Die Ermittlungsbehörden sind rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche im Dienst. Sogar sonntags bieten sie Beschuldigten die Gelegenheit, sich zu verteidigen:
Aber auch Verteidiger sind 24/7 erreichbar. Und wenn man sie fragt, raten sie dann dazu, solche Gelegenheiten nicht wahrzunehmen. Aber nicht, weil Sonntag ein schlechter Tag für eine Verteidigung wäre. Das bekommt man locker in den Griff.
Sondern weil es eine eisenharte Regel gibt:
Erst die Akteneinsicht und dann die Stellungnahme zum Tatvorwurf.
Niemals andersrum!
Nur wenn ein Beschuldigter ganz konkret weiß, was ihm vorgeworfen wird und welche Beweismittel der Ermittlungsbehörde vorliegen, ist eine effektive Verteidigung möglich. Alles andere wäre ein Blindflug ins Ungewisse.
Hier hat die Beschuldigte es goldrichtig gemacht. Sie ist mit der Vorladung zu einem Verteidiger gegangen. Der hat sich bei der Polizei für sie gemeldet, den Anhörungstermin abgesagt und die Akteneinsicht beantragt. Der Sonntagsarbeiter bei der Polizei wird die Akte dann an die Staatsanwaltschaft abgeben und von dort bekommt der Verteidiger irgendwann die Ermittlungsakte. Die können sich die beiden dann entspannt anschauen und darüber nachdenken, ob, wann und wie man sich zu dem Tatvorwurf einläßt. Auch beim Strafverteidigen gilt:
In der Ruhe liegt die Kraft.
In einem (vollkommen unsubstantiierten) Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Steuerhinterziehung kam ich mal ins Visier der Beamten. Für die war es vollkommene Normalität, erstmal ein Strafverfahren zu lancieren und dann mit der Betriebsprüfung fortzufahren. Die waren völlig überrascht, als wir diesseits dann Gebrauch vom Schweigerecht machten. „Ja wie geht denn dann die Betriebsprüfung weiter….?“ (ja gar nicht, wenn ihr so einen Mist baut!). Ein Jahr (!) später (und natürlich nach Akteneinsicht) ließ ich mich breitschlagen, an einem informellen Gespräch teilzunehmen, mit dem Ergebnis der Einstellung. Denn die hatten nichts in der Hand, weil auch nichts am Vorwurf dran war (es ging um Versteuerung der Einkünfte eines im Ausland lebenden Kollegen in einem multinationalen Konzern, und da hatten die Prüfer die Gesetzgebung wohl selbst nicht verstanden). Aber so geht Amt. Erstmal Angst machen und aufspielen und den Bürger so gefügig machen…
Die gleiche Regel gilt auch in der Schweiz, aber als Verteidiger erhält man grundsätzlich keine Akteneinsicht vor der ersten Einvernahme (wo man aber selbstverständlich nicht aussagen muss):
https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20052319/index.html#a101
Diese Leitsätze sollte jeder verinnerlichen.
Leider sieht es in der Realität meist anders aus. Da wird erst mal fleißig geplaudert und sich um Kopf und Kragen geredet.
Fairerweise muss aber auch sagen, dass eine spontane entlastende Äußerung, die ohne Aktenkenntnis „passt“, der Goldstandard ist
Die Fälle, in denen solche Einlassungen sofort zur Verfahrenseinstellung führen, sieht ein Verteidiger natürlich nicht.
Gerade wenn es um eine Aussage gegen Aussage Konstellation geht, kann eine unvorbereitete spontane und in sich glaubhafte Aussage für den wahrlich unschuldigen Beschuldigten viel mehr wert sein als der Versuch, den Belastungszeugen auseinander zu nehmen.
Wenn natürlich an Vorwürfen auch nur ein Hauch dran ist, dann kann es sehr nach hinten losgehen, ohne Verteidiger einen auf unschuldig machen zu wollen.
1. Es kommt nicht drauf an, ob an den Vorwürfen was dran ist oder nicht. Entscheidend ist, wie die Ermittler (später das Gericht) die Sachlage bewerten.
2. Das Risiko, durch eine vermeintlich entlastende Einlassung *negativen* Einfluß auf diese Wertung zu nehmen, ist deutlich höher als die Chance, die Lage ohne Aktenkenntnis zu verbessern.
Wer das Risiko jedoch nicht scheut, muß ja keinen Verteidiger beauftragen. No Risk – No Fun. crh
@Martin Steiger:
In Deutschland gibt es einen unbeschränkten Anspruch auf Akteneinsicht auch erst, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind. Vorher steht es im Ermessen der StA, ob es die weiteren Ermittlungen gefährdet. Siehe § 147 StPO.
In der Praxis wird sie natürlich auch schon vorher eingeräumt, weil ansonsten ja gar nichts vom Beschuldigten kommen wird.
@HD:
Meiner Erfahrung nach, kommt es hier sehr auf den ermittelnden Beamten an. Ein „Wadenbeißer“ findet in fast jeder vom Laien vorgenommenen, zur Entlastung gemachten Aussage ein belastendes Element, das dem Mandanten dann um die Ohren fliegt.
Das Problem ist, daß es für die meisten „sauschwierig“ ist, nichts zu sagen. Schließlich sind die Ermittler auch geschult, mit solchen „Querulanten“ umzugehen.
Ich empfehle immer, sich über das Wetter oder die Uniformen zu unterhalten, das scheint psychologisch leichter zu sein als eisern zu Schweigen.
@4 HD
das ist natürlich Unsinn. Es entscheidet ja nicht die Polizei, ob die Ermittlungen eingestellt werden, sondern der Staatsanwalt. Und der ist bei der Vernehmung in 99,5% aller Fälle nicht dabei. Ob die Äußerung „spontan“ war, ob der Delinquent dabei glaubwürdig rüber kam, das alles weiß der Entscheider nicht. Der hat nur einen Zettel mit dem Protokoll.
Natürlich gibt es Fälle, in denen nach einer Aussage des Beschuldigten eingestellt wird. Das hat aber nur sehr selten was mit der Aussage zu tun. Meistens liegt es an etwas anderem. Nennt sich Scheinkorrelation.
@Patenter Anwalt, #6
Auch das ist gefährlicher, als Du denkst: „Schließlich sind die Ermittler auch geschult, mit solchen ‚Querulanten‘ umzugehen.“ – eben.
Wo und wann ziehst Du die Grenze zwischen SmallTalk und beginnender Einlassung?
Nein, nach meiner Erfahrung ist Digital (0 oder 1 – eisernes Schweigen¹ oder singen) weit einfacher einzuhalten, als Analog (ich überlege bei jeder Frage oder Aussage des PolB, ob und wie ich darauf reagieren soll) – gerade, weil dieser SmallTalk ja auch *Sympathie* aufbauen soll (und oft auch vermag).
¹ wenn Du weich bist, kannst Du ja noch ein wenig Verständnis fü den Beamten und sein Bemühen zeigen. Verbunden mit der Bitte, nicht weiter in Dich zu dringen (und wenn er es doch macht hast Du Dir selbst gegenüber eine Aktivlegitimierung für eisernes Schweigen: Er ist nicht Dein Kumpel, er tut nur so…).
@HugoHabicht
Die weitaus meisten Ermittlungsverfahren laufen so, dass der Staatsanwalt die Akte erst sieht, wenn die Polizei ihre Ermittlungen abgeschlossen und einen Schlussvermerk erstellt hat. Wenn in diesem Schlussvermerk drinsteht, dass der Ermittlungsführer von der Richtigkeit der Angaben des Beschuldigten ausgeht, dann ist meiner Erfahrung nach die Einstellung so gut wie sicher.
Dabei ist mir bewusst, dass man eigenen Erfahrungen in diesem Bereich nur mit dem gebotenen kritischen Bewusstsein trauen sollte. Je nach Rolle, die man ausfüllt, bekommt man nur bestimmte Konstellationen regelmäßig zu sehen. Bei Verteidigern ist es natürlich so, dass sie vor allem Fälle zu bearbeiten bekommen müssen, in denen der Beschuldigte sich, wenn er geredet hat, um Kopf und Kragen geredet hat – bzw. es mit der Einstellung des Verfahrens auf Grund der Einlassung nicht gereicht hat.
Ich habe jedenfalls schon unzählige Einstellungsbescheide gesehen des Inhalts, dass dem Beschuldigten etwas nicht nachgewiesen werden könne, weil er sich unwiderlegbar so und so eingelassen habe.
Erstmal einen Blick auf die Tat werfen, bevor das ganz große Fass aufgemacht wird. Es handelt sich um eine Körperverletzung im Rahmen einer Beziehungstat. Zwei (ehemals) Liebende geraten zu nächtlicher Zeit (0:45 Uhr) in eine am Ende handfeste Auseinandersetzung. Selbst wenn man alles gesteht, was einem vorgeworfen wird, welches Urteil kommt dann am Ende dabei rum? Das endet doch zu 99,9% in einer Verfahrenseinstellung.
Zudem äußern sich ein Großteil der beiden Beteiligten auch deswegen nicht, weil man sich wieder vertragen konnte.
Eine Vorladung am Sonntag hat auch den Vorteil, dass die wenigsten Begroffenen während ihrer Arbeitszeit „belästigt“ werden.
@ Fry
Tja, da haben die Herren wohl ihre eigenen Regeln nicht gelesen :-). Entweder Sie handeln zu einem Zeitpunkt nach AO oder nach StPO, beides gleichzeitig geht eben nicht. Gut gemacht :-).
@ Martin Steiger
Interessant. Bedeutet in der Praxis aber vermutlich „nur“, dass man damit Akteneinsicht an flüchtige / unauffindbare Beschuldigte verhindert, oder?
@ HD
Nur dass das vermeintlich „nur etnlasstende“ dann für den Ermittler vielleicht doch nicht entlastend sein kann. Gibt da ein sehr gutes Video eines US-Strafverteidigers (ich glaube, von Udo Vetter gibt’s sowas auch) in einer Vorlesung zu. Ja, ich weiß, andere Gesetze und im Detail mag es den ein oder anderen Unterschied geben. Aber die grundsätzlichen Fallstricke sind die gleichen.
Bleibt im Ergebnis: Ich kann das etnlasstende kaum zu spät erzählen, aber sehr leicht zu früh. Also klappe halten. Es wird auch kurzfristig nichts ändern – bei einem normalen Verfahren gehe ich nach Hause (oder werde aufgrund des gesamten spontan vorläufig fest genommen), wenn ich eh verhaftet werden soll wird das auch so getan. Also Klappe halten.
Was ich mir persönlich noch vorstellen könnte (aber ich glaube selbst das wuerde ich im Zweifel lieber sein lassen): Selbst nur fragen stellen.
Smalltalk dagegen halte ich für sehr gefährlich, da kann man sich sowas von schnell verplappern.
„Er ist mir in die Faust gelaufen.“