Gegen Wilhelm Brause und seinen Bruder Anton wurde ein Ermittlungsverfahren geführt. Die Staatsanwaltschaft hatte die Strafanzeige einer Tante der beiden erhalten. Sie trug vor, daß sie den beiden einen fünfstelligen Betrag gegeben hätte. Und jetzt wollten ihre beiden Neffen das Geld nicht zurückzahlen. Deswegen wurde nun wegen Unterschlagung und Betruges gegen die Brüder ermittelt.
Die Tante wurde mehrmals vernommen. Die Inhalte der Vernehmungen unterschieden sich in den Details; nach Ansicht der Staatsanwältin sei aber der Kern der Berichte gleichgeblieben. Deswegen ließ sie nicht locker.
Es folgten zwei Wohnungsdurchsuchungen, bei den nichts gefunden wurde, was auch nur am Rande mit dem angezeigten Geschehen zu tun hatte. Dafür hatten die Nachbarn der Geschwister gute Unterhaltung an ihren Küchenfenstern, als die Polizeibeamten mit reichlich Personal in der Siedlung auftauchten.
Auch die Banken, bei denen die Brüder ihre Konten unterhielten, machten sich so ihre Gedanken, als sie von der Staatsanwaltschaft unter dem Rubrum „Ermittlungen wegen gewerbsmäßigen Betruges u.a. gegen W. und A. Brause“ aufgefordert wurden, die Kontobewegungen der letzten vier Jahre zu dokumentieren. Gefunden wurde: Nichts.
Die Staatsanwältin hatte nur ein einziges Beweismittel: Die Zeugin, die ihren Vorwurf aufrecht erhielt. Und das wollte sie sichern. Deswegen beantragte sie die richterliche Vernehmung dieser Zeugin an ihrem Wohnsitz. Denn die Tante war hochbetagt und wohl auch nicht mehr so ganz fit im Kopf.
Ich habe Wilhelm Brause dazu geraten, diese richterliche Vernehmung der Belastungszeugin nicht einfach über sich ergehen zu lassen. Sondern sich aktiv daran zu beteiligen. Das wollten aber weder er, noch die Staatsanwältin. Er und sein Bruder Anton wurden ausgeschlossen. Also bin ich als Verteidiger von Wilhelm 150 km zum Gericht gefahren und danach wieder zurück.
Die richterliche Vernehmung dauerte eine gute Stunde. Auch ich hatte während der Zeit Gelegenheit ein paar Fragen an die Zeugin zu stellen. Und ich konnte dem Richter auf die Finger schauen bzw. kontrollieren, welche Fragen er in welcher Form stellte und wie sie dann anschließend ins Protokoll gekommen sind.
Am Ende der richterlichen Vernehmung stand fest: Die Tante hatte ein Schließfach bei der Sparkasse und eine Betreuerin den Schlüssel bzw. den Zugang dazu. Gegen die Betreuerin wurde bereits ein Ermittlungsverfahren geführt, das eingestellt wurde. Damit war die Tante nicht einverstanden. Denn ihr Geld war ja weg. Also mußten es ihre beiden Neffen geklaut haben, sagte sie dem Richter.
Ob in dem Schließfach tatsächlich dieser „geklaute“ Betrag gelegen hatte und woher das Geld stammte, konnte die Tante auch nicht erklären.
Jetzt endlich war die Staatsanwältin bereit, das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO gegen Wilhelm und Anton Brause einzustellen. Auf meinen Antrag nach Ziffer 88 RiStBV teilte sie mir mit:
Es war für die beiden Brüder eine große Erleichterung, nach knapp zwei Jahren von diesem existenzbedrohenden Vorwurf befreit worden zu sein.
Erwartungsgemäß war die Freude aber nicht ungetrübt. Denn auf den Kosten für die rund 6 Stunden Arbeit der beiden Verteidiger und weiterer 5 Stunden Fahrtzeit blieben die beiden sitzen. Warum? Weil es das Gesetz so geregelt hat.
Dafür haben unsere Mandanten meist kein Verständnis. Ich habe vor langer Zeit dazu eine Mandanten-Information geschrieben, die aber auch nicht über die Kröte hinwegtröstet, die Beschuldigte in ihrem Dilemma schlucken müssen:
- Entweder sie verteidigen sich nicht und hoffen darauf, …
- oder sie finanzieren eine Verteidigung, die darauf achtet, …
… daß die Staatsanwaltschaft und das Gericht alles richtig machen.
Die gesetzlich geregelte Kostenerstattung im Strafverfahren ist alles andere als gerecht, meinen nicht nur Wilhelm und Anton Brause.
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Bild: © Elsa / pixelio.de
Und was ist mit StrEG? Ist zwar nur einen Tropfen auf den heißen Stein. Und gab es für die richterliche Vernehmung bei Ausschluß der Beschuldigten keinen Pflichtverteidiger?
Hallo,
besteht hier eigentlich – zumindest theoretisch – ein zivilrechtlicher Ersatzanspruch gegenüber der Anzeigeerstatterin? Wäre das ggf. davon abhängig ob man ihr beweisen kann (was sicherlich schwierig bis unmöglich ist) dass die Brauses das Geld nicht haben?
Wie kommt es in der Konstellation eigentlich überhaupt zum Ermittlungsverfahren? Wenn die Tante das Geld „gegeben hat“ wie eingangs beschrieben, muss es da ihrereseits nicht einen Zivilprozess auf Herausgabe geben?
Willi
… lesen bildet.
Falsche Reihenfolge, erst kommentiert und dann den Link gelesen, da ist das meiste ja beantwortet. Mea culpa.
Bleibt tatsächlich nur die Frage, wieso eine doch recht dünne und wackelige Anzeige tatsächlich gleich zur Hausdurchsuchung führt…
Willi
Was kostet denn so eine Verteidigung in diesem Fall?
Liest sich so, als hätte die Tante weder einen Schuldschein noch einen Vertrag oder Zeugen für die Leihgabe.
Deshalb meine Frage an die Experten:
Wäre es in solch einem Fall nicht möglich Schadensersatz im Sinne der §§ 1 ff StrEG zu bekommen (Reinigungskosten, entgangene Arbeitszeit usw) oder lohnt sich der Versuch nicht?
Andere Frage:
Wenn ich meinem Cousin/Schwager/Rechtsanwalt/Sachbearbeiter beim Finanzamt eins auswischen möchte, reicht es dann also zu behaupten, ich hätte ihm Geld geliehen / er habe es leihweise entnommen und würde es hinter dem Schrank im Wohnbereich verstecken?
Wird bei der Entscheidung über die HD berücksichtigt, in welcher Beziehung der Bezichtigte zum Anzeigenerstatter steht (wenn man das dem eigenen Neffen vorwirft, muss da schon was dran sein)? Reicht es dabei dann zu behaupten, man hätte ein verwandtschaftliches Verhältnis oder wird das geprüft?
Ansprüche aus StrEG wegen der Durchsuchung bestünden hier in der Tat, wenn denn durch die Durchsuchung ein konkreter Schaden entstanden sein sollte. Die Verteidigerkosten im Ermittlungsverfahren sind davon aber leider nicht umfasst.
Zu Ihrer zweiten Frage: Ihnen sollte klar sein, dass Sie sich damit, wenn Sie nicht gerade die senile alte Tante sind, wegen vorsätzlicher falscher Verdächtigung strafbar machen würden. Dafür genügt es übrigens nach h.M., wenn Ihnen nachgewiesen werden kann, dass Sie über einzelne Tatsachen die für die Begründung des Tatverdachts relevant sein könnten, bewusst gelogen haben, selbst wenn nicht vollständig aufgeklärt werden kann, ob die behauptete Tat als solche vielleicht doch stattgefunden hat. Sich wahrheitswidrig als Cousin ihres unliebsamen Finanzbeamten ausgeben und so eine Geschichte erzählen, wäre also ein heftiges Eigentor. Wenn dem Anzeigeerstatter eine vorsätzliche Falschaussage nachzuweisen ist, gibt es übrigens auch einen zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch gegen diesen.
Davon abgesehen: Ja, es ist in der Tat relativ einfach, bei jemandem mit einer plausiblen Lügengeschichte eine Durchsuchung zu provozieren. Allerdings genügt eine anonyme Anzeige in der Regel nicht, wenn diese nicht durch weitere Indizien gestützt werden kann, der Anzeigeerstatter riskiert also stets das Gegenverfahren wegen falscher Verdächtigung.
>Allerdings genügt eine anonyme Anzeige in der Regel nicht,
Wenn man das „richtig“ macht reicht die leider auch.
@RA Ullrich
Vielen Dank für die ausführliche Erläuterung.
Habe das natürlich bewusst überspitzt formuliert. Aber eben auf die Einfachheit eine HD zu provozieren wollte ich hinaus. Und es ist erschreckend, dass es scheinbar oft so einfach ist.
Ich bezweifeln nur, dass es genauso einfach eine HD gegeben hätte, wenn es sich bspw. um einen ranghohen Finanzbeamten oder bekannten Lokalpolitiker gehandelt hätte.
Es gefällt mir nicht, dass man bloß aufgrund einer einzigen Behauptung einer einzigen Person eine HD veranlasst. Vor allem, wenn es sich um kein Delikt handelt, im Zuge dessen die Gesundheit irgendeines anderen auf dem Spiel steht.
Es gibt auch Fälle, wo die Polizei den Verdächtigen eh im Visier hat oder gar auf Zufallsfunde hofft. Dann wird auch mal eine offensichtlich zweifelhafte Aussage als eindeutig wahr hingenommen.
Wenn die alte Dame schon unter Kuratel (neudeutsch: Betreuung) steht, dürften zivilrechtliche Erstattungsansprüche an § 827 BGB scheitern. Wäre die Dame zurechnungsfähig, würde ein solcher Anspruch wohl glatt durchgehen.