Das unbekannte Wesen

In einer eher unappetitlichen Wirtschaftsstrafsache hat das Gericht zutreffend erkannt, daß es sich um einen Fall der notwendigen Verteidigung handelt. Der Angeschuldigte hatte noch keinen Verteidiger, also bestellte der Richter ihm kurzer Hand einen Pflichtverteidiger.

Dieser Kollege gefiel dem Angeschuldigte aber nicht so richtig, deswegen schrieb er – ohne Rücksprache mit mir – an das Gericht:

Der Richter besorgte sich meine Zustimmung und beschloß die Umbestellung: Der Kollege wurde entpflichtet und ich dem Angeschuldigten zum Pflichtverteidiger bestellt.

Ich habe den Angeschuldigten eine Kopie des Beschlusses geschickt, ihm höflich guten Tag gesagt, mich bei ihm für den Vertrauensvorschuß bedankt und ihn gebeten, sich zur Vereinbarung eines Besprechungstermins bei uns zu melden.

Eine Reaktion erhielt ich nicht. Auch auf Briefe, Postkarte (siehe rechts), eMails und mehrere SMS meldete sich der Mandant nicht.

Dann kam meine Ladung zum Termin. Die ergänzende Akteneinsicht ergab, daß auch ihm seine Ladung ordnungsgemäß zugestellt wurde.

Noch einmal erging die Kaskade von Kontaktaufnahmeversuchen an den Mandanten. Auch jetzt reagierte er nicht.

Dennoch habe ich mich – soweit es mir anhand der Akten möglich war – auf die Verteidigung vorbereitet und bin pünktlich zum Hauptverhandlungstermin beim Gericht erschienen. Die vier Zeugen auch. Der Mandant nicht.

Erwartungsgemäß fragte mich der Richter:

Und Ihr Mandant? Wo ist Ihr Mandant? Kommt der noch?

An dieser Stelle komme ich regelmäßig ins Schwitzen. Was soll ich antworten? Was *darf* ich antworten? Was *muß* ich antworten.

Wie lautet die Antwort des Verteidigers?


     

 

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Das ist ein Dilemma, aus dem ein Verteidiger nur schwer herauskommt, wenn er sich ethisch und berufsrechtlich korrekt verhalten, und dabei gleichzeitig die Mandanteninteressen vertreten will.

In dem beschriebenen Fall erging am Ende ein Haftbefehl. Nun erwarte ich die Kontaktaufnahme des Mandanten irgendwann aus einer Justizvollzugsanstalt … wenn er sich nicht vorher bei mir gemeldet hat.

Ich verstehe manche Menschen nicht.

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Bild/Graphik oben: © lichtkunst.73 / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Mandanten veröffentlicht.

19 Antworten auf Das unbekannte Wesen

  1. 1
    Thorsten says:

    Sehe hier kein Dilemma. Ich kann den Richter bitten, noch zu warten. Ich kann – ohne es dem Richter vorher anzukündigen – rausgehen und versuchen, ihn telefonisch zu erreichen. Wenn ich ihn dann nicht erreiche und wenn er dann weiterhin nicht kommt, kann ich noch mit dem Richter diskutieren, ob nicht eine zwangsweise Vorführung zum Termin anstelle eines Haftbefehls genügt (habe natürlich kaum Argumente). Danach habe ich alles gemacht, um einen 230er-Haftbefehl zu verhindern. Alles andere hat sich der Mandant ganz alleine zuzuschreiben. Und ich kann abends in den Spiegel schauen.

  2. 2
    Silke says:

    Ich verstehe Ihren Mandanten :) Er hat bestimmt keine Lust vor Gericht zu erscheinen aber möchte über Ihren Blog auf dem Laufenden gehalten werden.

  3. 3
    Referendar says:

    Ich habe als Sitzungsvertreter der StA in einem solchen Fall mal einen Haftbefehl beantragt. Die Strafrichterin fragte, ob das nicht übertrieben sei, es sei ja das erste Mal, dass der Angeklagte ausgeblieben sei – woraufhin der Pflichtverteidiger meinte: „Ich glaube, ein Haftbefehl wäre gar nicht schlecht, dann bekomme ich meinen Mandanten auch mal zu Gesicht.“

  4. 4
    Gast says:

    @Referendar das Verhalten des Verteidigers ist fuer mich nachvollziehbar, aber irgendwie ganz und gar nicht professionell.

  5. 5
    quicker-easier says:

    Das Dilemma kann ich Ihnen nicht abnehmen. Ich kann nur sagen, was (nach meiner Erfahrung) die unter Verteidigern allgemein übliche Antwort ist, nämlich: „Weiß ich nicht; er hat sich nicht bei mir gemeldet.“

  6. 6
    HugoHabicht says:

    @Gast, 3
    Jain. Formal greift der Verteidiger in dem Beispiel tief in die Porzelanschüssel. Es gibt aber Menschen, die brauchen mal einen Nackenschlag, um aufzuwachen. Kann man von außen nur schwer beurteilen.

  7. 7
    HugoHabicht says:

    In der Sache ist es natürlich auch möglich, dass der Angeschuldigte die nächsten Jahre damit beschäftigt ist, die Gewinne aus einer eher unappetitlichen Wirtschaftsstrafsache an einem Ort zu verprassen, an dem es mehr Palmen und weniger deutsche Strafrichter als z.B. in Berlin gibt.

  8. 8
    RA Ullrich says:

    @ HugoHabicht: Der Verteidiger ist aber nicht derjenige, der dafür zu sorgen hat, dass der Mandant den Nackenschlag bekommt. Wenn der Mandant seinen Pflichtverteidiger nicht kontaktiert und für ihn nicht erreichbar ist, dann ist das seine Sache (und seine eigene Dummheit), trotzdem darf sich der Verteidiger nicht dazu versteigen, gegen ihn zu arbeiten. Einen Haftbefehl befürworten, an dem das Gericht bereits Zweifel geäußert hat, ist ein glasklarer Parteiverrat (Ein Schelm, wer zusätzlich noch denkt, dass es dem Verteidiger womöglich weniger darum ging, den Mandanten wachzurütteln und mal zu Gesicht zu bekommen, als sich den Haftzuschlag auf eine Gebühren zu verdienen)

  9. 9
    WPR_bei_WBS says:

    Das „kann ich nicht sagen“ ist IMHO schon das beste, weil am unbestimmtesten: Warum genau man es nicht kann (weil man’s nicht weiß, nicht sagen darf, eine innere Blockade hat es zu sagen,…) bleibt weiterhin offen.

    Einzige gleichwertige (wenn einem ein angepisster oder zumindest verwunderter Richter egal ist) Alternative, die ich sehe: Gar nichts sagen, also absolute Stille auf die Frage :-).

  10. 10
    wie immer says:

    Die richtige Antwort lautet:

    Ich möchte mich dazu nicht äußern.

  11. 11
    mendel says:

    Das eigentliche Problem an „Weiß ich nicht; er hat sich nicht bei mir gemeldet“ ist, wenn’s mal nicht gesagt wird, bedeutet es dann implizit „ist geflohen“.

    Man kann natürlich auch dann, wenn der Mandant mal geflohen ist und der Verteidiger das weiß, die Antwortverweigerung „kann ich ihnen nicht sagen“ indirekt durch ein Blogbeitrag mit einem hypothetischen Fall begründen, der den Richter freundlicher stimmt, als wenn ihm der wahre Sachverhalt bekannt wäre. Ob das hier so passiert ist oder nicht, wissen wir nicht — und das ist ja gerade der Punkt. :-)

  12. 12
    Matthiasausk says:

    Er hat mir nicht gesagt, daß er nicht kommen wird.

  13. 13
    Non Nomen says:

    „Aus Gründen (berufs-)rechtlkicher Art sehe ich mich derzeit an der wahrheitsgemäßen Beantwortung der Frage gehindert.“

  14. 14
    WPR_bei_WBS says:

    Vielleicht auch „Tut mir leid, aber ich habe keine Sekretariats-Tätigkeiten für meinen Mandanten übernommen, seine Termiplanung macht er selbst.“

  15. 15
    busy says:

    Scheinbar gibt es kein Interesse des Mandanten, daher ist sich ethisch und berufsrechtlich korrekt verhalten für mich die bessere Wahl.
    Evtl. wird auch die Arbeit eines RA missverstanden und z.B. mit einer Art Kellner verwechselt.

  16. 16
    RA Ullrich says:

    Es kann ein Interesse des Mandanten geben, etwas dazu zu offenbaren, wenn denn der Verteidiger Informationen hat, die gegen eine Flucht oder gar für einen Entschuldigungsgrund sprechen könnten. Die Information, dass der Mandant auch für seinen Verteidiger schon im Vorfeld der Verhandlung nicht zu erreichen war, kann hingegen nur nachteilig sein.

  17. 17
    Gast 2 says:

    „Ich gehe davon aus, dass er sich unverschuldet verspätet.“ wäre eine gefahrlose Äußerung. Ausgehen kann man ja von so einigem.

    Taucht der Angeklagte dann überraschend doch nicht auf, dann steht zumindest schonmal der Anker im Raum, dass es nicht seine Schuld ist. Dann kann auch besser über zwangsweise Vorführung statt Haftbefehl verhandelt werden.

  18. 18
    Ridcully says:

    Hm. Meine Antwort war falsch. Und nachdem ich die Hinweise auf die berufsrechtliche Seite gelesen habe, stelle ich (mal wieder) fest, daß ich als Anwalt zumindest in einigen Fällen völlig ungeeignet wäre.

    @Gast2 (#17): die Tür im Gerichtssaal geht auf, der Mensch marschiert rein und nicht mal sein Anwalt (er)kennt ihn? Müßte er (also C.R.H.) sich dann nicht erstmal einen Ausweis zeigen lassen, um siche rzu sien, keinem Betrüger aufzusitzen?

  19. 19
    Antagonist says:

    Ich sehe das Dilemma nicht ganz. Meine Vermutung in Bezug auf ethische Bedenken wäre die Wahrheit zu sagen vs. Mandanteninteressen, aber „Das kann ich nicht sagen.“ ist a schließlich die Wahrheit und steht nicht im Widerspruch zu „Weiß ich nicht.“

    Übersehe ich etwas?