Kommunikationslos gegrillt

Angefangen hatte es mit insgesamt acht Angeklagten. Übrig geblieben sind nach 26 Hauptverhandlungsterminen noch vier. Die anderen wurden „zur gesonderten Verfolgung und Aburteilung“ abgetrennt.

Der Tatvorwurf lautete u.a. auf eine Vergewaltigung. Entscheidendes, überwiegend einziges Beweis-„Mittel“ war die geschädigte Zeugin, die behauptete, von fünf der Mitangeklagten vergewaltigt worden zu sein. Diese Behauptung wurde dokumentiert in drei polizeilichen Vernehmungen und vier Vernehmungen in der Hauptverhandlung. Insgesamt gab es am Ende zahlreiche Abweichungen und eklatante Widersprüche in den Darstellungen; nicht nur am Rande, sondern entscheidend auch im so genannten Kerngeschehen.

Die Angeklagten hatten sich teilweise eingelassen, allerdings bestritten sie uni sono, gegen den Willen sexuell mit der Zeugin verkehrt zu haben. Es sei einvernehmlicher Sex gewesen, für den man gezahlt habe.

Die Verteidigung hat die Widersprüche mehrfach in unterschiedlichen Beweisanträgen und Erklärungen thematisiert; es gab heftige Diskussionen über den Umfang der weiteren Beweisaufnahme.

Irgendwann sprach der Vorsitzende dann ein Machtwort und setzte eine Frist für weitere Beweisanträge. Die Frist war verstrichen, die Beweisaufnahme wurde geschlossen, die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung haben plädiert und die Angeklagten hatten ihr letztes Wort.

Danach wurde die Hauptverhandlung bis zur Urteilsverkündung für 10 Tage unterbrochen.

Zwei Tage vor der geplanten Urteilsverkündung wurde die Zeugin (erneut) in einem der Trennverfahren vernommen. Sie lieferte eine weitere Variante der Vorfälle und berichtete Widersprüchliches, insbesondere auch wieder im Kerngeschehen. Darüber wurden wir von der dortigen Verteidigung informiert.

Diese Informationen haben wir in einem neuen Beweisantrag verwertet, der den Umfang von 14 Seiten hatte. Etwa zwei Stunden vor dem Urteils-Verkündungs-Termin war der Antrag fertig gestellt und sprudelte dann in Form einer Ankündigung aus dem Fax der Geschäftsstelle der zuständigen Strafkammer. Das Gericht war also vorgewarnt, als es – verspätet wie immer – losging.

Das Urteil konnte also nicht wie geplant verkündet werden, sondern es ging zurück in die Beweisaufnahme. Wir hatte mit Zeter und Mordio des Vorsitzenden und der Staatsanwältin gerechnet. Aber stattdessen blickte ich bei der Verlesung der 14 Seiten der Antragsschrift in tiefenentspannte Gesichter der fünf Richter. Und war sicher, das Gericht haut uns den Antrag nach kurzer Beratung um die Ohren und schickt die Angeklagten ins Gefängnis.

Die Beratungspause dauerte auch nicht lange, bevor der Vorsitzende den ablehnenden Beschluß verkündete. Die Begründung hatten wir allerdings anders erwartet: Unsere Beweisbehauptungen unterstellte das Gericht als wahr, akzeptierte also das als zutreffend, was wir erst mühsam durch eine Zeugenvernehmung in das Verfahren einführen wollten.

Wir waren aber immer noch unsicher, was jetzt in den Köpfen der Richter abging, denn auch unseren (nunmehr vierten) Antrag auf Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens lehnte das Gericht ab: Es verfüge über eigene Sachkunde, brauche also keinen Sachverständigen. Der Klassiker.

Erst als im Anschluß daran (und nach erneuter Schlußzeremonie mit Plädoyers, Anträgen und letzten Worten) der Urteilstenor verkündet wurde, wußten wir: Wir hatten das Ziel erreicht.

Das Gericht teilte in der Begründung des Urteils mit: Auf der Grundlage dieser vielfältigen Geschichten, die die Zeugin der Polizei und uns erzählt hat, läßt sich kein Urteil gründen, das die Angeklagten teilweise für mehrere Jahre in den Knast schicken soll.

Was ist schiefgelaufen in diesem Verfahren?

Es fehlte an der Kommunikation zwischen dem Gericht und den anderen Verfahrensbeteiligten. Wäre den Verteidigern früher bekannt gegeben worden, daß das Gericht die massiven Zweifel an der Glaubhaftigkeit der belastenden Aussagen der Zeugin mit den Verteidigern teilte, hätte man die intensive und stundenlange Befragung der Zeugin – durch acht (!) Verteidiger – vermeiden können. Obwohl wir das Gericht immer wieder darum gebeten, teilweise gefordert hatten, eine vorläufige Bewertung der Beweislage zu liefern, hat das Gericht gemauert.

Welche Alternativen hatte die Verteidigung in solch einer Situation also – außer die Aussagen der Zeugin in jedem kleinsten Detail zu hinterfragen, jedes auch noch irgendwie vielleicht in Bezug stehendes Randgeschehen zu beleuchten, Akten aus führeren (verhältnismäßig uralten) Verfahren beizuziehen, Social-Media-Accounts zum Gegenstand der Beweisaufnahme zu machen und so weiter und so fort.

Die Zeugin hat mir am Ende Leid getan, daß sie derart gegrillt wurde. Auch für die Angeklagten war diese Langstrecke eine erhebliche Belastung (die teilweise auch zum Job-Verlust führte). Aber nur dadurch ist es am Ende zu einem Ergebnis gekommen, das für unsere Mandantin im Grunde akzeptabel erscheint.

Das hätte man echt einfacher haben können, wenn „man mal darüber geredet“ hätte. Eine klare Kante wäre das richtige Mittel gewesen, um für alle Beteiligten einen gangbaren Weg zu finden.

So haben wir nun einen Erfolg erzielt, über den wir uns nur sehr eingeschränkt freuen können.

Nicht nebenbei:
Die Zeugin war zur Tatzeit noch keine 16 Jahre alt.

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Bild „Eingemauertes Telefon“: © www.fotofixfax.com / Bild „Grill“: © Dieter / beide via pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Gericht, Prozeßbericht (www.prozessbericht.de), Richter, Strafverteidiger veröffentlicht.

9 Antworten auf Kommunikationslos gegrillt

  1. 1

    Das richtige Kommunikationsmittel der Kammer wäre eine Entlassung des Angeklagten aus der U-Haft gewesen, nachdem die Hauptbelastungszeugin entlassen wurde. Die Verteidigung hatte dies ja beantragt und musste nach dem Haftfortdauerbeschluss mit den Schlimmsten rechnen.

    • … und selbst die Begründung des Haftfortdauerbeschluß war völlig nichtssagen, auch an dieser Stelle verweigerte die Kammer auch nur den Hauch einer vorläufigen Bewertung der Beweisaufnahme. crh
  2. 2
    ratlos says:

    Tatzeit ohne Tat.

    • „Tatzeit“ ist ein technischer Begriff, der unter Strafjuristen richtig verstanden wird. Für alle anderen hätte ich besser Vorfallszeit o.ä. schreiben sollen. Danke für den Hinweis.
       
      Aber, es gab noch weitere Tatvorwürfe, die sich bestätigt haben (und teilweise auch eingeräumt wurden); und damit liegt hier doch noch eine Tat auch im umtechnischen Sinne vor. crh

    Interessant wäre wie lange es her ist.

    • In nicht rechtsverjährter Zeit, die Zeugin ist auch heute noch nicht erwachsen. crh
  3. 3
    Der wahre T1000 says:

    Ist schon erstaunlich. Eine 15-jährige soll für Geld Sex mit 5 Männern gehabt haben. Wow.

    Entweder passt da was nicht oder es hat sich in einer Szene abgespielt, die mir gedanklich kaum zugänglich ist. Der Beruf eines Strafverteidigers ermöglicht vermutlich Einblicke in Geschehen, die sich der normale Mensch kaum vorstellen kann.

  4. 4
    matthiasausk says:

    Vielleicht hat sich die Zeugin ja WEGEN der intensiven und anstrengenden Befragungen so unterschiedlich geäußert?

    • Nope! Die ersten unterschiedlichen Varianten hat sie bei Polizeibeamten und Ärzten abgeliefert, eine weitere in der Befragung durch den Vorsitzenden. Danach erst haben die Verteidiger die bis dato festgestellten Widersprüche aufgegriffen und zum Thema der Befragungen und Beweisanträge gemacht. crh
  5. 5

    Liebe CRH,
    das:
    > „Angefangen … mit insgesamt acht Angeklagten.
    > Übrig geblieben sind n…. noch vier. Die anderen
    > wurden „zur gesonderten Verfolgung und
    > Aburteilung“ abgetrennt.
    ist aber nicht schön. Das Gericht trennt die Angeklagten ab, nicht nur deren Verfahren. Unerhört!
    Die „Peinliche Bestrafung“ ist längst abgeschafft. Sofort alle ablehnen :-)

  6. 6
    15-Jährige says:

    Ist bezahlter Sex mit 15-Jährigen nicht auch mit Einwilligung strafbar? Kenne mich nicht so aus im Sexualstrafrecht. Ich denke an § 180 StGB.

  7. 7
    SH says:

    Klar, aber die „bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe“ aus dem § 180 StGB ist dann doch die etwas geringere Strafandrohung als „nicht unter 2 Jahren“ aus dem § 177 VI Nr. 2 StGB

  8. 8
    matthiasausk says:

    @crh – danke für die Antwort

  9. 9
    K. says:

    Eine 15-Jaehrige, die angeblich freiwillig Sex mit 5 erwachsenen Männern hat (die sie wahrscheinlich gar nicht kannte) – Alles klar. Und die Erde ist eine Scheibe.
    mir wird jedenfalls echt schlecht, wenn ich mitbekomme was für abartige Typen es so gibt.
    Moralisch sehr unglaubwürdig finde ich aber auch Anwälte, die solche Kinderschänder verteidigen und schützen.