Die dienstliche Erklärung eines Fouls im Bußgeldverfahren

Der Mandant kommt zu uns, weil er einen Bußgeldbescheid bekommen hat. 160 Euro und einen Monat Fahrverbot hat der Herr Polizeipräsident festgesetzt. Angeblich soll der Mandant zu schnell unterwegs gewesen sein.

Und damit soll der Tatvorwurf nachgewiesen werden.

Es gibt ein paar Meßmethoden, bei denen es schwierig wird, Fehler bei der Anwendung zu machen (Polizeibeamter) bzw. zu finden (Verteidiger). Die ViDistA (Video Distanz Auswertung) gehört nicht dazu. Deswegen hat der Verteidiger nach der Beratung des Mandanten Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt. Neben der Akteneinsicht (hat er bekommen) hat er auch die Einsicht in das Video (hat er nicht bekommen) beantragt.

Der Plan war, dieses Video einem Sachverständigen vorzulegen, damit der sich mal anschaut, ob das alles so seine Richtigkeit hat. Das macht ein erfahrener Verteidiger, wenn er Material für Beweisanträge braucht, die das Gericht zum Nachdenken bringen sollen, ob denn das alles in Ordnung ist, was die Polizei da gemessen hat.

Statt des Videos bekommt ein Fax. Nicht vom Polizeipräsident, auch nicht vom Gericht. Sondern von seinem Mandanten:

Der Richter, der in unserer Kanzlei eigentlich nicht als Rüpel bekannt ist (da gibt es zumindest einen anderen beim AG Tiergarten), schreibt also an dem Verteidiger vorbei an den Betroffenen. Das ist für sich genommen schon einmal nicht wirklich eine gute Idee.

Dann aber auch noch mittels eines mehr schlecht als recht verpackten Vor-Urteils das Ergebnis der Beweisaufnahme vorweg zu nehmen und den Betroffenen quasi unter Androhung empfindlicher Übel zur Rücknahme des Einspruchs zu bewegen, ist schon echt mutig.

Ich frage mich, was diesen Richter geritten hat, von dem ich bisher immer eine ziemlich gute Meinung hatte. Sowohl der Verteidiger, als auch dieser Richter machen ihren Job als Verkehrsstrafrechtler seit Jahrzehnten. Man kennt sich und man weiß, was der jeweils andere drauf hat.

Warum der Richter jetzt sehenden Auges ein solches Foul begeht, wird er dienstlich erklären müssen.

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Bild – Rote Karte: © Torsten Bogdenand / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Ordnungswidrigkeitenrecht, Richter veröffentlicht.

11 Antworten auf Die dienstliche Erklärung eines Fouls im Bußgeldverfahren

  1. 1
    BV says:

    Bekommen Anwälte eigentlich auch solche Schreiben? Oder versuchen Gerichte eine solche schnelle Verfahrenserledigung nur bei nicht verteidigten Betroffenen? Besteht die Chance einer schlichten Fehladressierung?

    • Die gesetzliche Regelung zu dieser Frage ist § 145a StPO. So, wie es hier gelaufen ist, handelt es sich entweder um Schlamperei oder Böswilligkeit. Der Inhalt des richterlichen Schreibens könnte ein Indiz für die zweite Alternative sein. crh
  2. 2
    Flo says:

    Ich verstehe Ihre Probleme mit dem Schreiben nicht. Das ist doch mal richtig mitgedacht vom Richter. Statt die Justiz mit so einer Kleinigkeit zu belasten, bemüht er sich das Verfahren kurz und elegant auf dem kleinen Dienstweg zu beenden und die wertvollen und begrenzten Ressourcen der Justiz für die wirklich bösen Jungs freizuhalten.

    *werironiefindetdarfsiebehalten*

  3. 3
    BV says:

    @ crh zu # 1:

    Na ja, das Schreiben könnte auch gut ein Textbaustein sein. So ist es ja insbesondere nicht persönlich anredend formuliert, sondern es ist von „dem Betroffenen“ die Rede. Sicher, ich weiß es auch nicht, habe aber noch die Hoffnung, dass es sich um ein Versehen handelt, weil die Verteidigung nicht vernünftig auf der Akte notiert/im System gespeichert war und nicht tatsächlich um einen plimpen Umgehungsversuch.

  4. 4
    RKS says:

    Nur nicht so aufplustern. Der Richter wird gar keine dienstliche Erklärung abgeben müssen.
    § 145a Abs. 1 StPO ermächtigt lediglich zu Zustellungen bzw. Überlassung von Mitteilungen an den Verteidiger, begründet aber keine diesbezügliche Pflicht des Gerichts. Das lässt sich in jedem Kommentar zur StPO nachlesen. Zustellungen an den Beschuldigten selbst sind sogar wirksam, wenn der Verteidiger zuvor darum gebeten hat, Zustellungen nur an ihn zu bewirken. Es gibt durchaus Verteidiger, die mit EBs so kreativ umgehen, dass es durchaus sinnvoll sein kann, an den Beschuldigten bzw. Angeklagten selbst zuzustellen.

    • Es geht hier nicht um eine „Zustellung“ im technischen Sinn, sondern um einen Mitteilung des Richters, die unmittelbar an den Betroffenen gerichet ist, obgleich ein Verteidiger bekannt, registriert ist und auf dem Deckel steht.
       
      Wenn der Richter meint, er müsse den Betroffenen direkt anschreiben, gilt dafür der Rechtsgedanke aus § 145a III S.2 StPO; dann muß er den Verteidiger darüber informieren, wenn es ihm ernst ist mit dem fair trail.
       
      Faire Richter unterlassen diese Grenzüberschreitung ganz, den Betroffenen direkt anzuschreiben, sondern wenden sich an den Verteidiger, dessen Aufgabe es ist, seinen Mandanten zu beraten.
       
      Der Richter dokumentiert im Übrigen ziemlich deutlich, daß er die Beweisaufnahme vorweg nimmt. Er bagatellisiert die für den Betroffenen empfindlichen Rechtsfolgen („geringfügige“ 160 Euro) und ignoriert die Eintragungen ins FAER sowie das einmonatige Fahrverbot. Statt dessen droht er mit der Erhöhung der Geldbuße (obwohl er wissen müßte, daß ein erfahrener Verteidiger das locker zu verhindern weiß – schreibt er deswegen am Verteidiger vorbei an den unkundigen Betroffenen?) und mit einer Vorsatzverurteilung, ohne sich zuvor die andere Seite angehört zu haben. Und er respektiert nicht, daß es weitere Verteidigungsziele geben kann, die er durch seine PEBB§Y-getönte Brille nicht erkennen will.
       
      Wenn das alles so in Ordnung wäre, weiß ich nicht, weshalb für den Gesetzgeber aus Rechtsstaatsgründen die mündliche Hauptverhandlung der Regelfall ist; dann könnte man sich den Aufwand (und die Richterstelle) sparen und nach Lage der Akten entscheiden, die die Ordnungsbehörde angelegt und bestückt hat.
       
      Das alles kann durchaus bei einem verständigen Betroffenen den Eindruck entstehen lassen, daß dieser Richter nicht mehr unvoreingenommen an die Sache herangeht. Deswegen wird sich der Richter dienstlich äußern, wenn der Betroffene von seinem Verteidiger entsprechend beraten wird. Wie das weitergehen wird, weiß ich nicht, es ist nicht mein Mandat. crh
  5. 5
    WPR_bei_WBS says:

    @ RKS

    Das mag für sich alleine vielleicht so sein. Aber im Zusammenspiel mit der inhaltlichen Vorverurteilung (und dem Punkt, dass der betreffenden Richter normalerweise an crh zustellt) ist die Besorgnis der Befangenheit doch durchaus verständlich – und noch mal mehr, wo doch nicht mal einsichtbin das Video gewährt wurde.

  6. 6
    Befangenheit says:

    Die Zustellung dieses Schreibens unter Umgehung des Verteidigers sowie dessen Inhalt begründen die Besorgnis der Befangenheit. Ich lehne den Richter hiermit ab!

  7. 7
    -thh says:

    Inhaltlich ist das Schreiben nicht zu beanstanden.

    Die anderen Umstände legen nahe, dass das Vorhandensein eines Verteidigers übersehen wurde.

  8. 8
    S2B2 says:

    Mit welchem Grund kann eigentlich die Akteneinsicht (Video) verweigert werden?
    Das ist ja, als ob die sagen „Ich weiß, dass du zu schnell gefahren bist, ich hab auch einen Beweis, aber ich zeig ihn dir nicht, du musst mir schon glauben, ätschibätschi“

  9. 9
    RA Ullrich says:

    Ich habe ähnliche Textbausteine (als Verteidiger) auch schon bekommen, wenn ich im Verfahrensstadium vor der Bußgeldbehörde den Einspruch noch nicht begründet hatte, was öfter mal vorkommt, entweder weil die ebenso wie hier das Video nicht zeitnah rüberwachsen lassen oder weil man bei der verschlafenen Landordnungsbehörde auch einfach mal darauf hofft, dass sie die Frist zur Verjährungsunterbrechung verbummeln. Allerdings beinhalteten die, die ich kenne, keine so unverhohlene Drohung, die Geldbuße anzuheben. An den Verteidiger gerichtet ist ein solches Schreiben sicher nicht verkehrt, um in nach Aktenlage klaren Fällen eine Einspruchsbegründung oder eben eine Rücknahme zu kriegen. Sehr viele Einsprüche werden ja auch nach erfolgter Akteneinsicht zurückgenommen. Wenn der Richter ansonsten noch nicht als Trickser aufgefallen ist, mag es sich tatsächlich um ein Versehen handeln.

  10. 10
    RA Ullrich says:

    @S2B2: Höchstwahrscheinlich wurde die Einsicht in das Video nicht „verweigert“, sondern entweder schlicht vergessen (i.e. kommentarlos nur der Aktenausdruck geschickt) oder das nette Spielchen gespielt: Videodatei wird nicht versendet, kann der Verteidiger auf der Dienststelle hier bei der PI Hinterrömmelshausen einsehen. Dass eine Behörde auf die wahnwitzige Idee käme, die Einsicht in den den Betroffenen selbst betreffenden Messfilm tatsächlich ganz abzulehnen, wäre mir noch nie untergekommen.

  11. 11
    BV says:

    Was mich nur umtreibt: Was soll das (wenn es Absicht gewesen sein sollte)?

    Die Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene sich davon so sehr beeindrucken lässt, dass er direkt einen Einspruch zurücknimmt, ohne Rücksprache mit seinem Verteidiger zu halten, dürfte doch wohl nahe Null sein. Dafür macht das schlechte Stimmung und der Richter erarbeitet sich einen schlechten Ruf, ohne jeden persönlichen Vorteil. MIr erschließt sich die Vorgehensweise einfach nicht.