In den meisten Wirtschaftsstrafsachen, in denen Unternehmer verdächtigt werden, eine Straftat begangen zu haben, werden auch die Mitarbeiter des Unternehmens als Zeugen von der Polizei vernommen. Solche Zeugen müssen belehrt werden.
Diese Belehrung ist ein schönes Beispiel dafür, wie eine Belehrung nicht aussehen sollte:
Wer findet den (klassischen) Fehler, warum ist das ein Fehler und welche Folgen können daraus entstehen – für den Polizeibeamten, für den Zeugen und für den Beschuldigten?
Update:
Die Arbeit, die zutreffenden Antworten auf meine Fragen aufzuschreiben, hat mir freundlicherweise der Kollege Ullrich abgenommen. Vielen Dank dafür! crh
Mmm ich würde als Hobby-Jurist ins Blaue raten, daß der Hinweis fehlt, sich auch schriftlich äußern zu können. Generell erscheint mir die Belehrung „gekürzt“ wenn ich mir § 136 StPO genauer durchlese.
Was mich aber aber am meisten stört ist der verwendete Wahrheitsbegriff. Wessen Wahrheit? Eine objektive Wahrheit? Was ist das?
Und: Ich bin mir ziemlich sicher, daß eine Polizeidienststelle nicht der richtige Ort dafür ist, um tiefenphilosphische Denkmodelle zu erörtern. Meinen Sie nicht auch? ;-) crh
Gegenüber der Polizei besteht keine Aussagepflicht, nur gegenüber Staatsanwaltschaft und Gericht?
Eine Aussage darf nicht nur verweigern, wer sich oder Angehörige belasten würde – es genügt, wenn für ihn (oder Angehörige) die Gefahr einer Strafverfolgung entsteht (d.h. schon die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens).
Konsequenzen: Keine für den Beamten, potenziell Ärger und Kosten für den Zeugen, schlechtere Karten für den Beschuldigten (Gefangenendilemma!)
Prinzipiell muss man nicht die Wahrheit sagen, man darf es zwar in einigen Fällen, aber bestraft werden kann man für Lügen nur unter bestimmten Voraussetzungen (§§145d/164/257/258 StGB). Für die uneidliche Falschaussage nach §153 StGB mangelt es der Polizei an der „zuständigen Stelle“. Somit ist die Aussage vor der Polizei eine freiwillige.
Der Arbeitgeber hat natürlich eine entsprechende Dienstanweisung erlassen (oder im Arbeitsvertrag festgelegt etc. pp.), die den Mitarbeitern untersagt, freiwillige Aussagen gegenüber Ermittlungsbehörden zu leisten und wird jeden Angestellten, den er in der Akte mit einer polizeilichen Aussage findet, fristlos entlassen.
Von Konsequenzen für Polizeibeamte durch eigene Fehler ist mir nichts bekannt, sowas gibt es?
Hallo,
@Jay das hat sich leider geändert sieht hier https://www.lawblog.de/index.php/archives/2017/06/23/schoene-neue-zeugenwelt/
Erschreckend wie der Rechtsstaat immer mehr und schneller den Bach runtergeht, dann nimmst du noch das neue bayerisches Polizeiaufgabengesetz mit dazu und Willkommen im Polizeistaat.
Zur eigentlichen Frage vom Herrn Hoenig, darf keine wirkliche Ahnung aber darf man noch vor der Polizei als Zeuge schwindeln? Vorm Richter ja dann definitiv nicht. Was ich mich aber auch immer Frage da man mittlerweile zur Aussage verpflichtet ist was kann da groß passieren wenn mich sich halt einfach wie unsere Politprofis schlicht an nichts erinnern kann?
MFG
@Sigi: Auch vor dem Hintergrund des erweiterten §163 StPO ist die Polizei weiterhin keine zuständige Stelle nach §153 StGB, man ist meiner Meinung nach damit auch weiterhin nicht zur Wahrheit verpflichtet.
Bleibt dann die Frage, ob ein „ich weiß von nichts“ bereits den §258 StGB erfüllt.
Wobei ich diese Änderung bei meiner Einschätzung vergessen hatte, unter der Annahme es liegt ein Auftrag des StA vor, dürften entsprechende Anweisungen an Mitarbeitern nicht vor der Polizei auszusagen keinen Bestand haben.
Bleibt der Ausdruck „vor der ersten Vernehmung“, der Impliziert, dass man die Chance einen Anwalt zu konsultieren VOR der Vernehmung hatte (unabhängig davon ob man sie wahrgenommen hat oder nicht), obwohl man diesen auch jederzeit WÄHREND der Befragung dazu ziehen darf.
Die Pfanni hat recht. Der gesuchte Fehler ist der Unterschied zwischen „sich selbst belasten“ und „die Gefahr zuziehen, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden“ (§55 StPO). Das war schonThema verschiedener Beiträge hier…
Für mich sieht das so aus, als ob man einen Verdächtigen absichtlich als „Zeuge“ vernehmen will und dann ein Feigenblatt als Belehrung vorhält, damit das nicht völlig nach hinten losgeht.
Mir persönlich fehlt der Hinweis auf die Rechtsgrundlage, also nach welchen §§ belehrt wurde.
Ich war mal bei einer Aussage (der Beamte war zickig, weil ich persönlich vorbei kam statt es ihm schon aufgeschrieben zu schicken, daher hatte er auch eine Schreibkraft mit im Büro), als ich dann unterschreiben sollte das ich belehrt wurde, habe ich darauf bestanden, das mir die §§ die in der Belehrung zitiert wurden auch vorgelegt werden. Bei meinem nächsten Besuch war der Beamte ungewöhnlich freundlich und kooperativ …
Seit wann steht einem ein Zeugnisverweigerungsrecht ZUR SEITE? Und warum kann es nicht hinter oder vor mir stehen???
Die Belehrung halte ich für ok.:
Der Hinweis, der Zeuge könne sich durch unwahre Angaben strafbar machen, ist ein bisschen verkürzt, aber korrekt: Eine Falschaussage gegenüber der Polizei ist nicht in jedem Fall strafbar, kann aber unter § 145d StGB, § 164 StGB oder § 258 StGB fallen. Insofern wurde bewusst formuliert, dass der Zeuge sich strafbar machen könne.
Der allgemeine Hinweis, er müsse die Wahrheit sagen, ist dagegen völlig korrekt: Die Wahrheitspflicht ergibt sich unabhängig von der Strafbarkeit aus der Stellung des Zeugen im Ermittlungsverfahren, und dass es Ausnahmen in Form von Zeugnisverweigerungs- oder Aussageverweigerungsrechten gibt, wird in der Belehrung ja erwähnt.
Man kann darüber streiten, ob „durch die ich … belasten würde“ den § 55 StPO korrekt und vollständig zusammenfasst. Ist aber imho egal: ein juristischer Laie wird diese Formulierung besser verstehen als den Gesetzeswortlaut, und wer das juristische Feingefühl besitzt, den Unterschied zwischen dem Gesetzestext und dieser Belehrung herauszuarbeiten, der braucht die Belehrung ohnehin nicht.
Eindeutig unzureichend ist nur die Passage „wenn mir ein Zeugnisverweigerungsrecht zur Seite steht“. Natürlich muss der Zeuge die Zeugnisverweigerungsrechte nicht von sich aus kennen, sondern die Polizei muss ihm die Voraussetzungen erläutern. Genauso muss sie natürlich im Zweifel näher erklären, was ein „naher Angehöriger“ im Sinne von § 52 StPO ist. Ein Fehler ist das aber nur dann, wenn es auch konkrete Anhaltspunkte für ein Zeugnisverweigerungsrecht oder ein auf einen Angehörigen bezogenes Aussageverweigerungsrecht gibt.
@ Der wahre T1000
Gut möglich, die übliche Vorgehensweise halt. Nun sind die vernehmenden Beamten ja nicht genauso, wie uns das Tatort und Co. immer vormachen wollen. Aber je nach Frage (und evtl.Gegenfrage) kann man die dann auch schön ärgern. So als Beispiel mal eine typische Krimi Szene (als Anfang, dann komme „ich“):
P: Schön, das SIe gekommen sind. Kaffee? *Schwank aus der Jugend* *freundlichen Gelache* *gute Atmosphäre verbreiten*… Wo waren sie eigentlich am 30. Februar um 25 Uhr 62?
Z: Mh, am 30… Warum wollen sie das denn wissen?
P: Ach, das müssen wir fragen, nur Routine. Da wurde XY getötet.
Z: Ah, das heisst ja ich bin tatsächlich nicht Zeuge, sondern Beschuldigter. Dann einen schönen guten Tag noch.
Ist die Belehrung fehlerhaft, weil alles aus wörtlicher Rede des Zeugen besteht, also überhaupt keine Belehrung seitens des Befragungspersonals stattgefunden hat?
@Der wahre T1000 und @WPR_bei_WBS
Nein. Wenn die Polizei gegen den Geschäftsführer eines Unternehmens ermittelt, sind die Mitarbeiter dieses Unternehmens nicht automatisch Mitbeschuldigte, sondern (mögliche) Zeugen. Und wenn die Polizei wissen will, wo sich jemand zur Tatzeit eines Mordes aufgehalten hat, macht ihn auch das nicht zum Beschuldigten. Die Polizei darf einerseits Beschuldigte nicht als Zeugen vernehmen, sie darf andererseits aber auch nicht Leute zu Beschuldigten machen, nur weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese mit der Tat was zu tun haben könnten.
@1 tom
Dem Letzten der die Frage Quid est veritas? in einem polizeilichen Verhör aufgeworfen hat, ist das ziemlich schlecht bekommen. Würde abraten.
Zur Fallfrage [ welche Folgen können daraus…]:
Der Konfliktverteidiger kann ordentlich Wirbel machen, der seinem Mandanten vielleicht hilft, vermutlich aber nicht.
Die Wahrheitspflicht ist nicht der Fehler, die besteht auch bei Aussagen vor der Polizei. Zwar kommt eine Strafbarkeit nach §§ 153 ff. nicht in Betracht, weil die Polizei immernoch keine zur Abnahme von Eiden zuständige Stelle ist, wohl aber bei Vorliegen der entsprechenden etwas spezielleren Voraussetzungen ein strafbares Vortäuschen von Straftaten, eine falsche Verdächtigung oder eine (ggf. versuchte) Strafvereitelung.
Der Fehler ist die Verkürzung des Aussageverweigerungsrechts nach § 55 StPO, durch die suggeriert wird, der Zeuge dürfe die Antwort auf Fragen nur dann verweigern, wenn er durch die Antwort sich oder einen nahen Angehörigen tatsächlich belasten müsste, während richtigerweise bereits genügt, dass er sich durch die Beantwortung der Gefahr der Strafverfolgung aussetzt. Dies kann auch schon dann der Fall sein, wenn ihn die Antwort inhaltlich nicht unmittelbar belastet, aber …
Konsequenzen für den Polizisten:
Wie üblich keine.
Konsequenzen für den Zeugen:
Er macht eventuell selbstbelastende Angaben, die er nicht hätte machen müssen oder fühlt sich genötigt, statt einfach zu schweigen der Polizei die Hucke voll zu lügen, denn wenn er die Antwort nur verweigern darf wenn die Antwort ihn tatsächlich belasten würde, dann würde doch schon allein das Berufen auf dieses Auskunftsverweigerungsrecht dem Polizisten verraten, dass er wohl besser in seine Richtung ermitteln sollte.
Die selbstbelastenden Angaben sind in einem Verfahren gegen den Zeugen bei nahweislicher Falschbelehrung unverwertbar, nicht aber daraus gewonnene Folgeerkenntnisse oder durch die Aussage provozierte Rückbelastungen durch Dritte.
Konsequenzen für den Beschuldigten:
Er muss mit der belastenden, ggf. auch falschen Aussage, die der Zeuge in seinem vermeintlichen Aussagenotstand absondert, leben. Gegen ihn ist sie auch bei Falschbelehrung hinsichtlich § 55 StPO verwertbar, da § 55 StPO nach h.M. nur den Zeugen schützt. Deswegen vergessen Polizisten und Gerichte die Belehrung nach § 55 StPO auch gerne mal gleich ganz, wenn kein Verteidiger oder Zeugenbeistand eingrätscht.
[…] Falschbelehrung, […]