Kein Rabatt für Verräter

Ein twitternder Kollege brachte eine – nicht nur bei Strafverteidigern – unbeliebte Rechtsnorm in Erinnerung:

Es geht um den § 31 BtMG, der einem Beschuldigten einen Strafnachlaß in Aussicht stellt, wenn er anderen Menschen belastet, also verrät.

Diese „Inaussichtstellung des Verräterrabatts“ bemühen sehr häufig bereits die ermittlenden Polizeibeamte, um damit einen Beschuldigte zur Offenbarung seines Wissens zu bewegen.

Diejenigen, an die sich dieses Angebot richtet, sollten wissen, was diese Norm anbietet.

Über den Nachlass entscheidet das Gericht. Nicht der Polizeibeamte und auch nicht der Staatsanwalt. Sondern erst ganz am Ende des Verfahrens ein Richter. Bis es dazu kommt, sind oft viele Monde vergangen, nicht selten Jahre. Was bis dahin passiert, steht in den Sternen.

Das Gericht kann eine Strafe mildern oder erlassen. Oder auch nicht. Von einem zwingenden Anspruch auf das Skonto steht da nichts. Es kommt also auch insoweit darauf an, mit welchem Bein der Richter, der über die Anwendung des § 31 BtMG entscheidet, morgens aus dem Bett aufgestanden ist.

Was passiert nach der Offenbarung des Wissens?

Der bis dato Beschuldigte, der erst einmal nur seine eigene Haut zu retten hat, wird nun obendrein auch noch zum Belastungszeugen in dem Verfahren gegen einen oder mehrere andere.

Der Offenbarer hat ab dem Zeitpunkt seiner Offenbarung zwei Jobs:

Er muß sich verteidigen und er muß bezeugen. Und das sind zwei gegenläufige Aufgaben.

  • Als Beschuldigter *darf* er aussagen, schweigen und grundsätzlich auch schwindeln.
  • Als Zeuge *muß* er aussagen, darf grundsätzlich nicht schweigen und wenn er schwindelt, wird er heftigst bestraft.

Noch ein Gedanke, den der potentielle 31er-Kandidat berücksichtigen sollte:

Derjenige, den er belastet, wird sich gegen die Vorwürfe verteidigen. Und das hat regelmäßig eine sogenannte Rückbelastung zur Folge. Was dabei am Ende herauskommt, ist ein Streit zweier Beschuldigter, über den sich die ermittelnden Dritten freuen.

Ein letztes Horror-Szenario, auf das ich meine Mandanten stets hinweise.

Der unbequemste Stuhl im Gerichtssaal, in dem Betäubungsmittelsachen verhandelt werden, ist der Zeugenstuhl. Auf dem sitzt der Verräter und muß die quälenden Fragen des Verteidiger des Verratenen beantworten. Das ist eine Situation, die mit einem Ponyhof aber überhaupt keine Ähnlichkeit mehr hat.

Es gibt viele weitere Gründe, weshalb ich meinen Mandanten regelmäßig davon abrate, sich zum Wasserträger der Ermittlungsbehörden zu machen. Der am Anfang versprochene Bonus erweist sich in der Regel am Ende als ein Malus.

Finger weg also vom 31; grundätzlich aber meine.

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Bild (CC0): terimakasih0 / via Pixabay

Dieser Beitrag wurde unter Betäubungsmittelrecht, Verteidigung, Zeugen veröffentlicht.

17 Antworten auf Kein Rabatt für Verräter

  1. 1
    Kai H. says:

    Lieber Herr Hoenig,
    Ich störe mich an dem Wort „Verräterrabatt“. Alles andere, was Sie schreiben (dass es quasi taktisch von Nachteil ist, sich auf derartiges einzulassen) ist gut nachvollziehbar. Aber warum „Verräter“?
    Da ist also ein Dealer, der Ihrer Mandantin Heroin verkauft. Er verdient an ihrer Sucht. Er wird gnadenlos sein Geld eintreiben, sie dadurch vielleicht dazu zwingen, sich zu prostituieren, und auf jeden Fall nutzt er ihre Krankheit/Notlage aus. Und Ihre Mandantin soll nun die Verräter8n sein

  2. 2
    Kai H says:

    (Sorry, vor lauter Eifer zu früh auf senden gedrückt…) …und Ihre Mandantin soll jetzt die Verräterin sein, wenn sie diesen Menschen belastet? Sie soll sich härter bestrafen lassen, damit der Dealer weiterhin ungestraft andere Menschen ausnutzen kann?
    Ich finde, Ihre Mandantin hat in einer solchen Situation jedes moralische Recht, gegen den Dealer auszusagen. Sie als „ Verräterin“ zu bezeichnen ist falsch.

  3. 3
    Flamebeard says:

    @1/2 Kai H: Was ich aus dem Artikel mit nehme ist vor allem Folgendes:Durch die Rolle als Zeuge/-in kann es regelmäßig zu Situationen kommen, die zu einer härteren Bestrafung desjenigen, der eigentlich vom „31er“ profitieren möchte, kommt. Durch die Rolle als Zeuge entweder im Zuge der Befragung durch Beamte oder aber später im Zeugenstand durch die Befragung des Anwalts des Belasteten wird früher oder später auch das hässliche Thema Beschaffungskriminalität auf kommen. Und da dürfte der Belastete in der Regel mehr wissen, als dem Belastenden lieb sein kann.

  4. 4
    matthiasausk says:

    Nicht ausgesprochen ist, daß es selbst bei anfangs gewinnbringend erscheinender Anwendung des „31er“ im Anschluß zu einer völligen Wendung im Leben kommen könnte – kommt natürlich auf den „Verratenen“ und sein Umfeld und das Deliktumfeld an … aber vor Rache ist man nie gefeit und ein Leben in Angst ist vielleicht nicht das, was man im ersten Moment will, wenn man aussagt.

  5. 5
    Flox says:

    @Kai H #1/2.
    Das Problem am 31er dürfte vor allem sein.
    Mir wird der einmalige Kauf einer Drogenmenge vorgeworfen und die Polizei hat auch nur für diesen einen Kauf belastbare Beweise.
    Liefere ich nun meinen Lieferanten ans Messer, in der Hoffnung auf Strafmilderung, kann ich Pech haben das der auspackt und die nötigen Beweise liefert das ich Stammkunde bei ihm war. Und weg ist der Rabatt………..

  6. 6
    André Bohn says:

    Dieselbe Problematik findet man in § 46b StGB. Das Ganze betrifft daher nicht nur das BtM-Strafrecht.

  7. 7
    RA Ullrich says:

    @ Kai H: Kollege Hoenigs negative Wortwahl erklärt sich wohl daraus, dass es eher selten der kleine Drogenendverbraucher ist, der versucht, sich die Strafmilderung des § 31 zu verdienen. Bei jemandem, der ohnehin bloß eine Geldstrafe oder kleine Bewährungsstrafe, ggf. mit Therapieauflage, zu erwarten hat, lohnt es sich nämlich aus den bereits ausgeführten offensichtlichen Gründen nicht. Meist ist es eher selber ein durchaus hartgesottener Krimineller, der seine Mittäter oder – seltener, weil außerhalb der rein rechtlichen Konsequenzen noch riskanter – seine Hintermänner verrät. Und dabei natürlich gar nicht mal so selten noch versucht, den eigenen Tatbeitrag kleinzureden und möglichst viel dem anderen in die Schuhe zu schieben.

  8. 8
    Andreas says:

    @1+2:

    Einfache Frage – einfache Antwort: Warum Verräter? Weil er/sie ein Verräter ist!

    Es mag sein, dass der Verrat moralisch zu rechtfertigen ist (die Sorte nennt man heute gerne Whistleblower), es mag sein, dass der Verrat in der Gesamtbilanz dessen, was sich die beiden Parteien angetan haben, nicht wirklich ins Gewicht fällt (Ihr Beispiel). Es ändert aber nichts an der Sache: Der Bruch der (hier wohl eher implizit) vereinbarten Vertraulichkeit über gewisse Umstände, hier sogar in der Absicht, sich selbst einen Vorteil zu verschaffen. Und das nennt man …? Genau.

  9. 9
    at says:

    „tabu“ bedeutet, die Möglichkeit nicht in Betracht zu ziehen oder generell und ohne Beachtung der Umstände zu verwerfen. Hier verrät also der Verteidiger den Mandanten.

    • Kein Strafverteidiger wird seinen Mandanten im Regen stehen lassen. Ich weise meine „mir Anvertrauten“ so früh wie möglich und sinnvoll auf die Chancen und Risiken der § 31 BtMG und § 46b StGB hin. In aller Regel verzichten sie dann auf die Inanspruchnahme dieser Angebote. Wenn nicht, bin ich nicht der richtige Verteidiger. Dann empfehle ich andere Kollegen, die damit kein Problem haben.
       
      Kommt es während des Verlaufs eines Mandats zu dieser Frage, ist es notwendig, daß Verteidiger und Mandant gemeinsam nach einer angemessenen Lösung suchen, was in aller Regel auch gelingt. Hier ist die Konstellation im Einzelfall maßgebend.
       
      Entscheidend ist, daß der Verteidiger seine eigenen Interessen nicht über die Interessen seines Mandanten stellt und daß man im Gespräch bleibt. crh
  10. 10
    busy says:

    Ich muss leider ein Wort für die Verräter ergreifen, wobei ich auch kein Freund davon bin.
    Es ist gängige Praxis, Mitwisser zu einer belastenden Aussage bewegen zu wollen. im Extremfall durch Folter. Eine in Aussicht gestellte Strafmilderung hat gewisse Parallelen. (Rede oder Du wirst bestraft)

    Aus Opfersicht steht eine 3. Person, als Verräter, außerdem in einem ganz anderen Licht da.

    Zudem konnten nur durch Verräter einige Schwerverbrecher überführt werden (glücklicherweise) wie z.B. ein hochrangiges Mitglied der Cosa Nostra, Andrea Nizza.

    Daher bin ich der Meinung, dass immer der Einzelfall zu betrachten ist aber Ihre Warnung Herr Hoenig, aus der Erfahrung heraus, dass ein Verrat nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollte, finde ich durchaus interessant, wichtig und sinnvoll.

  11. 11
  12. 12
    HugoHabicht says:

    Zwar liebt man den Verrat, doch haßt man den Verräter.

    Im Westen nix neues.

  13. 13
    wosch says:

    @11 & crh

    Den Link in die Google-Suche eingeben und die Paywall verschwindet.

  14. 14

    Es gibt teilweise 31er-Rabatte, die dennoch mit einer nicht mehr bewährungsfähigen Haftstrafe enden. Und „31er“ sind in den JVA-internen Häftlingshierarchien auch in aller Regel alles andere als wohlgelitten. Und irgendwie spricht sich so etwas dort immer herum. Deswegen stellt ich auch diese Frage, ob man ein paar Monate oder auch Jahre weniger – die, wie richtig geschrieben, nicht garantiert sind -, für einen drohenden höheren Leidensdruck in der JVA in Kauf nimmt.

  15. 15
  16. 16
    Martin says:

    Nicht jeder Dealer ist skrupellos, jemand der etwa reines Gras verkauft ist für mich ein ganz normaler Händler. Und solch jemanden auszuliefern ist – da hat der Blogbetreibende recht – ein Verräter. Aber beim Betäubungsmittelrecht handelt es sich halt um eine politische Fragestellung, das wird zu selten erwähnt.

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