Es gibt eine jahrelange Auseinandersetzung in einem regional eng begrenzten Gebiet, in der sich die Ermittler und Wilhelm Brause nichts schenkten. Die Ermittler versuchten (bislang erfolglos), dem Wilhelm allerlei üble Sachen ans Bein zu flicken; Brause wehrte sich mit Gegenanzeigen und Amtshaftungsverfahren (teilweise erfolgreich). Die Stimmung war seit vielen Monaten ziemlich angespannt – und zwar auf beiden Seiten.
Auch als es um die Frage ging, ob der Wilhelm Brause seine zuvor beschlagnahmten Sachen auf der Dienststelle abholen oder ob die Polizei ihm das Zeug nach wieder Hause bringen muß, kochte es hoch – wiederum auf beiden Seiten. Schließlich erwartete Brause von der Beamtin die Mitteilung, wann und wo er seine Sachen abholen könne. Auf eine solche Mitteilung hat ihn die Beamtin jedoch ergebnislos warten lassen.
Seinen Ärger hat Brause dann in wohlklingende (naja) Worte formuliert und via Fax auf die Dienststelle geschickt. Das hat ihm die Beamtin krumm genommen und eigenhändig gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Weil sie sich in ihrer Ehre zutiefst gekränkt fühlte. Nachdem ihr der Dienstvorgesetzte den Rücken gestärkt hatte, schreibt der zuständige Staatsanwalt (!) an Herrn Brause einen Brief:
Das Ganze führte dann zu einem Strafbefehl mit 20 Tagessätzen, einem Einspruch dagegen und nun zu einer Hauptverhandlung vor dem Strafrichter.
Wenn ich das einem Neuköllner oder Kreuzberger Polizeibeamten oder einem Richter am Amtsgericht Moabit erzähle, fassen die sich an den Kopf und fragen sich, womit sich die Herr- und Frauschaften in jenem Bundesland sonst noch so beschäftigen.
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Bild: © Peter Ries Düsseldorf / pixelio.de
Der Sittenverfall in unserem gescheiterten Hauptstadtprojekt kann allerdings nicht Maßstab für die funktionierenden Teile des Landes sein.
Ich sehe es wie Herr Stierhammer.
Es kann doch nicht sein, dass der Brause so davon kommt – irgendwas wird man schon finden. Und wenn es nr eine wackliche Beleidugungsklage ist bzw. ein Strafbefehl mit soviel Tagen, wie man sonst für eine richtige Verletzung (also Körper) bekommt.
Ich vermute folgendes: Man rechnet tgarnicht wirklich mit Erfolg (wenn doch: Umso besser). Es geht vielleicht einfach nur darum, dem Brause Ärger und Aufwand zu machen.
Wobei ich als alter „erst mal tief durchatmen“-Mensch auch sagen muß, Brause hat sich auch schon etwas vom dicken Eis weg bewegt – ein bißchen trickiger Formuliert und die Wut wäre auf der anderen Seite noch mehr hochgekocht ohne einen (halbseidenen) Grund zum STrafbefehl zu liefern. :-)
> ein bißchen trickiger Formuliert und die Wut wäre auf der anderen Seite
> noch mehr hochgekocht
Ich würde mich über Formulierungsvorschläge sehr freuen ;)
Vorab zur Klarstellung: ich hätte sowas wahrscheinlich eher nicht angeklagt. Weite Auslegung der Meinungsfreiheit bei Äußerungen gegenüber Behörden und so. [Überflüssige Polemik gelöscht, bitte bleiben Sie sachlich. crh]
Andererseits muss man auch sagen, dass einige dieser Formulierungen jede Sachebene verlassen haben. Da geht’s offensichtlich nicht mehr um das Verhalten der Beamtin, sondern um ihre Person. Und darum, die persönliche Verachtung ihr gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Da ist es durchaus auch vertretbar, eine strafbare Beleidigung zu bejahen.
@Miraculix: Wie wäre es mit:
Wenn Sie sich einen Satz ausdenken, der unter anderem die Worte „nicht“, „Tassen“, „Schrank“ und „alle“ enthält, dann können Sie sich möglicherweise einen Eindruck davon verschaffen, was ich von Ihnen halten könnte.
@ T 1000
ich glaube die Polizistin wäre mit diesem Satz völlig überfordert und würde wohl nur empört-ratlos Antworten:“ Ich versteh nur Bahnhof! haben Sie nicht mehr alle Tassen im Schrank mir so einen schwierigen Satz vorzusetzen, Herr Brause! da brauch ich ja eine ganzen Monat um das inhaltlich begreifen zu können. dafür leite ich jetzt zur Strafe gleich fünf Ermittlungsverfahren gegen Sie ein!!“
@ T1000: Meinen Sie das ironisch, oder gehören Sie auch zu dem immer noch erstaunlich großen Kreis an Menschen, die glauben, eine Beleidigung sei keine Beleidigung mehr, wenn man sie irgendwie lustig verklausuliert. Das ändert an der Strafbarkeit überhaupt nichts, wenn ein vernünftig denkender Mensch aus dem angesprochenen Verkehrskreis ohne Weiteres erkennt, was gemeint ist und der Oberschlaue, der das Geschrieben hat, offensichtlich auch damit rechnet, dass die formell kaschierte Beleidigung ohne weiteres erkannt wird. Ihre Formulierung wäre rechtlich nicht anders einzuordnen, als wenn Sie gleich „Sie haben meiner Meinung nach nicht alle Tassen im Schrank“ geschrieben hätten.
Dass eine solche deftige Formulierung, die dem Gegner Irrsinn unterstellt, in einer ansonsten vorwiegend sachbezogenen Auseinandersetzung, in der es um aus Sicht des Äußernden grob fehlerhaftes Verhalten des Gegenübers geht, u.U. noch als zulässige überspitzt formulierte Kritik durchgehen kann, ist wieder ein anderes Thema.
@RA Ullrich
Es macht natürlich einen Unterschied, ob man sagt:
(1) Sie haben nicht alle Tassen im Schrank.
(2) Nach meiner Meinung haben Sie nicht alle Tassen im Schrank.
(3) Ich vertrete die Auffassung, dass Sie möglicherweise nicht alle Tassen im Schrank haben.
(4) Nach dem von Ihnen vermittelten Eindruck könnte ich fast annehmen, dass Sie nicht alle Tassen im Schrank haben.
(5) Sie machen Ihre Arbeit so, dass man vermittelt bekommt Sie könnten nicht alle Tassen im Schrank haben.
(6-20) beliebige andere Formulierung
Alles das ließe sich spielend in meine Formulierung hineininterpretieren. Es liegt allein in der Vorstellung desjenigen, der es liest. Daraus aber meine tatsächliche Intention abzuleiten, ist für ein Gericht außerordentlich schwierig. Kurz: wer sich den Schuh anzieht, dem passt er auch.
Wie auch immer. Die von mir vorgeschlagene Formulierung ist bereits gerichtsfest erprobt. Ich habe sie annähernd so verwendet und musste keine 10 Tagessätze. :-)
@T1000: Wie ich bereits geschrieben habe, kann eine solche Äußerung im Rahmen einer hitzig geführten Sachdebatte noch unterhalb der Schwelle der Beleidigung liegen. Entscheidend dafür ist dann aber nicht das kunstvolle Umschreiben der Beleidigung, sondern der erkennbare Bezug zur Sachdebatte, der – insoweit haben Sie recht – bei Formulierung Nr. 4 und 5 noch etwas deutlicher herausgestellt wäre als bei den ersten drei und auch als bei Ihrer Ausgangsformulierung. Zwischen den Formulierungen 1-3 besteht übrigens in punkto Beleidigung überhaupt kein Unterschied, diese ist immer eine Meinungsäußerung, egal ob ich sie ausdrücklich als persönliche Auffassung kennzeichne oder nicht. Es kann einen Unterschied machen bei der Verleumdung oder üblen Nachrede, da es dort um die Behauptung falscher bzw. nicht nachweislich wahrer ehrenrühriger Tatsachen geht, so dass ein ausdrücklich rein persönliches, nicht mit Tatsachen untermauertes Werturteil aus dem Anwendungsbereich herausfällt, bei der Beleidigung hingegen kommt es auf diese Unterscheidung nicht an.
Und wer einem missliebigen Polizisten demonstrativ seinen netten ACAB Aufnäher zeigt, kann sich übrigens auch nicht darauf herausreden, er habe ihn für einen Kellner gehalten und acht Cola, acht Bier bestellen wollen, weil zumindest in den beteiligten Verkehrskreisen jeder weiß wofür die Abkürzung steht. Und wenn ich auf eine Aufforderung, der ich nicht zu folgen gedenke, provokativ mit der Frage antworte „Kennen Sie eigentlich einen gewissen Götz von Berlichingen?“, dann weiß auch jeder, dass ich damit keinesfalls eine Umfrage über klassische Literatur starten, sondern das in diesem Zusammenhang als Formalbeleidigung strafbare Zitat umschreiben wollte.
@ RA Ullrich
was heißt denn die Abkürzung ACAB ?
Und wer ist denn nun schon wieder dieser Götz von Berlichingen ?! Und wieso ist das eine Formalbeleidigung, wenn man einen Polizisten fragt, ob der irgendeinen Götz kennt ?
Ich versteh die Welt nicht mehr.
Anscheinend muss man wohl ständig ein Universallexikon mit sich herumtragen, um nicht mit irgendeiner falschen Frage aus Versehen gleich eine Strafanzeige wegen beledigung zu kassieren.. Oje, oje
Und das ist genau woran es dieser Gesellschaft erheblich mangelt. Ersichtlich ist niemand mehr in der Lage seinen Mitmenschen respektvoll gegenüber zu treten. Und das liegt auch nicht an einem „hitzig geführten Ermittlungsverfahren.“ Behörden sollen ja durchaus in der Lage sein strafrechtlich Ermittlungen konsequent zu führen und gleichzeitig die Person des Beschuldigten zu achten. Das eine schließt das andere überhaupt nicht aus. Um mal eine überstrapazierte Verteidigerformulierung zu benutzen: „es ist ein Kampf ums Recht“. Und dieser Kampf kann gleichzeitig mit harten Bandagen UND gegenseitigem Respekt / gegenseitiger Wertschätzung (der Rolle des jeweils Anderen) passieren. Vielleicht bin ich da ja altmodisch, aber ich finde der Umgang miteinander ist der wesentlichste Punkt eines Strafverfahrens. Sich mit Anwälten/Richtern/Ermittlern zu überwerfen, schadet allen zukünftigen Verfahren/Beschuldigten/Mandanten und zeugt nebenher von schlechter Kinderstube. #justmy2centfromresopalschreibtisch
Hallo zusammen,
Um es nochmal zusammenzufassen: Ermittler versuchen Wilhelm Bause einer Straftat zu überführen. Das missling. Wiederholt. Er wehrt sich und kann immerhin in Verfahren rechtskräftig feststellen lassen, dass Teile der Ermittlungen den legalen Rahmen verlassen haben und ihm dadurch Schaden entstanden ist. Mithin dürfte der bisherige Ausgang sein: Bause gilt als unschuldig, die ermittelnden Amtsträger _nicht_.
Wenn nun Bause nachfragt, wann er seine Sachen abholen kann und die zuständige Beamtin nicht anwortet — dann hat wer genau die sachliche Auseinandersetzung verlassen ? Doch nicht etwa W.Bause ? Und wenn die Rechte einer Person nicht mehr respektiert werden, ist es dann nicht geradzu freundlich anzunehmen, dass die betreffenden Amtsträger es persönlich meinen, als von der einzig möglichen unperdönlichen Alternative auszugehen: „die behandeln ALLE Menschen so!“ ?
Ersteres wäre immerhin noch im Sinne des zerschlagenen Porzellans irgendwie verständlich, nicht toll, aber doch irgendwie zu regeln. Letzteres würde doch deutlich darauf hindeuten, dass da jemand eventuell nicht die richtige Besetzung zur Verteidigung des Rechtstaats ist.
Nicht, dass das nicht dauernd vorkäme.
Schöne Grüße,
Hend
Und die Richter, Staatsanwälte und Polizisten in Honduras fassen die sich an den Kopf und fragen sich, womit sich die Herr- und Frauschaften in Neukölln, Kreuzberg oder am Amtsgericht Moabit sonst noch so beschäftigen.