Einwirkung mit einem Küchenbeil

Die fast poetisch anmutende Begründung eines sehr seltenen Freispruchs:

Ich finde, dem Gericht ist es hervorragend gelungen, den an sich recht dramatischen Vorfall in wohlklingende Worte zu fassen.

Das Urteil ist daher(?) auch rechtskräftig geworden.

Dieser Beitrag wurde unter Richter, Strafrecht veröffentlicht.

19 Antworten auf Einwirkung mit einem Küchenbeil

  1. 1
    Jo says:

    Hallo,

    was hat denn die Erkrankung mit der Notwehr zu tun? Dachte Notwehr bezieht sich darauf, das man angst um sein Leben haben muss?

  2. 2
    Flamebeard says:

    @#1 Jo: Das rührt wohl daher, dass jemand, bei dem das Asperger-Syndrom zum Tragen kommt, mit der Körpersprache des Gegenübers nichts anfangen kann. Und wenn man, sich rein auf das gesprochene Wort und die Position des Gegenüber im Raum verlassend, eine Situation analysiert, kann das schon mal zu Fehleinschätzungen führen.

  3. 3
    Ich says:

    @#2 Flamebeard: Das wäre dann aber ein Fall der Putativnotwehr. Echte Notwehr setzt objektiv das Vorliegen einer Notwehrlage (gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf ein Individualrechtsgut) voraus.

  4. 4
    WPR_bei_WBS says:

    @ Flamebeard
    Ich glaube, so weit muss man hier garnicht gehen, sonst hätte das Gericht nicht von Notwehr*exzess* gesprochen.

    @Jo
    Basierend darauf, dass das Gericht von Notwehrexzess spricht, scheint auch eine tatsächliche Notwehrlage vorgelegen zu haben. Der Angeklagte hat es mit dem sich wehren nach Meinung der Staatsanwaltschaft nur übertrieben (Klassiker: Nach Abwehr des Angriffs weiter auf den ehemaligen Angreifer einprügeln). Jetzt geht es beim Strafprozess aber nicht nur um objektive Kriterien, sondern gerade auch um die subjektive Schuld des Angeklagten. Und da wiederum kommt die Erkrankung ins Spiel – wenn nachvollziehbar für den Angeklagten die Notwehrlage noch bestanden hat bzw. für den Angeklagten subjektiv kein milderes Mittel zur Verfügung stand, dann kann er nicht schuldig sein.

  5. 5
    Flo says:

    Und ergänzend zu WPR_bei_WBS #4 geht es auch anscheinend um eine unangemessene Notwehrhandlung.
    Wenn ich mich recht erinnere darf ich zwar dem der mich mit einem Messer in der Hand bedroht mit dem Spaten auf die Hand hauen um ihn zu entwaffnen, aber nicht auf den Kopf.
    Aber auch da kann die Diagnose Asperger zu einer Verschiebung der Notwendigkeiten führen.

  6. 6
    Airfix says:

    §33 StGB
    „Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.“
    Könnte es dieser hier sein?

  7. 7
    Der wahre T1000 says:

    Die ausgesprochen enge Auslegung von Notwehr in D ist doch ein Witz. Faktisch wird jedwede Notwehrhandlung stets hinterfragt, von der anfaenglichen Notwendigkeit bis zur letzten Sekunde. Jeder, der sich auf Notwehr beruft wird erstmal als Straftaeter angesehen. Und dann werden die meisten verknackt, weil es zuviel, zu lange oder sonstwas war. #5 (Flo) bringt es schon auf den Punkt: obwohl man um sein Leben fuerchtet, wird verlangt, dass man noch ausfuehrlich darueber nachdenkt wohin man mit dem Spaten haut.

    Ich will jetzt nicht die USA in den Himmel loben, aber wenn einem da einer an die Waesche geht, dann „suchen“ die Behoerden nicht nach einem Grund einen zu verknacken. Nur wenn die Notwehr offensichtlich unbegruendet war (z.B. jemandem in den Ruecken geschossen) bekommt man Probleme.

  8. 8
    Phillipp says:

    Kann ich – nach erfolgreicher Verteidigung durch die Kanzlei des Blog-Autors – nur bestätigen: nur weil man in Notwehr gehandelt hat heißt das nicht, dass man sich nicht jahrelang mit den rechtlichen Konsequenzen herumschlagen muss und am Ende einen Haufen Geld dafür zahlt, dass man freigesprochen wird.

  9. 9
    K75 S says:

    Da hat die Berliner Staatsanwaltschaft doch Erfahrung mit, nich´ar?
    Ganz klar … Notwehr ist, wenn der Angreifer nack und mit einem Messer bewaffnet im Neptunbrunnen steht und damit droht, sich selber umzubringen.

  10. 10
    Heinzi says:

    zu K75 S: wenn ich von jemanden mit einem Messer angegriffen werde, in bewegungshemmender Umgebung, nutze ich mit u. ohne Uniform u. unabhängig vom Gewand und Geisteszustand des Angreifers, den sichersten Weg, die Gefahr für Leib u. Leben mögl. risikolos abzuwenden. Not kennt kein Gebot. Aussenstehende haben zum Glück das Recht auf eine eigene Meinung, und kommen hoffentlich nie in solche Situationen. Ansonsten gibt auch Tipps von Fachleuten, wie man sich gegen Messerangriffe „wehrt“. Interresant wäre mal der Bericht: „Verrückter mit Messer wird von Pol. gebeten normal zu werden, rennt dann aber doch los und sticht Schaulustige nieder“…

  11. 11
    Roland B. says:

    @Heinzl: Ich dachte, er sei in bewegungshemmender Umgebung? Wie kann er da plötzlich losrennen und um Leute niederstechen? So schnell, daß DANN kein Polizist mehr hätte schießen können?
    Mal ganz abgesehen davon, daß ich mit Schaulustigen, die so nahe dran wären, sowieso kein Mitleid hätte.

  12. 12
    Heinzi says:

    Barfuß vs. Einsatzstiefel. Bewaffneter rennt in Menschnenmenge , Retter schießen auch in Richtung Menschenmenge. Noch mehr gute Ideen ? Rübe ab für Schaulustige ? Läuft heute kein Fußball ? Da kennen WIR uns doch auch alle aus…

  13. 13
    Heinzi says:

    „Schaulustige“ sind tatsächlich ekelhaft, mache glotzen aber auch nur, weil sie unter Schockstarre stehen, wenn sie was völlig unerwartetes erleben…

  14. 14
    K75 S says:

    @Heinzi: Ein Hätte-wäre-wenn-Szenario? Also hatte Ulrich Roski mit der „putativen Notwehr“ doch den Nagel auf den Kopf getroffen. Na, da würde ich mir als Autofahrer aber schon mal ernsthafte Gedanken machen – immerhin KÖNNTEN Sie Ihren Wagen ja als Waffe missbrauchen. Aber vermutlich fehlt der Polizei für eine flächendeckende Gefahrenabwehr dann ausreichend Munition.

    Abgesehen davon kann und will ich hier keinem Polizisten einen Vorwurf machen. Es fällt halt nur auf, dass in dem einen Fall die Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft eingestellt wurden, während in dem anderen Fall erst ein Richter nachhelfen musste.

    In wie vielen Fällen bleiben den Betroffenen die Kosten Ihrer Verteidigung eben nicht erspart?

  15. 15
    HugoHabicht says:

    @Der wahre T1000
    Die USA gibt es nicht. In den USA gibt es (Nebengebiete nicht mitgerechnet) 53 Strafrechtssysteme mit 53 Strafprozeßordnungen. Gerade im Notwehrrecht sind die Unterschiede gewaltig. Hier stehen sich die Konzepte

    * Duty to retreat (steht weit hinter dem deutschen Notwehrrecht zurück)
    und
    *Stand-your-ground (kann über das deutsche Recht hinaus gehen)

    unvereinbar gegenüber.

    In vielen Bundesstaaten sind die Gefängnisse voll von Leuten, die dachten, sie dürften Notwehr ausüben.

  16. 16
    Der wahre T1000 says:

    @HugoHabicht: da haben Sie natuerlich Recht. Die Unterschiede in den USA sind gewaltig.

    Ich persoenlich kenne nur das Recht in den suedlichen Staaten und da gilt – wenn auch von Staat zu Staat etwas unterschiedlich – „stand your ground“. D.h. man muss vor Unrecht nicht zurueckweichen, also keine Straftaten „erdulden“, nur um eine Konfrontation zu vermeiden.
    Wenn also jemand in mein Haus einbricht und ich ihn ohne Nachfrage erschiesse, dann juckt das niemanden, solange der Taeter nicht gerade am Boden liegend oder auf der Flucht war. (Oder man ihn extra angelockt hat, um ihn erschiessen zu koennen.)

    Und das finde ich richtig so. Kein Fremder hat des Nachts was in meinem Haus zu suchen.

    Auch sonst gibt einem eine Glock in der Tasche ein gutes Gefuehl, sich notfalls wehren zu koennen.

    Mir ist durchaus klar, dass viele Waffen viele Gefahren schaffen und es viele Tote in den USA deswegen gibt. Keine Waffen (inkl. sich nicht dagegen wehren zu muessen), so wie in D, waere sicher viel besser. Aber Tatsache ist nunmal, dass fast alle Haushalte bewaffnet sind und da ist es dann keine Option der einzige ohne Gun zu sein.

  17. 17
    HD says:

    @HugoHabicht
    Danke für diesen Hinweis. Das war mir gar nicht klar.

    @Topic
    Ich finde das Urteil unglücklich formuliert. Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, wie das Asperger-Syndrom für das Entstehen einer objektiven Notlage verantwortlich sein kann. Ich denke vor den Worten „in einer Notwehrlage“ fehlt das Wort „subjektiv“.

  18. 18
    Flo says:

    @HD #17, auf die Frage ob eine Notwehrlage vorlag hat das keine Auswirkung. Aber auf die Frage was im Rahmen der Notwehr nötig war und damit straffrei ist.

  19. 19
    HD says:

    @Flo#18
    Das halte ich nicht für richtig. Die geistige Verfassung des Verteidigers ist m.E. auch hinsichtlich der Frage, welche Verteidigung notwendig ist, auf objektiver Ebene ohne Bedeutung.

    Stellen Sie sich die Frage, ob ein Dritter beim Agieren des Freigesprochenen mit dem Hackebeil zugunsten des anderen hätte eingreifen dürfen. Um dies zu bejahen ist Voraussetzung, dass der Freigesprochene nicht objektiv rechtmäßig handelte, also nicht durch Notwehr gerechtfertigt ist. Dies ist unabhängig von der Frage zu beantworten, ob eine Vorsatzschuld bestand. Die sachliche Richtigkeit des Freispruchs im Ergebnis will ich gar nicht bezweifeln.