Der Wurm im Ermittlungsverfahren

Es kam zu einer Begegnung zwischen einem Autofahrer und einem Fußgänger. Letzterer hatte im Juli 2017 vormittags nix zu Besseres zu tun als die Internetwache der Berliner Polizei anzusurfen und dort die Konferenz der beiden Verkehrsteilnehmer zu schildern.

Die polizeilichen Internetausdrucker nehmen den Mist ernst, legen eine Akte an und leiten das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ein:

In dem Erlebnisbericht schildert der vormittagsfreihabende Fußgänger den Weltuntergang:

Als ich die B*str. entlang die S*str. überquerte, bog ein blauer Opel mit dem Kennzeichen B-XX 0000 plötzlich vor mir von der B*str kommend in die S*str ein und fuhr dabei fast gegen meinen Kinderwagen.

Daß der Mann überhaupt noch imstande war zu schreiben, was er da erlebt hat! Unglaublich!

Damit die Polizei auch genau weiß, was das ist, das da passiert ist, füllt er auch den übrig gebliebenen Raum auf dem Formular ausführlich und gewissenhaft aus:

Das Ganze landete dann auf dem Tisch eines Sonderermittlers beim Verkehrsermittlungsdienst des Polizeipräsidenten. Anhand des amtlichen Kennzeichens fand man den Halter – eine GmbH – heraus. Jetzt brauchte man nur noch den Fahrer ermitteln. Und wie macht man das am besten?

So nicht:

Jedenfalls dann nicht, wenn unsere Kanzlei im Spiel ist; wir verraten unsere Mandanten nicht.

Also, dann eben so:
Man besorgt sich ein paar Passfotos vom Landeseinwohneramt, bastelt daraus eine Wahllichtbildvorlage (WLV) und setzt die Ermittlungen des verantwortlichen Fahrzeugführers unter Hochdruck fort.

In einem weiteren Schritt erhält der knapp überlebt habende zu Fuß Gegangene eine Vorladung, damit er den potentiellen Kinderwagenschäder identifiziert. Das klappt auch fast ganz gut.

Aber auch nur fast.
Denn der Ermittler drückt den falschen Kopf auf der Tastatur – die Taste mit dem Aufdruck „Freud’scher Fehler“. In einem späteren Bericht schreibt der Wahllichtbildvorleger:

Zur Erläuterung.
Die Nr. 4 gab eine Person wieder, die der Beamte im Urin in Verdacht hatte, weil sie zu der GmbH gehörte. Die Nr. 3 war das Bild einer fiktiven Person.

Und was macht nun die Staatsanwaltschaft aus diesem Lapsus?
Nein, sie stellt das Verfahren nicht ein, weil der Fahrzeugführer nun doch nicht ermittelt wurde.

Sondern:
Die Nr. 4 wird als Beschuldigter eingetragen, dessen Registerauszüge geholt und anschließend die Akte an den Anwalt der GmbH zur Einsichtnahme geschickt.

Kann man noch mehr falsch machen?
Aber sischer datt: Der Rechtsanwalt, der sich als Zeugenbeistand für die GmbH gemeldet hatte, heißt nicht – wie der Sonderermittler aufgeschrieben hat – Carsten R. Hoenig, sondern Tobias Glienke.

Läuft beim PolPräs und der Staatsanwaltschaft Berlin! Tja, wenn der Wurm einmal drin ist …

Aber es gibt auch noch etwas Positives zu vermelden:
Der Sonderermittler hat darauf verzichtet, den im Kinderwagen sitzenden Zeugen auch noch zu vernehmen.

Dieser Beitrag wurde unter Justiz, Polizei, Staatsanwaltschaft veröffentlicht.

11 Antworten auf Der Wurm im Ermittlungsverfahren

  1. 1
    matthiasausk says:

    Oh, ein kommaverweigernder Amtsdeutschimitator.
    Mit solchen kanns viel Spaß geben.

  2. 2
    Viergewinnt says:

    Ich schalte mal ntv an, um zu gucken, ob schon Reporter vom Ort des Geschehens berichten. Ansonsten nach der Tagesschau im Brennpunkt.

    Ganz ehrlich, wenn man jetzt schon in Berlin „mitten auf der Fahrbahn stehen bleiben muss, um nicht mit einem Auto zusammenzustossen“, dann bleibe ich sicherheitshalber die restliche Woche erstmal zu Hause. Man weiss nie, nachher sind da noch andere Autos unterwegs…

    Aber wieso wurde denn nicht sofort eine Öffentlichkeitsfahndung eingeleitet??

  3. 3
    @law says:

    Aus der schwäbisch-prenzelbergerischen Kinderwagenterroristin wird sobald sie männlich ist ein gemeingefährlicher Drohschützer. Schon ein Blick in den Kinderwagen ist Gewaltandrohung. Am besten die Strassenseite wechseln :-)

  4. 4
    matthiasausk says:

    @3 – „Drohschützer“ kannte google noch gar nicht ;)
    Da gabs übrigens mal so eine Werbung, wo der Mann mit dem Kinderwagen diverse gefährliche Situationen im Straßenverkehr überstanden hat … um dann die Bierkiste aus dem Wagen zu nehmen …

  5. 5
    etg says:

    Nennt mich unlustig, aber ich kann nicht drüber lachen, wenn einer abbiegt und ein Kinderwagen nur dem Umfahren entkommt, weil der Vater gut reagiert hat.

    • Grundsätzlich haben Sie ja Recht – wenn es denn so gelaufen ist, wie Sie sich das jetzt vorstellen.
       
      Zum konkreten Fall: Wie groß ist der Sicherheitsabstand zu einem Kinderwagen auf der Straße? Um wiewiel wurde hier der Sicherheitsabstand unterschritten? Was hat Ihnen der Opelfahrer berichtet? crh

    Ob der Rest sein muss, sei dahingestellt, aber jetzt so zu tun, also ob da nix war finde ich erbärmlich.

    • Erbärmlich sind aber auch die Sachverhaltsquetschen, oder?
       
      Ich quetsche mal in die andere Richtung. Nehmen wir mal an: Der „drohschützende“ (s.o.) Vater ist übersensibel und der Opel ist in 2 oder 3 Meter Entfernung vor dem Kinderwagen in die Straße abgebogen. Wie sehen Sie diese falsche Verdächtigung, auch erbärmlich?
       
      Was motiviert Sie, diesem besserwissenden Oberlehrer ohne Kenntnis weiterer Details zu glauben, der die Polizei über die Tatbestandsvoraussetzung von Strafrechtsnormen meint belehren zun müssen? Der vielleicht gar seinerseits versucht hat, den Autofahrer zu nötigen, indem er den Kinderwagen in die Fahrbahn schiebt?
       
      Vorurteilsreflexe unter Kontrolle zu haben, ist keine schlechte Eigenschaft.
       
      Was fehlt uns beiden also? Kenntnis der tatsächlichen Begebenheiten. Deswegen können wir beide uns kein Urteil über eine Erbärmlichkeit des einen oder anderen Verkehrsteilnehmers erlauben. Meinen Sie nicht auch? crh
  6. 6
    DMHH says:

    „Deswegen können wir beide uns kein Urteil über eine Erbärmlichkeit des einen oder anderen Verkehrsteilnehmers erlauben. Meinen Sie nicht auch?“

    Ich lese in Ihrem Beitrag jedoch sehr eindeutig ein Urteil über die Erbärmlichkeit des Fußgängers.

    • Das können Sie so interpretieren, ja. Aber meine Kritik richtet sich nicht gegen seine Fortbewegung, sondern gegen die Denunziation und seine Klugscheißerei. crh
  7. 7
    Flamebeard says:

    Allerdings nur in Hinsicht darauf, dass dieser nicht nur als Anschuldigender, sondern auch gleich als Tatbestandfeststellender auftritt.

    Es kommt selten ein vernünftiges Urteil dabei heraus, wenn der subjektiv Geschädigte (sich geschädigt Fühlende?) auch gleich meint „objektiv“ den Sachverhalt in ihm vermeintlich bekannte Strafnormen zu gießen.

    Das schreit eigentlich förmlich danach, dass man die Objektivität der Ermittlungen (durch die entsprechenden Staatsorgane) anzweifelt…

    (Ja, ich bin neben meinen 6 Semestern Wirtschaftsrecht im Nebenfach, was dies angeht, wirklich unbeleckt und versuche, solchen Situationen mit Menschenverstand und Google-Fu bei zu kommen…)

  8. 8
    Viergewinnt says:

    Generell:
    Ich finde es sehr interessant und informativ, hier Einblicke in das (reale) juristische Hauptstadtgeschehen zu erhalten. (oftmals wünschte ich mir sogar ein „was wurde eigentlich aus…?“ als Update.

    Auch muss ich oft lachen über Herrn Hoenigs manchmal so herrlich erfrischende „politically unkorrekte Schreibweise“.. Eben nicht so bierernst.

    Unterschiedliche Meinungen sind ja ohnehin an der Tagesordnung im Juristischen. Sonst gäbe es viele Verhandlungen ja auch nicht

    Wenn dann noch konkret juristisch, und falls möglich noch mit Einblick in das reale Geschehen in den Berliner Gerichten etc., beigetragen wird, dann hat es sogar echten Mehrwert.

    In der Sache hier bin ich tatsächlich baff, dass Polizei, Staatsanwaltschaft da tatsächlich so viel Arbeit reinstecken.
    (Ich hatte sogar grosse Schwierigkeiten eine vollendete gefährliche KV, § 224 StGB i.V.m. §§ 123, 303, 185 StGB – mit u.a. schwerem Tinnitus und anderen Dauerfolgen – überhaupt zu einer Verhandlung hier in Berlin zu bringen. Ging nur mit Nachdruck von RA Dr. M. Z. Es gab dann auch eine beeindruckende Verurteilung zu 90 Tagessätzen. Ja, die Richterin wollte extra darauf achten, dass die Täter weiter als „nicht vorbestraft“ rausgehen. Immerhin hatten diese nach beharrlichem Leugnen und unter zusätzlicher Begehung von §§ 164, 145d, 185 StGB, dann nach Vorspielen eines Videos, auf Richterinvorschlag einer „Absprache“ dann stockend zugegeben, dass es „doch so gewesen sein kann, wie es der Geschädigte geschildert hatte“. Kein Wort der Reue, kein Wort einer Entschuldigung. Das verdiente zur Belohnung natürlich die erforderlichen Minderungsgründe, um auf 90 Tagessätze statt vorgegebener Mindeststrafe zu kommen.) Aber das nur als Anmerkung zu meiner Verwunderung.

    Das mit den „Beweisen“ wie und was nun tatsächlich „hier nicht passiert ist“ stelle ich mir übrigens auch sehr nett vor in diesem „Fall“. Und bezüglich des unzweifelhaften Wiedererkennens einer Person IN einem vorbeifahrenden Auto – durch Fotovorlage. Und dann noch die ganze Ablenkung der Aufmerksamkeit durch den ständigen Blick auf den Kinderwagen usw…

    Naja, wenn Polizei, Stastsanwaltschaft und Gerichte hier in Berlin aber auch immer so viel unausgelastete Zeit haben (wenn gefährliche KVs etc. eben zu belanglos geworden sind)…

  9. 9
    schneidermeister says:

    Also ehe die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen kann, muss sie es ja erst einmal aktentechnisch behandeln, d.h.den Beschuldigten eintragen. Zumal er ja irrtümlich auch als Beschuldigter von der Polizei behandelt wurde (Anschreiben). Die Anzeige läuft ja auch nicht direkt beim Staatsanwalt ein, der den Fehler gleich erkennen könnte, sondern bei der Eingangsstelle, die das mehr oder weniger wie bei den weiteren 1000-2000 Eingängen pro Tag routiniert erfasst und die Registerauszüge anfordert.
    Dass man nicht gleich das Verfahren einstellt und auch noch von der Verfolgung des OWi-Vorwurfs absieht, ist mE tatsächlich falsch, ebenso falsch auch. dem Anwalt der GmbH die Akte zur Einsicht zu übersenden, weil er ja nur Zeugenbeistand ist. Aber wenn ein Akteineinsichtsantrag des Nichtverteidigers drin ist in der Akte müsste man ihn ja auch ggf. negativ verbescheiden, weil sonst der Herr RA vielleicht ungehalten wird.

    Ich halte die „Internet-Anzeige“ für eine Schnapsidee. Denn sie ist ein Tummelplatz für Tastaturtäter, die ohne mal darüber zu schlafen und sich zu fragen, ob man den Aufwand, zur PI zu latschen wirklich auf sich nehmen will, je nach Lust, Laune und Alkoholisierungsgrad irgendwelche Anzeigen zusammentexten, die dann den ganzen polizeilich-justiziellen Bearbeitungsapparat auslösen, und dabei (wenn überhaupt eine Straftat vorliegen könnte) oft so rudimentär sind, dass man ohnehin noch eine vernünftige Zeugenvernehmung des Anzeigenden und einige Unterlagen braucht.

  10. 10
    Der wahre T1000 says:

    Ich finde es auch erstaunlich, wie ein Vorgang mit „Sonderermittler“ bearbeitet wird, bei dem niemand zu Schaden kam und für den es letztlich als Zeugen nur den Anzeigenerstatter gibt, der nicht einmal die Person auf Lichtbildvorlage erkennen konnte. Dass da bei Gericht nichts herauskommen kann, ist doch klar. Was soll der Unsinn?

    Noch erstaunlicher ist jedoch die Gewichtung der Bearbeitung. Während man in Berlin Ladendiebstahl schon gar nicht mehr bearbeitet (der Schaden ist real), werden fiktive Verkehrssünder verfolgt.

    Gleiches Bild bei den „echten“ Straftaten. Mehrfach habe ich echte Betrüger (durch Vorlage handfester Beweise) vor Gericht gebracht und jedes mal kam dabei nichts heraus. Schaden 50.000- Euro und dann Geldstrafe im unteren 4-stelligen Bereich. Betrügen lohnt sich! Die Strafe ist geringer als die Beute – wenn man denn überhaupt angeklagt wird. Und die Strafe greift sich der Staat während der Geschädigte mangels Druckmittel („Knast“) leer ausgeht. Der bleibt nur auf den Kosten des Zivilverfahrens sitzen, während er sich mit dem Titel den Hintern abwischen kann.

    Die Justiz in D ist irgendwie gerade auf einem falschen Weg. Die Kleinen werden gehängt, die Großen lässt man laufen. Winzigkeiten werden unnachgiebig verfolgt und alles was Arbeit macht eben nicht oder nur halbherzig.

    Da wundert es nicht, wenn Kriminelle, die z.B. tausende von Toten durch Abgasanlagenmanipulation zu verantworten haben, frei rumlaufen und deren Arbeitgeber durch Politiker geschützt werden.

  11. 11
    Drohschützer says:

    1. Herr Hoenig bzw. Herr Glienke kann sich doch freuen über diese substanzlose Anzeige. Ohne Anzeige kein Mandat. Wieder ein Honorar verdient. Und ein Blogeintrag ist auch noch abgefallen. Was will RA mehr?

    2. Sind die Strafverfolgungsbehörden, zumal die Berliner, nicht vollkommen überlastet?

    3. Was hat ein Kinderwagen mitten auf der Straße zu suchen?