde mit Fristsetzung zum 2018-10-27
      • 2018-10-** die gestelzte Reaktion auf die Beschwerde

      Klar, es ist manchmal etwas schwierig, zeitliche Abläufe hintereinander einordnen zu können. Aber dafür gibt es glücklicherweise ja Juristen, die Ihnen immer gerne weiterhelfen. crh